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Zu den Anforderungen an die Darlegungslast bei Filesharing-Fällen – AG HH contra AG/LG München

Der BGH hat in mehreren Fällen zur Darlegungs- und Beweislast beim Filesharing Stellung genommen und ein bestimmtes System entwickelt. Ganz grob gesagt: Der Rechteinhaber hat grundsätzlich die Darlegungs- und Beweislast. Zu Lasten des Anschlussinhabers gilt aber eine tatsächliche Vermutung, dass er der Täter einer Rechtsverletzung über seinen Anschluss ist. Diese kann er – im Wege der sekundären Darlegungslast – erschüttern. Kann er dies, obliegt wieder die volle Beweislast dem Rechteinhaber (eingehend Sassenberg/Mantz, WLAN und Recht, 2014, Rn. 248 ff.).

Fraglich ist, was der Anschlussinhaber genau tun muss, um seiner sekundären Darlegungslast zu genügen. Hier hat sich in ganz Deutschland eine praxisnahe Auslegung entwickelt, nach der es ausreichend ist, wenn der Anschlussinhaber konkret und substantiiert vorträgt, dass andere Nutzer Zugang zum Anschluss hatten. Insoweit muss er auch Nachforschungen anstellen, wie der BGH festgestellt hat. Das bedeutet, dass der Anschlussinhaber herausfinden muss, ob andere Zugriff hatten. Mehr aber nicht.

In ganz Deutschland? Nein. Tief im Süden gibt es ein kleines gallisches Dorf namens München, das noch Widerstand leistet und in dem sowohl Amts- als auch Landgericht vom Anschlussinhaber praktisch Unmögliches verlangen. Darüber hat z.B. Thomas Stadler schon berichtet. Das Amtsgericht München formuliert beispielsweise:

„Die Beklagte muss weiterhin vortragen, welche anderen Personen selbständigen Zugang zu ihrem Internetanschluss hatten und als Täter der Urheberrechtsverletzung in Betracht kommen. Sie muss dafür umfangreiche Nachforschungen zu den potentiellen Anschlussnutzern und ihrem Nutzungsverhalten anstellen, die möglichen Täter befragen und diese dem Gericht namentlich mitteilen.“

Im Ergebnis müsste der Anschlussinhaber nach Ansicht des AG München also das Surfverhalten der anderen Mitnutzer des Anschlusses überwachen, was sich nur schwer mit der vom BGH entwickelten Rechtsprechung vereinbaren lässt.

Dieser Auffassung aus München ist nun das AG Hamburg (Urt. v. 30.06.2015 – Az. 543 C 9112/14, Volltext) in einem sehr lesenswerten Urteil (erneut) entgegen getreten, über das bei initiative-abmahnwahn.de berichtet wird. So heißt es in dem Urteil (Hervorhebungen hier):

„Der Anschlussinhaber trägt dazu eine sekundäre Darlegungslast. Dieser genügt der Anschlussinhaber dadurch, dass er vorträgt, ob andere Personen und gegebenenfalls welche anderen Personen selbständigen Zugang zu seinem Internetanschluss hatten und als Täter der Rechtsverletzung in Betracht kommen. In diesem Umfang ist der Anschlussinhaber im Rahmen des Zumutbaren auch zu Nachforschungen verpflichtet. Eine wie auch immer geartete Beweislastumkehr zu Lasten der Beklagten ist damit allerdings nicht verbunden. Die sekundäre Darlegungslast dient der Bewältigung von Informationsdefiziten bei der Sachverhaltsaufklärung; sie ändert jedoch nichts an dem Grundsatz, dass keine Partei verpflichtet ist, dem Gegner die für den Prozesserfolg benötigten Informationen zu verschaffen (Zöller/Greger, ZPO, 30. Aufl. 2014, Vor § 284 Rn. 34). Genügt der Anschlussinhaber der sekundären Darlegungslast, ist es also wiederum Sache der klagenden Partei, die Täterschaft des Anschlussinhabers Beklagten zu beweisen (vgl. BGH, a.a.O. BearShare). …

Die sekundäre Darlegungslast der Beklagten bezieht sich nur darauf, ob überhaupt und wenn ja welche anderen Personen wegen des ihnen eingeräumten Zugriffs als Täter in Betracht kommen. Die Beklagte musste darüber hinaus weder angeben, welche Personen nicht in Betracht kommen, noch detaillierter dazu vortragen, ob die drei weiteren Familienmitglieder konkret auch gerade zum Tatzeitpunkt Zugriff auf den Internetanschluss nehmen konnten, zumal sich dies nach ihrer Einlassung, sie sei zu diesem Zeitpunkt nicht zu Hause gewesen, ihrer unmittelbaren Wahrnehmung entzog. …

Zu weiterem Vortrag und zu weiteren Nachforschungen war die Beklagte entgegen der Ansicht der Klägerin nicht verpflichtet. Es besteht in diesen Fällen insbesondere keine Verpflichtung, Nachforschungen dahingehend anzustellen, wer der Täter der Rechtsverletzung ist (BGH, BearShare, a.a.O.). Daher musste die Beklagte weder die Computer untersuchen noch ein Routerprotokoll auslesen. Der Beklagte war auch nicht verpflichtet, noch konkreter zur tatsächlichen Nutzung des Internetanschlusses vorzutragen. Vortrag dazu, welche Personen zum Zeitpunkten der behaupteten Rechtsverletzung den Anschluss tatsächlich genutzt haben, ist im Rahmen der sekundären Darlegungslast nicht geboten (so auch AG Düsseldorf, 20.05.2014, 57 C 16445/13 – juris; AG Düsseldorf; 25.11.2014, 57 C 1312/14 – juris). …

Soweit ein kleiner Teil der Rechtsprechung dies noch anders sieht und vom Anschlussinhaber in Fällen wie dem hiesigen verlangt, er müsse „konkret, d.h. verletzungsbezogen, darlegen …, ob und warum diese anderen Personen als Täter in Betracht kommen. Um seiner Nachforschungspflicht nachzukommen, hätte er von vornherein darlegen müssen, inwieweit er versucht hat, mit ihnen Kontakt aufzunehmen, um herauszufinden, ob sie jeweils als Täter der Rechtsverletzung in Betracht kommen. Hierzu hätte er beispielsweise Nachforschungen anstellen müssen, wo sich die potenziellen Täter zu den beiden Tatzeitpunkten aufgehalten haben und ob sie zu den maßgeblichen Zeitpunkten konkret – und nicht nur theoretisch – Zugang zum Internetanschluss gehabt haben.“ (LG München I, 05.09.2014, 21 S 24208/13 – juris, dort Rn. 30), kann dem nicht gefolgt werden. …

Diese Ansicht überspannt die Anforderungen an die sekundäre Darlegungslast, weil sie die Funktionsweise der Tauschbörsenprogramme nicht hinreichend berücksichtigt. Das Herunterladen und das Anbieten einer Datei in einer Dateitauschbörse setzen nämlich nicht voraus, dass der Tauschbörsennutzer dauerhaft anwesend ist. Der Vorgang muss nur einmal manuell, das heißt durch einen anwesenden Nutzer, in Gang gebracht werden. Sodann kann eine Datei stunden-, tage- oder im Extremfall, nämlich wenn die Internetverbindung nicht getrennt wird, wochenlang angeboten werden. Wäre eine durchgehende körperliche Anwesenheit erforderlich, würde es zur Darlegung, dass der Anschlussinhaber für die Rechtsverletzung nicht verantwortlich ist, ausreichen, wenn er vorträgt, dass er zum behaupteten Tatzeitpunkt nicht zu Hause, sondern z.B. bei der Arbeit gewesen sei. Insoweit weisen jedoch sowohl die Gerichte als auch die Klägervertreter in Filesharing-Verfahren zu Recht immer wieder darauf hin, dass eine Datei in einer Dateitauschbörse auch ohne dauernde körperliche Anwesenheit des Anschlussinhabers angeboten werden kann, der Anschlussinhaber sich mit einem solchen Vortrag also regelmäßig nicht entlasten kann. Dies muss dann aber im Rahmen der sekundären Darlegungslast auch für die weiteren Nutzer des Internetanschlusses gleichermaßen bzw. umgekehrt gelten, sofern es sich bei diesen um Haushaltsangehörige handelt. Denn auch diesen steht der Anschluss, wie dem Anschlussinhaber, quasi ständig zur Verfügung. Es kommt es auf die Anwesenheit weiterer Haushaltsangehöriger Personen exakt im Ermittlungszeitpunkt gar nicht an, wenn zuvor ein Tauschbörsenprogramm gestartet wurde auf einem Gerät, welches mit dem Internet verbunden war (so bereits AG Hamburg, 27.03.2015, 36a C 363/14 – juris, dort Rn. 25). …

Die Beklagte musste auch nicht vortragen, wer Täter der Rechtsverletzung ist, oder wer nicht als Täter in Betracht kommt. Das hat der BGH gerade verneint (BGH, BearShare, a.a.O): „Der Anschlussinhaber genügt seiner sekundären Darlegungslast dadurch, dass er vorträgt, ob andere Personen und gegebenenfalls welche anderen Personen selbständigen Zugang zu seinem Internetanschluss hatten und als Täter der Rechtsverletzung in Betracht kommen.“ Danach muss kein Täter benannt werden, zumal sich die Beklagte damit gegebenenfalls in einen Konflikt im Sinne von §§ 55, 52 Abs. 1 StPO, 384 Nr. 2, 383 Abs. 1 Nr. 3 ZPO begeben müsste. Die sekundäre Darlegungslast kann jedoch nicht dazu führen, dass gesetzlich normierte Zeugnisverweigerungsrechte ausgehöhlt werden, die den innerfamiliären Zusammenhalt und das innerfamiliäre Vertrauensverhältnis in Ansehung möglicher strafrechtlicher Verfolgung schützen. …

Rechtlich verlangt werden können eine Ermittlung zum Nutzungsverhalten und vor allem Vortrag dazu im Prozess ohnehin nicht, wenn zu den weiteren Nutzern ein Näheverhältnis im Sinne des § 383 ZPO besteht und der Anschlussinhaber daher aufgrund bestehender Zeugnisverweigerungsrechte nicht zur Mitteilung des Ermittlungsergebnisses verpflichtet ist. Wer aber ein Ergebnis der Ermittlungen nicht mitzuteilen hat, den trifft von vornherein folgerichtig auch keine Ermittlungspflicht. …

Soweit die Klägerin meint, die Beklagte sei im Rahmen ihrer Nachforschungspflicht gehalten gewesen, durch eigene Recherche herauszufinden, ob sich auf den im Haushalt befindlichen Rechnern bzw. internetfähigen Geräten ein Tauschbörsenprogramm oder der streitgegenständliche urheberrechtlich geschützte Pornofilm befindet, werden damit die Grenzen der Zumutbarkeit deutlich überschritten. Darüber hinaus setzt die Nachforschungspflicht des Anschlussinhabers auch nicht bereits mit Zugang der Abmahnung ein, sondern erst mit Zustellung der Anspruchsbegründung oder Klageschrift im Rahmen des gerichtlichen Verfahrens, da die Nachforschungspflicht gerade Inhalt der sekundären Darlegungslast und damit einer prozessualen Rechtsfigur ist (Forch, GRUR Prax 2015, 49). Der Umfang der Nachforschungspflicht wird vom Bundesgerichtshof in der BearShare-Entscheidung auf zumutbare Nachforschungen beschränkt. Zumutbar ist nur das, was zum einen tatsächlich möglich und zum anderen rechtlich zu verlangen ist. Die Internetnutzung gehört zum Familienalltag und wird üblicherweise nicht aufgezeichnet. Es ist daher angesichts der hiesigen Klageschrift, die erst deutlich über ein Jahr nach der behaupteten Rechtsverletzung überhaupt verfasst und zugestellt wurde, nicht mehr möglich, das konkrete Nutzungsverhalten anderer Anschlussnutzer am behaupteten Tattag und einer gewissen Zeitspanne vor diesem Zeitpunkt nachträglich zu ermitteln. Das dürfte, abhängig von der Zahl der Nutzer, der Uhrzeit des behaupteten Rechtsverstoßes und anderen Umständen des Einzelfalls, im Wesentlichen auch dann gelten, wenn man für den Beginn der Nachforschungspflicht entgegen hier vertretener Auffassung auf den Zugang der Abmahnung abstellen und insoweit eine relativ kurze Zeitspanne von nur – wie hier – circa zwei Wochen zwischen behaupteter Rechtsverletzung und Zugang der Abmahnung zugrunde legen würde. …“