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OLG Köln: 4-tägige Speicherung von IP-Adressen durch den Provider ist nach § 100 TKG gerechtfertigt und Auskunft nach § 101 Abs. 9 UrhG möglich

Ich möchte heute auf eine aktuelle Entscheidung des OLG Köln hinweisen (OLG Köln, Urteil vom 14.12.2015 – 12 U 16/13, BeckRS 2016, 00898).

Es handelte sich um ein Verfahren nach § 101 Abs. 9 UrhG: Wegen angeblichen Filesharing ordnete das LG Köln die Herausgabe der Bestandsdaten zu IP-Adressen an, wobei der Provider die IP-Adressen samt Nutzungszeitpunkt jeweils für insgesamt vier Tage speicherte. Der Kläger (also der Anschlussinhaber) vertrat die Auffassung, dass der Provider zur Speicherung nicht berechtigt sei. Da der Provider die Daten hätte löschen müssen, sei der Beschluss des LG Köln zur Beauskunftung falsch und aufzuheben.

Das OLG Köln hat sich der Auffassung des Klägers nicht angeschlossen und festgestellt, dass der Provider die Daten für vier Tage speichern und dann auch im Verfahren nach § 101 Abs. 9 UrhG herausgeben durfte:

„1. Die Datenspeicherung ist nach § 100 Abs. 1 TKG gerechtfertigt, weil sie zur Abwehr von Störungen der Telekommunikationsanlage erforderlich ist.

a) Das Internet als Ganzes stellt zum einen ein Telekommunikationsnetz gemäß § 3 Nr. 26 TKG dar, zum anderen aber auch eine Telekommunikationsanlage nach § 3 Nr. 23 TKG (BGH, Urteil vom 13. Januar 2011 III ZR 146/10, NJW 2011, 1509, zitiert nach juris, Rn. 24; Urteil vom 3.7.2014, III ZR 391/13, NJW 2014, 2500, zitiert nach juris, Rn. 15), zumal es sich um ein System handelt, welches der Datenübermittlung oder -vermittlung dient. Der Begriff der Störung im Sinne des § 100 TKG ist umfassend zu verstehen als jede vom Diensteanbieter nicht gewollte Veränderung der von ihm für sein Telekommunikationsangebot genutzten technischen Einrichtungen (BGH, Urteil vom 13. Januar 2011 III ZR 146/10, NJW 2011, 1509, zitiert nach juris, Rn. 24 unter Verweis auf die Begründung der Bundesregierung zum Entwurf eines Gesetzes zur Stärkung der Sicherheit in der Informationstechnik des Bundes BT-Drs. 16/11967 S. 17; BGH, Urteil vom 3.7.2014, III ZR 391/13, NJW 2014, 2500, zitiert nach juris, Rn. 17).

b) Auf dieser Grundlage lässt sich zwar eine Störung nicht bereits dann bejahen, wenn eine Internetverbindung – wie im Falle einer Urheberrechtsverletzung – zu rechtswidrigen Zwecken genutzt wird, zumal hierbei das Internet in seiner Funktionsfähigkeit gerade nicht eingetrübt wird und auch eine Sperrung von IP-Nummernblöcken nicht zu befürchten ist.

Eine Ausweitung der Auslegung des Begriffs der Störung auf Urheberrechtsverletzungen wäre dementsprechend nur dann möglich, wenn man aus § 100 Abs. 1 TKG in einer Art Analogie zu ordnungsrechtlichen Generalklauseln (wie z. B. § 1 OBG-NW, § 1 PolG-NW) eine allgemeine Verpflichtung oder Befugnis des Providers herleiten würde, jeglichen Rechtsverletzungen im Internet vorsorglich durch Datenspeicherungen entgegenzuwirken.

Dies kann indes weder dem Wortlaut der §§ 96, 100 TKG entnommen werden, noch deutet die Entstehungsgeschichte des Gesetzes darauf hin, dass der Gesetzgeber den Betreibern von Telekommunikationsanlagen die Befugnis zur Ausübung eines derartigen Wächteramtes hat zukommen lassen wollen. Auch die Gesetzessystematik spricht dagegen. So grenzen die §§ 91 ff. TKG die Befugnisse der Betreiber von Telekommunikationsanlagen im Umgang mit Daten ein. Ferner trifft das TKG zu Kommunikationsinhalten keinerlei ausdrückliche Regelung, sondern verweist zur Inhaltskontrolle grundsätzlich durch die §§ 110 ff. TKG auf die Aufgaben und Befugnisse der Sicherheitsbehörden, wogegen den Betreibern von Telekommunikationsanlagen lediglich die Aufgabe der Umsetzung von behördlichen Anordnungen zugewiesen wird, einschließlich solcher Anordnungen, die eine Inhaltsüberwachung vorsehen. Sinn und Zweck der Regelung ist dementsprechend die Begrenzung der Aufgaben und Befugnisse von Telekommunikationsanlagenbetreibern auf die formale Gewährleistung der Kommunikationsmöglichkeit, wie die §§ 88, 91 TKG durch Benennung des Fernmeldegeheimnisses und des Datenschutzes als umzusetzende übergesetzliche Vorgaben verdeutlichen.

c) Eine die Datenspeicherung rechtfertigende Störung nach § 100 TKG ist aber anzunehmen, wenn ohne die Speicherung der IP-Adressen zu befürchten ist, dass andere Provider wegen auftretender Schadprogramme, Versand von Spam-Mails oder „Denialof-Service-Attacken mangels näherer Möglichkeit der Eingrenzung des infizierten Rechners ganze IP-Adressbereiche des Internetanbieters sperren, weil die Gefahren von ihnen, bzw. einem von ihnen ausgehen. Diese Sperrung wäre eine als Störung zu bewertende Veränderung der Telekommunikationsanlage, da diese sodann wegen der Sperrungen teilweise nicht mehr nutzbar wäre (BGH, Urteil vom 13.1.2011, III ZR 146/10, NJW 2011, 1509, zitiert nach juris, Rn. 24; Urteil vom 3.7.2014, III ZR 391/13, NJW 2014, 2500, zitiert nach juris, Rn. 14-23).

aa) Bei Denial of Service-Attacken, Spam-Versand, dem Versand von Trojanern und Hacker-Angriffen handelt es sich um Störungen i. S. d. § 100 TKG (BGH a. a. O.; OLG Frankfurt, Urteil vom 28.8.2013, 13 U 105/07, BB 2013, 2369, zitiert nach juris, Rn. 64).

Dem Kläger ist durchaus zuzugeben, dass eine streng formale Betrachtungsweise dem Telekommunikationsunternehmen jeglichen Blick auf übertragene Inhalte versagen würde. Die vorliegend vertretene eingeschränkte Zulassung der Berücksichtigung und Überprüfung von Kommunikationsinhalten ergibt sich aber unmittelbar aus dem Gesetz, weil § 100 TKG eine Regelung für Störungen jeglicher Art enthält und damit auch für solche, die sich aus Kommunikationsinhalten ergeben.

bb) Zur Rechtfertigung einer Speicherung bedarf es keiner bereits aufgetretenen Störung; ausreichend ist vielmehr eine abstrakte Gefahr, weswegen lediglich zu überprüfen ist, ob die Speicherung erforderlich ist, um einer später auftretenden Störung begegnen zu können (BGH, Urteil vom 13.1.2011, III ZR 146/10, NJW 2011, 1509, zitiert nach juris, Rn. 25-27; Urteil vom 3.7.2014, III ZR 391/13, NJW 2014, 2500, zitiert nach juris, Rn. 6, 19, 21; OLG Frankfurt, Urteil vom 28.8.2013, 13 U 105/07, BB 2013, 2369, zitiert nach juris, Rn. 65-75; Mozek in Säcker, Kommentar zum Telekommunikationsgesetz, 3. Auflage 2013, § 100 TKG, Rn. 10).

Die mehrtätige Speicherung von IP-Adressen begegnet auf dieser Grundlage auch keinen durchgreifenden verfassungs- oder europarechtlichen Bedenken (BGH, Urteil vom 13.1.2011, III ZR 146/10, NJW 2011, 1509, zitiert nach juris, Rn. 27-29, 34, 35; Urteil vom 3.7.2014, III ZR 391/13, NJW 2014, 2500, zitiert nach juris, Rn. 18-24). Insbesondere lässt sich auch den Ausführungen des EUGH im Rahmen der Safe-Harbour- Entscheidung (Urteil vom 6.10.2015, C-362/14, NJW 2015, 3151-3158, zitiert nach juris) keine Abweichung gegenüber dem vorliegend vom Senat eingenommenen Rechtsstandpunkt entnehmen. Die Entscheidung befasst sich mit der Frage, welche Vorgaben dem europäischen Recht für die Praxis eines sozialen Netzwerks entfließen, Daten in den Zugriffsbereich eines Drittstaates außerhalb der EU weiterzugeben, dessen Datenschutzniveau dasjenige der EU unterschreitet. Die vom Kläger zitierten Passagen der Entscheidung befassen sich mit der Rechtsbeeinträchtigung von EU-Bürgern aufgrund der von einer Behörde des Drittstaates vorgenommenen undifferenzierten und massenweisen Speicherung sämtlicher übermittelter personenbezogener Daten aus einem sozialen Netzwerk. Diesen Ausführungen lässt sich für die vorliegend relevante Frage der Befugnis eines deutschen Providers zur Speicherung der IP-Adresse seines deutschen Kunden für 4 Tage keine relevante Aussage entnehmen.

cc) Dass die Speicherung der IP-Adressen für 4 Tage nach Beendigung der Internetverbindung zur Abwehr von Störungen in Gestalt von Hacker-Angriffen, Denialof-Service-Attacken, Versand von Spam oder Trojanern erforderlich ist, steht nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme zur vollen Überzeugung des Senates fest. Wegen der Einzelheiten wird auf die überzeugenden Ausführungen des Sachverständigen Prof. Dr. N in seinem Gutachten vom 30.8.2014 (Bl. 483-493 R d. A.), dem Ergänzungsgutachten vom 15.3.2015 (Bl. 547-554 d. A.) sowie im Rahmen seiner mündlichen Erläuterungen im Sitzungstermin vom 29.10.2015 (Bl. 668-671 d. A.) Bezug genommen, denen der Senat folgt. Der Sachverständige hat nachvollziehbar die in der Vergangenheit festzustellende und für die Zukunft zu erwartende Entwicklung des Gefahrenpotentials aufgrund der aufgetretenen und zu erwartenden Störungen des Internetbetriebes aufgezeigt und das Abuse-Management der Beklagten im Hinblick auf seine Eignung und Erforderlichkeit zur Gefahrenabwehr eingehend gewürdigt. Er hat dieses nicht nur als im Interesse eines sicheren, störungsfreien Betriebs sinnvoll bezeichnet (Gutachten vom 30.8.2014, S.15 = GA Bl.490) und aufgezeigt, warum ohne ein solches Abuse-Management, für das nach derzeitigem Stand eine Speicherung der IP-Adressen zwingend erforderlich ist, die Gefahr von Störungen steigen würde, sondern das Abuse-Management der Beklagten als insgesamt noch vorbildlicher als das der Telekom bewertet, das Gegenstand der Beurteilung durch den Sachverständigen Prof. Dr. I im Rechtsstreit OLG Frankfurt, 13 U 105/07 = BGH, III ZR 391/13, gewesen ist (Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 29.10.2015, S.3 = GA Bl.669).

ee) Der hier getroffenen Bewertung steht nicht entgegen, dass andere Provider als die Beklagte zum Teil keine Datenspeicherung vornehmen. Auf Grundlage der Ausführungen des Sachverständigen tragen gerade die Störungsabwehrbemühungen der Beklagten und anderer Provider maßgeblich zur Netzstabilisierung bei und ermöglichen so einzelnen Betreibern, denen das Abuse-Management der Beklagten zugutekommt, hiervon gegebenenfalls abzusehen. Fiele das Abuse-Management insgesamt weg, so würde sich die Gefahr von Störungen hingegen deutlich erhöhen.

2. Die in zulässiger Weise gespeicherten Daten sind auf der Grundlage der landgerichtlichen Beschlüsse vom 10.11.2009 und 16.12.2009 rechtmäßig weitergegeben worden. Das Landgericht hat das Vorliegen der Voraussetzungen des § 101 Abs. 1, 2, 9 UrhG auf der Grundlage der hierzu ergangenen höchstrichterlichen Rechtsprechung, insbesondere zum gewerblichen Ausmaß (BGH, Urteil vom 19.4.2012, I ZB 80/11, zitiert nach juris, Rn. 10 ff.; bestätigt durch BGH, Beschluss vom 16.5.2013, I ZB 44/12, zitiert nach juris, Rn. 16) zutreffend dargestellt. Der Senat nimmt insoweit zur Meidung von Wiederholungen Bezug auf die zutreffenden Ausführungen in dem angefochtenen Urteil, die zu diesem Punkt auch unter Berücksichtigung des Berufungsvorbringens keiner weitergehenden Ergänzung durch das Berufungsgericht bedürfen.

3. § 44 Abs. 1 TKG normiert eine umfassende Verpflichtung zu Schadensersatz und Unterlassung zugunsten des betroffenen Kunden, wenn ein Telekommunikationsunternehmen gegen das TKG verstoßen hat oder ein Verstoß droht. Daran fehlt es indes nach dem oben Ausgeführten. Insbesondere liegt kein Verstoß durch Erhebung und/oder Weitergabe von Verkehrsdaten vor (§ 3 Nr. 30 TKG). Verkehrsdaten dürfen gemäß §§ 88, 91, 96 Abs. 1 TKG nur erhoben und weitergegeben werden, soweit dies für nach dem TKG oder anderen gesetzlichen Vorschriften begründete Zwecke erforderlich ist. Dass sich die Beklagte an diese Vorgaben nicht gehalten hätte oder in Zukunft nicht halten wird, ist nach dem oben Ausgeführten nicht ersichtlich. Wegen der Rechtmäßigkeit der Datenerhebung und -weitergabe der Beklagten bestehen auch keine Ansprüche aus §§ 1004, 823 Abs. 1 BGB in Verbindung mit dem Recht auf informationelle Selbstbestimmung (Art. 1 GG). Ebenso kann nicht von einer Verletzung vertraglicher Nebenpflichten im Sinne des § 241 Abs.2 BGB ausgegangen werden, da vom Bestehen derartiger Nebenpflichten zur Nichterhebung oder Löschung von Daten vor dem Hintergrund der oben beschriebenen Gesetzeslage nicht ausgegangen werden kann.“

Die Entscheidung ist wenig überraschend. Denn der BGH und das OLG Frankfurt haben bereits mehrfach festgestellt, dass IP-Adressen nach § 100 Abs. 1 TKG zur Abwehr von (abstrakten) Störungen über mehrere Tage (nämlich sieben) gespeichert werden dürfen (BGH, Urteil vom 13.1.2011, III ZR 146/10, NJW 2011, 1509; BGH, Urteil vom 3.7.2014, III ZR 391/13, NJW 2014, 2500; OLG Frankfurt, Urteil vom 28.8.2013, 13 U 105/07, BB 2013, 2369).

Mit dem OLG Köln schließt sich nun ein weiteres Obergericht dieser Auffassung an. Dabei entspricht es ebenfalls dem Stand der Rechtsprechung, dass diese Daten nach § 101 Abs. 9 UrhG beauskunftet werden dürfen – genau an diese Daten hat der Gesetzgeber bei dessen Schaffung schließlich gedacht.

Anmerkung zu LG München I, Urt. v. 12.1.2012 – 7 HK O 1398/11, CR 2012, 603: Identifikationspflicht beim Betrieb von WLAN-Hotspots

In eigener Sache: In Heft 9 der Computer und Recht ist (S. 603) meine Anmerkung zum Urteil des LG München I, Urt. v. 12.1.2012 – 7 HK O 1398/11, zur Identifikationspflicht beim Betrieb von WLAN-Hotspots erschienen. Ich hatte das Urteil auch hier im Blog kurz besprochen.

Fundstelle: CR 2012, 605

Weitere Publikationen hier

LG München, Urt. v. 12.1.2012 – 17 HK O 1398/11: Keine Pflicht zur Erhebung von identifizierenden Daten beim Betrieb eines kostenlosen WLAN-Hotspot

Heute ist ein Urteil des Landgerichts München veröffentlicht worden, das sich mit der Pflicht zur Erhebung und Speicherung von Bestandsaten beim Betrieb eines kostenlosen WLAN-Hotspot beschäftigt – und solche Pflichten im Ergebnis verneint (Volltext hier und hier).

Hintergrund des Urteils war offenbar ein Rechtsstreits zwischen zwei Betreibern und Anbietern von öffentlichen WLAN-Hotspots, denn die Klägerin stützte sich insbesondere auf wettbewerbsrechtliche Unterlassungsansprüche. Ziel der Klägerin war, es der Beklagten zu untersagen

(1) Netzwerke, insbesondere WLAN-Netzwerke zur Internetnutzung zu betreiben oder betreiben zu lassen, die für die Öffentlichkeit zugänglich sind und von jedermann genutzt werden können, ohne das die Nutzer vor Zugang zum Internet identifiziert werden und ohne deren Verkehrsdaten im Sinne. von § 3 Nr. 30 TKG während der Nutzung zu speichern,

(2) identisch oder sinngemäß damit zu werben, „einen Vorratsdatenspeicherungsservice zu leisten, der allen zutreffenden Absätzen des jeweiligen Telekommunikationsgesetzes bzw. der EU-Richtlinie 2006/24/EG entspricht“ und mit der Aussage zu werben „das hoch entwickelte Back-End-System von f…-h…com ermöglicht uns, sowohl die Anforderungen der EU-Richtlinie als auch die der lokalen Gesetze der EU-Mitgliedsländern zu erfüllen oder sogar zu übertreffen“, soweit die Beklagte in den von ihr eingerichteten Netzwerken im Sinne von Ziffer 1 keine Nutzeridentifikation und Verkehrsdatenaufzeichnung im Sinne von § 3 Nr. 30 TKG durchführt.

Das LG München hat sich anschließend mit allen möglichen, von der Klägerin angebrachten Normen beschäftigt, die eine Speicherpflicht hergeben sollten – und diese sämtlich abgelehnt (siehe im Übrigen zu der Thematik Mantz, Rechtsfragen offener Netze, 2008, S. 268-277, online verfügbar):

1. § 111 TKG

Keine Pflicht soll sich danach aus § 111 TKG ergeben, nach dem Daten für Auskunftsersuchen der Sicherheitsbehördender gespeichert werden müssen. Allerdings erfasst § 111 TKG nur „Anschlusskennungen“ – und die (dynamische) IP-Adresse ist gerade keine solche „Anschlusskennung“.

Dabei verweist das LG München auch auf den Wortlaut der (durch das BVerfG für unwirksam erklärten) §§ 113a und 113b TKG.

2. §§ 95, 96 TKG

Ebenso wenig sieht § 95 TKG eine Pflicht zur Speicherung von Bestandsdaten vor. Denn nach § 95 „darf“ gespeichert werden – praktisch das Gegenteil von „müssen“. Ebenso ist § 96 TKG ein Erlaubnis- und kein Verpflichtungstatbestand.

Interessant und völlig korrekt ist, dass eine Erhebung und Speicherung auch nach § 95 TKG nur gestattet ist, wenn die Daten erforderlich sind. Und bei einem kostenlosen Angebot ist eine Erforderlichkeit nicht zu ersehen.

3. §§ 113a, 113b TKG

Diese Normen wurden vom Verfassungsgericht für verfassungswidrig erklärt und können daher eine Speicherpflicht nicht rechtfertigen.

4. §§ 112, 113 TKG

Regeln nur eine Auskunftspflicht über Daten, die bereits erhoben wurden, nicht aber eine Pflicht zur Erhebung und Speicherung.

5. § 109 TKG

Diese Norm betrifft technische Schutzmaßnahmen des Providers. Nach dem LG München trifft § 109 TKG

taber keine Aussage darüber, ob und ggf. in welchem Umfang ein Zugangsanbieter die Nutzung seiner Telekommunika1ionsanlagen durch berechtigte Nutzer zu rechtswidrigen Zwecken verhindern muss.

Hinzu kommt, dass unklar bleibt, wie die Identifizierung der Nutzer technischen Schutz vermitteln soll. Es ist also hier auch eine Frage der Erforderlichkeit.

6. § 101 UrhG

Interessant wird es noch einmal, wenn das LG München auf die behauptete Speicherpflicht nach § 101 UrhG eingeht. Das LG München sieht darin eine reine Auskunfts- aber keine Erhebungs- oder Speicherungspflicht. Damit dürfte sich das LG München auf einer Linie mit der übrigen Rechtsprechung befinden.

So hat beispielsweise das OLG Düsseldorf geurteilt (und ebenso schon das OLG Frankfurt):

Vor diesem allgemeinen Hintergrund teilt der erkennende Senat in Bezug auf die vorliegend zur Entscheidung stehende Frage die Auffassung der Oberlandesgerichts Frankfurt (GRUR-RR 2010, 91), dass es mangels gesetzlicher Grundlage keinen Anspruch des Auskunftsgläubigers nach § 101 Abs. 1 und 2 Nr. 3 UrhG auf die die Auskunft erst ermöglichende Speicherung gibt (vgl. auch OLG Hamm GRUR-Prax 2011, 61). Einer gesetzlichen Grundlage bedarf die Annahme einer Pflicht zur Speicherung dynamischer IP-Adressen in Interesse der Inhaber gewerblicher Schutzrechte und Urheberrechte gerade vor dem Hintergrund des Urteils des Bundesverfassungsgerichts zur „Vorratsdatenspeicherung“. Es kommt dem Gesetzgeber zu, einen Ausgleich herzustellen zwischen den Interessen dieser Inhaber privater Rechte, die von Verfassung wegen zu schützen sind, und den datenschutzrechtlichen Belangen der Internetnutzer, die ihrerseits verfassungsrechtlich geschützt sind.

7. Vermeidung der Störerhaftung

Die Klägerin hat ferner die Auffassung vertreten, dass eine Speicherung „zur Vermeidung der Störerhaftung“ erforderlich sei. Hierauf ist das Landgericht München mit keinem Wort eingegangen. Aber auch aus der „Vermeidung der Störerhaftung“ ließe sich ein solcher Anspruch nicht herleiten. Denn für jede Erhebung und Speicherung ist ein Erlaubnistatbestand erforderlich (§ 4 Abs. 1 BDSG). Ein solcher ist – wie das Gericht richtigerweise ausführt – nicht ersichtlich. Solange ein Dienst kostenlos angeboten wird, ist eine Erhebung von Bestandsdaten daher nicht erforderlich – und damit auch nicht gerechtfertigt. Ein Gericht, das eine solche Pflicht dennoch im Rahmen der Prüfungs- und Überwachungspflichten aus § 1004 BGB schafft, verpflichtet daher den Provider zu einer datenschutzwidrigen Erhebung und Speicherung von Daten. Dies haben z.B. das LG Leipzig und das OLG Düsseldorf so formuliert (LG Leipzig MMR 2004, 263; ebenso OLG Düsseldorf MMR 2006, 553, 556; OLG Düsseldorf MMR 2006, 618, 620; Strömer/Grootz, K&R 2006, 553, 556).

 

Weitere Anmerkungen und Näheres unter

 

Lesetipp: Moos/Gosche: Das „Quick Freeze”-Verfahren zur Sicherung von Verkehrsdaten bei Access-Providern für Zwecke der Auskunftsverfahren nach § 101 UrhG, CR 2010, 499

Moos und Gosche (RAe von DLA Piper, Vertreter im einschlägigen Verfahren vor LG und OLG Hamburg) haben in der CR einen Aufsatz über das sogenannte „Quick Freeze“-Verfahren, also die fortgesetzte Speicherung von IP-Adressen auf Zuruf veröffentlicht (CR 2010, 499-505).

Ausgangspunkt des Aufsatzes ist die divergierende Rechtsprechung zwischen (u.a.) OLG Hamburg (Pflicht zu Quick Freeze, kritisch dazu Schulze zur Wiesche, MMR 2009, 547; Maaßen, MMR 2009, 511; Hoffmann, NJW 2009, 2649 (2653); Moos, K&R 2010, 166, 172) und OLG Frankfurt (keine Verpflichtung zum Quick Freeze) sowie OLG Köln und OLG Karlsruhe (Quick Freeze möglich):

Die Gerichte sahen sich deshalb mit der Frage konfrontiert, ob aus § 101 Abs. 2 UrhG nicht nur ein Auskunftsanspruch des Rechteinhabers, sondern auch eine Verpflichtung der Access-Provider zur Datenspeicherung folgt, um eine spätere Beauskunftung nach § 101 Abs. 2 UrhG überhaupt zu ermöglichen.

In der Folge legen die Autoren § 101 Abs. 9 UrhG nach Wortlaut, Systematik, Historie und Sinn und Zweck aus. Als letzten Punkt nehmen sie eine Auslegung anhand der zugrundeliegenden Richtlinie 2002/58/EG vor.

Anschließend gehen sie auch auf das WLAN-Urteil des BGH (Urt. v. 12.5.2010 – I ZR 121/08: Sommer unseres Lebens, s. dazu hier, hier, hier und hier; Übersicht der Besprechungen hier) ein und stellen die Frage, ob das Anordnungsverfahren nach § 101 Abs. 9 UrhG nun entbehrlich wird (ebenso Mantz, MMR 2010, 568; Hornung CR 2010, 461).

Dies wirft unmittelbar die Frage auf, ob künftig das richterliche Anordnungsverfahren nach § 101 Abs. 9 UrhG – und damit auch darauf gerichtete Datenspeicherungsverlangen auf Zuruf – evtl. obsolet sein könnten, da sich das Erfordernis der richterlichen Gestattung ja gerade auf die Verwendung von Verkehrsdaten gründet.

Weiter weisen sie die Auffassung des BGH zurück, dass IP-Adressen Bestands- und nicht Verkehrsdaten darstellen (ebenso kritisch Mantz, MMR 2010, 568 mwN; a.A. wohl Schaefer, ZUM 2010, 699):

Dies ist auch in der Sache unzutreffend. So sind etwa in § 113a Abs. 4 TKG als vom Anbieter von Internetzugangsdiensten zu speichernde Verkehrsdaten ausdrücklich die Internetprotokoll-Adresse sowie der Beginn und das Ende der Internetnutzung unter der zugewiesenen IP-Adresse nach Datum und Uhrzeit unter Angabe der zugrunde liegenden Zeitzone genannt. Auch wenn die Regelung zur Vorratsdatenspeicherung in der bisherigen Form als verfassungswidrig angesehen worden ist und in dieser Form deshalb derzeit keine Geltung beansprucht, spricht aufgrund auch dieser gesetzlichen Festlegung erheblich mehr dafür, dass IP-Adressen grundsätzlich Verkehrsdaten sind.
Zur Frage der Entbehrlichkeit des Verfahrens nach § 101 Abs. 9 UrhG schreiben Moos/Gosche:
Die Ausführungen in der WLAN-Entscheidung des BGH sollten deshalb nach richtiger Lesart keine Auswirkungen auf die Verfahren nach § 101 Abs. 9 UrhG haben. Insofern ist auch zu berücksichtigen, dass die Vorschriften bezüglich der Auskunft über Name und Anschrift des hinter einer IP-Adresse stehenden Anschlussinhabers nach StPO (die Gegenstand der WLAN-Entscheidung waren) einerseits und UrhG andererseits einen signifikanten Wortlautunterschied aufweisen.

Anders als die StPO-Vorschriften erfordere § 101 Abs. 9 UrhG nämlich nur, dass „die Auskunft unter Verwendung von Verkehrsdaten erfolge.“

Wenn man allerdings der Gegenauffassung folge, so seien Internetprovider nach § 109 Abs. 2 UrhG bereits zur Auskunft verpflichtet und müssten das Verfahren nach § 101 Abs. 9 UrhG nicht mehr durchlaufen. Eine Folge, die der Gesetzgeber nach meiner Ansicht bei der Schaffung von § 101 Abs. 9 UrhG gerade ausschließen wollte. Andererseits konstatieren Moos/Gosche in der Folge, dass eine Auskunft an der fehlenden datenschutzrechtlichen Erlaubnisvorschrift scheitern müsste, da konsequenterweise § 95 TKG und nicht § 96 TKG Anwendung finde und damit die Verwendung der Bestandsdaten auf die Diensterbringung beschränkt sei.

Als Fazit heißt es daher:

Die Annahme einer Datenspeicherung auf Zuruf ohne vorherige richterliche Anordnung ist nur unter Missachtung aller herkömmlichen Auslegungsmethoden und damit unter Verbiegung der urheber- und datenschutzrechtlichen Vorschriften zu begründen. … Die Argumentation, dass sich der Richtervorbehalt in § 101 Abs. 9 UrhG lediglich auf die Auskunftserteilung beziehe und nicht auf die (vom Wortlaut der Vorschrift gar nicht erfasste) Datenspeicherung, stellt sich als „Rosinenpicken” dar …