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Access Provider und Netzsperren – eine (erste) Analyse zu BGH „3dl.am“ und „Goldesel“ (Update)

(Update 27.11.2015 zu WLANs s.u.)

Gestern hat der BGH die Urteile in Sachen „3dl.am“ (OLG Hamburg, 21.11.2013 – 5 U 68/10, GRUR-RR 2014, 140 – 3dl.am) und „goldesel“ (OLG Köln, 18.7.2014, GRUR 2014, 1081 – 6 U 192/11 – Goldesel) verkündet (Urteile vom 26.11.2015 – I ZR 3/14 und I ZR 174/14) . Die Entscheidungsgründe liegen noch nicht vor, sondern bisher nur die Pressemitteilung.

In den beiden Urteilen ging es um das Begehren von Rechteinhabern, Access Provider im Wege der Störerhaftung zur Einrichtung von Netzsperren (in Form von DNS-Sperren, IP-Sperren, URL-Sperren und hybriden Sperren) zu verpflichten. OLG Hamburg und OLG Köln hatten dies zurückgewiesen, wobei das OLG Köln dabei schon auf die kurz zuvor ergangene EuGH-Entscheidung „UPC Telecabel ./. Constantin Film – kino.to“-Entscheidung (GRUR 2014, 468) zurückgreifen konnte. Beide Instanzgerichte hatten eine umfassende Grundrechtsabwägung vorgenommen und im Ergebnis alle Pflichten der Access Provider abgelehnt.

Im Wesentlichen ging es bei beiden Fällen darum, dass die Kläger von den Beklagten wollten, dass der Zugang zu Webseiten mit Linklisten (auf Filehoster wie rapidshare oder auf Edonkey-Links) gesperrt wird. Es sollte daher nicht das Angebot der Linklisten abgestellt werden. Vielmehr sollten die Access Provider nur den Zugang dazu sperren.

Der BGH hat die Revisionen zwar zurückgewiesen, hat aber grundsätzlich – unter weiteren Voraussetzungen – eine Sperrpflicht von Access Providern angenommen.

Da die Entscheidungsgründe noch nicht vorliegen, möchte ich nur oberflächlich ein paar Punkte analysieren und ein paar Fragen stellen (und möglicherweise teilweise beantworten). Von den Entscheidungsgründen wird einiges abhängen. Es lassen sich der Pressemitteilung aber schon jetzt Hinweise entnehmen, wobei diese mit starker Vorsicht zu genießen sind, da sich zwischen Pressemitteilund und Entscheidungsgründen durchaus noch Unterschiede ergeben können, wie manchem noch vom Fall „Sommer unseres Lebens“ bekannt sein dürfte.

Vorab ist eines festzustellen: Die Entscheidungen des BGH bedeuten eine ganz deutliche Veränderung im Rahmen der Störerhaftung. Nicht unbedingt im Hinblick auf die Zumutbarkeit, hier war durch den offenen Abwägungsprozess viel Raum in jede Richtung. Massiv ist jedoch die Veränderung, was die Subsidiarität angeht. Auch sonst müssen wir abwarten, wie der BGH die Entscheidungen begründet, denn dogmatisch wird das Ergebnis nicht vollständig in den bisherigen Entscheidungskanon passen.

1. Von der Pflicht zum Sperren: Die schlechte Nachricht

Zunächst einmal lässt sich festhalten: Access Provider müssen künftig ihre Systeme so einrichten, dass sie Filter und Sperren vorsehen können. Der BGH hat zwar Voraussetzungen vor eine solche Filterpflicht geschaltet, diese aber nicht vollständig und grundsätzlich abgelehnt.

Welche Filter und Sperren das sein werden (DNS-Sperren, IP-Sperren, URL-Sperren oder hybride Sperren), lässt sich noch überhaupt nicht absehen. Wer den Unterschied zwischen diesen Maßnahmen sehen will und wie man damit in der Abwägung umgeht, dem lege ich die Lektüre der OLG Köln-Entscheidung „Goldesel“ (Achtung: 192 Seiten!) nahe.

Zu Filtern des Datenverkehrs mittels Deep Packet Inspection verhält sich die Pressemitteilung nicht. Ich gehe davon aus, dass die selbst dem BGH zu weit gehen dürfte. Wir werden sehen müssen.

Interessant ist auch, welche Argumente der BGH in der Abwägung wohl nicht gelten lassen will:

„Die aufgrund der technischen Struktur des Internet bestehenden Umgehungsmöglichkeiten stehen der Zumutbarkeit einer Sperranordnung nicht entgegen, sofern die Sperren den Zugriff auf rechtsverletzende Inhalte verhindern oder zumindest erschweren.“

Insoweit geht der BGH mit dem EuGH, der auch formuliert hat, dass es ausreicht, wenn der Zugriff auf rechtsverletzende Inhalte erschwert wird. Es stellt sich aber die Frage, wo man hier die Grenze zieht. Sind DNS-Sperren wirksam? Mit dem BGH wohl schon, obwohl die Umgehung denkbar einfach ist.

2. Voraussetzungen der Sperrpflicht – Gesamtverhältnis, Overblocking und Subsidiarität.

a. Das Gesamtverhältnis

Eine Frage, die sich sowohl im Verfahren des EuGH als auch des OLG Köln gestellt hatte, war, wann eine Webseite als „so rechtsverletzend“ anzusehen ist, dass sie sperrwürdig ist.

Der BGH hat in der Pressemitteilung eine nicht eindeutige Formulierung gewählt:

„Eine Sperrung ist nicht nur dann zumutbar, wenn ausschließlich rechtsverletzende Inhalte auf der Internetseite bereitgehalten werden, sondern bereits dann, wenn nach dem Gesamtverhältnis rechtmäßige gegenüber rechtswidrigen Inhalten nicht ins Gewicht fallen.“

Zu Recht verweist Ansgar Koreng im Interview mit Netzpolitik.org darauf, dass im Grunde der Rechteinhaber bei Inanspruchnahme des Access Providers die gesamte Seite analysieren und eruieren müsste, zu welchem Anteil legale und illegale Inhalte angeboten werden. Dass das von außen extrem schwierig ist, ist klar.

Außerdem dürfte „nicht ins Gewicht fallen“ schon eine bestimmte Richtung vorgeben. Ob es aber im Verhältnis „illegal/legal“ 80/20 oder 95/5 bedeutet, werden am Ende die Gerichte klären müssen.

Auf der anderen Seite ist dies aber wohl auch eine gute Nachricht. Denn nur wenn sich dieses Gesamtverhältnis zu Gunsten des Rechteinhabers leicht feststellen lässt, dürfte eine Seite auch wirklich zu sperren sein. Bei den hier in Frage stehenden Webseiten dürfte das einfach gewesen sein. Der Großteil der eDonkey-Linklisten dürfte auf illegal eingestellte Inhalte verweisen.

Bei Seiten wie YouTube, Twitter, Instagram etc. dürfte aber unstreitig sein, dass im Verhältnis die rechtsverletzenden Inhalte nicht ins Gewicht fallen. Hier ist eine Sperrung also nicht zu erwarten.

Ein Gedanke am Rande: Als Betreiber solcher Linklisten könnten als Folge des Urteils Foren und Webseiten ihre Inhalte mit Links auf rechtmäßig eingestellte Werke (bei Wikipedia oder unter Creative Commons stehend) anreichern und es so schwieriger machen, eine im Gesamtverhältnis eindeutig rechtsverletzende Handlung festzustellen … Das könnte aber wiederum die Attraktivität solcher Seiten senken – wir müssen sehen, was passiert.

b. Overblocking

Nicht klar ist mir, wie der BGH der Problematik des Overblocking begegnen will. Wenn eine Seite 90% illegale Inhalte aufweist und damit eventuell sperrwürdig wäre, werden immer noch 10% legale Inhalte geblockt. Dem könnte man damit begegnen, dass nur zielgerichtete Sperren (URL-Sperren, hybride Sperren) verlangt werden könnten. Die sind aber wiederum aufgrund eines Eingriffs in das Fernmeldegeheimnis hochproblematisch.

Der EuGH hat hier eine Abwägung der betroffenen Interessen verlangt. Ich bin gespannt, wie die beim BGH aussehen wird.

c. Adäquate Kausalität

Der BGH hat die adäquate Kausalität der Mitwirkungshandlung des Access Providers bejaht. Das ist – so z.B. von Thomas Stadler – in Frage gestellt worden. Stadler ist dabei in guter Gesellschaft, in der Vorinstanz zur BGH „Sommer unseres Lebens“-Entscheidung hatte das OLG Frankfurt am Main eine solche adäquate Kausalität verneint (OLG Frankfurt, 1.7.2008 – 11 U 52/07, MMR 2008, 603).

Stadler meint, dass die Adäquanz fehlt, weil die Rechtsverletzung ja auch mit der Sperre fortdauert. Das ist nach meiner Einschätzung leider nur halb richtig. Der BGH hat in „Sommer unseres Lebens“ (und auch hier) die Adäquanz wohl zu Recht angenommen. Denn zwar bleibt es dabei, dass der Host Provider trotz Sperre eine Rechtsverletzung begeht, aber auch der Nutzer des Access Providers, der ein geschütztes Werk herunterlädt, begeht eine Rechtsverletzung – nämlich durch die Vervielfältigung. Und an dieser Rechtsverletzung wirkt der Access Provider adäquat-kausal mit.

d. Subsidiarität

Der BGH verlangt vom Rechteinhaber, dass er zunächst gegen den unmittelbaren Verletzer und gegen den Host Provider vorgeht. Erst dann soll der Access Provider überhaupt haften können. Der BGH begründet hier eine Subsidiarität der Störerhaftung. Diese war dem deutschen System bisher fremd (vgl. BGH, Urt. v. 5.12.1975 – I ZR 122/74, GRUR 1976, 256 (257) – Rechenscheibe; BGH, Urt. v. 5.4.1995 – I ZR 133/93, GRUR 1995, 605 (608) – Franchise-Nehmer; Ahlberg/Götting in Ahlberg/Götting, Beck’scher Online-Kommentar UrhG, § 97 UrhG Rn. 46; Teplitzky, Wettbewerbsrechtliche Ansprüche und Verfahren, 10. Aufl. 2011, Kap. 14 Rn. 12 m.w.N.; für Art. 10 EMRK ebenso EGMR, Urt. v. 10.10.2013 – 64569/09 – Delfi As v. Estonia.).

Hier findet eine erhebliche Verschiebung des Haftungssystems statt. Auch da bin ich gespannt, wie der BGH die Abkehr von der bisherigen Systematik begründet und ob er dies als allgemeines Prinzip stehen lässt oder klarstellt, dass es sich um eine Einzelfallentscheidung nur bei Access Providern handelt. Die Folgefragen mag ich mir ehrlich gesagt gar nicht ausmalen.

Die fehlende Subsidiarität war übrigens schon vorher in der Literatur in Frage gestellt worden (Ahrens, WRP 2007, 1281 (1288)), häufig aber  mit einem anderen Hintergrund verbunden worden: Es wurde geglaubt, dass der Access Provider sich aus der Störerhaftung befreien könne, wenn er Auskunft über den Verletzer erteilt (soweit ihm das möglich ist) (s. dazu eingehend Sassenberg/Mantz, WLAN und Recht, 2014, Rn. 241).

Auch hier müssen wir die Gründe abwarten. Nach der Pressemitteilung erteilt der BGH einer solchen Auslegung aber eine klare Absage: Denn der Rechteinhaber muss selbst Nachforschungen anstellen und versuchen, den Verletzer und den Host Provider in Anspruch zu nehmen. Erst dann kann die Störerhaftung des Access Providers greifen. Dementsprechend dürfte die „Auskunft, dann alles gut“-Lösung auch nach den Entscheidungen des BGH nicht die richtige sein.

e. Von kerngleichen Rechtsverletzungen: Enge Auslegung = „nur der konkrete Fall“

Eine weitere – prozessual – interessante Folge dürften die hohen Anforderungen haben, die der BGH aufgestellt hat. Nach dieser Entscheidung dürften in einen Verbotstenor sogenannte „kerngleiche Rechtsverletzungen“ nämlich kaum noch fallen.

Bei solchen „kerngleichen Rechtsverletzungen“ geht es darum, dass derjenige, der zur Unterlassung einer bestimmten Rechtsverletzung verpflichtet worden ist, andere aber ganz ähnliche Rechtsverletzungen von sich aus verhindern soll.

Das ist nach den Entscheidungen des BGH aber kaum noch denkbar. Denn der Access Provider kann nicht wissen, ob der Rechteinhaber bereits versucht hat, den Verletzer und den Host Provider in Anspruch zu nehmen. Wenn der Rechteinhaber also einen Link auf das selbe geschützte Werk gesperrt wissen möchte, dieser aber auf einer anderen Webseite liegt, dann muss er nach der Pressemitteilung des BGH erst den Host Provider in Anspruch genommen haben. Solange er das nicht gemacht hat, ist eine Haftung des Access Providers nicht begründet. Damit kann eine Sperrverpflichtung sich aber immer nur auf die ganz konkrete, mitgeteilte Rechtsverletzung beziehen – Kerngleichheit ist praktisch unmöglich.

3. Vorprozessuales Verhalten

Wie oben schon angesprochen, muss der Rechteinhaber seinerseits erst alles tun, um den Verletzer und den Host Provider in Anspruch zu nehmen.

Der BGH führt dazu aus:

„Eine Störerhaftung des Unternehmens, das den Zugang zum Internet vermittelt, kommt unter dem Gesichtspunkt der Verhältnismäßigkeit allerdings nur in Betracht, wenn der Rechteinhaber zunächst zumutbare Anstrengungen unternommen hat, gegen diejenigen Beteiligten vorzugehen, die – wie der Betreiber der Internetseite – die Rechtsverletzung selbst begangen haben oder – wie der Host-Provider – zur Rechtsverletzung durch die Erbringung von Dienstleistungen beigetragen haben. Nur wenn die Inanspruchnahme dieser Beteiligten scheitert oder ihr jede Erfolgsaussicht fehlt und deshalb andernfalls eine Rechtsschutzlücke entstünde, ist die Inanspruchnahme des Access-Providers als Störer zumutbar. Betreiber und Host-Provider sind wesentlich näher an der Rechtsverletzung als derjenige, der nur allgemein den Zugang zum Internet vermittelt. Bei der Ermittlung der vorrangig in Anspruch zu nehmenden Beteiligten hat der Rechtsinhaber in zumutbarem Umfang – etwa durch Beauftragung einer Detektei, eines Unternehmens, das Ermittlungen im Zusammenhang mit rechtswidrigen Angeboten im Internet durchführt, oder Einschaltung der staatlichen Ermittlungsbehörden – Nachforschungen vorzunehmen.“

4. Rechtsfolgen

Wichtig sind natürlich die Folgen für Access Provider.

a. Sperrmechanismen

Und das ist die wirklich schlechte Nachricht: Access Provider müssen nun Listen anlegen und Sperrmechanismen einrichten. Problematisch ist, dass wir bis die Entscheidungsgründe vorliegen nicht wissen, welche Sperren denn verlangt werden können. Dann aber könnten Link-, Domain- und IP-Listen anzulegen sein, die gesperrt werden müssen.

Allerdings sind vor der Aufnahme einer URL, Domain oder IP in die Liste hohe Anforderungen zu beachten: Erstens muss der Rechteinhaber vorher versucht haben, den Verletzer oder Host Provider in Anspruch zu nehmen. Es reicht nicht aus, dass er das behauptet, er muss das konkret darlegen. Zweitens muss feststehen, dass im Gesamtverhältnis unter der zu sperrenden IP, Domain oder Webseite hauptsächlich rechtsverletzende Inhalte hinterlegt sind. Erst dann darf der Access Provider sperren.

Sperrt der Access Provider zu früh, dürfte er sich Regressansprüchen ausgesetzt sehen: Nämlich einerseits seiner Kunden (warum komme ich auf heise-online nicht mehr drauf?) und andererseits der Host Provider. Ganz wichtig wird das bei IP- und Domain-Sperren. Denn hier ist die Gefahr des Overblocking extrem groß. Wenn der Access Provider hier nicht aufpasst, sieht er sich hohen Haftungsrisiken ausgesetzt.

Eine weitere – vermutlich auch weiterhin unbeantwortete Frage – ist die nach der Dauer einer Sperre. Angenommen die Domain www.goldesel.to wird gesperrt. Einige Jahre später wird die Domain aufgegeben und ein neuer Anbieter betreibt die Domain – mit ausschließlich legalen Inhalten. Dann müsste die Sperre wieder aufgehoben werden – aber nach welchem Verfahren? Wer kann hier gegen wen vorgehen? Ist der Access Provider haftbar, wenn er die Sperre rückgängig macht und dann wiederum Jahre später erneut die Webseite überwiegend für Rechtsverletzungen genutzt wird? Der BGH hat hier ein ganzes Fass an neuen Fragen aufgemacht.

b. Access Provider als Gate-Keeper

Aus diesem Grunde hoffe ich, dass die Access Provider nicht einfach alles sperren, was ihnen zugerufen wird. Access Provider sind jetzt – ähnlich wie Google beim „Recht auf Vergessenwerden“ bzw. „Recht auf De-Listing“ in einer unangenehmen Rolle: Sie müssen sperren, wozu sie verpflichtet sind, dürfen aber nicht sperren, wozu sie nicht verpflichtet sind. Eine extrem problematisch Lösung, für die der BGH hoffentlich Anhaltspunkte zu einer Lösung entwickelt hat und uns aufzeigen wird.

c. Missbrauchsgefahr

Denn die Missbrauchsgefahr solcher Sperren ist natürlich extrem hoch. Sind Sperrmechanismen erst einmal eingerichtet, wird sicher auch versucht, sie für andere Inhalte nutzbar zu machen, z.B. missliebige Meinungen. Die Diskussion um Domain-Sperren über den Registrar bei möglicherweise schmähenden Äußerungen haben kürzlich LG Frankfurt und OLG Frankfurt thematisiert und eine Haftung des Domain-Registrars abgelehnt.

d. Network Provider

Ich bin auch gespannt, ob der BGH Andeutungen machen wird, inwiefern seine Entscheidungen nur für Access Provider gelten. Denn mir sind aus der Praxis Einzelfälle bekannt, in denen gegen Network Provider vorgegangen wird, also solche Provider, die nur Datenverkehr durchleiten.

Wenn man allerdings die Entscheidungen des BGH (nach den Pressemitteilungen) weiterdenkt, dürfte hier wohl vorrangig der Access Provider in Anspruch zu nehmen sein, denn schließlich ist der an der Rechtsverletzung „näher dran“ als der Network Provider. Spannende Fragen …

e. Abmahnungen

Und nun wenigstens eine kleine gute Nachricht. Die Anforderungen an die Sperrpflicht des Access Providers hat der BGH hoch gehängt.

Vor Kenntnis von einer Rechtsverletzung kann daher eine Störerhaftung gar nicht begründet sein, das war schon zuvor die eindeutige Linie des BGH. Zusätzlich muss der Rechteinhaber aber in der Mitteilung oder Abmahnung mitteilen, ob und wie er bereits versucht hat, den Verletzer und den Host Provider in Anspruch zu nehmen. Fehlt es daran, besteht auch keine Sperrpflicht.

Jedenfalls im Urheberrecht wird dies nach § 97a UrhG auch erhebliche Auswirkungen für die Abmahnung und die Pflicht zur Kostenerstattung haben. Denn wenn es an diesen Anforderungen fehlt, ist die Abmahnung unwirksam.

Außerdem – da erhoffe ich mir auch klare und erläuternde Worte des BGH – muss nach der „Sommer unseres Lebens“-Entscheidung der Rechteinhaber ganz deutlich machen, was denn der Access Provider überhaupt tun soll, also welche Seite er (und möglicherweise auch wie?) sperren soll.

5. Folgen für WLANs?

In diesem Blog darf natürlich ein Blick auf die Folgen für WLANs nicht fehlen und ich möchte meine Leser nicht enttäuschen.

Leider muss ich konstatieren, dass alles, was ich oben geschrieben habe, auch für WLAN-Betreiber gilt. WLANs müssen daher zukünftig wohl – jedenfalls ab der ersten Aufforderung, die den oben beschriebenen Voraussetzungen entspricht – Sperren einrichten und unterhalten. Man sollte aber jedenfalls die Entscheidungsgründe abwarten und nicht in Panik verfallen. Bisher ist noch unklar, was genau verlangt werden kann und was nicht. Geht es um Sperren, sind Kosten für Abmahnungen wohl eher nicht zu erwarten, da die Anforderungen sehr hoch sind und Sperren zwingend erst nach der Mitteilung der Rechtsverletzung eingerichtet werden können. Ein Haftungsrisiko besteht auch bei WLANs also nur, wenn der Betreiber nach einer hinreichend konkreten und den obigen Anforderungen genügenden Aufforderung keine Sperre einrichtet.

Bei WLANs ist darüber hinaus in der Abwägung die häufig geringe Leistungsfähigkeit der Betreiber und der Geräte zu beachten. Wie sich das auswirken wird, lässt sich aber noch nicht absehen (s. aber sogleich zum Ausblick).

Nachtrag 27.11.2015:

Ich möchte nach verschiedenen Rückfragen zu den Folgen für WLANs noch etwas Wichtiges nachtragen, was ich vorher vergessen hatte. Die oben Ausführungen zu WLANs beziehen auf den Stand heute!

Wenn das TMG-Änderungsgesetz mit seinen Änderungen in § 8 TMG zu WLANs kommt – ich hatte darüber hier im Blog mehrfach berichtet – dann sieht das Ganze schon wieder anders aus, da nach den Vorgaben der Bundesregierung (BT-Drs. 18/6745) und des Bundesrats (BR-Drs. 440/15) § 8 TMG  auf jeden Fall Anwendung auf WLANs finden wird.

Kommt der Bundesrats-Entwurf durch, sind die vorliegenden Urteile des BGH für Betreiber von WLANs schlicht ohne Auswirkung.

Wird es der Entwurf der Bundesregierung, dann wird man diskutieren müssen, ob die vom BGH vorgesehenen Netzsperren als „angemessene Maßnahme zur Sicherung gegen Rechtsverletzungen“ anzusehen sind, die nach dem neuen § 8 Abs. 4 TMG gefordert werden können. Und genau dagegen gibt es ein gewichtiges Argument: Der Gesetzgeber hat ausweislich der Gesetzesbegründung ausdrücklich auf andere Maßnahmen abgestellt, obwohl er wusste, dass der BGH über die Frage der Access Provider-Haftung entscheiden wird und dort Netzsperren im Gespräch waren.

6. Ausblick

Generell und für WLANs ist noch ein anderer Aspekt von erheblicher Bedeutung: Das LG München I hat – darüber hatte ich hier berichtet – dem EuGH eine Menge Fragen vorgelegt, die für die Entscheidung des BGH von hoher Bedeutung sind. Das LG München I hat den EuGH insbesondere gefragt, welche Maßnahmen (also auch Sperren) überhaupt zumutbar sind (s. dazu hier und hier).

Es ist noch unklar, ob der EuGH sich dazu überhaupt äußern wird, oder ob er auf die nationalen Gerichte und Gesetzgeber verweisen wird. Hier ist jedenfalls noch Musik drin.

Außerdem dürfte klar sein, dass die Entscheidungen des BGH eine Menge an Rechtsfragen aufwerfen, die durch die Gerichte erst noch geklärt werden müssen. Und wie ich oben dargestellt habe, wird das nicht leicht. Die Rechtsunsicherheit bleibt also, auch wenn sich die Fragestellungen verschieben werden.

Ich werde hier jedenfalls weiter berichten …

Overblocking at its best: Russland blockiert Wayback-Machine wegen einer Webseite

Immer wieder ist – auch hier im Blog – das Phänomen des Overblocking angesprochen worden. Filter- und Sperrtechnologien und -anordnungen gehen fast zwangsläufig damit einher, dass nicht nur diejenige Kommunikation/Webseite/Information gesperrt wird, der die Sperranordnung gilt, sondern eben auch eine Vielzahl anderer.

Im Ergebnis ist dies ein gewichtiges Argument bei der Bewertung der Verhältnismäßigkeit von Filter- und Sperranordnungen. So hat beispielsweise das OLG Köln formuliert (OLG Köln, Urt. v. 18.7.2014 – 6 U 192/11, GRUR 2014, 1081):

„Für die Unzumutbarkeit einer Maßnahme spricht es, wenn durch sie in erheblichem Umfang auch der Zugang zu anderen und legitimen Inhalten betroffen wird. Gleiches gilt für Maßnahmen, die den Zugang zu rechtsverletzenden Inhalten nicht effektiv unterbinden können.“

Ars Technica hat kürzlich über die Sperrung der kompletten Wayback Machine aufgrund einer russischen Anordnung berichtet. Dabei ging es um die Sperrung einer einzigen Webseite:

„The Attorney General’s order is to block a single page held by the Wayback Machine—one called „Solitary Jihad in Russia,“ which contains information about the „theory and practice of partisan resistance,“ as Global Voices reports.“

Wie gesagt: Overblocking at its best. Und wieder einmal ein klares Argument gegen solcherlei Sperren schon dem Grunde nach.

Die Zulässigkeit und Effektivität von Internet-Sperren – Die Entscheidung des Gerechtshof Den Haag zu Pirate Bay

Der niederländische Gerechtshof Den Haag hat mit Urteil vom 28.1.2014 ein erstinstanzliches Urteil aufgehoben, durch das den niederländischen Access Providern Ziggo und XS4ALL auferlegt worden war, den Zugang zur Torrent-Seite „The Pirate Bay“ zu sperren (Volltext in niederländisch hier, (nicht gute) Übersetzung mit Google Translate hier, Torrentfreak berichtet auch über die Umstände und Reaktionen auf das Urteil).

Die Frage, ob es zulässig ist, Access Providern als reinen Intermediären die Sperre des Zugangs zu Webseiten aufzuerlegen, ist in den Niederlanden, aber auch in Deutschland seit Jahren immer wieder Thema der (nicht nur juristischen) Diskussion.

1. Die Ineffektivität von Internet-Sperren

Interessant ist, dass der Gerechtshof Den Haag deutlich ausspricht, dass er DNS-Sperren als unwirksam ansieht, und solche Sperren als unwirksame Maßnahmen daher vom Access Provider nicht verlangt werden können. Dabei bezieht sich das Gericht u.a. auf die sog. Baywatch-Studie, die die (Un-)Wirksamkeit von DNS-Sperren analysiert.

Wer sich technisch mit DNS-Sperren befasst hat, dem dürfte klar sein, wie leicht DNS-Sperren zu umgehen sind. Google selbst bietet Anleitungen an, wie man Google’s Public DNS nutzen kann, bei YouTube finden sich für praktisch jedes Betriebssystem Video-Anleitungen zur Umstellung des DNS.

Gleiches gilt übrigens auch für andere Formen von Internet-Sperren, beispielsweise auf Basis von Deep Packet Inspection, die jedenfalls durch Verschlüsselung umgangen werden kann.

Dies ist übrigens auch in der deutschen Rechtsprechung und juristischen Literatur Stand der Dinge (s. OLG Hamburg, Urt. v. 14.1.2009 – 5 U 113/07, MMR 2009, 631 Rn. 135 (juris) – Usenet; Döring, WRP 2008, 1155 (1158); vgl. auch Bedner, CR 2010, 339 (344)).

Internet-Sperren sind des Weiteren – was nicht zu vergessen ist – nicht nur unwirksam, sondern auch schädlich. Gerade bei DNS-Sperren wird auf Basis einer IP-Adresse häufig eine Vielzahl von Webseiten völlig Unbeteiligter mitgesperrt (sog. Overblocking).

2. Der Generalanwalt des EuGH zu Filterpflichten in der Sache UPC ./. Wega

In der Sache vor dem EuGH UPC ./. Wega (C?314/12) hat am 26.11.2013 der Generalanwalt des EuGH Stellung genommen, wobei er sich nicht nur mit DNS-Sperren, sondern mit Filterpflichten allgemein befasst hat. Hier Auszüge daraus:

86.      Wie ich bereits eingangs erwähnt habe, kommt eine Reihe von Maßnahmen zur Sperrung einer Website, also zur möglichen Erfüllung des Erfolgsverbots, in Betracht. Unter diesen befinden sich ausgesprochen komplexe Methoden, wie die Umleitung des Internetverkehrs über einen Proxy Server, aber auch weniger schwer durchzuführende Maßnahmen. Die Maßnahmen divergieren damit signifikant hinsichtlich der Intensität ihres Eingriffs in die Grundrechte des Providers. Es ist darüber hinaus nicht ausgeschlossen, dass eine völlige Erfüllung des Erfolgsverbots rein faktisch unmöglich ist.

91.      Nachdem das vorlegende Gericht sich in der dritten Vorlagefrage mit der Zulässigkeit eines allgemeinen Erfolgsverbots beschäftigt hat, behandelt seine vierte Frage konkrete Sperrmaßnahmen. Das Gericht fragt, ob die Anordnung konkreter Maßnahmen an einen Provider zur Erschwerung des Zugangs von Kunden zu einer Website mit rechtswidrig zugänglich gemachten Inhalten einer Abwägung der Grundrechte standhält, insbesondere wenn die Maßnahmen einen nicht unbeträchtlichen Aufwand erfordern und zudem ohne besondere technische Kenntnisse leicht umgangen werden können. Dabei geht es dem vorlegenden Gericht nur um die Vorgabe von Leitlinien für die Beurteilung der Verhältnismäßigkeit konkreter Sperrmaßnahmen, da der Sachverhalt in dieser Hinsicht noch nicht abschließend aufgeklärt ist.

95.      Der Gerichtshof hat in den Rechtssachen Scarlet Extended und Sabam die Anordnung an einen Provider, ein kompliziertes, kostspieliges, auf Dauer angelegtes und allein auf seine Kosten betriebenes Filtersystem zur Überwachung von Daten in seinem Netzwerk einzurichten, als qualifizierte Beeinträchtigung der unternehmerischen Freiheit des Providers eingeordnet(51). Eine konkrete Sperrmaßnahme, die mit nicht unbeträchtlichem Aufwand verbunden ist, mag zwar eine weniger intensive Beeinträchtigung darstellen, sie bezweckt und bewirkt aber doch eine Einschränkung des Rechts und stellt damit einen Eingriff in den Schutzbereich(52) des Rechts dar(53).

1.      Geeignetheit

99.      Die in Frage stehenden Anordnungen verfolgen mit dem Schutz des Urheberrechts und damit der „Rechte anderer“ im Sinne des Art. 52 Abs. 1 der Charta zweifelsohne ein zulässiges Ziel. Fraglich ist jedoch, ob sie zur Förderung des Ziels geeignet sind, also einen Beitrag zur Erreichung des Ziels(57) leisten. Zweifel hieran gründen darauf, dass Sperrmaßnahmen nach den Feststellungen des vorlegenden Gerichts „ohne besondere technische Kenntnisse leicht umgangen werden können“. So können einerseits die Internetnutzer ohne größere Schwierigkeiten die Sperrmaßnahme umgehen, andererseits können die Betreiber der das Urheberrecht verletzenden Website die Seite in identischer Form unter einer anderen IP-Adresse und anderem Domain-Namen anbieten.

100. Meines Erachtens reichen diese Erwägungen jedoch nicht aus, um jede konkrete Sperrmaßnahme als ungeeignet hinzustellen. Dies betrifft zunächst die Umgehungsmöglichkeiten durch Nutzer. Zwar mögen potenziell viele Nutzer in der Lage sein, eine Sperrung zu umgehen. Hieraus folgt jedoch keinesfalls, dass jeder dieser Nutzer sie auch umgehen wird. Nutzer, die im Rahmen einer Sperrung einer Website von der Rechtswidrigkeit der Seite erfahren, können durchaus auf einen Zugang zu der Website verzichten. Bei jedem Nutzer den Willen zu vermuten, trotz einer Sperrung Zugang zu einer Website zu erlangen, würde meiner Ansicht nach bedeuten, dass man bei jedem Nutzer unzulässig den Willen zur Förderung eines Rechtsbruchs annimmt. Schließlich ist anzumerken, dass zwar nicht wenige Nutzer zur Umgehung einer Sperrung in der Lage sein mögen, aber bei Weitem nicht alle.

101. Auch die Möglichkeit, dass der Betreiber die Seite in identischer Form unter einer anderen IP-Adresse und anderem Domain-Namen anbietet, schließt nicht grundsätzlich die Geeignetheit von Sperrmaßnahmen aus. Zunächst können auch hier Nutzer, durch die Sperrmaßnahme auf die Rechtswidrigkeit der Inhalte aufmerksam gemacht, auf den Besuch der Seite verzichten. Sodann müssen Nutzer auf Suchmaschinen zurückgreifen, um die Seite zu finden. Bei wiederholten Sperrmaßnahmen wird auch eine Suche über Suchmaschinen schwerer fallen.

102. Nach alledem ist eine Sperrverfügung unter Nennung der konkret zur Sperrung zu ergreifenden Maßnahme nicht generell ungeeignet, das Ziel des Schutzes der Rechte des Urhebers zu fördern.

2.      Erforderlichkeit und Angemessenheit

103. Weiter müsste die angeordnete Maßnahme erforderlich sein, d. h. sie darf nicht über das hinausgehen, was zur Erreichung des Ziels notwendig ist(58), wobei von mehreren geeigneten Maßnahmen die am wenigsten belastende zu wählen ist(59). Schließlich müssen die von der Maßnahme verursachten Nachteile in einem angemessenen Verhältnis zum angestrebten Ziel stehen(60).

104. Es ist Aufgabe des nationalen Gerichts, diese Erfordernisse hinsichtlich der im konkreten Fall vorgesehenen Maßnahme zu prüfen. Sowohl angesichts der Aufgabenverteilung der Gerichte im Kooperationsverhältnis des Gerichtshofs mit den Gerichten der Mitgliedstaaten als auch angesichts der in der vorliegenden Rechtssache nicht vollständig abgeschlossenen Klärung des Sachverhalts und der fehlenden Angaben hinsichtlich der konkreten Maßnahme ist es weder angebracht noch möglich, an dieser Stelle eine vollständige Prüfung der Erforderlichkeit und Angemessenheit durchzuführen. Vielmehr können dem nationalen Gericht nur einige Erwägungen an die Hand gegeben werden. Dabei stellen diese keinesfalls eine abschließende Liste der abzuwägenden Gesichtspunkte dar. Vielmehr muss das nationale Gericht eine vollständige Abwägung aller relevanten Umstände des konkreten Falls vornehmen.

105. Zunächst ist dabei festzustellen, dass die Möglichkeit der Umgehung einer angeordneten Sperrverfügung nicht grundsätzlich jeder Sperrverfügung im Wege steht. Die Gründe hierfür habe ich bereits unter dem Gliederungspunkt der Geeignetheit angeführt. Die quantitative Einschätzung des vorhersehbaren Erfolgs der Sperrmaßnahme ist ein in die Abwägung einzubringender Gesichtspunkt.

Im Ergebnis ist die Auffassung des Generalanwalts also, dass Sperrverfügungen grundsätzlich möglich sind, die Entscheidung hierüber aber am Ende den nationalen Gerichten überlassen bleibt. Es bleibt natürlich abzuwarten, wie der EuGH in der Sache entscheidet, aber unter Zugrundelegung der Auffassung des Generalanwalts hat der Gerechtshof Den Haag als nationales Gericht nun eine Entscheidung getroffen – und Sperrverfügungen für unzulässig angesehen.

3. Fazit

Wenn man sich die deutsche Rechtsprechung zu der Thematik und nun das niederländische Urteil ansieht, kann man – nach derzeitiger Rechtslage – getrost von einer Unzulässigkeit von Auflagen zur Einrichtung von Internet-Sperren ausgehen.