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Auf dem Fast-Track: Bundesregierung notifiziert EU-Kommission über Entwurf zur (neuen) Vorratsdatenspeicherung

Nach der Europäischen Richtlinie 98/34/EG müssen Mitgliedsstaaten „Technische Vorschriften“ im Sinne von Art. 1 Nr. 11 RL 98/34/EG  bei der EU-Kommission notifizieren (mehr dazu vom Wissenschaftlichen Dienst des Bundestages hier, PDF). Zu diesen „technischen Vorschriften“ gehören auch Normen, die Dienste der Informationsgesellschaft betreffen, also vereinfacht gesagt insbesondere Regelungen im Zusammenhang mit Telekommunikation und Telemedien.

Diese sogenannte TRIS-Notifizierung hat die Bundesregierung nun am 5.6.2015 vorgenommen (der gemeldete Gesetzestext findet sich hier) und damit die Weichen für das Gesetz zur Wiedereinführung der Vorratsdatenspeicherung weiter auf „Vorwärts“ geschaltet.

Aus der Notifizierung:

„8. Inhaltszusammenfassung
Das Gesetz führt eine Pflicht für die Erbringer öffentlich zugänglicher Telekommunikationsdienste ein, bestimmte Verkehrsdaten für eine Dauer von vier Wochen (Standortdaten) bzw. zehn Wochen (Verbindungsdaten) zu speichern und macht Vorgaben, die die Sicherheit der gespeicherten Daten gewährleisten sollen.

9. Kurze Begründung
Seitdem das deutsche Gesetz zur Umsetzung der Richtlinie 2006/24/EG von dem Bundesverfassungsgericht für nichtig erklärt worden ist (Urteil vom 2. März 2010, BVerfGE 125, 260) gibt es in Deutschland keine Pflicht für Erbringer öffentlich zugänglicher Telekommunikationsdienste, Verkehrsdaten ihrer Kunden zu speichern. Um Schutzlücken bei der Strafverfolgung und der Gefahrenabwehr zu schließen, führt das Gesetz eine solche ein. Das Gesetz macht von der Ermächtigung in Artikel 15 Absatz 1 der Richtlinie 2002/58/EG Gebrauch und setzt die Vorgaben des Gerichtshofs der Europäischen Union (Urteil vom 8. April 2014) um.

15. Folgenabschätzung
Für die Erbringer öffentlich zugänglicher Telekommunikationsdienste entsteht durch die Erfüllung der im Gesetz vorgesehenen Speicherpflicht und die damit verbundenen Regelungen zur Verwendung der Daten, zur Gewährleistung der Datensicherheit und Datenqualität, zur Protokollierung der Zugriffe auf die Daten sowie zur Aufnahme bestimmter Angaben in das zu erstellende Sicherheitskonzept ein zusätzlicher Aufwand. Dieser ist derzeit nicht bezifferbar. Vgl. im Einzelnen S. 3 f. und 31 ff. des Entwurfs.“

Die EU-Kommission und die u?brigen EU-Mitgliedsstaaten haben nach der Notifizierung drei Monate Zeit, um Bemerkungen vorzubringen (Art. 8 Abs. 2, 9 Abs. 1 RL 98/34/EG). Während dieser Zeit, also bis zum 7.9.2015 gilt eine Stillhaltefrist, in der das Gesetz nach Art. 9 Abs. 1 RL 98/34/EG nicht „angenommen“ werden darf. Demensprechend könnte das Gesetz frühestens im September 2015 in Kraft treten.

Es bleibt abzuwarten, ob die EU-Kommission oder die anderen Mitgliedsstaaten hier Einwände erheben werden. Dies ist nicht ganz fernliegend, da der Wissenschaftliche Dienst des Europäischen Parlaments im Januar 2015 herausgestellt hatte, dass auch nationale Regelungen zur Vorratsdatenspeicherung mit dem EuGH-Urteil, mit dem die entsprechende Richtlinie gekippt worden war, nicht mit europäischem Recht vereinbar sein dürften. Auf der anderen stehen aber wohl zumindest einige Mitgliedsstaaten einer (jeweils) nationalen Neuregelung eher positiv gegenüber. Die Bundesregierung stellt sich ja letztlich auch auf den Standpunkt, dass der Entwurf die gerichtlichen Vorgaben beachtet, was ihr viel Kritik eingebracht hat.

Wenn aber im Rahmen des Notifizierungsverfahrens Einwände erhoben werden, könnte dies für die Bundesregierung unangenehm werden, da sie dann noch weiter in Erklärungsdruck kommten würde. Grundsätzlich sieht die RL 98/34/EG sogar vor, dass nationale Gesetzesentwürfe für 12 oder 18 Monate blockiert werden können. Voraussetzung dafür wäre aber, dass die EU eine Richtlinie plant, die den Gegenstand des nationalen Gesetzes betrifft. Das ist aber derzeit wohl eher nicht der Fall.

Die Notifizierung zeigt also jedenfalls den Zeitplan der Bundesregierung. Immerhin drei Monate bleiben aber, um noch Einfluss zu nehmen.

Die Veröffentlichung des Gutachtens des wissenschaftlichen Dienstes zur Abgeordnetenbestechung auf Netzpolitik, das Urheberrecht und das Informationsfreiheitsgesetz

Auf Netzpolitik.org ist heute ein Artikel mit dem Titel „Wird der Bundestagspräsident Markus Beckedahl verklagen?“ von Andre Meister bzw. Christian Humborg, Geschäftsführer von Transparency International Deutschland, erschienen.

Darin wird thematisiert, dass Markus Beckedahl auf Netzpolitik.org ein Gutachten des wissenschaftlichen Dienstes des Bundestages zur Nichtumsetzung der UN-Konvention gegen Korruption und insbesondere der Abgeordnetenbestechung veröffentlicht hat, an dem der wissenschaftliche Dienst des Bundestages bzw. die Bundestagsverwaltung als Inhaberin der entsprechenden Verwertungsrechte angeblich Rechte geltend macht, um eine Weiterveröffentlichung zu verhindern. In dem Beitrag heißt es u.a.:

Das Urheberrecht wird zu einem neu entdeckten Instrument, um unliebsame Veröffentlichungen zu erschweren.

Weiter wird das Verhältnis des Informationsfreiheitsgesetzes (IFG) und des Urheberrechts angesprochen. Und tatsächlich mutet es seltsam an: Ein Beitrag, den jeder aufgrund des IFG herausverlangen kann bzw. könnte, darf dennoch nicht verbreitet werden. Schauen wir uns das mal etwas genauer an:

Der Anspruch der Bundestagsverwaltung gegen Netzpolitik/Markus Beckedahl könnte sich aus § 97 Abs. 1 S. 1 UrhG ergeben:

(1) Wer das Urheberrecht oder ein anderes nach diesem Gesetz geschütztes Recht widerrechtlich verletzt, kann von dem Verletzten auf Beseitigung der Beeinträchtigung, bei Wiederholungsgefahr auf Unterlassung in Anspruch genommen werden.

Zweifel könnten hier an der Widerrechtlichkeit bestehen. Dazu schreiben Möhring/Nicolini (§ 97 UrhG Rn. 92):

Weiterhin stellt es auch weder eine Rechtfertigung noch eine Einrede i. S.des § 242 BGB dar, wenn der Verletzte aus Treu und Glauben oder sonstigen Gründen verpflichtet war, dem Verletzer die fraglichen Rechte einzuräumen.

Diese Fundstelle spricht eher gegen den Einwand, dass nach dem IFG ohnehin eine Herausgabe erfolgen müsste. Allerdings könnte Markus Beckedahl sich evtl. alternativ (im Rahmen der Widerrechtlichkeit der Verletzung) auf sein Recht auf freie Meinungsäußerung nach Art. 5 Abs. 1 GG berufen. Im Urheberrechtskommentar von Wandtke/Bullinger liest man folgendes (§ 97 Rn. 34):

Den Zivilgerichten obliegt die Durchsetzung von grundrechtlich geschützten Werten nämlich nicht nur bei der Auslegung und Anwendung des gesetzlichen Verletzungstatbestandes, sondern auch bei der Feststellung der Rechtswidrigkeit der Verletzung (OLG Stuttgart NJW-RR 2004, 619, 621 zum Urheberrecht; BGH GRUR 2005, 583, 584 f. – Lila-Postkarte – zur Markennutzung „ohne rechtfertigenden Grund in unlauterer Weise“ i. S. d. § 14 Abs. 2 Nr. 3 MarkenG). Ansprüche nach § 97 setzen neben der Rechtsverletzung ausdrücklich auch deren „Widerrechtlichkeit“ voraus. Zwar ist bei einer Rechtsverletzung regelmäßig von einer Rechtswidrigkeit auszugehen. Im Einzelfall kann jedoch die Rechtswidrigkeit zu verneinen sein, wenn nach einer Abwägung das Urheberrecht hinter der gegenläufigen Grundrechtsposition des „Verletzers“ zurücktreten muss.

Folgt man dieser Auffassung, wäre im Rahmen der Prüfung der Rechtswidrigkeit der Nutzung des Werkes die Rechtsposition des potentiellen Verletzers zu berücksichtigen. Hier könnte Markus auf das erhebliche öffentliche Interesse an dem Bericht des wissenschaftlichen Dienstes verweisen, der einerseits aus möglicherweise sachfremden Erwägungen zurückgehalten werden könnte und andererseits der Öffentlichkeit nach dem Informationsfreiheitsgesetz ohnehin (wenn auch nur dem jeweiligen Antragsteller) zur Verfügung gestellt werden muss. Beides sind Argumente, die eher gegen die Widerrechtlichkeit und damit gegen eine Geltendmachung von Urheberrechten durch die Bundestagsverwaltung sprechen. Auf der anderen Seite steht das Recht des Urhebers, das generell durch den Gesetzgeber als schützenswert angesehen wird, und das vor Schwächungen geschützt werden soll. In die Abwägung wäre allerdings auch noch einzustellen, dass das Gutachten aus dem Jahre 2008 stammt und seit Dezember 2008 über dessen Inhalt berichtet wird (s. z.B. Spiegel Online hier).

Im Ergebnis wäre die Bundestagsverwaltung möglicherweise gut beraten, es in diesem konkreten Fall nicht darauf ankommen zu lassen. Ein fader Beigeschmack und der bekannte Streisand-Effekt könnten in diesem Zusammenhang eine gewichtige Rolle spielen.