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Rechtsunsicherheit kills Public Wifi (heute: Magdeburg) – oder: Präsentationen und ihre Folgen

(Wie schon angedeutet, scheint das hier eine Serie zu werden, s. kürzlich zu Braunschweig und Gütersloh. Wer mehr Beispiele für mich hat, gerne per E-Mail oder über die Kommentare. Für diesen Post vielen Dank an Michel für die vielen Hintergrundinfos!)

1. Vorgeschichte

In Magdeburg wird schon seit Jahren über öffentliche WLANs diskutiert. Bereits 2009 hatten die Grünen den Vorschlag eines frei zugänglichen WLANs in Magdeburg eingebracht (zur gesamten Geschichte inklusive Links auf die entsprechenden offiziellen Dokumente siehe hier).

Die Reaktion der Stadt Magdeburg war damals zunächst verhalten:

Grundsätzlich ist anzumerken, dass die Bereitstellung eines drahtlosen lokalen Netzwerkes für Bewohner und Gäste der Landeshauptstadt positiv zu werten ist.?Hierdurch wird eine Möglichkeit geboten, Magdeburg als eine innovative Landeshauptstadt darzustellen und nicht nur den Bürgern sondern auch vor allem Gästen, Touristen und Unternehmen einen erweiterten Service zu bieten, der sich mit Bestimmtheit als positiver Standortvorteil auswirken würde.

Aus den obigen Betrachtungen kann abgeleitet werden,

  • dass es für die Verwaltung zu kostenintensiv ist, ein flächendeckendes WLAN im Stadtgebiet zu errichten
  • dass auch ein (wie auch immer definierter) Innenstadtbereich enorme finanzielle Aufwendungen erfordert, die haushaltsseitig nicht vorhanden sind. Zudem wären hier Personengruppen benachteiligt, die nicht in diesem Bereich wohnen (Gleichheitsgrundsatz).
  • Zudem müsste die Verwaltung als Provider auftreten. Damit wären weitere organisatorische und personelle Aufwendungen verbunden, um die Anforderungen des Telekommunikations-, des Teledienste- beziehungsweise Telemediengesetzes zu erfüllen.

Die Stadt Magdeburg fürchtete also insbesondere den Aufwand. 2013 ging dann ein neuer Anlauf von der FDP aus, leider mit ähnlichem Ergebnis. Zwischenzeitig hat die Stadt Magdeburg einem privaten (kommerziellen) Anbieter verschiedene Standorte zur Verfügung gestellt, so dass eine kleine Anzahl öffentlicher WLAN-Hotspots läuft.

2. Stellungnahme 2015

Nun, im „WLAN-Jahr 2015“, hat sich die Stadt Magdeburg wieder mit öffentlichen WLANs befasst und dabei Freifunk eine ziemlich klare Absage erteilt. In der Information I0044/15 heißt es:

Im Rahmen der bisherigen Diskussionen um ein kostenloses WLAN-Angebot in der Innenstadt wurde durch die Stadträte und Fraktionen betont, dass ein derartiges Vorhaben nicht mit finanziellen Mitteln der Kommune umgesetzt werden soll. Ingesamt handelt es sich nach Auffassung der Stadtverwaltung um eine Aufgabe des privaten Sektors, in den die Kommune nicht einwirken soll.

Ein Grund hierfür lässt sich der Sitzungsniederschrift der öffentlichen Sitzung vom 26.03.2015 (dort Punkt 7.1) entnehmen (Unterstreichung hier):

Herr Stadtrat Hoffmann ergänzte, dass WLAN im öffentlichen Bereich auch aus rechtlicher Sicht ein Problem sei. Freifunk Magdeburg möchte WLAN in privater Umgebung und die Gestattung zur Unterbringung von Funkantennen. Kernproblem dabei ist aber die Störerhaftung.

Wie in den vorherigen Beiträgen schon angedeutet: Die Rechtsunsicherheit ist und bleibt ein „Kernproblem“ für den Aufbau kommunaler (aber auch privater) WLANs.

3. Eine Schulungspräsentation und ihre Folgen

In diesem Zusammenhang ist auch ein Ausschnitt einer Präsentation der Anwaltskanzlei „Kunz Rechtsanwälte“ bekannt geworden, die möglicherweise mit dieser Auffassung in Zusammenhang steht. Diese Präsentation soll als eine Art Schulung oder Fortbildung oder ähnliches durchgeführt worden sein, die bereits den neuen Referentenentwurf zur Änderung des TMG zum Gegenstand hatte.

Im mir vorliegenden Auszug der Präsentation heißt es:

  • Aktuell existieren weder gesetzliche noch höchst richterliche Richtlinien für die Haftung bei mittels offenem WLAN begangenen Rechtsmissbrauch durch Dritte („Störerhaftung“).
  • Das Prinzip des Freifunks hebelt mit dem Institut der Störerhaftung die geltende Deutsche Rechtsprechung aus.
  • Sie stellt Rechteinhaber sowie auch Bürger schutzlos, indem Urheberrechtsverletzungen und sonstige IT-Kriminalität in der Praxis nicht mehr sanktionier- und verfolgbar ist.
  • Jede Kommune würde insofern den Fall des anonymen Rechtsmissbrauchs damit zumindest zubilligend in Kauf nehmen, dies nicht nur zu Lasten der Kulturindustrie sondern auch des normalen Bürgers.
  • Eine Lösung (insbesondere für Kommunen) ist meines Erachtens nur in der Mitte zu finden, wonach eine Störerhaftung grundsätzlich bestehen bleibt, aber durch den Gesetzgeber ein fest definierter Rechts- und Haftungskorridor für offene WLAN-Netzwerke vorgegeben wird.

Puh, diese Zusammenfassung ist harter Tobak. Ich habe hier schon mehrfach Stellung zur Frage der Störerhaftung beim Betrieb von WLANs genommen (s. auch schon zu den WLANs in Braunschweig und Gütersloh). Ein ernsthafter Grund, vor der Störerhaftung Angst zu haben, besteht also – auch, wenn nicht sogar insbesondere für Kommunen – nicht. Rechtsanwältin Beata Hubrig hat in einer Kurzstellungnahme vom 13.04.2015 für die Stadt Magdeburg noch einmal darauf hingewiesen, dass die Rechtsprechung derzeit eindeutig von einer Privilegierung auch von Freifunk-WLANs ausgeht, nicht anders herum.

Die Aussagen in der Präsentation sind natürlich geeignet, die Unsicherheit beim Aufbau und Betrieb von öffentlichen WLAN-Hotspots weiter zu schüren. Daher zurück zu den Aussagen von Kunz Rechtsanwälte, wobei ich darauf hinweise, dass mir der Rest der Präsentation unbekannt ist und ich daher nur anhand der vermutlichen „Zusammenfassung“ bewerten kann. Möglicherweise war der Vortrag/die Präsentation deutlich differenzierter als die „Take-Home“-Nachrichten:

a. „Keine höchstrichterlichen oder gesetzlichen Richtlinien“

In diesem Punkt ist dem Autor der Präsentation Recht zu geben: Es gibt – ganz speziell zu offenen WLANs – noch keine höchstrichterliche Rechtsprechung und kein Gesetz. Es wäre hier aber durchaus ehrlich und auch rechtlich korrekt gewesen, darauf hinzuweisen, dass es in der Literatur überhaupt keine Gegenstimmen dazu gibt, § 8 TMG auf offene WLANs anwenden (Sassenberg/Mantz, WLAN und Recht, 2014, Rn. 216). Und die Rechtsprechung entwickelt sich – endlich – gerade zu offenen WLANs.

So haben in letzter Zeit die folgenden Gerichte ausdrücklich zu Gunsten von WLANs entschieden:

Schon zuvor hatten verschiedene Gerichte sich mit der Haftung des gewerblichen Betreibers von WLANs befasst, so insbesondere das LG Frankfurt mit zwei Urteilen aus den Jahren 2010 und 2013 (dazu Mantz, GRUR-RR 2013, 497, PDF) und jeweils im Ergebnis eine Haftung des Betreibers abgelehnt.

Weiter sind generell zu den Pflichten von Access Providern verschiedene Entscheidungen ergangen, die hier erwähnenswert gewesen wären, da sie insbesondere Filter- und Sperrpflichten ausgeschlossen haben:

Insgesamt ist die Aussage daher deutlich verkürzt. Es ist zu hoffen, dass die eigentliche Präsentation die oben angesprochenen Punkte auch behandelt hat.

b. „Freifunk hebelt Störerhaftung aus“

Der nächste Punkt ist im besten Fall irreführend, im schlechtesten Fall einfach falsch. Es ist zudem eine plakative Verkürzung, die überhaupt nicht weiterhilft.

Ich kann nur vermuten, dass der Autor darauf anspielt, dass Freifunker teilweise versuchen, das Dilemma der Rechtsunsicherheit aufgrund Störerhaftung für WLANs durch eine technische Lösung zu umgehen: Indem der Datenverkehr der Nutzer der jeweiligen Netzknoten mittels VPN über einen Server des Fördervereins Freie Netzwerke e.V., des CCC oder aber über ausländische VPN-Dienste geleitet wird, taucht nach außen der einzelne Knotenbetreiber nicht mehr auf. Statt dessen müssten eventuelle Anfragen an den Förderverein Freie Netze oder den CCC gerichtet werden. Da bei diesen niemand jemals in Zweifel gezogen hat, dass sie sich auf § 8 TMG berufen können und nicht für die Handlungen ihrer Nutzer haften, passiert das nicht. Das Problem wird (ich sage immer „auf tatsächlicher Ebene“) vermieden.

Diese Konstruktion scheint der Autor der Präsentation Freifunk vorwerfen zu wollen. Die Aussage hört sich aber so an, als würde Freifunk die „Störerhaftung kaputt machen“. Als wenn Freifunk das könnte! Außerdem hat der Autor doch im ersten Punkt geschrieben, dass es keine höchstrichterliche Rechtsprechung gibt – was soll denn Freifunk dann aushebeln?

Die Aussage ist leider auch schlicht unehrlich. Denn was der Autor Freifunk (vermutlich) vorwirft, machen andere Anbieter schon länger, ohne dass jemals jemand einen solchen Vorwurf erhoben hätte. Die Telekom, Kabel Deutschland, sorglosinternet, airfy und wie die Anbieter von WLAN-Hotspots alle heißen, versprechen ihren Kunden, die WLANs zur Verfügung stellen, nämlich großmundig, dass sie ihnen die Störerhaftung abnehmen würden. Und wie machen sie das? Ganz einfach: Indem sie den Datenverkehr der Nutzer über ein VPN auf die eigenen Server und von dort ins Internet leiten.

Wer sieht den Unterschied zwischen diesem Modell und dem, was Freifunk über den Förderverein und den CCC macht? Ich sehe ihn auch nicht! Mit anderen Worten müsste also der Anwalt von Kunz formulieren:

„Das Prinzip der Telekom, von Kabel Deutschland, sorglosinternet, airfy und Freifunk hebelt die Störerhaftung aus.“

Das wäre in einem solchen Gutachten aber vermutlich nicht so catchy wie gedacht und würde vermutlich überraschte Nachfragen befördern …

c. „Schutzlose Rechteinhaber und Bürger“

Der nächste Punkt des Memos hat leider wenig mit Recht und viel mit Politik zu tun – ohne, dass dies gekennzeichnet würde. Wie auch die Bundesregierung in ihrer Begründung zum WLAN-Gesetzesentwurf fürchtet der Autor der Präsentation, dass Rechteinhaber (und Bürger!) schutzlos gestellt werden. Das kann man aber nicht den Freifunkern anlasten, sondern dem europäischen und deutschen Gesetzgeber sowie den europäischen und deutschen Gerichten. Denn das angebliche Dilemma, das der Autor vermutlich erkennt, beruht auf einer Haftungsfreistellung für Intermediäre (und damit auch für WLAN-Anbieter), die sich so in der sogenannten E-Commerce-Richtlinie 2000/31/EG (dort Art. 12) und eben in § 8 TMG wiederfindet. Und dass man im Internet anonym handeln kann, haben die Freifunker auch nicht erfunden (s. dazu gleich).

d. „Kommunen nehmen Rechtsmissbrauch in Kauf“

Der nächste Punkt ist der Hammer, der vermutlich bei allen (auch kommunalen) Entscheidern gut (bzw. für die Handlungsfähigkeit „schlecht“) ankommt: „Wenn Du Dich für Freifunk entscheidest, unterstützt Du Rechtsmissbrauch.“ Kurz, bündig, leicht zu merken und mit einer gehörigen Portion Angstkeule.

Allerdings ist die Aussage so lächerlich, dass ich gar nicht so recht weiß, wie ich damit umgehen soll. Denn – wie oben dargestellt – macht Freifunk ja – zumindest was den Internet-Zugang angeht (Freifunk ist noch viel mehr, das sollte man nicht vergessen) nichts anderes als andere „Internet-Anbieter“. Man sollte nämlich nicht vergessen, dass Freifunk eine Form von Bürger-Engagement darstellt, das hehre, positive und unterstützenswerte Ziele verfolgt.

Sofern der Autor nun auf den „anonymen“ Rechtsmissbrauch abstellt, geht auch das fehl. Denn der Gesetzgeber hat nun einmal (mit gutem Grund) keine Registrierungs- und Speicherungspflicht bei Access Providern eingeführt. Das LG München I hat dies schon im Jahr 2012 entschieden (Urt. v. 12.1.2012 – 17 HK O 1398/11). Und in einem nicht ganz so fernliegenden Fall hat der BGH gerade 2014 wieder festgestellt, dass z.B. anonyme Bewertungen in einem Ärztebewertungsportal hinzunehmen sind, da es schlicht keine Auskunftspflicht in § 12 TMG gibt (BGH, Urteil vom 23.9.2014 – VI ZR 358/13, NJW 2015, 489 – Ärztebewertungsportal). Wer also so tut, als wäre WLAN das Böse auf Erden und Freifunker damit ebenso, weil die Aktivitäten der Nutzer nicht gespeichert werden, der verschließt ganz fest die Augen davor, dass dies heutzutage eher dem Normalfall entspricht und deshalb dem Betreiber eines WLANs kaum zum Vorwurf gemacht werden kann. Mich würde übrigens mal interessieren, ob die Telekom und die anderen Anbieter beim WLAN-TO-GO etc. Rechtsverletzungen tatsächlich zurückverfolgen könnten. Auch hier wird also einseitig zu Lasten von Freifunk argumentiert.

Zu beachten ist im Übrigen, dass sogar die Bundesregierung (bzw. das BMWi) in ihrer Erläuterung des neuen TMG-Referentenentwurfs zur Klarstellung der (Nicht-)Haftung von WLAN-Betreibern noch einmal ganz deutlich gemacht hat, dass die Betreiber von WLANs keine Registrierung vornehmen müssen und nicht das Verhalten ihrer Nutzer überwachen müssen (und dürfen)!

Daher noch einmal für alle (auch kommunalen) Entscheider ganz deutlich: Wer ein öffentliches WLAN betreibt, muss die Namen der Nutzer nicht erfassen und darf die Aktivitäten der Nutzer nicht protokollieren. Er verhält sich damit absolut gesetzes- und rechtskonform! Keinesfalls wird dadurch die Gefahr des anonymen Rechtsmissbrauchs „zubilligend in Kauf genommen“ (wobei durchaus fraglich ist, was denn das überhaupt für Rechtsfolgen haben sollte…).

e. „Lösung in der Mitte“

Zuletzt spricht sich der Autor für eine „Lösung in der Mitte“ aus. Nun, eine solche hat die Bundesregierung mit ihrem Referentenentwurf ja nun vorgelegt. Nicht verschweigen sollte man aber, dass die Kritik an dem Entwurf heftig ist. Insbesondere die großen Verbände (darunter eco, HDE, vzbv, DIHK, VATM etc.) haben sich klar gegen den Entwurf ausgesprochen. Wie die Bundesregierung darauf reagiert, müssen wir abwarten.

4. Fazit

Die Stadt Magdeburg spricht sich gegen den Betrieb von öffentlichen WLANs aus. Leider scheint sie sich dabei ganz offen gegen Freifunk und damit gegen ein konkretes Modell zu stellen. Ein wichtiger Faktor dabei scheint die Frage der Störerhaftung zu sein. Zumindest eine Rolle könnte eine Präsentation gespielt haben, die sich gelinde gesagt als einseitig darstellt.

Der Fall Magdeburg ist damit ein weiteres Beispiel, warum die Rechtsunsicherheit beim Betrieb eines WLANs den Aufbau von öffentlichen und kommunalen WLANs verhindert. Die Stadt Magdeburg hätte schon 2009 mit dem Aufbau anfangen können. Dabei wäre es wohl auch gar nicht nötig gewesen, wirklich Geld in die Hand zu nehmen, was ja sowohl 2009 als auch heute abgelehnt wird.

Ich gehe davon aus, dass z.B. die Magdeburger Freifunker schon über die Gewährung von Standorten auf öffentlichen Gebäuden und der Übernahme der Stromrechnung für die aufgebauten Router froh und dankbar wären. So könnte nämlich eine weitgehende Abdeckung über die Stadt hinweg erzielt werden. Den Internetzugang könnten dann wie bisher die privaten Nutzer oder Firmen zur Verfügung stellen.

Eine Nachfrage zu dem Beschluss lässt sich übrigens auf dem Video der öffentlichen Stadtratssitzung vom 16.4.2015 sehen.

Selbstverständlich darf sich die Stadt Magdeburg aber auch noch mehr engagieren: Die Europäische Kommission will nach den eindeutigen Erwägungsgründen zum Entwurf der Digital Single Market-Verordnung eine Verzahnung von kommunalen öffentlichen WLANs mit privaten WLANs fördern und erreichen (eingehend dazu Mantz/Sassenberg, CR 2014, 370). Aus unserem Artikel speziell zu kommunalen WLANs:

„Zusätzlich ist es auch Behörden ausdrücklich gestattet, WLAN-Sharing über die Aggregation von Endkundenanschlüssen zu betreiben. Einem kommunal aufgebauten Netz in Form des WLAN-Sharing steht damit nichts entgegen. Interessant ist auch der letzte Halbsatz des Art. 14 Abs. 5 lit. b) Single Market-VO: Zum einen dürfen Behörden ihre eigenen Behörden-WLANs in ein solches WLAN-Sharing einbinden, zum anderen dürfen sie ihre Behörden-WLANs aber auch Initiativen nichtstaatlicher Organisationen zur Verfügung stellen. Die Zusammenarbeit nach diesem Muster ist bereits heute Realität. U.a. in Teilen von Berlin, in Potsdam und in Lübeck arbeiten die Kommunen bereits mit Freifunk zusammen, um lokale Netzwerke aufzubauen.“

Es ist daher nicht schwer für kommunale Entscheider, sich auf den Standpunkt zu stellen, dass die EU-Kommission genau das – den Aufbau kommunaler WLANs und die Unterstützung von Initiativen wie Freifunk – explizit gutheißt!

Bei der Entscheidungsfindung wenig hilfreich sind natürlich plakative und eventuell mehr politisch motivierte (Rechts-)Aussagen, die eine Mitverantwortung der Entscheider herbeibeschwören, ohne dass dafür eine rechtliche Grundlage besteht.

Abschließend noch eine Anmerkung: Abgesehen von der oben zitierten Folie aus der Kunz-Präsentation ist mir leider nicht mehr bekannt. Falls jemand diese Präsentation oder ein eventuelles dem zugrundeliegendes Gutachten hat, würde mich das interessieren. Wenn der Autor der Präsentation das hier liest: Ich freue mich über eine kurze E-Mail.

Rechtsunsicherheit kills Public Wifi (heute: Gütersloh) (Update)

(… das entwickelt sich noch zu einer Reihe, s. schon zu Braunschweig…)

Auch die Stadt Gütersloh hat sich mit der Einführung eines öffentlichen WLANs befasst – und tendiert insbesondere gegen Freifunk und eher in Richtung einer „kommerziellen“ (und damit teuren und möglicherweise nicht realisierbaren) Lösung.

Am 01.04.2015 fand eine Beratung über verschiedene Anträge zum Thema „Freifunk / kostenloses WLAN“ statt, in der es um die „Einführung eines kostenlosen Wlan-Angebotes im Innenstadtbereich“ der Stadt Gütersloh ging.

Die entscheidenden Sitzungen sollen am 27.04.2015 (Hauptausschuss) und 08.05.2015 (Rat) sein.

1. Rechtsunsicherheit Störerhaftung

Wieder einmal war ein wichtiger Hemmschuh die „Störerhaftung“. So heißt es denn auch im Protokoll:

„Störerhaftung

In Deutschland gilt der teils ungeschriebene Rechtsgrundsatz:“ „Wer eine Gefahrenquelle schafft und sie nicht hinreichend abschirmt, haftet für den mittels dieser Gefahrenquelle verursachten Schaden. Selbst dann, wenn sich Dritte der Gefahrenquelle bemächtigen“. Somit kann als Störer grundsätzlich in Anspruch genommen werden, wer

  • adäquat-kausal an einer Rechtsverletzung mitwirkt und
  • hierbei seine so genannten Prüfungs- und Überwachungspflichten verletzt hat.
  • Ein Verschulden ist hierfür nicht erforderlich.

In der Praxis bedeutet dies:? Wer einen WLAN-Hotspot betreibt und anderen bewusst oder unbewusst zur Verfügung stellt, kann mit in die Haftung genommen werden, wenn über den Anschluss eine Rechtsverletzung stattfindet. Ein Problem stellt dar, dass für Rechtsverstöße über das Internet der sog. fliegende Gerichtsstand gilt. So können Streitfälle in Gerichtsstandorten verhandelt werden, die eine sehr strenge Rechtsauffassung zur Störerhaftung vertreten.“

Die Definition der Störerhaftung ist dabei grundsätzlich richtig. Aber die Schlussfolgerung lässt § 8 TMG einfach komplett raus. Wenn jemand für die Gütersloher Innenstadt ein öffentliches WLAN einrichtet, dann ist er auf jeden Fall nach § 8 TMG privilegiert. Problem gelöst 🙂

2. Fehlvorstellung Registrierungspflicht

Spannend ist aber auch der Rest des Dokuments. Denn da wird der Referentenentwurf der Bundesregierung zur Änderung von § 8 TMG einfach mal komplett falsch interpretiert!

„Mit dem Gesetzentwurf zur Änderung des Telemediengesetzes vom 17.02.2015 soll für die Betreiber von drahtlosen lokalen Netzen Rechtssicherheit in Bezug auf die Haftungsfragen hergestellt werden. Die durch die Bürgerinitiative Freifunk Gütersloh gegebene Betriebsweise wäre bei gesetzlicher Umsetzung des Referentenentwurfes nicht zulässig. Gefordert werden mindestens

  • dass der Benutzer nicht anonym bleibt, sondern sich anmeldet
  • angemessene Sicherungsmaßnahmen, in der Regel durch Verschlüsselung oder vergleichbare Maßnahmen gegen den unberechtigten Zugang
  • die Gewährung des Internet-Zugang nur für Nutzer, die eingewilligt haben, keine Rechtsverletzungen zu begehen.“

Punkt 2 und 3 stimmen, aber der Nutzer soll und darf anonym bleiben. Das hat das BMWi in seiner FAQ zum Referentenentwurf ausdrücklich in Frage Nr. 1 klargestellt (eingehend zur FAQ des BMWi hier). Dort heißt es:

„1. Müssen WLAN-Betreiber den einzelnen Nutzer namentlich erfassen, speichern, protokollieren o. ä.?

Ganz klar: Nein. § 8 TMG (neu) fordert weder von geschäftsmäßigen Betreibern oder öffentlichen Einrichtungen noch von privaten WLAN-Betreibern, dass sie den Namen des Nutzers protokollieren, registrieren oder anderweitig erfassen. Private WLAN-Anbieter müssen im Zeitpunkt der WLAN-Überlassung nur den Namen des Nutzers kennen. Dies dürfte im privaten Umfeld regelmäßig der Fall sein.“

Ganz im Gegenteil: Eine Registrierung und Speicherung bemisst sich nach allgemeinen datenschutzrechtlichen Grundsätzen und kann – ohne Einwilligung – sogar unzulässig sein (vgl. Sassenberg/Mantz, WLAN und Recht, 2014, Rn. 234, 123 ff.)!

3. Kommunalrechtliche Probleme

Die Stadt Gütersloh sieht auch ein Problem mit der Einschränkung von Kommunen in ihrer wirtschaftlichen Betätigung (Kommunen sollen wirtschaftlich handelnden Unternehmen nicht ohne Weiteres Konkurrenz machen):

Nach Information der Kommunalen Gemeinschaftsstelle für Verwaltungsmanagement (KGSt) ist die Befugnis einer Stadt zur Betätigung auf dem Gebiet des Freifunks rechtlich vor dem Hintergrund des § 107 GO NRW (wirtschaftliche Betätigung) fraglich.

Allerdings ist die Versorgung von Städten mit WLAN ein – auch nach Auffassung der Bundesregierung und der Europäischen Kommission – wichtiger öffentlicher Zweck. Manche sehen sogar die e-Daseinsvorsorge als Aufgabe von Kommunnen (Lurch, MMR 2009, 19), was auch das Angebot von WLAN rechtfertigen würde.

Thomas Sassenberg und ich haben uns auch mit der kommunalrechtlichen Komponente auseinandergesetzt (Sassenberg/Mantz, WLAN und Recht, 2014, Rn. 346 ff.) und ich würde mir wünschen, dass die KGSt unsere Argumente aufgreift und diskutiert, bevor sie den Aufbau eines kommunalen WLANs ablehnt.

4. Schlussfolgerung: Public Wifi ist gefährlich

Die Schlussfolgerung der Stadt Gütersloh kann dementsprechend auch nicht viel fehlgeleiteter sein:

„Der Arbeitskreis IT des StGB NRW empfiehlt dringend die Verwendung einer rechtssicheren Lösung, bei der sich die Benutzer registrieren bzw. anmelden müssen, um den heutigen und erwarteten künftigen gesetzlichen Anforderungen zu genügen. ?Die KGSt spricht auf dem Fachforum am 24.03.2015 in Dortmund die dringende Empfehlung an die Kommunen aus, aus rechtlichen Gründen keine Bestrebungen in Richtung des Freifunks zu verfolgen. Es wird angeraten, sich des Marktes zu bedienen, dort gäbe es Anbieter rechtssicherer und praxiserprobter Lösungen. Angeraten wird konkret die Kooperation von z.B. Stadtwerke, Netzgesellschaft, Stadtmarketing und einem Anbieter einer kommerziellen Lösung, so dass sich insbesondere haftungsrechtliche, vergaberechtliche und kommunalrechtliche Fragen für die Verwaltung nicht stellen.“

Jemand sollte der Stadt Gütersloh auf einer der angepeilten Sitzungen mitteilen, dass sie von (völlig) falschen Voraussetzungen ausgeht und dementsprechend auch zu falschen Ergebnissen kommt …

(Update)

Die Glocke-Online berichtet ebenfalls über die Probleme und Ängste in Rietberg (Kreis Gütersloh).

Rechtsunsicherheit kills Public Wifi (heute: Braunschweig)

Immer wieder ist (auch hier im Blog) über die Folgen der Rechtsunsicherheit bei WLANs berichtet worden.

Wer ein aktuelles Beispiel sucht, wird in Braunschweig fündig. Am 17.4.2015 tagte der Wirtschaftsausschuss der Stadt Braunschweig und befasste sich mit der Frage, ob ein kommunales WLAN eingeführt werden soll (Sachstandsbericht). Es wird auch über eine Befragung der Städte erbringt ein typisches Bild:

„Die befragten Kommunen treten mehrheitlich nicht als Provider auf, auch um nicht in die Störerhaftung zu gelangen. Juristisch werden über WLAN-Internetzugänge begangene Urheberrechtsverletzungen unter dem Gesichtspunkt der Störerhaftung behandelt und können zur haftungs- rechtlichen Heranziehung des Anbieters führen. Lediglich Unternehmen mit Provider-Privileg sind hiervon ausgenommen.“

Dass dies ein Irrglaube ist, ist auch hier im Blog immer wieder dargestellt worden. Ganz im Gegenteil: Kommunen, die WLANs anbieten, profitieren selbstverständlich von der Haftungsprivilegierung des § 8 TMG (Sassenberg/Mantz, WLAN und Recht, 2014, Rn. 216; zu Schulen und Bibliotheken: Perron/Eisele, in: Scho?nke/Schro?der, StGB, 28. Aufl. 2010, § 184 StGB Rn. 55a; Altenhain, in: Mu?nchKommStGB, 2. Aufl. 2010, vor § 7 TMG Rn. 45). Es gibt übrigens weder in der Literatur noch in der Rechtsprechung auch nur ein Beispiel, das dem widerspräche!

Freifunk findet die Stadt Braunschweig aus genauso falschen Gründen denn auch nicht gut:

„Der Verein Freifunk ist eine private Initiative, bei der Bürger ihre private Internetverbindung kostenfrei für andere Nutzer freigeben. Die jeweiligen Netze werden nicht als getrennte Einwahlknoten genutzt, sondern untereinander verbunden (Mesh-Netze). Dabei wird die sogenannte Störerhaftung „umgangen“. Derzeit schützt sich die Freifunk Initiative vor einer Inanspruchnahme durch die Verlagerung der Server für ihre Mesh-Netze ins Ausland. Auch wenn gesetzliche Änderungen hinsichtlich der sogenannten Störerhaftung in Aussicht gestellt sind, bleibt doch fraglich, ob derartige Initiativen juristisch nachhaltig abgesichert sind und auch von offizieller Seite genutzt werden sollten. Aufgrund der rechtlichen „Grauzone“ sieht die Verwaltung derzeit keine Möglichkeit, die Initiative des Vereins als städtische Lösung zu implementieren.“

Wenn die Stadt Braunschweig die Störerhaftung nicht „umgehen“ will, dann sollte sie halt einfach selbst die Netze betreiben. Dann bräuchte es keiner Umgehung mehr.

Insgesamt zeugt der Sachstandsbericht leider von der üblichen Unkenntnis und Unwilligkeit. Wenn die Stadt Braunschweig ein WLAN wollte, könnte sie es auch bekommen – sogar mit der Freifunk-Initiative…

Kritisch zum Sachstandsbericht übrigens auch der Bericht der Piratenpartei.

[Wer sonst noch ähnliche Berichte hat, gerne per E-Mail an mich, oder in den Kommentaren! Danke.]