Der niederländische Gerechtshof Den Haag hat mit Urteil vom 28.1.2014 ein erstinstanzliches Urteil aufgehoben, durch das den niederländischen Access Providern Ziggo und XS4ALL auferlegt worden war, den Zugang zur Torrent-Seite „The Pirate Bay“ zu sperren (Volltext in niederländisch hier, (nicht gute) Übersetzung mit Google Translate hier, Torrentfreak berichtet auch über die Umstände und Reaktionen auf das Urteil).
Die Frage, ob es zulässig ist, Access Providern als reinen Intermediären die Sperre des Zugangs zu Webseiten aufzuerlegen, ist in den Niederlanden, aber auch in Deutschland seit Jahren immer wieder Thema der (nicht nur juristischen) Diskussion.
1. Die Ineffektivität von Internet-Sperren
Interessant ist, dass der Gerechtshof Den Haag deutlich ausspricht, dass er DNS-Sperren als unwirksam ansieht, und solche Sperren als unwirksame Maßnahmen daher vom Access Provider nicht verlangt werden können. Dabei bezieht sich das Gericht u.a. auf die sog. Baywatch-Studie, die die (Un-)Wirksamkeit von DNS-Sperren analysiert.
Wer sich technisch mit DNS-Sperren befasst hat, dem dürfte klar sein, wie leicht DNS-Sperren zu umgehen sind. Google selbst bietet Anleitungen an, wie man Google’s Public DNS nutzen kann, bei YouTube finden sich für praktisch jedes Betriebssystem Video-Anleitungen zur Umstellung des DNS.
Gleiches gilt übrigens auch für andere Formen von Internet-Sperren, beispielsweise auf Basis von Deep Packet Inspection, die jedenfalls durch Verschlüsselung umgangen werden kann.
Dies ist übrigens auch in der deutschen Rechtsprechung und juristischen Literatur Stand der Dinge (s. OLG Hamburg, Urt. v. 14.1.2009 – 5 U 113/07, MMR 2009, 631 Rn. 135 (juris) – Usenet; Döring, WRP 2008, 1155 (1158); vgl. auch Bedner, CR 2010, 339 (344)).
Internet-Sperren sind des Weiteren – was nicht zu vergessen ist – nicht nur unwirksam, sondern auch schädlich. Gerade bei DNS-Sperren wird auf Basis einer IP-Adresse häufig eine Vielzahl von Webseiten völlig Unbeteiligter mitgesperrt (sog. Overblocking).
2. Der Generalanwalt des EuGH zu Filterpflichten in der Sache UPC ./. Wega
In der Sache vor dem EuGH UPC ./. Wega (C?314/12) hat am 26.11.2013 der Generalanwalt des EuGH Stellung genommen, wobei er sich nicht nur mit DNS-Sperren, sondern mit Filterpflichten allgemein befasst hat. Hier Auszüge daraus:
86. Wie ich bereits eingangs erwähnt habe, kommt eine Reihe von Maßnahmen zur Sperrung einer Website, also zur möglichen Erfüllung des Erfolgsverbots, in Betracht. Unter diesen befinden sich ausgesprochen komplexe Methoden, wie die Umleitung des Internetverkehrs über einen Proxy Server, aber auch weniger schwer durchzuführende Maßnahmen. Die Maßnahmen divergieren damit signifikant hinsichtlich der Intensität ihres Eingriffs in die Grundrechte des Providers. Es ist darüber hinaus nicht ausgeschlossen, dass eine völlige Erfüllung des Erfolgsverbots rein faktisch unmöglich ist.
91. Nachdem das vorlegende Gericht sich in der dritten Vorlagefrage mit der Zulässigkeit eines allgemeinen Erfolgsverbots beschäftigt hat, behandelt seine vierte Frage konkrete Sperrmaßnahmen. Das Gericht fragt, ob die Anordnung konkreter Maßnahmen an einen Provider zur Erschwerung des Zugangs von Kunden zu einer Website mit rechtswidrig zugänglich gemachten Inhalten einer Abwägung der Grundrechte standhält, insbesondere wenn die Maßnahmen einen nicht unbeträchtlichen Aufwand erfordern und zudem ohne besondere technische Kenntnisse leicht umgangen werden können. Dabei geht es dem vorlegenden Gericht nur um die Vorgabe von Leitlinien für die Beurteilung der Verhältnismäßigkeit konkreter Sperrmaßnahmen, da der Sachverhalt in dieser Hinsicht noch nicht abschließend aufgeklärt ist.
95. Der Gerichtshof hat in den Rechtssachen Scarlet Extended und Sabam die Anordnung an einen Provider, ein kompliziertes, kostspieliges, auf Dauer angelegtes und allein auf seine Kosten betriebenes Filtersystem zur Überwachung von Daten in seinem Netzwerk einzurichten, als qualifizierte Beeinträchtigung der unternehmerischen Freiheit des Providers eingeordnet(51). Eine konkrete Sperrmaßnahme, die mit nicht unbeträchtlichem Aufwand verbunden ist, mag zwar eine weniger intensive Beeinträchtigung darstellen, sie bezweckt und bewirkt aber doch eine Einschränkung des Rechts und stellt damit einen Eingriff in den Schutzbereich(52) des Rechts dar(53).
1. Geeignetheit
99. Die in Frage stehenden Anordnungen verfolgen mit dem Schutz des Urheberrechts und damit der „Rechte anderer“ im Sinne des Art. 52 Abs. 1 der Charta zweifelsohne ein zulässiges Ziel. Fraglich ist jedoch, ob sie zur Förderung des Ziels geeignet sind, also einen Beitrag zur Erreichung des Ziels(57) leisten. Zweifel hieran gründen darauf, dass Sperrmaßnahmen nach den Feststellungen des vorlegenden Gerichts „ohne besondere technische Kenntnisse leicht umgangen werden können“. So können einerseits die Internetnutzer ohne größere Schwierigkeiten die Sperrmaßnahme umgehen, andererseits können die Betreiber der das Urheberrecht verletzenden Website die Seite in identischer Form unter einer anderen IP-Adresse und anderem Domain-Namen anbieten.
100. Meines Erachtens reichen diese Erwägungen jedoch nicht aus, um jede konkrete Sperrmaßnahme als ungeeignet hinzustellen. Dies betrifft zunächst die Umgehungsmöglichkeiten durch Nutzer. Zwar mögen potenziell viele Nutzer in der Lage sein, eine Sperrung zu umgehen. Hieraus folgt jedoch keinesfalls, dass jeder dieser Nutzer sie auch umgehen wird. Nutzer, die im Rahmen einer Sperrung einer Website von der Rechtswidrigkeit der Seite erfahren, können durchaus auf einen Zugang zu der Website verzichten. Bei jedem Nutzer den Willen zu vermuten, trotz einer Sperrung Zugang zu einer Website zu erlangen, würde meiner Ansicht nach bedeuten, dass man bei jedem Nutzer unzulässig den Willen zur Förderung eines Rechtsbruchs annimmt. Schließlich ist anzumerken, dass zwar nicht wenige Nutzer zur Umgehung einer Sperrung in der Lage sein mögen, aber bei Weitem nicht alle.
101. Auch die Möglichkeit, dass der Betreiber die Seite in identischer Form unter einer anderen IP-Adresse und anderem Domain-Namen anbietet, schließt nicht grundsätzlich die Geeignetheit von Sperrmaßnahmen aus. Zunächst können auch hier Nutzer, durch die Sperrmaßnahme auf die Rechtswidrigkeit der Inhalte aufmerksam gemacht, auf den Besuch der Seite verzichten. Sodann müssen Nutzer auf Suchmaschinen zurückgreifen, um die Seite zu finden. Bei wiederholten Sperrmaßnahmen wird auch eine Suche über Suchmaschinen schwerer fallen.
102. Nach alledem ist eine Sperrverfügung unter Nennung der konkret zur Sperrung zu ergreifenden Maßnahme nicht generell ungeeignet, das Ziel des Schutzes der Rechte des Urhebers zu fördern.
2. Erforderlichkeit und Angemessenheit
103. Weiter müsste die angeordnete Maßnahme erforderlich sein, d. h. sie darf nicht über das hinausgehen, was zur Erreichung des Ziels notwendig ist(58), wobei von mehreren geeigneten Maßnahmen die am wenigsten belastende zu wählen ist(59). Schließlich müssen die von der Maßnahme verursachten Nachteile in einem angemessenen Verhältnis zum angestrebten Ziel stehen(60).
104. Es ist Aufgabe des nationalen Gerichts, diese Erfordernisse hinsichtlich der im konkreten Fall vorgesehenen Maßnahme zu prüfen. Sowohl angesichts der Aufgabenverteilung der Gerichte im Kooperationsverhältnis des Gerichtshofs mit den Gerichten der Mitgliedstaaten als auch angesichts der in der vorliegenden Rechtssache nicht vollständig abgeschlossenen Klärung des Sachverhalts und der fehlenden Angaben hinsichtlich der konkreten Maßnahme ist es weder angebracht noch möglich, an dieser Stelle eine vollständige Prüfung der Erforderlichkeit und Angemessenheit durchzuführen. Vielmehr können dem nationalen Gericht nur einige Erwägungen an die Hand gegeben werden. Dabei stellen diese keinesfalls eine abschließende Liste der abzuwägenden Gesichtspunkte dar. Vielmehr muss das nationale Gericht eine vollständige Abwägung aller relevanten Umstände des konkreten Falls vornehmen.
105. Zunächst ist dabei festzustellen, dass die Möglichkeit der Umgehung einer angeordneten Sperrverfügung nicht grundsätzlich jeder Sperrverfügung im Wege steht. Die Gründe hierfür habe ich bereits unter dem Gliederungspunkt der Geeignetheit angeführt. Die quantitative Einschätzung des vorhersehbaren Erfolgs der Sperrmaßnahme ist ein in die Abwägung einzubringender Gesichtspunkt.
Im Ergebnis ist die Auffassung des Generalanwalts also, dass Sperrverfügungen grundsätzlich möglich sind, die Entscheidung hierüber aber am Ende den nationalen Gerichten überlassen bleibt. Es bleibt natürlich abzuwarten, wie der EuGH in der Sache entscheidet, aber unter Zugrundelegung der Auffassung des Generalanwalts hat der Gerechtshof Den Haag als nationales Gericht nun eine Entscheidung getroffen – und Sperrverfügungen für unzulässig angesehen.
3. Fazit
Wenn man sich die deutsche Rechtsprechung zu der Thematik und nun das niederländische Urteil ansieht, kann man – nach derzeitiger Rechtslage – getrost von einer Unzulässigkeit von Auflagen zur Einrichtung von Internet-Sperren ausgehen.