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Von Unklarheiten und Ungehorsam – oder: Über den gerichtlichen Umgang mit der BVerfG-Rechtsprechung zur prozessualen Waffengleichheit

Im nachfolgenden Beitrag möchte ich mich mit zwei Entscheidungen des BVerfG zur prozessualen Waffengleichheit befassen, wobei ich den Schwerpunkt darauf legen möchte, wo offenkundig weiterhin Missverständnisse bestanden bzw. weiterhin Unklarheiten bestehen. Grundlage sind hierbei sowohl die beiden Entscheidungen des BVerfG als auch eine – durch fragdenstaat.de öffentlich gemachte – Stellungnahme der Hamburger Pressekammer. Die beiden Fälle sind einerseits wegen der deutlichen Worte des BVerfG von Interesse, aber zusätzlich, weil in beiden Fällen eine nachträgliche Rechtfertigung für den Erlass der einstweiligen Verfügungen ohne Anhörung der Antragsgegnerseite vorliegt, die einen Einblick in das Verständnis der bisherigen Rechtsprechung des BVerfG zur prozessualen Waffengleichheit erlaubt.

Wer darüber hinaus wissen möchte, wie unter Berücksichtigung der umfangreichen Rechtsprechung des BVerfG in der Praxis in einstweiligen Verfügungsverfahren (aus Sicht der Gerichte und in der anwaltlichen Beratung/Betreuung) verfahren werden sollte, dem empfehle ich den kürzlich in Heft 9/2022 der WRP (Wettbewerb in Recht und Praxis), S. 1059 ff., erschienen Beitrag von Rechtsanwalt Oliver Löffel und mir, in dem wir versucht haben, anlässlich der aktuellen Entscheidungen des BVerfG eine Art „Leitfaden“ zu entwerfen.

I. Einleitung

Anlass dieses Beitrages sind zwei Beschlüsse des BVerfG, die beide erneut Entscheidungen aus dem Bereich des Presserechts betreffen und zwar einerseits des LG Berlin und andererseits – man muss leider sagen: schon wieder (vgl. Mantz, NJW 2019, 953) – des OLG Hamburg.

1. OLG Hamburg

a. Fall

Beim OLG Hamburg ging es um die Veröffentlichung eines Interviews. Die Antragstellerin mahnte zunächst die Antragsgegnerin wegen einer von ihr erkannten Persönlichkeitsrechtsverletzung ab und stellte sodann beim Landgericht Hamburg einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung. Das Landgericht erteilte der Antragstellerin Hinweise, die daraufhin ihren ursprünglich gestellten Antrag, der offenbar auf die Untersagung einer konkreten Äußerung gerichtet war, umformulierte und ihn um zwei Hilfsanträge ergänzte, wobei wohl zumindest ein Antrag nunmehr auf die Untersagung des Hervorrufens eines unwahren Eindrucks gerichtet war (vgl. BVerfG, 1.12.2021 – 1 BvR 2708/19, GRUR 2022, 429 Rn. 31). Das LG Hamburg wies den Antrag ohne Anhörung der Antragsgegnerin vollumfänglich zurück. Es versäumte offenbar, der Antragsgegnerin die erteilten Hinweise mitzuteilen. Die Antragstellerin ging in die Beschwerde zum OLG, wo ihr der Hinweis erteilt wurde, dass nur einem der Anträge stattgegeben werden könne. Die Antragstellerin nahm die übrigen Anträge zurück und das OLG Hamburg erließ im Oktober 2019 – ohne Anhörung der Antragsgegnerin – die begehrte einstweilige Verfügung im Beschlusswege (BVerfG, 1.12.2021 – 1 BvR 2708/19, GRUR 2022, 429).

b. Durcheinander um eine Stellungnahme

Die Antragsgegnerin erhob nunmehr Verfassungsbeschwerde. In der Entscheidung des BVerfG heißt es, dass über die Justizbehörde von Hamburg eine „Stellungnahme des Pressesenats“ (also des Spruchkörpers des OLG Hamburg) abgegeben worden sei (BVerfG, 1.12.2021 – 1 BvR 2708/19, GRUR 2022, 429 Rn. 23). Über fragdenstaat.de wurde diese Stellungnahme der Justizbehörde von Hamburg angefragt und veröffentlicht (vielen Dank an die/den Anfragende/n dafür!). Es handelt sich hierbei um ein Schreiben der Justizbehörde, die in indirekter Rede die Stellungnahme des Gerichts wiedergibt. Leider scheint hier einiges durcheinander gegangen zu sein. In diesem Schreiben heißt es nämlich, dass es sich um eine Stellungnahme der „Pressekammer des LG Hamburg“ handele. Nun könnte man denken, dass es sich schlicht um eine Ungenauigkeit im Beschluss des BVerfG („Pressesenat“ statt „Pressekammer“) handelt. Allerdings würde auch das nicht passen. In der Sachverhaltsdarstellung der BVerfG-Entscheidung wird nämlich dargestellt, dass das LG Hamburg den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung insgesamt zurückgewiesen habe. Die (indirekte Wiedergabe) der Stellungnahme beginnt jedoch mit folgendem Satz: „Es treffe nicht zu, dass die Pressekammer die einstweilige Verfügung ohne jede vorherige Anhörung erlassen habe.“ Die Entscheidung, eine einstweilige Verfügung zu erlassen, erfolgte jedoch einzig durch den Pressesenat des OLG Hamburg. Im folgenden wird daher davon ausgegangen, dass es sich um einen Fehler der Justizbehörde handelt und die wiedergegebene Stellungnahme doch vom OLG-Senat stammt.

Die entscheidenden Passagen möchte ich hier kurz wiedergeben. Der Pressesenat des OLG Hamburg soll folgendes zu den Akten gegeben haben:

„Es treffe nicht zu, dass die Pressekammer die einstweilige Verfügung ohne jede vorherige Anhörung erlassen habe. Jede einzelne Äußerung, hinsichtlich derer eine Unterlassungsverfügung erlassen wurde, sei zuvor abgemahnt worden, wie es auch dem Regelfall in der Hamburger Praxis entspreche. Die Erwiderung auf die Abmahnung habe bei Erlass der einstweiligen Verfügung auch vorgelegen, sie stand deren Erlass nur nicht entgegen. Auch sei der Streitgegenstand der Abmahnung und der Erwägungen, die zum Erlass der einstweiligen Verfügung führten, identisch gewesen. Der bloße Vergleich des Umfangs der Begründung des Verfügungsantrages und der Abmahnung sei dabei nicht geeignet, Rückschlüsse auf eine fehlende Identität zwischen Antrag und Abmahnung zu ziehen, denn der größere Umfang der Begründung des Verfügungsantrags sei in allgemeinen Ausführungen über den Antragsteller, die erfolgte Abmahnung, umfänglichen Zitaten aus der streitgegenständlichen Berichterstattung und allgemeinen rechtlichen Ausführungen begründet.

Zu dem Vorwurf, die Pressekammer habe der Beschwerdeführerin die Vorlage von Glaubhaftungsmitteln vereitelt, führt sie aus: Der Verfahrensbevollmächtigte der Beschwerdeführerin verkenne, dass die Beschwerdeführerin ehrverletzende Äußerungen über den Antragsteller verbreitet habe und daher die Beschwerdeführerin ihre Berichterstattung rechtfertigen müsse. Dass der Abmahnung keine Glaubhaftmachungsmittel beigefügt wurden, entspreche der allgemeinen – nicht auf Hamburg beschränkten – gerichtlichen Praxis im sog. „Grünen Bereich“. Die Glaubhaftmachungslast für die Wahrheit der Äußerungen habe im Rahmen der Erwiderung bei der Antragsgegnerin gelegen. Ihrer Erwiderung auf die Abmahnung habe die Antragsgegnerin jedoch keinerlei Unterlagen beigefügt. Sie habe lediglich in Hinblick auf eine Äußerung von zehn abgemahnten Textpassagen geltend gemacht, die Wahrheit dieser Äußerung jederzeit durch Vorlage einer Mail glaubhaft machen zu können, diese jedoch nicht beigefügt.

Stellt der Antragsteller im einseitigen Verfahren daraufhin einen Antrag; gelten nach Auffassung der Kammer die allgemeinen ZPO-Regeln, mit der Folge, dass die Glaubhaftmachungslast beim Antragsteller liege. Nachdem der Antragsteller durch Vorlage des nach Aktenlage gesamten Mailverkehrs glaubhaft gemacht habe, dass eine entsprechende Äußerung nicht stattgefunden habe, habe die Kammer hier daher davon ausgehen können, dass sein Unterlassungsanspruch bestand. Auf den bloßen Zuruf, man könne etwas belegen, könne im einstweiligen Verfügungsverfahren nicht reagiert werden. Für die Vorlage etwaiger Unterlagen biete gerade die Abmahnung Gelegenheit, was der Beschwerdeführerin auch bekannt sei.

Schließlich erwecke der Hinweis, dass die Sache noch nicht entscheidungsreif gewesen sei, weil die Kammer noch auf eine Anlage des Antragstellers habe warten müssen, einen falschen Anschein über den zeitlichen Ablauf. Tatsächlich sei der Antrag am Freitag, dem 24.1.2020, nach Dienstschluss eingegangen und wurde der Kammer dann am Montag, dem 27.1.2020, vorgelegt. Am Dienstag, dem 28.1.2020, habe die fragliche Anlage bereits vorgelegen.“

c. Entscheidung des BVerfG

Das BVerfG hat einen Verstoß gegen die prozessuale Waffengleichheit festgestellt. Zusätzlich hat es dem OLG mit deutlichen Worten seine Unzufriedenheit attestiert:

„Der wiederholte Verstoß des Pressesenats des OLG gegen das Gesetz der Waffengleichheit bei einstweiligen Anordnungen gibt Anlass, auf die rechtliche Bindungswirkung der Entscheidungen des BVerfG hinzuweisen (§ 31 I BVerfGG, § 93c I 2 BVerfGG, dazu BVerfG (1. Kammer des Ersten Senats) NVwZ 2006, 586 Rn. 26 ff.). Bei zukünftigen Verstößen gegen die Waffengleichheit durch den Senat wird die Kammer ein Feststellungsinteresse für eine Verfassungsbeschwerde oder einen Antrag auf einstweilige Anordnung gem. § 32 BVerfGG stets als gegeben ansehen.“

2. LG Berlin

a. Fall

Im Verfahren vor dem LG Berlin ging es um eine Berichterstattung aus September 2020 über die Feier eines Richtfests der prominenten Antragstellerin. Die Antragstellerin ließ die Antragsgegnerin erfolglos abmahnen und stellte rund zwei Wochen später Eilantrag beim LG Berlin. Hierbei entsprach die Begründung des Verfügungsantrags „im Wesentlichen“ der vorgerichtlichen Abmahnung. Die Pressekammer des LG Berlin erteilte der Antragstellerin den Hinweis, dass Bedenken bezüglich der Begründetheit des Antrags bestünden. Nachdem die Antragstellerin in ihrer Stellungnahme ihren Vortrag ergänzt hatte (BVerfG, 11.1.2022 – 1 BvR 123/21, WRP 2022, 593 Rn. 39), erging ein weiterer Hinweis – erneut nur an die Antragstellerin -, dass dem Antrag jedenfalls hinsichtlich bestimmter Teile nicht entsprochen werden könne. Die Antragstellerin nahm ihren Antrag daraufhin teilweise – vermutlich im Umfang der erteilten Hinweise – zurück. Das Landgericht erließ anschließend – ohne vorherige Anhörung der Antragsgegnerin – am 10.11.2020 und damit knapp vier Wochen nach Antragstellung im Beschlusswege die einstweilige Verfügung im Umfang der noch gestellten Anträge. Auch eine Mitteilung an die Antragsgegnerin, insbesondere bezüglich der erteilten Hinweise und der Teilrücknahme, erfolgte nicht. Nach Zustellung der einstweiligen Verfügung im Parteibetrieb inklusive der beiden Stellungnahmen der Antragstellerin bemühte sich die Antragsgegnerin – zunächst erfolglos – um Übermittlung der gerichtlichen Hinweise. [Diese Verzögerung führte letztlich zu einem – erfolgreichen – Antrag der Antragsgegnerin auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach § 93 II BVerfGG, der jedoch nicht Gegenstand des hiesigen Beitrags ist.]

b. Stellungnahme im Einstellungsbeschluss

Anschließend erhob die Antragsgegnerin Widerspruch und beantragte die „Aussetzung der Zwangsvollstreckung“ (BVerfG, 11.1.2022 – 1 BvR 123/21, WRP 2022, 593 Rn. 13). Das Landgericht stellte mit Beschluss von Ende Januar 2021 die Zwangsvollstreckung bis zur Entscheidung im Widerspruchsverfahren einstweilen ein. In der Begründung des Beschlusses führte das Landgericht jedoch aus, dass es nicht der Auffassung sei, die Antragsgegnerin in ihrem Recht auf prozessuale Waffengleichheit verletzt zu haben, da die Hinweise ausschließlich zu Lasten der Antragstellerin gegangen seien und zu einer teilweisen Rücknahme des Eilantrags geführt hätten. Da sich der Eilantrag und die vorgerichtliche Abmahnung deckten, bestehe kein Informationsvorsprung der Antragstellerin (BVerfG, 11. 1. 2022 – 1 BvR 123/21, WRP 2022, 593 Rn. 16). Auf den erhobenen Widerspruch bestätigte das Landgericht nach mündlicher Verhandlung im März 2021 die einstweilige Verfügung.

Bereits im Januar 2021 hatte die Antragsgegnerin Verfassungsbeschwerde eingereicht und den Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 32 BVerfGG beantragt. Letzteren Antrag erklärte sie sodann für erledigt.

c. Entscheidung des BVerfG

Das BVerfG hat auch hier einen Verstoß gegen die prozessuale Waffengleichheit festgestellt und auch dem LG Berlin mit praktisch gleichen Worten die Leviten gelesen:

„Der wiederholte Verstoß der Pressekammer des Landgerichts gegen das Gebot der prozessualen Waffengleichheit bei einstweiligen Anordnungen gibt Anlass, auf die rechtliche Bindungswirkung der Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts hinzuweisen (§ 31 Abs. 1, § 93c Abs. 1 S. 2 BVerfGG, dazu BVerfG, Beschl. d. 1. Kammer des Ersten Senats v. 27.1.2006 – 1 BvQ 4/06 Rn. 26 ff.). Bei zukünftigen Verstößen gegen die Waffengleichheit durch die Berliner Pressekammer wird die Kammer ein Feststellungsinteresse für eine Verfassungsbeschwerde oder einen Antrag auf einstweilige Anordnung gemäß § 32 BVerfGG stets als gegeben ansehen.“

II. Schlussfolgerungen, Unsicherheiten und Kritik

Das BVerfG hat also beiden Verfassungsbeschwerden stattgegeben. In den Fällen liege ein offenkundiger Verstoß gegen das Recht auf prozessuale Waffengleichheit vor. Von Interesse ist hier aber jeweils die Begründung.

Im Folgenden möchte ich hauptsächlich auf die Spezifika dieser beiden Beschlüsse eingehen, die allgemeinen Schlussfolgerungen finden sich wie gesagt im Beitrag mit Rechtsanwalt Oliver Löffel in Heft 9/2022 der WRP (WRP 2022, 1059).

1. Entscheidung im Beschlusswege, Überraschungsentscheidungen

In Teilen bestehen die Beschlüsse des BVerfG aus der Wiederholung von Ausführungen bisheriger Beschlüsse. Insbesondere bekräftigt das BVerfG, dass weiterhin den Gerichten ein Ermessensspielraum bleibe, ob sie nach § 937 Abs. 2 ZPO im Wege der mündlichen Verhandlung oder – natürlich unter Beachtung der Grundsätze der prozessualen Waffengleichheit – im Beschlusswege entscheiden. Eine Entscheidung vollständig ohne Einbindung des Antragsgegners sei aber nur zulässig, wenn ansonsten der Zweck des einstweiligen Verfügungsverfahrens vereitelt werde, insbesondere wenn eine Überraschung des Antragsgegners erforderlich sei (BVerfG, 1.12.2021 – 1 BvR 2708/19, GRUR 2022, 429 Rn. 26). Dies ist nach bisherigem Stand der Literatur z.B. im Falle des Arrests, bei beabsichtigter Sequestration oder der Besichtigung und Beschlagnahme von Waren oder Anlagen der Fall (Mantz, NJW 2019, 953, 955 m.w.N.). Im Bereich des Presserechts müsse zwar in der Regel schnell und daher im Beschlusswege entschieden werden, der Überraschung der Gegenseite bedürfe es aber nicht, weshalb eine Einbindung vor einer stattgebenden Entscheidungen grundsätzlich nur in Betracht komme, wenn die Gegenseite die Möglichkeit hatte, auf das mit dem Antrag und weiteren an das Gericht gerichteten Schriftsätzen zu erwidern (BVerfG, 1.12.2021 – 1 BvR 2708/19, GRUR 2022, 429 Rn. 27).

Für eine Anhörung der Gegenseite spricht es hierbei auch, wenn von der Antragstellung bis zur Entscheidung viel Zeit vergeht, z.B. wegen zwischenzeitlich erteilter Hinweise und darauf erfolgter Stellungnahmen (vgl. BVerfG, 11.1.2022 – 1 BvR 123/21, WRP 2022, 593 Rn. 40: Nahezu vier Wochen).

2. Vorgerichtliche Abmahnung statt gerichtlicher Anhörung

Das BVerfG wiederholt ebenfalls, dass die vorgerichtliche Abmahnung eine gerichtliche Anhörung entbehrlich machen kann, fasst die Anforderungen an das Unterbleiben der gerichtlichen Anhörung der Antragsgegnerseite kompakt zusammen und formuliert hierbei auch Anforderungen an die Antragstellerseite (BVerfG, 1.12.2021 – 1 BvR 2708/19, GRUR 2022, 429 Rn. 28): (1) Der Eilantrag muss unverzüglich nach Ablauf der in der Abmahnung gesetzten, angemessenen Frist eingereicht werden, (2) die (a) abgemahnte Verletzungshandlung (das BVerfG konkretisiert dies presserechtsspezifisch auf die abgemahnte „Äußerung“) sowie (b) die in der Abmahnung mitgeteilte Begründung müssen mit dem bei Gericht geltend gemachten Unterlassungsbegehren identisch sein und (3) der Antragsteller muss eine Antwort des Antragsgegners zusammen mit seiner Antragsschrift bei Gericht eingereicht haben.

Hieraus (und aus früheren Entscheidungen des BVerfG) lässt sich folgendes ableiten:

a. Zeitfaktor

Eine gerichtliche Anhörung ist schon dann geboten, wenn der Antragsteller nach Ablauf der Frist länger zuwartet. Da die Begründung der Abmahnung und des Eilantrags identisch sein müssen, dürften für die Zeit bis zur Einreichung einige Tage ausreichend sein. Wer also seinen Eilantrag mehr als eine Woche später einreicht, „zwingt“ das Gericht praktisch zur Anhörung.

b. Ergänzender Vortrag

Darüber hinaus ist die Anhörung erforderlich, wenn der Eilantrag einen anderen Gegenstand hat, z.B. eine andere Äußerung, eine andere Verletzungshandlung o.ä., oder wenn er mit „ergänzendem Vortrag“ begründet wird (BVerfG, 1.12.2021 – 1 BvR 2708/19, GRUR 2022, 429 Rn. 28 m.w.N.). Die Hürde für eine „ergänzende“ Begründung dürfte relativ niedrig sein. Im Fall des LG Berlin hatte die Antragstellerin auf den Hinweis des Landgerichts Stellung genommen und erläutert, dass es bei acht von zehn der abgedruckten Fotos an der Belegfunktion für einen Verstoß gegen Corona-Regeln und damit an einem öffentlichen Interesse fehle (BVerfG, 11.1.2022 – 1 BvR 123/21, WRP 2022, 593 Rn. 6). Die Vermutung liegt nahe, dass es sich als Folge des gerichtlichen Hinweises um ein neues, aber doch zentrales Argument handelte, das – wäre es in der Antragsschrift enthalten gewesen – möglicherweise zu einer Anhörungspflicht geführt hätte. Konkreter wird das BVerfG im Fall des OLG Hamburg. Dort hatte die Antragstellerin erst in der Stellungnahme und nicht schon in der Antragsschrift auf einen „ehrabschneidenden Eindruck“ Bezug genommen (vgl. BVerfG, 1.12.2021 – 1 BvR 2708/19, GRUR 2022, 429 Rn. 31). Das BVerfG sah dies als ein neues Argument an, das in den Rechtsstreit eingeführt worden sei. Dadurch habe sich die „Streitlage“ verändert, auch wenn es noch um denselben Lebenssachverhalt gehe.

Darauf, ob sich der Streitgegenstand nach dem klassischen Streitgegenstandsbegriff, also Antrag und Lebenssachverhalt, geändert hat, kommt es hingegen offenbar nicht an (vgl. BVerfG, 1.12.2021 – 1 BvR 2708/19, GRUR 2022, 429 Rn. 31). Das OLG Hamburg war hingegen laut seiner Stellungnahme davon ausgegangen, dass eine Änderung des Streitgegenstands erforderlich ist, was angesichts der früheren Entscheidungen des BVerfG auch nicht verwunderlich ist. So hat das BVerfG teilweise ausdrücklich formuliert, dass die Grenze dort zu ziehen sei, wo „der gerichtliche Verfügungsantrag den im Rahmen der außergerichtlichen Abmahnung geltend gemachten Streitgegenstand verlässt oder weitere Streitgegenstände neu einführt“ (BVerfG, 27.7.2020 – 1 BvR 1379/20, WRP 2020, 1179 Rn. 22 zu einem wettbewerbsrechtlichen Fall), was natürlich auch in der Literatur aufgegriffen wurde (vgl. beispielhaft Mantz, WRP 2020, 416 Rn. 22). Dem hat das BVerfG nun eine deutliche eine Absage erteilt. Es stellt sich dennoch die Frage, warum das BVerfG nicht bereits vorher deutlicher geworden ist.

c. Umfang

Auf den konkreten Wortlaut der Begründung des Eilantrags sollte es eigentlich es nicht ankommen, sondern vielmehr auf dessen Inhalt, also auf die Sachverhaltsdarstellung und die rechtlichen Argumente. Geht es hingegen um die – auch nur geringfügig im Wortlaut abweichende – Umstellung des Antrags gegenüber der vorgerichtlich geforderten Unterlassungserklärung, wird eine Anhörung unumgänglich sein (vgl. BVerfG, 27.7.2020 – 1 BvR 1379/20, WRP 2020, 1179 Rn. 13; dazu Mantz, WRP 2020, 1250 Rn. 12).

Das BVerfG stellt aber darüber hinaus immer wieder auf den Vergleich des Umfangs zwischen Abmahnung und Eilantrag ab und vergleicht insbesondere die Seitenzahlen (BVerfG, 4.2.2021 – 1 BvR 2743/19, WRP 2021, 1287 Rn. 28: Sieben Seiten Abmahnung, 20 Seiten Antragsschrift; BVerfG, 21.4.2022 – 1 BvR 812/22, WRP 2022, 844 Rn. 25: Vier Seiten Abmahnung, sieben Seiten Antragsschrift). Das OLG Hamburg hat in seiner Stellungnahme deutlich gemacht, dass aus seiner Sicht der rein äußerliche Umfang grundsätzlich ein eher untaugliches Kriterium darstellt. Allerdings geht das OLG Hamburg – nun aus Sicht des BVerfG – darin wiederum zu weit, indem es darauf abstellt, dass der „größere Umfang der Begründung des Verfügungsantrags in allgemeinen Ausführungen über den Antragsteller, die erfolgte Abmahnung, umfänglichen Zitaten aus der streitgegenständlichen Berichterstattung und allgemeinen rechtlichen Ausführungen begründet“ sei. Denn hierbei handelt es sich um zusätzlichen Vortrag – einerseits Tatsachenvortrag über den Antragsteller und den Bericht und andererseits rechtlichen Vortrag. Zu diesem soll der Antragsgegner aus Sicht des BVerfG offenkundig auch Stellung nehmen können.

3. Hinweise und Anhörungspflicht

In beiden Verfahren hatten die Gerichte der Antragstellerseite Hinweise erteilt. Wenn auf Hinweis des Gerichts ergänzend vorgetragen wird, muss die Antragsgegnerseite angehört werden.

a. Teilrücknahme nach Hinweis

Von Interesse ist aber, wie damit umzugehen ist, wenn auf die Hinweise des Gerichts hin der Eilantrag teilweise zurückgenommen wird (vgl. dazu schon Mantz, NJW 2019, 953, 956; Mantz, WRP 2020, 1205 Rn. 26).

Dies soll anhand eines Beispielsfalls konkretisiert werden:

Der Eilantrag greift drei verschiedene Punkte an (Anträge 1. bis 3.). Das Gericht erteilt den Hinweis, dass Antrag zu 3. unbegründet sein dürfte. Der Antragsteller nimmt diesen Antrag zurück und trägt zu Punkten 1. und 2. nicht weiter vor. Darf das Gericht die einstweilige Verfügung bezüglich der Anträge 1. und 2. im Beschlusswege ohne Anhörung erlassen? Leider erlauben auch die vorliegenden Entscheidungen des BVerfG keine definitive Aussage.

Das BVerfG hat ausgeführt, dass richterliche Hinweise der Antragstellerseite zeitnah mitgeteilt werden müssen, insbesondere, wenn es darum gehe, einen Antrag nachzubessern oder eine Einschätzung zu den Erfolgsaussichten zu geben (BVerfG, 11.1.2022 – 1 BvR 123/21, WRP 2022, 593 Rn. 37). Die Antragstellerin habe den gerichtlichen Hinweis konkret dazu genutzt, ihren Vortrag zu ergänzen. Die Antragsgegnerin habe erst nach Erlass der einstweiligen Verfügung von den Hinweisen erfahren und habe keine Gelegenheit zur Stellungnahme zum „weiteren Vorbringen“ der Antragstellerin gehabt (BVerfG, 11.1.2022 – 1 BvR 123/21, WRP 2022, 593 Rn. 39).

Das LG Berlin hatte sich auf den Standpunkt gestellt, dass die Hinweise an die Antragstellerin nur zu deren Lasten gegangen seien und zu einer Teilrücknahme geführt hätten. Es werden also – aus nachträglicher Sicht leider – mehrere Gründe miteinander verquickt. Hat das BVerfG das Vorgehen des LG Berlin bereits als unzulässig angesehen, weil sich die Hinweise auf alle Punkte bezogen und nach der Erteilung von Hinweisen überhaupt eine stattgebende Entscheidung ergangen ist oder, weil die Antragstellerin insgesamt weiteren Vortrag gehalten hat? Was wäre, wenn das LG Berlin wie im Beispielsfall Hinweise nur zu denjenigen Teilen erteilt hätte, die dann auch zurückgenommen wurden? Das ist des Pudels Kern und leider wird das BVerfG hier wieder einmal nicht hinreichend konkret.

Im vorliegenden Fall scheint es so gewesen zu sein, dass das LG Berlin im ersten Hinweis an die Antragstellerin Bedenken an dem Eilantrag insgesamt geäußert hat (vgl. BVerfG, 11.1.2022 – 1 BvR 123/21, WRP 2022, 593 Rn. 6). Der erste Hinweis bezog sich daher (wohl) auch auf den Teil, der anschließend – trotz der vorherigen Bedenken und damit möglicherweise unter dem Eindruck des ergänzenden Vortrags – ohne Anhörung der Antragsgegnerin erlassen wurde. Dieses Vorgehen allein stellt eine Verletzung der prozessualen Waffengleichheit dar, weil die Antragsgegnerseite nicht auf demselben Kenntnisstand war wie das Gericht und die Antragstellerin. Eine Anhörung wäre daher zwingend gewesen. Dass die Hinweise „zu Lasten der Antragstellerin“ gingen, ist im Übrigen gerade der Grund, warum die Antragsgegnerseite von ihnen erfahren soll. Denn der Antragstellerin wurde eine Schwäche in ihrem Vortrag verdeutlicht, woraufhin sie – hier möglicherweise erfolgreich – nachzubessern versuchen konnte.

Der oben gebildete Beispielsfall, der in der Praxis, speziell in Pressesachen, aber auch darüber hinaus, häufig auftritt, bleibt aber weiter ungelöst und das Landgericht Berlin hatte sich eben auch darauf bezogen, dass der Hinweis ja teilweise zur Rücknahme geführt hat. In der Tendenz scheint das BVerfG jedoch dazu zu neigen, eine Anhörung für erforderlich zu halten, sobald (irgendein) Hinweis erteilt wurde. Das ist vom Ausgangspunkt der Interessenwahrung nur schwer einzusehen, wenn die Hinweise im Ergebnis nicht zu Lasten des Antragsgegners gehen, da sie zur Teilrücknahme aller Teile geführt haben, auf die sich die Hinweise bezogen. Das ist so, als hätte die Antragstellerin die zurückgenommenen Anträge nie eingereicht. Die Interessen des Antragsgegners wären daher im Beispielsfall durch eine nachträgliche Mitteilung der Hinweise hinreichend gewahrt. Für diesen – nicht unüblichen Fall – wäre eine Klarstellung des BVerfG wünschenswert.

b. Zeitpunkt der Anhörung

Nicht ganz klar ist leider auch, wann genau angehört werden muss. Im Fall des OLG Hamburg hatte bereits das Landgericht Hinweise erteilt. Trotz Stellungnahme und Antragsumstellung wies das Landgericht den Antrag vollumfänglich zurück, ohne die Antragsgegnerin zuvor anzuhören. Das BVerfG formuliert den Obersatz bezüglich der Anhörungspflicht nach Erteilung von Hinweisen so, dass das Gericht „vor Erlass einer Entscheidung“ die Gegenseite in den gleichen Kenntnisstand versetzen müsse (BVerfG, 1.12.2021 – 1 BvR 2708/19, GRUR 2022, 429 Rn. 29). Nachdem das Landgericht aber den Antrag vollumfänglich zurückgewiesen hatte, scheint es das BVerfG für ausreichend zu halten, wenn „spätestens“ das OLG die Antragsgegnerin vor Erlass seiner Entscheidung angehört hätte (BVerfG, 1.12.2021 – 1 BvR 2708/19, GRUR 2022, 429 Rn. 31; vgl. insoweit auch OLG Frankfurt a.M., 8.8.2019 – 6 W 57/19, BeckRS 2019, 19184). Hieraus mag man den Schluss ziehen, dass eine Anhörungspflicht trotz erteilter Hinweise bei Vollzurückweisung in der ersten Instanz nicht greift. Auch hier wären aber klarere Vorgaben des BVerfG wünschenswert gewesen.

4. Mitteilungspflichten

Zu konstatieren ist aber, dass sowohl das LG Hamburg in erster Instanz als auch das LG Berlin jedenfalls ihre Mitteilungspflichten verletzt haben.

Nach Zurückweisung des Eilantrags hätte das LG Hamburg nach den insoweit klaren Ausführungen des BVerfG in früheren Beschlüssen – trotz der Regelung in § 922 Abs. 3 ZPO (dazu eingehend Mantz, WRP 2022, 154 m.w.N.) – die Hinweise der Antragsgegnerin zur Kenntnis bringen müssen. Das BVerfG will hierdurch auch ein „forum shopping“ mit den Hinweisen des Gerichts verhindern (BVerfG, 30.09.2018 – 1 BvR 1783/17, WRP 2018, 1448 Rn. 24; dazu Mantz, WRP 2020, 415 Rn. 40).

Das LG Berlin hatte zunächst Hinweise erteilt, anschließend war der Antrag teilweise zurückgenommen worden. Dies hätte das LG Berlin dazu veranlassen müssen, die Hinweise der Antragsgegnerseite mitzuteilen. Stattdessen ist die Herausgabe selbst auf ausdrücklichen Antrag der Antragsgegnerin zunächst nicht erfolgt.

III. Ungehorsame Gerichte?

Besondere Aufmerksamkeit haben die beiden Beschlüsse des BVerfG geweckt, weil das BVerfG sich bemüßigt gefühlt hat, trotz der Vielzahl der vorangehenden Beschlüsse, die sowohl den Pressesenat des OLG Hamburg als auch die Pressekammer des LG Berlin schon betroffen hatten, sehr deutliche Worte zu finden (vgl. Dietrich/Zimmermann, LTO v. 11.2.2022; LTO v. 16.3.2022).

Zum einen hat das BVerfG in beiden Entscheidungen auf die rechtliche Bindungswirkung der Entscheidungen des BVerfG hingewiesen (BVerfG, 1.12.2021 – 1 BvR 2708/19, GRUR 2022, 429 Rn. 33; BVerfG, 11.1.2022 – 1 BvR 123/21, WRP 2022, 593 Rn. 42). Zum anderen hat das BVerfG angekündigt, bei diesen beiden Spruchkörpern künftig ein Feststellungsinteresse für eine Verfassungsbeschwerde oder eine einstweilige Anordnung stets anzunehmen. Hintergrund ist, dass nach ständiger Rechtsprechung des BVerfG ein hinreichend gewichtiges Feststellungsinteresse erforderlich ist, das bei Verstößen gegen die prozessuale Waffengleichheit bei einfachen Verfahrensfehlern nicht per se anzunehmen ist. Vielmehr ist erforderlich, dass eine Wiederholung der angegriffenen Maßnahme zu befürchten ist, weil die Gerichte die prozessualen Anforderungen grundsätzlich verkennen und ihre Praxis hieran unter Missachtung der verfassungsrechtlichen Maßstäbe nicht ausrichten (BVerfG, 8.10.2019 – 1 BvR 1078/19, 1 BvR 1260/19, Rn. 3; BVerfG, 1.12.2021 – 1 BvR 2708/19, GRUR 2022, 429 Rn. 21 m.w.N.; dazu näher Mantz, WRP 2020, 1250 Rn. 28 ff.). In einem Beschluss vom 8.10.2019 war das BVerfG mit Blick auf seine bisherigen Entscheidungen wohl davon ausgegangen, dass im Kern alles gesagt war und die Gerichte ihre Praxis entsprechend umstellen. Das dürfte generell auch zutreffen, nunmehr jedoch nicht (mehr) für die beiden hier betroffenen Spruchkörper. Zum einen hatten die jeweiligen Antragsgegnerinnen beim BVerfG hinreichend vorgetragen, dass die Verletzung des Rechts auf prozessuale Waffengleichheit bei beiden Spruchkörpern häufiger vorkämen. Das BVerfG verweist darüber hinaus darauf, dass es bereits zu zwei Entscheidungen des LG Berlin hatte Stellung nehmen müssen (BVerfG, 11.1.2022 – 1 BvR 123/21, WRP 2022, 593 Rn. 39). Zudem offenbarten – aus Sicht des BVerfG – sowohl die Stellungnahme des Pressesenats des OLG Hamburg (BVerfG, 1.12.2021 – 1 BvR 2708/19, GRUR 2022, 429 Rn. 23) als auch die Begründung des Einstellungsbeschlusses des LG Berlin (BVerfG, 11.1.2022 – 1 BvR 123/21, WRP 2022, 593 Rn. 32) grundsätzliche Missverständnisse hinsichtlich der Anforderungen des Rechts auf prozessuale Waffengleichheit.

In der Literatur hat Möller diesbezüglich von „ungehorsamen Gerichten“ gesprochen und zu Recht darauf hingewiesen, dass es rechtsstaatlich bedenklich ist, wenn Gerichte die Rechtsprechung des BVerfG ignorieren (Möller, NJW-Editorial vom 16.3.2022). Dies gilt im Übrigen selbstverständlich nicht nur für Gerichte, sondern für den gesamten, staatliche Gewalt ausübenden Bereich. So hatte sich beispielsweise die Stadt Wetzlar 2018 einer Entscheidung des BVerfG (BVerfG, 24.3.2018 – 1 BvQ 18/18, NVwZ 2018, 819) widersetzt, einer Partei eine Stadthalle für eine Wahlkampfveranstaltung zu überlassen (vgl. Podolski, LTO v. 26.3.2018).

Ohne das beschönigen zu wollen, sind offenbar beide Spruchkörper – irrig – davon ausgegangen, sich im Rahmen der Vorgaben des BVerfG zu halten. Das lässt sich sowohl dem Einstellungsbescheid des LG Berlin als auch der Stellungnahme des Pressesenats des OLG Hamburg entnehmen. Leider muss man aber sagen, dass das BVerfG jedenfalls beim Pressesenat des OLG Hamburg zu Recht von einem Missverständnis spricht. Jedenfalls die vom Landgericht Hamburg erteilten Hinweise hätten nach der bisherigen Rechtsprechung des BVerfG eine Anhörung durch das OLG zwingend erforderlich gemacht.

Das LG Berlin wiederum hatte aufgrund des Umstandes, dass der Eilantrag nach den Hinweisen teilweise zurückgenommen worden war, zum Teil Anlass, an die Nichterforderlichkeit der Anhörung zu glauben. Hier muss sich das BVerfG auch etwas „an die eigene Nase“ fassen. Nichtsdestotrotz lag ein Verstoß in dem langen Verfahren von nahezu vier Wochen ohne Einbindung der Antragsgegnerin sowie im Unterlassen der (nachträglichen) Mitteilung der Hinweise an die Antragsgegnerin. Wie gesagt, es wäre schön gewesen, wenn das BVerfG in seiner Begründung hier stärker ausdifferenziert hätte.

Trotzdem, und das zeigt schon die Vielzahl der Aufsätze zu diesem Thema ebenso wie die oben aufgeworfenen Fragen, muss sich das BVerfG vorhalten lassen, dass trotz seiner jahrelangen Rechtsprechung noch jede Menge Fragen offen bleiben. So hat das BVerfG in wettbewerbsrechtlichen Verfahren für die Frage der Anhörungspflicht durchaus – wie hier wohl das OLG Hamburg – auch auf die Änderung des Streitgegenstands abgestellt (BVerfG, 27.7.2020 – 1 BvR 1379/20, WRP 2020, 1179 R. 22; Lerach, GRUR-Prax 2022, 191). Soweit es um die Ergänzung des Vortrags im Vergleich zur vorgerichtlichen Abmahnung geht, hat das BVerfG – anders als in den hier besprochenen Beschlüssen – wiederum in einer Entscheidung formuliert, dass eine Identität der rechtlichen Begründung nicht erforderlich sein soll (BVerfG, 3.12.2020 – 1 BvR 2575/20, WRP 2021, 461 Rn. 23; Lerach, GRUR-Prax 2022, 191).

Im Übrigen verdient ein weiterer Punkt, den das BVerfG anspricht, Aufmerksamkeit, nämlich der Aufwand, der durch die Vorgaben des BVerfG bei den Gerichten entsteht. Völlig zu Recht verweist das BVerfG darauf, dass all dies selbstverständlich nicht zur Verkürzung der prozessualen Rechte der Beteiligten führen darf (BVerfG, 1.12.2021 – 1 BvR 2708/19, GRUR 2022, 429 Rn. 32; BVerfG, 11.1.2022 – 1 BvR 123/21, WRP 2022, 593 Rn. 40). Trotzdem trifft das BVerfG einen wunden Punkt, denn das Anhörungsverfahren bedeutet sowohl eine erhebliche Verzögerung als auch eine erhebliche Mehrbelastung der Gerichte. Dies hat nach hiesigem Kenntnisstand aber in den Gerichten bisher keinerlei Folgen gehabt: Weder wurde der Schlüssel zur Bemessung des Aufwands von einstweiligen Verfügungsverfahren verändert, noch wurden neue Stellen geschaffen, um die erheblichen zusätzlichen Belastungen aufzufangen. Insoweit sind daher auch die Länder gefragt, die Fälle des BVerfG zum Anlass zu nehmen und hier nachzulegen.

LG Berlin: Dritter Erfolg vor Gericht für Freifunk?

Das LG Berlin hat am 30.6.2015 ein Urteil in einem Verfahren gesprochen, in dem es um die Haftung eines Freifunkers für seinen WLAN-Knoten ging (LG Berlin, Urt. v. 30.6.2015 – 15 0 558/14 Volltext).

Grundlage des Rechtsstreits war die negative Feststellungsklage eines Freifunkers, der zuvor wegen des angeblichen Angebots des Downloads eines Films abgemahnt worden war. Anders als bei „typischen“ Filesharing-Fällen war also der Inhaber der WLAN-Anschlusses hier Kläger und der Rechteinhaber Beklagter.

Ähnliche Konstellationen haben schon das AG Berlin-Charlottenburg und das LG München I beschäftigt. Diese beiden Verfahren dürften als Erfolg (AG Charlottenburg) bzw. „Sieg nach Punkten“ (LG München I) für die Freifunk-Community zu betrachten sein: Das AG Charlottenburg hatte zu Gunsten des Freifunkers die Privilegierung des § 8 TMG angenommen und dementsprechend die Klage zugesprochen. Das LG München I auf der anderen Seite hat genau die Frage der Anwendbarkeit von § 8 TMG dem EuGH zur Prüfung vorgelegt (näher dazu hier und Mantz/Sassenberg, MMR 2015, 85). Andererseits hat das LG München I aber zu erkennen gegeben, dass es dazu tendiert, ebenso wie das AG Charlottenburg die Privilegierung des § 8 TMG anzunehmen.

Nun hatte das  LG Berlin also Freifunk-Fall Nr. 3 vorliegen, die Entscheidung war (nachdem das Verfahren zunächst vom Amtsgericht an das Landgericht verwiesen worden war) lange erwartet worden. Bereits in der mündlichen Verhandlung sah es nach einem dritten Erfolg für Freifunk aus. So kam es dann auch: Der Freifunker hatte mit der negativen Feststellungsklage Erfolg!

… es kommt häufig ein Aber und hier ist es:

Das LG Berlin hat sich mit den für die Freifunk-Community relevanten Fragen leider praktisch gar nicht befasst bzw. befassen müssen. Es ist nämlich schon vorher an einer anderen Stelle abgebogen und hat deshalb insbesondere § 8 TMG überhaupt nicht mehr geprüft bzw. prüfen müssen. Der Anspruch des Abmahnenden ist nämlich schon daran gescheitert, dass das LG Berlin es nicht als hinreichend dargelegt und erwiesen angesehen hat, dass überhaupt die IP-Adresse, die zu dem Anschluss des Freifunkers geführt hat, korrekt und zuverlässig ermittelt worden ist.

Das Urteil des LG Berlin ist für diese konkrete Frage, nämlich die Ermittlung der IP-Adresse lesenswert und spannend. Denn diese Frage ist tatsächlich bei der Bewertung von Filesharing-Fällen hochrelevant. Auch der BGH hat sich kürzlich mit der Problematik befasst allerdings liegen die Gründe noch nicht vor (BGH, Urt. v. 11.6.2015 – I ZR 75/14 – Tauschbörse III, Pressemitteilung). Das LG Berlin ist jetzt bei dieser Frage jedenfalls – als nach meinem Wissen erstes Gericht – mit einer sehr strengen Auffassung in Erscheinung getreten.

Für das, was Freifunkern auf dem Herzen liegt, enthält das Urteil aber dementsprechend (leider) keine neuen Erkenntnisse.

Von daher:

  • Erfolg für den Einzelfall und damit für Freifunk insgesamt?  – Ja.
  • Erfolg für die Zukunft bzw. eventuelle weitere Verfahren? – Eher nein.

LG Berlin: Zuverlässigkeit der IP-Adressermittlung und Darlegungslast – Guardaley

LG Berlin, 30.6.2015 – 15 0 558/14

Leitsätze:

  1. Die Beweislast für die richtige Ermittlung der IP-Adresse sowie für die korrekte Zuordnung zu einem bestimmten Internetanschluss aus angeboten wurde, obliegt dem Rechteinhaber.
  1. Erst wenn feststeht, dass eine IP-Adresse richtig ermittelt wurde, kommt es im nächsten Schritt auf die richtige Zuordnung zu einem Internetanschluss an.
  1. Der Anschlussinhaber darf die korrekte IP-Ermittlung pauschal bestreiten, wenn der Vortrag zur IP-Ermittlung sich auf allgemeinen Vortrag beschränkt.
  1. Der Rechteinhaber muss konkret darlegen, welche Software eingesetzt wurde (Herkunft, Name, Version) und wie festgestellt wurde, ob diese zuverlässig arbeitet und wie die Zeitsynchronisation erfolgt. Es bedarf ferner des konkreten Vortrages und Nachweises der regelmäßigen Kontrolle und Qualitätssicherung inklusive Angaben zu konkreten Zeitabständen.
  1. Der Vortrag zum Hashwert für ein Werk muss konkret auf das streitgegenständliche Werk erfolgen.
  1. Bezieht sich der Gestattungsbeschluss nach § 101 UrhG auf einen Telekommunikationsdiensteanbieter, wird aber eine Auskunft eines anderen Anbieters vorgelegt, muss auch insoweit Vortrag gehalten werden.
  1. Trägt der Rechteinhaber für die Ermittlung der IP-Adresse nicht hinreichend vor, ist einem angebotenen Zeugenbeweis nicht nachzugehen. Die Ausfüllung von Vortrag ohne konkrete Anhaltspunkte kann nicht einem Zeugen oder Sachverständigen überlassen werden.

Volltext:

  1. Es wird festgestellt, dass der Beklagten gegen den Kläger keine Ansprüche aus einer angeblichen Urheberrechtsverletzung vom 15. März 2013 gemäß der Abmahnung vom 28. Juni 2013 (Anlage K 1) zustehen.
  2. Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
  3. Das Urteil ist wegen der Kosten gegen Sicherheitsleistung in Höhe des jeweils zu vollstreckenden Betrages zzgl. 10 % hiervon vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand:

Die Parteien streiten im Wege der negativen Feststellungsklage um die Berechtigung einer Abmahnung wegen Filesharings.

Streitgegenständlich ist das Filmwerk „…“, die dritte Staffel einer Fernsehserie. Dieses Werk wurde in Deutschland ab dem 19. Oktober 2012 im Fernsehen gezeigt und ab dem 11. November 2013 auf Bildtonträgern und online vermarktet. Die Beklagte ist Inhaberin der urheberrechtlichen Nutzungsrechte für die Video- und Onlineauswertung in Deutschland.

Der Kläger ist Inhaber eines privaten Internetanschlusses.

Von der Beklagten veranlasste Ermittlungen der Guardaley Ltd. führten zur Feststellung der IP- Adresse 87…. am 15. März 2013 um 03.09:04 Uhr, eines bestimmten Hash-Wertes und einer Zuordnung zur Folge 12 der dritten Staffel von „…“. Das Landgericht Köln gestattete es der Deutschen Telekom AG als Accessprovider, der Beklagten Auskunft über den Namen und die Anschrift des dieser IP-Adresse zuzuordnenden Anschlussinhabers zu erteilen (Anlage B 1). Die Deutsche Telekom AG übersandte der Beklagten am 7. Mai 2013 Daten (Anlage B 2). Ferner erhielt die Beklagte am 24. Juni 2013 eine Auskunft des Service-Providers 1&1 Internet AG, die den Namen und die Adresse des Klägers beinhaltet (Anlage B 3).

Weitere Ermittlungen führten zur Feststellung einer IP-Adresse 87…. am 6. April 2013 um 10.05:27 Uhr, eines bestimmten Hash-Wertes und einer Zuordnung zur Folge 16 der dritten Staffel von „…“. Das Landgericht Köln gestattete es der Deutschen Telekom AG als Accessprovider, der Beklagten Auskunft über den Namen und die Anschrift des dieser IP- Adresse zuzuordnenden Anschlussinhabers zu erteilen. Die Deutsche Telekom AG übersandte der Beklagten am 27. Mai 2013 Daten. Ferner erhielt die Beklagte am 24. Juni 2013 eine Auskunft des Service-Providers 1&1 Internet AG. die den Namen und die Adresse des Klägers beinhaltet (Anlage B 4).

Der Kläger wurde ferner durch Dritte am 10. und am 27. Juni 2013 wegen angeblicher Urheberrechtsverletzung durch Filesharing am 8. bzw. 13. April 2013 abgemahnt (Anlagen B 6 und B 5).

Die Beklagte mahnte den Kläger mit Schriftsatz vom 28. Juni 2013 wegen der Feststellungen zum 15. März 2013 ab. Sie verlangte die Abgabe einer Unterlassungserklärung und die Zahlung von Schadensersatz sowie Ersatz von Ermittlungs- und Anwaltskosten auf (Anlage K 1). Der Kläger reagierte ablehnend und forderte die Beklagte vergeblich zu der Mitteilung auf, dass diese die geltend gemachten Ansprüche zurückziehe (Anlage K 2).

Der Kläger behauptet: Er sei im Rahmen eines Freifunk-Netzwerkes Betreiber eines öffentlich zugänglichen Internetzugangsknotens über ein WLAN-Funknetzwerk. Er stelle damit Dritten seinen Zugang zum Internet zur Verfügung. Dazu sei eine Freifunk-Software installiert, die es ermögliche, dass andere Freifunkknoten sich mit seinem Knoten verbinden und ein sog. Mesh-Netzwerk bilden, so dass auch die Nutzer dieses anderen Freifunkknotens seinen Internetzugang nutzen könnten. Beginne ein Dritter die Nutzung, gehe eine Seite (Splash Page) auf, die über Freifunk informiere, über den Umgang mit dem Internet belehre und darauf hinweise, dass bestimmtes Verhalten wie z. B. Verletzungen von Urheberrechten zu unterbleiben haben. Diese Seite werde während der Nutzung jede Stunde neu angezeigt. Sein Router erkenne das typische Verhalten von Filesharingprogrammen. Zu diesem Zweck werde ein Script benutzt, das den Datenverkehr auf charakteristisches Verhalten von P2P-Anwendungen überprüft und den jeweiligen User gegebenenfalls blocke. Es sei daher keinem Dritten möglich, seinen Router erfolgreich für das Angebot einer Datei über eine P2P-Anwendung zu nutzen. Der Kläger hat dazu im Verhandlungstermin ergänzend vorgetragen. diese Sicherung könne nicht den Start eines Filesharingvorgangs verhindern, aber dessen Vollendung, indem es unterbrechend eingreife. Es bestehe die ernsthafte Möglichkeit, dass eine dritte Person unter Nutzung seines Freifunkknotens den Film zum Herunterladen angeboten habe.

Der Kläger ist der Ansicht, er hafte weder als Täter noch als Störer, jedenfalls gelte für ihn die Privilegierung des § 8 TMG.

Der Kläger hat seine Klage unter Angabe eines Streitwertes von 1.000,00 € beim Amtsgericht Lichtenberg anhängig gemacht. Dieses hat sich für örtlich unzuständig erklärt und den Rechtsstreit an das Amtsgericht Charlottenburg verwiesen. Dieses hat sich für sachlich unzuständig erklärt und den Rechtsstreit an das Landgericht Berlin verwiesen.

Der Kläger beantragt,

festzustellen, dass der Beklagten gegen ihn keine Ansprüche aus einer angeblichen Urheberrechtsverletzung vom 15. März 2013 zustehen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Beklagte behauptet: Die von der Guardaley Ltd. eingesetzte und regelmäßig überprüfte Software ermittle beweissicher die IP-Adresse, den Hashwert, den Dateinamen, die Dateigröße und den verwendeten P2P-Client. Deren Netzwerk werde regelmäßig mit mindestens zwei unter- schiedlichen und voneinander unabhängigen Quellen zur Zeitsynchronisation sekundengenau abgeglichen. Diese Software arbeite zuverlässig und fehlerfrei. Man habe eine Datei mit dem Filmwerk gesucht, heruntergeladen, identifiziert und dann deren Hashwert ermittelt und dokumentiert. Daraufhin habe man Tauschbörsen gezielt nach dem betreffenden Hashwert durchsucht und dabei entdeckt, dass am 15. März 2013 um 03.09:04 Uhr das Filmwerk unter der genannten IP- Adresse zum Download angeboten wird. Es sei dann eine Verbindung zu dieser IP-Adresse her- gestellt, ein Teil der dort angebotenen Datei heruntergeladen und dabei die IP-Adresse, der Hashwert, das Datum und die genaue Uhrzeit protokolliert worden. Diese Feststellungen seien zum Gegenstand der gerichtlichen Gestattungsanordnung geworden. Die 1&1 Internet AG habe die als Anlage B 3 vorgelegte Auskunft, nach der die IP-Adresse zum fraglichen Zeitpunkt dem Kläger zugeordnet gewesen sei, zutreffend erteilt. Dasselbe gelte für einen weiteren Verstoß am 6. April 2013 um 10.05:27 Uhr. Der Kläger habe das Werk selbst zum Herunterladen angeboten.

Die Beklagte ist der Ansicht: Das Ermittlungsergebnis lasse auf die Täterschaft des Klägers schließen. Sollte jedoch ein Dritter die Tat begangen haben, hafte der Kläger jedenfalls als Störer, da er seinen privaten Internetanschluss ohne ausreichende Absicherung der Öffentlichkeit zur Verfügung gestellt habe. Die Ansicht des Klägers führe zu einem rechtsfreien, nicht kontrollierbaren Raum, was mit der Gesetzeslage nicht vereinbar sei.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Parteivorbringens wird auf den Inhalt der gewechselten Schriftsätze Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Klage ist als negative Feststellungsklage zulässig, da sich die Beklagte nach wie vor des Rechts berühmt, gegen den Kläger wegen der am 15. März 2013 getroffenen Feststellungen Ansprüche auf Unterlassung und Zahlungen zu haben und für den Kläger ein gegenwärtiges Interesse auf Klärung durch Feststellung besteht, § 256 Abs. 1 ZPO. Der Klageantrag ist mit der vor Antragstellung erfolgten Klarstellung, dass mit „einer angeblichen Urheberrechtsverletzung vom 15. März 2013“ der Gegenstand der Abmahnung vom 28. Juni 2013 nach Anlage K 1 gemeint ist, hinreichend bestimmt i. S. d. § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO. Die Zuständigkeit des Landgerichts ergibt sich bereits aus dem bindenden Verweisungsbeschluss des Amtsgerichts Charlottenburg, der nach Ansicht der Kammer auch in der Sache zutrifft.

Die Klage ist auch begründet, denn es ist nicht festzustellen, dass die der Abmahnung zu Grunde gelegten tatsächlichen Umstände zutreffen.

Die Beklagte ist die Inhaberin der Rechte, nämlich der Online-Nutzungsrechte an dem Filmwerk für Deutschland. Sie hat die zu ihr hinführende Rechtekette lückenlos dargetan. Der Kläger ist dem nicht in erheblicher Weise entgegen getreten. Die Klägerin ist daher für die mit der Abmahnung geltend gemachten Ansprüche (§§ 97 Abs. 1 S. 1 und Abs. 2, 97 a Abs. 3, 15 Abs. 2 S. 2 Nr. 2, 19 a UrhG) aktivlegitimiert.

Die von der Beklagten in der Abmahnung geltend gemachten Ansprüche auf Unterlassung, Schadensersatz, Aufwendungsersatz für die Ermittlung und Erstattung der Abmahnkosten setzen unter anderem voraus, dass das streitgegenständliche Filmwerk zu dem angeblichen Tatzeitpunkt im Wege des Filesharings tatsächlich über den Internetanschluss des Klägers zum Download angeboten wurde. Dies darzulegen und zu beweisen obliegt nach den allgemeinen Grundsätzen, die durch das Vorgehen im Wege der negativen Feststellungsklage nicht verändert werden, der Beklagten. Das betrifft zunächst die Ermittlung der IP-Adresse durch die Guardaley Ltd.. Erst wenn feststeht, dass die IP-Adresse richtig ermittelt wurde, kommt es im nächsten Schritt auf die richtige Zuordnung zu einem Internetanschluss im Auskunftsverfahren an, was ebenfalls von der Beklagten darzulegen und zu beweisen ist.

Der Vortrag der Beklagten zu diesen Punkten ist substanzlos und damit unzureichend. Die Beklagte beschränkt ihren Vortrag auf eine allgemeine Darlegung, die wie ein Textbaustein für beliebige Filesharing-Ermittlungen verwendbar ist, die relevanten Umstände des Einzelfalls aber offen lässt. Ihr Vortrag ist so allgemein gehalten, dass dem Kläger kein konkreter Anhaltspunkt für eigene Feststellungen oder ein konkretes Bestreiten gegeben wird. Dem Kläger blieb in dieser Situation gar nichts anderes übrig, als ebenso pauschal zu bestreiten. Der Kläger hat bereits in seiner Klageschrift bestritten, dass die Beklagte den Vorgang sicher und richtig ermittelt habe. Das weitere Vorbringen der Beklagten bot dem Kläger keine Grundlage, sein Bestreiten zu vertiefen oder zu konkretisieren. Der Kläger hat sein Bestreiten auch nicht aufgegeben. Sein Bestreiten ist daher erheblich.

Die Beklagte hat nur vorgetragen, dass für die Ermittlungen irgendeine Software eingesetzt wird, nicht aber, welche Software (Herkunft, Name, Version). Die Beklagte hat nur pauschal behauptet, diese Software arbeite zuverlässig und fehlerfrei, nicht aber, wie das festgestellt worden ist. Die Beklagte hat offen gelassen, ob es etwa ein belastbares Gutachten zur Funktionsweise und Zuverlässigkeit der verwendeten Software gibt und ob dieses Gutachten für die eingesetzte Softwareversion und den vorgefundenen P2P-Klient einschlägig ist. Wäre davon erst einmal auszugehen, bedürfte es ferner eines Nachweises einer regelmäßigen Kontrolle und Qualitätssicherung der eingesetzten Software (vgl. KG – 24 W 92/12 und 99/12 -, Beschluss vom 25. April 2013 m. w. N.). Insoweit beschränkt sich der Vortrag der Beklagten darauf, ein von der Guardaley Ltd. beauftragter Systemadministrator überprüfe die Software regelmäßig. Ob es sich dabei um einen externen oder internen Administrator handelt, was diesen für solche Kontrollen qualifiziert und wann zuletzt vor der Ermittlung eine Prüfung stattgefunden hat, ist offen geblieben. Zur Arbeitsweise der Software, insbesondere ob diese automatisiert arbeitet oder an welchen Stellen der Ermittlung ein Mitarbeiter der Guardaley Ltd. tätig wird und was er dabei macht (manuelle Schritte?). Die Beklagte hat nicht vorgetragen, welcher Mitarbeiter (Name) hier die Ermittlungen geführt haben soll und was diesen dazu qualifiziert (vgl. KG, a. a. 0.). Die Beklagte hat ferner nicht dargetan, in welchen konkreten Zeitabständen („regelmäßig“) und anhand welcher „Quellen“ die Zeitsynchronisation gewährleistet wird und wann dies zum letzten Mal vor der streitgegenständlichen Ermittlung geschah. Die Beklagte hat nicht dargetan, welche konkreten Hashwerte sie für das streitgegenständliche Filmwerk als „Vorlage“ für ihre Ermittlungsvorgänge festgestellt hat. Festzustellen ist. dass ihre Ermittlungsliste für die angeblichen Filesharingfälle diverse Hashwerte enthält. Ein Abgleich, ob der dem Kläger zugeordnete Hashwert mit denjenigen, die zur ermittelt worden sein sollen, tatsächlich übereinstimmt, ist so nicht möglich. vielmehr kann sich der Vortrag der Beklagten gleichermaßen auf jeden beliebigen Hashwert, der nur in ihrer Ergebnisliste auftaucht, beziehen. Auch hinsichtlich der Datenzuordnung im zweiten Schritt der Ermittlungen ist der Vortrag der Beklagten unzureichend. Der Gestattungsbeschluss des LG Köln galt für die Deutsche Telekom AG. Deren Auskunft hat die Beklagte nicht vorgelegt, sondern sie hat nur deren Begleitschreiben beigebracht, so dass der Inhalt der Auskunft nicht nachzuvollziehen ist. Auf welcher Grundlage die Beklagte dann eine weitere Auskunft der 1 & 1 Internet AG erlangt hat, ist offen geblieben.

Die Beklagte kann sich in dieser Situation nicht auf eine Vermutung, ihre Ermittlungen im vorliegenden Fall müssten in Ansehung weiterer zum Kläger führender Ermittlungen richtig sein, berufen. Eine solche Vermutung kann im Einzelfall, wenn etwa in einem gewissen Zeitzusammenhang wegen desselben Werkes mehrere Zuordnungen zum selben Anschlussinhaber führen und in einem Fall die Zuordnung einer richtigen Ermittlung streitig ist, gelten. Hier ist aber bereits völlig offen, ob die Ermittlung zuverlässig und richtig war. Der zweite und vierte von der Beklagten angeführte Fall betreffen dieselbe Ermittlungsweise durch die Guardaley Ltd., ohne dass ausgeschlossen werden kann, dass sich ein etwaiger Fehler in der dortigen Vorgehensweise gleicher- maßen auf alle drei Ermittlungen oder Zuordnungen ausgewirkt hat. Der dritte Fall betrifft die Abmahnung eines Dritten wegen eines Musikwerkes, wobei der Ermittlungsweg und die Berechtigung jener Abmahnung hier offen geblieben sind.

Den Beweisangeboten der Beklagten zu den Ermittlungen durch die Guardaley Ltd. war nicht nachzugehen. Ein Zeuge soll einen substantiierten Sachvortrag bestätigen, nicht aber erstmals herstellen. Sollten der Guardaley Ltd. nähere Einzelheiten zu dem konkreten Vorgang bekannt sein, wäre es Sache der Beklagten gewesen, diese schriftsätzlich im Einzelnen vorzutragen. Damit wäre dem Kläger eine Grundlage für eine konkretere Befassung gegeben worden. Der Kläger hätte dann einzelne Umstände unstreitig stellen können oder konkreter bestreiten müssen, bevor es darauf angekommen wäre, einzelne dieser Umstände durch die Vernehmung eines Zeugen bestätigen zu lassen. Der Beweisantritt der Beklagten liefe jedoch auf eine prozessual unzulässige Ausforschung hinaus. Es geht gerade nicht an, die Darlegung der Ermittlung auf eine allgemeine Darstellung ohne konkrete Anhaltspunkte und einen substanziellen Fallbezug zu beschränken und die Ausfüllung für den streitigen Einzelfall dann einem Zeugen zu überlassen. Dasselbe gilt entsprechend für einen Beweis durch Sachverständigengutachten. Die Beklagte hat schon nicht dar- getan, welche konkrete Software verwendet worden sein und woraus sich deren Eignung und Zuverlässigkeit ergeben soll. Dass der Geschäftsführer des Ermittlungsunternehmens die von ihm eingesetzte Software als geeignet und zuverlässig ansieht, liegt auf der Hand, führt aber nicht weiter. Es wäre auch nicht die Aufgabe des Sachverständigen erst zu ermitteln, welche konkrete Software die Guardaley Ltd. am streitgegenständlichen Stichtag verwendet hat.

Der Beklagten war keine Gelegenheit mehr einzuräumen, Weiteres zu den Ermittlungsumständen nachzutragen. In Ansehung des einschlägigen Bestreitens des Klägers in der Klageschrift musste der Beklagten ohne Weiteres klar sein, dass sie die Ermittlungen im Einzelnen darzulegen hat. Es bedurfte auch keines richterlichen Hinweise, dass dazu mehr als eine allgemeine, substanzlose Darlegung, die auf beliebige Filesharingermittlungen passt, ohne Konkretes für den Einzelfall zu beinhalten, notwendig ist. Die Beklagte hat die Notwendigkeit, den konkreten Ermittlungsvorgang mit seiner fallbezogenen Dokumentationspraxis darzulegen und von anderen Ermittlungsmöglichkeiten abzugrenzen, auch selbst erkannt, wie sich aus den letzten Sätzen auf Seite 4 ihrer Klageerwiderung ergibt. Die Beklagte hatte daher ohne Weiteres hinreichend Anlass und Gelegenheit, ihren Vortrag zur Ermittlung und Zuordnung zu substantiieren, §§ 277 Abs. 1 S. 1, 282 Abs. 2 ZPO.

Kann demnach nicht festgestellt werden, dass die Beklagte den streitgegenständlichen Vorgang zuverlässig und richtig ermittelt hat, war ihre Abmahnung bereits aus diesem Grunde nicht berechtigt.

Der negativen Feststellungsklage war damit stattzugeben, ohne dass es für die Entscheidung noch auf die weiteren Voraussetzungen einer Haftung des Klägers ankam.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 ZPO.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 709 ZPO.

Die Berufung war nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 511 Abs. 4 S. 1 ZPO nicht erfüllt sind. Die Zulassung der Berufung kraft Gesetzes bleibt davon unberührt.

Anmerkung zu LG Berlin, 31.1.2013 – 57 S 87/08, ZD 2013, 618: Personenbezug von IP-Adressen – jetzt online

In eigener Sache:

Meine in der Zeitschrift für Datenschutz (ZD) 2013, S. 625 ff., erschienene Anmerkung zur Entscheidung des LG Berlin, Urt. v. 31.1.2013 – 57 S 87/08 (Personenbezug von IP-Adressen – Volltext hier) zur Frage des Personenbezugs von IP-Adressen ist nun auch online verfügbar (PDF).

Der BGH hat die Frage im Revisionsverfahren zum Urteil des LG Berlin kürzlich dem EuGH vorgelegt (BGH, Beschl. v. 28.10.2014 – VI ZR 135/13). Die Entscheidungsgründe liegen aber noch nicht vor. Ich werde die Gründe nach Erscheinen voraussichtlich kurz in der NJW kommentieren.

Aus der Anmerkung zum Urteil des LG Berlin (PDF, 0,1 MB):

Die Diskussion um die Frage, ob (dynamische) IP-Adressen auch für andere als den Access Provider personenbezogene Daten i.S.d. § 3 BDSG darstellen und damit unter das Regime des Datenschutzes fallen, ist bereits seit mehreren Jahren im Gange. Interessanterweise gibt es hierzu bisher trotzdem nur instanzgerichtliche Entscheidungen (für Personenbezug AG Berlin-Mitte K&R 2007, 600; LG Berlin MMR 2007, 799; LG Berlin CR 2006, 418; VG Wiesbaden MMR 2009, 428; gegen Personenbezug AG München MMR 2008, 860; LG Wuppertal, Beschl. v. 19.10.2010 – 26 Qs 10 Js 1977/08, BeckRS 2010, 25680; wohl auch OLG Hamburg MMR 2011, 281, 282). Das LG Berlin hat sich mit seiner Entscheidung umfassend mit der Thematik beschäftigt und sich nun im Ergebnis der Theorie des relativen Personenbezugs angeschlossen.

1. Im Kern geht es bei dem Streit um die Definition der Bestimmbarkeit des Personenbezugs von Daten speziell in Bezug auf (dynamische) IP-Adressen: Nach § 3 Abs. 1 BDSG sind personenbezogene Daten Einzelangaben über eine bestimmte oder bestimmbare natürliche Person. „Bestimmt“ in diesem Sinne ist die Person, wenn sich aus allen der verantwortlichen Stelle zur Verfügung stehenden Daten die Person unmittelbar ableiten lässt (Gola/Schomerus, BDSG, 11. Aufl. 2012, § 3 Rn. 10), beispielsweise, wenn die Stelle auch den Namen der Person erhoben und gespeichert hat. Bei der „Bestimmbarkeit“ wiederum wird in der Regel darauf abgestellt, ob die konkrete Person mit Hilfe anderer Informationen und Zusatzwissen ermittelt werden kann (Krüger/Maucher, MMR 2011, 433). Dabei kann …

Haftungsprivilegierungen im TMG und Strafrecht: Direkter Vorsatz bzw. positive Kenntnis erforderlich

Ich habe es in den letzten Jahren vermehrt erlebt, dass bei der Diskussion um die Haftungssituation bei WLANs unbegründete Ängste mitgespielt haben. Gerade aus dem Bereich der kommunalen Verwaltung oder Schulverwaltung waren dabei extreme Positionen zu hören:

So war in einer deutschen Kommune war über die Frage der Unterstützung von Freifunk diskutiert worden. Der Rechtsservice der Kommune warnte vor der Errichtung von WLAN-Hotspots, da im Falle der Begehung von Straftaten durch die Nutzer des WLANs die kommunalen Mitarbeiter strafrechtlich verantwortlich sein könnten.

Ein andermal war ich in einer Diskussionsrunde, an der auch ein Schulvertreter teilnahm. Und auch diese gingen davon aus, dass für die Lehrer ganz persönlich ein strafrechtliches Risiko bestehe, wenn ihre Schule WLANs in der Schule aufbaut.

Diesen Mythos sollte die Entscheidung des KG Berlin (ein für allemal) beseitigen.

Hier im Blog habe ich schon mehrfach erklärt, dass die „einzige“ Rechtsunsicherheit, die beim Betrieb von WLANs verbleibt, die der Störerhaftung ist. Und ein (mittelbarer) Störer ist nicht Täter, sondern kann nur auf Unterlassen in Anspruch genommen werden. Das könnte – wenn man überhaupt eine Störerhaftung annimmt! – zur Folge haben, dass man die Kosten einer Abmahnung bezahlen muss.

Nun hat das KG Berlin mit Beschluss vom 25.8.2014 (Az. 4 Ws 71/14) ganz deutlich festgestellt, welche Wirkungen die Privilegierungen in §§ 8-10 TMG für die strafrechtliche Verantwortlichkeit haben.

1. Der Fall

In dem Fall vor dem KG Berlin ging es um einen Host Provider, dessen Nutzer volksverhetzende Inhalte ins Internet stellte. Die Staatsanwaltschaft Berlin strengte ein Verfahren gegen den Serverbetreiber an:

Der in der rechten Szene in (…) an exponierter Stelle aktive Angeschuldigte habe um die politische und agitatorische Ausrichtung von www.nw(…) gewusst. Er habe auch gewusst, dass es „aufgrund dieser Ausrichtung typischerweise zu derartigen strafrechtlich relevanten Veröffentlichungen kommt“ und dies zumindest billigend in Kauf genommen.

Nach Auffassung der Staatsanwaltschaft sei zwar anzunehmen, dass dem Angeschuldigten hinsichtlich der konkreten Inhalte auf www.nw(…) eine positive Kenntnis im Sinne des § 10 TMG, die „eine täterschaftliche Haftung als Host-Provider der Seite auslösen würde“, nicht nachzuweisen sei. Seine strafrechtliche Verantwortlichkeit als Gehilfe sei hierdurch aber nicht ausgeschlossen. Ihre Schlussfolgerung, der Angeschuldigte habe gewusst, dass auf www.nw(…) strafbare Inhalte eingestellt seien, stützt die Staatsanwaltschaft auf folgende Erwägungen:

Nach allem könne aus der Gesamtschau der dargelegten Gründe „sicher davon ausgegangen werden, dass der Angeschuldigte um die (…) strafrechtlich relevanten Inhalte wusste und es – über die für den Gehilfenvorsatz bereits ausreichende billigende Inkaufnahme hinausgehend – sogar in seiner Absicht lag, den Betreibern der Seite durch das Zurverfügungstellen seines Servers ein entscheidendes Tatmittel hierfür an die Hand zu geben“.

Das LG Berlin hat die Anklage jedoch nicht zugelassen. Es war der Auffassung, dass dem Serverbetreiber eine positive Kenntnis von den volksverhetzenden Inhalten nicht nachweisbar sein wird.

Abschließend hat die Strafkammer ausgeführt, es sei zwar aufgrund der Ausführungen in der Anklageschrift und nach Aktenlage nahe liegend, dass der Angeschuldigte etwaige rechtswidrige Handlungen auf der Internetseite www.nw(…) billigend in Kauf genommen habe, eine positive Kenntnis im Sinne des dolus directus 2. Grades lasse sich aber nicht nachweisen.

2. Der Beschluss des KG Berlin

Die Staatsanwaltschaft hat dagegen Nichtzulassungsbeschwerde eingelegt. Das KG Berlin hat die Entscheidung der Vorinstanz aber bestätigt.

Dabei hat es sich – wie das LG Berlin – näher mit den Privilegierungen in §§ 7 ff. TMG befasst. Im vorliegenden Fall ging um die Bereitstellung von Infrastruktur für Inhalte, also Host Providing. Dies ist in § 10 TMG geregelt. Die Ausführungen des KG Berlin gelten aber ohne Weiteres auch für die übrigen Haftungsprivilegierungen – und damit auch nach § 8 TMG für Access Provider, was wiederum die Betreiber von WLANs einschließt. Zunächst stellt das KG Berlin fest, dass die §§ 7 ff. TMG auch im Bereich des Strafrechts gelten (s. auch Sassenberg/Mantz, WLAN und Recht, Rn. 213 m.w.N.).

§ 10 TMG beansprucht rechtsgebietsübergreifend Geltung und ist wegen der Einheit der Rechtsordnung auch im Strafrecht anwendbar.

Die Geltung der verantwortungsbeschränkenden Norm auch im Strafrecht ist vom Gesetzgeber ausdrücklich gewollt (vgl. BT-Drucks. 14/6098 S. 23; BT-Drucks. 16/3078 S. 15) und wird deshalb in Rechtsprechung und Literatur mit Recht ohne Weiteres angenommen …

Im Strafrecht führe dies dazu, dass der Betreiber positive Kenntnis von den rechtswidrigen Inhalten haben müssen (Hervorhebungen von mir):

Das Landgericht hat ferner mit Recht angenommen, dass das Haftungsprivileg des § 10 Satz 1 Nr. 1 TMG angesichts des eindeutigen Wortlauts der Norm und des ausdrücklich formulierten Willens des Gesetzgebers (vgl. BTDrucks. 14/6098 S. 25; BTDrucks. 16/3078 S. 15) nur bei positiver Kenntnis des Täters von den konkreten strafrechtlich relevanten Inhalten entfällt (vgl. OLG Frankfurt am Main; LG Frankfurt am Main; LG Stuttgart; AG München, jeweils aaO; ständige zivilrechtliche Rspr., vgl. etwa BGH MMR 2012, 815; OLG München NJW 2002, 2398; …

Dies gilt nicht nur für täterschaftliches Handeln, sondern auch für den auf die Haupttat bezogenen Gehilfenvorsatz. …

Als Ergebnis ist im Strafrecht sog. „direkter Vorsatz“ (oder „dolus directus 2. Grades“) erforderlich, der Täter muss also positiv wissen, dass es zu einer Rechtsverletzung kommt. Ein Eventualvorsatz (dolus eventualis), bei dem der Täter von der die Möglichkeit (!) einer Rechtsverletzung weiß und diese billigend in Kauf nimmt, reicht also nicht.

Anschließend arbeitet das KG Berlin heraus, dass es die Einschätzung des LG Berlin teile, dass dem Angeschuldigten eine solche positive Kenntnis nicht nachzuweisen sein wird:

b) Der Senat teilt die Bewertung der Strafkammer, dass es an ausreichenden Anhaltspunkten dafür fehlt, dass der Angeschuldigte positive Kenntnis von den in Rede stehenden und möglicherweise strafbewehrten Inhalten auf der Seite www.nw(…) hatte. Die zur älteren Rechtslage (§ 5 Abs. 2 TDG a.F.) noch vertretene Mindermeinung, wonach für die strafrechtliche Verantwortlichkeit bedingter Vorsatz genüge, ist jedenfalls durch die eindeutige Neuregelung, die der Gesetzgeber in Kenntnis des Meinungsstreits getroffen hat, überholt (a.A. wohl noch Köhler/Arndt/Fetzer, Recht des Internets 7. Aufl., Rn. 775 ff.). Eine Systemwidrigkeit liegt darin nicht; vielmehr ist der Ausschluss des dolus eventualis als Vorsatzform dem Strafrecht nicht fremd (s. etwa §§ 87 Abs. 1, 126 Abs. 2, 134, 145, 164, 187, 201a Abs. 3, 241 Abs. 2, 258, 278, 283c, 344 StGB; § 95 Abs. 2 Nr. 2 AufenthG; § 38 Nr. 2 PfandbG).

Auch Prüfungspflichten verneint das KG Berlin:

Schließlich ist die Annahme der Beschwerdeführerin, das Unterlassen inhaltlicher Kontrollen durch den Angeschuldigten beruhe bei ihm nicht auf technischer oder wirtschaftlicher Unzumutbarkeit, angesichts der Vielzahl von ihm gehosteter Seiten (nicht nur rechtsextremistischer Gruppen) und der üblicherweise raschen Veränderung der Inhalte fraglich. Soweit es der Staatsanwaltschaft in diesem Zusammenhang nunmehr um eine Unterlassungsstrafbarkeit des Angeschuldigten gehen sollte, ist darauf hinzuweisen, dass der Dienstanbieter eine Prüfungspflicht auch nicht in Fällen hat, in denen ein Verstoß gegen Strafgesetze nahe liegt (vgl. Hoeren aaO. S. 475). § 7 Abs. 2 TMG macht in Bezug auf proaktive Kontrollpflichten des Dienstanbieters keine Unterscheidung im Sinne der von der Staatsanwaltschaft vermutlich gewünschten Art.

3. Schlussfolgerungen

Wie oben schon dargestellt, lässt sich die Entscheidung des KG Berlin eins zu eins auf den Betreiber eines WLANs übertragen. Dieser fällt unter § 8 TMG. Hinzu kommt in tatsächlicher Hinsicht, dass Access Provider Daten nur durchleiten. Sie haben daher praktisch keine Möglichkeit, von den Inhalten, die über ihre Systeme übertragen werden, Kenntnis zu nehmen – und sie dürfen es nach Art. 10 GG, § 88 TKG (Fernmeldegeheimnis) auch gar nicht.

Positive Kenntnis von Inhalten hat der Access Provider daher praktisch nie, wenn er nicht gerade mit seinem Nutzer „kollusiv“ zusammenarbeitet. Eine strafrechtliche Verantwortlichkeit scheidet daher von vornherein aus.

Dementsprechend ist davon auszugehen, dass die Staatsanwaltschaft Berlin gegen einen WLAN-Betreiber nicht einmal Anklage erhoben hätte.

Für die oben angeführten Beispiele der kommunalen Verwaltung und der Schule lässt sich daher sagen: Wenn ein Nutzer eines solchen WLANs über das WLAN Straftaten begeht, dann ist er dafür allein verantwortlich. Die Mitarbeiter der Kommunalverwaltung und die Lehrer haben nichts zu befürchten.

Anmerkung zu LG Berlin, Urt. v. 31.1.2013 – 57 S 87/08: Personenbezug von dyn. IP-Adressen, ZD 2013, 625 erschienen

In eigener Sache:

Mittlerweile ist meine Anmerkung zum Urteil des LG Berlin, Urt. v. 31.1.2013 – 57 S 87/08 (ZD 2013, 618) in der Zeitschrift für Datenschutz (ZD), Heft 12/2013, S. 625 f. erschienen.

Mit dem Urteil (Volltext hier) hat sich das LG Berlin in Bezug auf dynamische IP-Adressen der Theorie des relativen Personenbezugs angeschlossen (s. dazu auch mein Beitrag zu AG München, Urt. v. 30.9.2008 mit weiteren Nachweisen).

Spannend ist übrigens, dass die ZD unmittelbar im Anschluss eine weitere Anmerkung von Per Meyerdierks (zusammen mit Boris Gendelev), dem Justitiar von Google, abgedruckt hat, der sich insbesondere mit dem Urteil im Hinblick auf die Anwendbarkeit von § 15 Abs. 1 TMG auseinandersetzt.

LG Berlin, Urt. v. 31.1.2013: Allein (dynamische) IP-Adresse mit Zugriffszeitpunkt beim Webseiten-Betreiber kein personenbezogenes Datum

Leitsätze (des Verfassers):
1. Soweit der Betreiber einer Webseite nur (dynamische) IP-Adressen ohne den zugehörigen Zeitpunkt des Zugriffs speichert, stellt die IP-Adresse kein personenbezogenes Datum i.S.v. §§ 12 TMG, 3 BDSG dar.

2. Speichert der Betreiber einer Webseite die (dynamische) IP-Adresse mit dem zugehörigen Zeitpunkt des Zugriffs, ist diese nur dann personenbezogen, wenn dem Anbieter die Bestimmung der Person des Nutzers technisch und rechtlich möglich ist, z.B. weil der Nutzer in einem Formular auf der Webseite Klarnamen oder E-Mail-Adresse angegeben hat (relativer Personenbezug).

3. Die Herstellbarkeit eines Personenbezugs bezogen auf ein ansonsten nicht-personenbezogenes Datum in einem Ermittlungs- oder Strafverfahren oder einem Auskunftsverfahren nach § 101 UrhG führt grundsätzlich nicht dazu, dass das Datum für sich bereits als personenbezogen anzusehen ist.

4. Es schließt den Personenbezug der (dynamischen) IP-Adresse nicht aus, wenn die vom Nutzer in einem Formular angegebenen zu einem Personenbezug führenden Daten und die IP-Adresse getrennt gespeichert werden.

5. Der Erlaubnistatbestand des § 100 TKG ist nur auf Telekommunikationsdiensteanbieter und nicht auf Telemediendiensteanbieter anwendbar.

LG Berlin, Urt. v. 31.1.2013 – 57 S 87/08 (Volltext)

In dem Rechtsstreit des …

gegen

die Bundesrepublik Deutschland,

hat die Zivilkammer 57 des Landgerichts Berlin in Berlin – Mitte, Littenstraße 12-17, 10179 Berlin, auf die mündliche Verhandlung vom 31.01.2013 durch die Vorsitzende Richterin am Landgericht …, den Richter … und die Richterin am Landgericht …
für Recht erkannt:

Auf die Berufung des Klägers wird unter Zurückweisung seines Rechtsmittels im Übrigen das am 13. August 2008 verkündete Urteil des Amtsgerichts Tiergarten – 2 C 6/08 – geändert:
Die Beklagte wird verurteilt, es zu unterlassen, die Internetprotokolladresse (IP-Adresse) des zugreifenden Hostsystems des Klägers, die im Zusammenhang mit der Nutzung öffentlich zugänglicher T elemedien der Beklagten im Internet – mit Ausnahme des Internetportals ..http://www.bmj.bund.de.. – übertragen wird, in Verbindung mit dem Zeitpunkt des jeweiligen Nutzungsvorganges über das Ende des jeweiligen Nutzungsvorganges hinaus zu speichern oder durch Dritte speichern zu lassen,

– sofern der Kläger während eines Nutzungsvorganges selbst seine Personalien, auch in Form einer die Personalien des Klägers ausweisenden E-Mail-Anschrift, angibt und
– soweit die Speicherung nicht im Störungsfall zur Wiederherstellung der Verfügbarkeit des Telemediums erforderlich ist.

Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits in beiden Instanzen werden gegeneinander aufgehoben.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Der Kläger kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des jeweils aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, sofern nicht die Beklagte zuvor Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Die Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 5.000,00 €
sofern nicht der Kläger zuvor Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe

A.

Die Beklagte betreibt eine Vielzahl allgemein zugänglicher Internetportale, auf denen aktuelle Informationen von Bundesbehörden und sonstigen Bundesorganen und – einrichtungen vorgehalten und für jedermann zum Abruf bereitgestellt sind. Dabei hält sie nach dem unbestrittenen Klägervortrag „bei den meisten Portalen“ jeden Zugriff auf ihre verschiedenen Informationsangebote in einer Protokolldatei fest. Auf diese Weise verfährt sie unstreitig jedenfalls bei den im Schriftsatz der Beklagten vom 22.03.2010 auf Seiten 21 bis 23 (BI. 124ft. I Band II d. A.), auf den Bezug genommen wird, aufgeführten Portalen.

In den Protokolldateien speichert sie – auch über das Ende des jeweiligen Nutzungsvorganges hinaus ­

  • den Namen der abgerufenen Datei bzw. Seite,
  • einen ggfs. von dem Nutzer in das Suchfeld eingegebenen Begriff,
  • das Datum und die Uhrzeit des Abrufs,
  • die übertragene Datenmenge,
  • die Meldung, ob der Abruf erfolgreich war,
  • die Internet-Protokoll-Adresse (IP-Adresse) des zugreifenden Hostsystems.

Bei der dynamischen IP-Adresse handelt es sich um eine Nummernfolge, die dem Internetnutzer ­ sobald er eine Internetverbindung herstellt – für die Dauer des jeweiligen Nutzungsvorgangs von seinem Zugangsanbieter (Acces-Provider) zugewiesen wird. Sie ermöglicht die Kommunikation vernetzter Geräte – Server und Privatcomputer – im Internet. Bei Abruf einer Seite wird dem Server, auf dem die Seite gespeichert ist, die Adresse des abrufenden Computers mitgeteilt, so dass die Daten über das Internet von dem einen an den anderen Rechner geleitet werden können. Die Zuweisung einer IP-Adresse ist somit aus technischen Gründen zur Übermittlung der abgerufenen Daten an den jeweiligen Internetnutzer erforderlich; sie stellt sicher, dass die abgerufenen Daten an ihn gesendet werden. Eine dynamische IP-Adresse wird zu einem bestimmten Zeitpunkt jeweils nur einem einzigen Nutzer zugewiesen. Die Zuweisung erfolgt aus dem Adresskontingent des Zugangsanbieters.

Die Beklagte verfolgt bei der Speicherung der IP-Adressen über das Ende des jeweiligen Nutzungsvorganges hinaus nach ihren eigenen Angaben u.a. folgende Ziele: 1. Abwehr von Angriffen, 2. Grundlage für die Strafverfolgbarkeit von Angriffen durch Identifizierung des Angreifers und 3. Abschreckungswirkung aufgrund der Strafverfolgbarkeit.

Die Beklagte verzichtet bei einigen der von ihr betriebenen Internetportale darauf, die IP- Adresse der jeweiligen Nutzer zu speichern. Auf die nicht abschließende Aufzählung im Schriftsatz des Klägers vom 26. März 2010 (BI. 166 I Band 11 d.A.) der einzelnen Behörden, die von der Speicherung der IP-Adressen absehen, wird Bezug genommen. Die Beklagte begründet dies damit, dass der „Angriffsdruck“ auf diese Seiten geringer sei.

Der Kläger hat in der Vergangenheit bereits verschiedene andere Internetportale der Beklagten aufgerufen und auch Suchwörter in die Suchmaske eingegeben. Dabei wurde die ihm jeweils zugewiesene IP-Adresse durch die Beklagte und ihre Behörden als Webseitenbetreiber über das Ende des jeweiligen Nutzungsvorganges hinaus gespeichert.

Der Kläger ist der Auffassung, mit der Speicherung der ihm jeweils zugewiesenen IP- Adresse über den Nutzungsvorgang hinaus verstoße die Beklagte gegen § 15 Abs. 4 Telemediengesetz vom 16. Februar 2007 (TMG). Da sie Diensteanbieter im Sinne dieser Vorschrift sei, sei es ihr nicht erlaubt, Nutzungsdaten – zu denen nach § 15 Abs. 1 TMG auch die personenbezogenen Daten eines Nutzers gehörten – über das Ende des Nutzungsvorgangs hinaus zu verwenden. Eine Ausnahme gelte nach den gesetzlichen Vorgaben lediglich, wenn und soweit diese Daten zum Zwecke der Abrechnung mit dem Nutzer erforderlich seien. Zu diesem Zweck speichere die Beklagte die IP-Adresse aber nicht; daher verletze sie mit der Speicherung der ihm jeweils zugewiesenen IP-Adressen sein Recht auf informelle Selbstbestimmung, das Bestandteil seines allgemeinen Persönlichkeitsrechts gemäß Art. 1 und 2 GG sei. Ihm stehe daher gegen die Beklagte ein Unterlassungsanspruch zu, der zum einen auf §§ 1004 Abs. 1 Satz 2, 823 Abs. 1 BGB und daneben auf §§ 1004 Abs. 1 Satz 2, 823 Abs. 2 Satz 1 BGB in Verbindung mit § 15 Abs. 4 TMG beruhe; § 15 Abs. 4 TMG sei ein Schutzgesetz im Sinne von § 823 Abs. 2 BGB.

Bei den ihm von seinem Zugangsanbieter (… Telekommunikation GmbH) beim Aufruf von Webseiten jeweils zugewiesenen IP-Adressen handele es sich um personenbezogene Daten im Sinne von § 15 Abs. 1 TMG und § 3 Abs. 1 BDSG. Rechtfertigende Gründe, die eine Speicherung dieser Adressen über den Nutzungsvorgang hinaus ausnahmsweise zulässig machen könnten, seien nicht ersichtlich. Insbesondere sei der Tatbestand der Ermächtigungsnorm des § 15 Abs. 4 TMG nicht erfüllt. Die Ermächtigungsnorm des § 100 TKG sei nicht einschlägig.

Im übrigen sei die Speicherung der IP-Adressen auch nicht zur Gewährleistung und Aufrechterhaltung der IT-Sicherheit und der Funktionsfähigkeit der Telemedien- und Telekommunikationsnetze der Beklagten erforderlich. Dies ergebe sich bereits daraus, dass die Beklagte eine Vielzahl von Internetportalen betreibe, ohne die jeweiligen IP-Adressen aufzuzeichnen.

Das Amtsgericht Tiergarten hat mit dem am 13. August 2008 verkündeten Urteil die Unter­ lassungsklage wegen seiner fehlenden sachlichen Zuständigkeit als unzulässig abgewiesen und den Streitwert auf 35.000,– € festgesetzt. Der Kläger hat gegen das ihm am 16. August 2008 zugestellte Urteil mit dem am 12. September 2008 eingegangenen Schriftsatz Berufung eingelegt und zugleich gegen die Streitwertfestsetzung des Amtsgerichts Beschwerde erhoben. Auf die Beschwerde hat das Landgericht den Gebührenstreitwert auf 4.000,– € herabgesetzt. Die hiergegen durch die Beklagte erhobene Rechtsbeschwerde hat der Bundessgerichtshof mit Beschluss vom 29. Oktober 2009 als unzulässig verworfen.

Der Kläger verfolgt mit der Berufung seinen erstinstanzlichen Klageantrag weiter und beantragt zuletzt, die Beklagte unter Aufhebung des am 13. August 2008 verkündeten Urteils des Amtsgerichts Tiergarten

zu verurteilen, es zu unterlassen. die Internetprotokolladresse (IP-Adresse) des zugreifenden Hostsystems des Klägers, die im Zusammenhang mit der Nutzung öffentlich zugänglicher Telemedien der Beklagten im Internet – mit Ausnahme des Internetportals http://www.bjm.bund.de – übertragen wird über das Ende des jeweiligen Nutzungsvorgangs hinaus zu speichern oder durch Dritte speichern zu lassen, soweit die Speicherung nicht im Störungsfall zur Wiederherstellung der Verfügbarkeit des Telemediums erforderlich ist,

hilfsweise,
sie zu verurteilen, es zu unterlassen, die Internetprotokolladresse (IP-Adresse) des zugreifenden Hostsystems des Klägers, die im Zusammenhang mit der Nutzung öffentlich zugänglicher Telemedien der Beklagten im Internet – mit Ausnahme des Internetportals http://www.bmLbund.de – übertragen wird in Verbindung mit dem Zeitpunkt des jeweiligen Nutzungsvorgangs über das Ende des jeweiligen Nutzungsvorgangs hinaus zu speichern oder durch Dritte speichern zu lassen, soweit die Speicherung nicht im Störungsfall zur Wiederherstellung der Verfügbarkeit des Telemediums erforderlich ist,

hilfsweise (sinngemäß),
die Verurteilung zur Unterlassung jedenfalls auf die im Schriftsatz der Beklagten vom 22. März 2010, dort Seite 21 – 23 (BI. 124 und 125/ Band 11) genannten Webseiten zu erstrecken.

Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.

Sie rügt zunächst die Zuständigkeit der ordentlichen Gerichtsbarkeit. Gegenstand des Klagebegehrens sei eine öffentlich-rechtliche Streitigkeit, weshalb der Verwaltungsrechtsweg nach § 40 Abs. 1 VwGO eröffnet sei. Die Beklagte komme mit ihren Informationsangeboten ihrer öffentlich rechtlichen Informationspflicht nach. Das von dem Kläger beanstandete Verhalten stehe in einem öffentlich-rechtlichen Funktionszusammenhang, weshalb keine bürgerlich-rechtliche Streitigkeit vorliege.

Das Amtsgericht habe die Klage zu Recht als unzulässig abgewiesen, weil der Streitwert 5.000,-­ EUR übersteige. Der Kläger betreibe den Rechtsstreit als Musterprozess; zudem müssten bei der Festsetzung des Zuständigkeitsstreitwerts die hohe Anzahl der Server, auf die sich das Unterlassungsbegehren beziehe, und die damit zusammenhängenden wirtschaftlichen Auswirkungen auf die Parteien Berücksichtigung finden.

Die Beklagte meint, sie sei nicht passivlegitimiert. Der Kläger verlange die beantragte Unterlassung von der gesamten Bundesrepublik Deutschland. Dieser Antrag schließe nicht nur Telemedienangebote im Geschäftsbereich des Bundesministeriums des Innern ein, sondern auch die Geschäftsbereiche anderer Ministerien. Gemäß Art. 65 Abs. 1 Satz 2 GG liege die Vertretungskompetenz jedoch für den jeweiligen Geschäftsbereich bei den einzelnen Bundesministerien. Das Bundesministerium des Innern sei nicht in der Lage, gegenüber anderen Verfassungsorganen, wie z. B. dem Bundestag, Weisungen zu erteilen und damit ein mögliches Unterlassungsurteil um- und durchzusetzen. Daher könne eine Verurteilung nur insoweit erfolgen, als die Vertretungsbefugnis reiche. Im vorliegenden Fall sei der Klageantrag daher unbegründet, soweit er auf Telemedienangebote außerhalb des Geschäftsbereichs des Bundesministerium des Innern gerichtet sei.

Die Klage sei schließlich unbegründet, weil dynamische IP-Adressen keine personenbezogenen Daten seien. Diese müssten sich auf bestimmte oder bestimmbare Personen beziehen. Sofern sich ein unmittelbarer Bezug zu einer bestimmten Person nicht herstellen lasse, seien die Daten nur dann personen bezogen, wenn die betroffene Person bestimmbar sei. Dies treffe auf dynamische IP-Adressen nicht zu. Nur der Zugangsanbieter der IP-Adresse könne zusammen mit einer Zeitangabe (Datum und Uhrzeit) eine IP-Adresse einem seiner Kunden zuordnen. Der Beklagten sei es dagegen nicht möglich, mit den ihr zur Verfügung stehenden Informationen die zum Datenabruf verwendete IP-Adresse zu individualisieren. Aus den öffentlich zugänglichen Datenbanken könne lediglich ermittelt werden, aus welchem Adressbereich eines Zugangsanbieters eine IP-Adresse stamme. Da eine Individualisierung zudem nur aufgrund einer konkreten Zeitangabe (Datum und Uhrzeit) erfolgen könne, sei allenfalls dem Hilfsantrag des Klägers, in keinem Fall aber seinem Hauptantrag stattzugeben.

Gegen die Qualifizierung von dynamischen IP-Adressen als personenbezogene Daten im Sinne von § 15 Abs. 1 TMG spreche ferner, dass der Zugangsanbieter nicht ohne weiteres berechtigt sei, die gespeicherten Daten weiterzugeben. Nach § 88 Abs. 3 Satz 3 TKG dürfe er nur Daten weitergeben, wenn und soweit das Telekommunikationsgesetz oder eine andere gesetzliche Vorschrift dies bestimme. Dem Datenaustausch zwischen Zugangsanbieter und der speichernden Stelle seien somit enge gesetzliche Grenzen gesetzt.

Die Speicherung der IP-Adressen sei zur Gewährleistung und Aufrechterhaltung der IT- Sicherheit und der Funktionsfähigkeit der Telemedien- und Telekommunikationsnetze der Beklagten erforderlich. Zur Erkennung und Abwehr von sog. DOS-Angriffen („denial of service“, d.h. ein Lahmlegen der T elekommunikationsinfrastruktur durch gezieltes und koordiniertes Fluten einzelner Webserver mit einer Vielzahl von Anfragen) setze die Beklagte ein Anomalisierungserkennungssystem ein, bei dem bestimmte Kennzahlen des normalen Datenverkehrs aufgezeichnet und Abweichungen als mögliche Angriffe eingestuft würden. Zur Anomalieerkennung müssten insbesondere die IP-Adressen über einen gewissen Zeitraum gesichert und ausgewertet werden, da sich Anomalien erst in einer Rückschau erkennen ließen. Diese Analyse könne mehrere Wochen dauern (BI. 129 – 134/ Band II d. A).

Die Beklagte behauptet, die Speicherung und Verwendung von IP-Adressen sei unverzichtbare Grundlage für die mittelbar wirksame IT-Sicherheitsmaßnahme der Protokollierung (BI. 132/ Band 11 d. A).

Die Zulässigkeit der Speicherung beruhe schließlich auch auf § 100 Abs. 1 TKG und auf § 5 des Gesetzes über das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (BSIG).

Das Gericht hat Beweis erhoben durch Einholung eines schriftlichen Sachverständigengutachtens mit Beschluss vom 20.05.2010 (BI. 17 / Band 111 d. A) in der geänderten Fassung des Beschlusses vom 22.03.2011 (BI. 101, Band 111 d.A.). Hinsichtlich des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf das Sachverständigengutachten vom 29.07.2011 (BI. 103 ff. / Band 111 d. A) Bezug genommen. Mit Beschluss vom 04.01.2012 (BI. 144/ Band 111 d. A) hat die Kammer eine Erläuterung und Ergänzung des Sachverständigengutachtens angeordnet. Auf die Erläuterungen des Sachverständigen zum Gutachten vom 07.05.2012 (BI. 152 ff. / Band 111 d. A) wird Bezug genommen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Parteivorbringens wird ergänzend auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils, auf den vorgetragenen Inhalt der gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie auf die Sitzungsniederschriften in beiden Instanzen verwiesen.

B.

Die statthafte, form- und fristgerecht eingelegte Berufung des Klägers ist teilweise begründet, denn die zulässige Klage ist nur in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang begründet.

I. Zulässigkeit der Klage

1) Rechtsweg

Der Rechtsweg zu den ordentlichen Gerichten ist eröffnet (§ 13 GVG). Ob eine Streitigkeit öffentlich- oder bürgerlichrechtlich ist, richtet sich, wenn – wie hier – eine ausdrückliche Rechtswegzuweisung des Gesetzgebers fehlt, nach der Natur des Rechtsverhältnisses, aus dem der Klageanspruch hergeleitet wird. Dabei kommt es regelmäßig darauf an, ob die an der Streitigkeit Beteiligten zueinander in einem hoheitlichen Verhältnis der Über- und Unterordnung stehen und ob sich der Träger hoheitlicher Gewalt der besonderen, ihm zugeordneten Rechtssätze des öffentlichen Rechts bedient oder ob er sich den für jedermann geltenden zivilrechtlichen Regelungen unterstellt (GmS-OGB v. 29.10.1987, NJW 1988, 2295, 2296). Maßgebend ist danach der Gegenstand der Streitigkeit. Stehen sich die Parteien in einem Gleichordnungsverhältnis gegenüber, sind die Rechtsverhältnisse als öffentlich-rechtlich zu qualifizieren, wenn die das Rechtsverhältnis beherrschenden Rechtsnormen überwiegend den Interessen der Allgemeinheit dienen, wenn sie sich nur an Hoheitsträger wenden oder wenn die Beklagte als Träger öffentlicher Aufgaben bei der Erledigung dieser Aufgaben einem Sonderrecht unterworfen ist und nicht Rechtssätzen, die für jedermann gelten (GmS- OGB v. 10.7.1989, NJW 1990,1527).

Unter Heranziehung dieser Grundsätzen liegt keine öffentlich-rechtliche Streitigkeit vor. Der Kläger wendet sich mit seinem Klageantrag nicht gegen ein hoheitliches Handeln der Beklagten. Die Beklagte nimmt zwar eine öffentlich-rechtliche Aufgabe wahr, indem sie Informationen auf Webseiten zur Verfügung stellt. Bei der technischen Ausgestaltung (nicht der inhaltlichen Ausgestaltung) ihrer Informationsangebote ist sie aber an gesetzliche Regelungen (Telemediengesetz, Bundesdatenschutzgesetz usw.) gebunden, bei denen es sich nicht um Rechtssätze handelt, die speziell auf sie als Trägerin öffentlicher Gewalt zugeschnitten wären. Die Zulässigkeit der Speicherung von temporär zugewiesenen dynamischen IP-Adresse ist nicht durch Rechtsvorschriften geregelt, die ausschließlich auf die Beklagte als Trägerin öffentlicher Gewalt zugeschnitten wären. Vielmehr handelt es sich um Rechtssätze, die für jedermann gelten. Der von dem Kläger geltend gemachte Unterlassungsanspruch ist daher bürgerlich-rechtlicher Natur.

2) Prozessfähigkeit der Beklagten
Die Beklagte wird im Prozess gemäß § 51 Abs. 1 ZPO von dem Bundesministerium des Innern vertreten. Die Bundesrepublik wird durch den jeweils zuständigen Bundesminister, der nach Art. 65 Satz 2 GG im Rahmen der vom Bundeskanzler bestimmten Richtlinien der Politik seinen Geschäftsbereich selbständig und eigenverantwortlich leitet, innerhalb seines Ressorts vertreten (Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 15.06.1967, 111 ZR 137/64, zit. nach juris). Nach dem Organisationsplan des Bundesministerium des Innern ist die Abteilung IT-D für die IT-Steuerung des Bundes sowie IT-Infrastrukturen und das IT-Sicherheitsmanagement des Bundes zuständig. Die hier zu entscheidende Streitfrage unterfällt damit dem Ressort des Bundesministerium des Innern.

3) Zuständigkeit des Amtsgerichts
Das Amtsgericht hat die Klage zu Unrecht mit der Begründung als unzulässig abgewiesen, der Streitwert der Klage übersteige den in § 23 Nr. 1 GVG benannten Wert von 5.000,– €. Der Zuständigkeitsstreitwert beträgt lediglich 4.000,– €. Wegen der weiteren Einzelheiten der Wertfestsetzung wird auf den Beschluss der Kammer vom 7. April 2009 (BI. 35 – 39 I Band 11 d. A) Bezug genommen.

4) Bestimmtheit der Anträge
Der Klageantrag ist im Haupt- und ersten Hilfsantrag auch ohne Angabe der jeweils von der Klägerin betriebenen Webseiten im Sinne von § 253 Abs. 1 ZPO hinreichend bestimmt, da die Vollstreckungsfähigkeit einer den Klageantrag stattgebenden Entscheidung geWährleistet ist. Hauptantrag und erster Hilfsantrag erstrecken sich auf sämtliche öffentlich zugängliche Telemedien der Beklagten im Internet mit Ausnahme des Internetportals http://www.bmj.bund.de. Die Vollstreckung des Unterlassungstitels richtet sich nach § 890 ZPO. Der Schuldner ist wegen jeder Zuwiderhandlung auf Antrag des Gläubigers zu einem Ordnungsgeld zu verurteilen. Die Vollstreckung eines Urteils, dessen Tenor dem Klageantrag entspricht, wäre daher möglich. Denn hinsichtlich jeder Webseite, bezüglich derer der Kläger einen Antrag nach § 890 ZPO stellen würde, stünde eindeutig fest, ob diese Webseite durch die Beklagte als Diensteanbieter im Sinne von § 15 Abs. 1 und 4 TMG betrieben wird. Die Bestimmung des Anbieters ist durch Kenntnisnahme öffentlich zugänglicher Quellen möglich.

II. Begründetheit der Klage

Die Klage ist im ersten Hilfsantrag teilweise begründet.

Der Kläger hat gegen die Beklagte einen Anspruch auf Unterlassung im tenorierten Umfang aus §§ 1004 Abs. 1 Satz 2 BGB analog, 823 Abs. 1, Abs. 2 BGB i. V. m. Art 1 Abs. 1, 2 Abs. 1 GG, 4 Abs. 1 BDSG, 12 Abs. 1 TMG. Ein weitergehender Unterlassungsanspruch besteht nicht.

1) Passivlegitimation
Die Beklagte ist passivlegitimiert. Der Anspruch richtet sich gegen den verantwortlichen Betreiber des jeweiligen Internetportals. Dies ist für die streitgegenständlichen Internetportale die Beklagte. Die Beklagte hat nicht behauptet, sie sei nicht verantwortliche Betreiberin der streitgegenständlichen Portale. Auf die Weisungsbefugnis des Bundesministerium des Innern als des im Prozess berufenen Vertreters gegenüber sämtlichen betroffenen Organen der Beklagten kommt es indes nicht an. Denn die Beklagte wird durch die Verurteilung unmittelbar zur Unterlassung verpflichtet. Wie sie diese Verpflichtung praktisch umsetzt, ist ihr überlassen.

2) Unterlassungsanspruch
Der Kläger kann von der Beklagten aus §§ 1004 Abs. 1 Satz 2 BGB analog, 823 Abs. 1, Abs. 2 BGB i. V. m. Art 1 Abs. 1, 2 Abs. 1 GG, 4 Abs. 1 BDSG, 12 TMG verlangen, es zu unterlassen, die Internetprotokolladresse (IP-Adresse) seines zugreifenden Hostsystems, die im Zusammenhang mit der Nutzung öffentlich zugänglicher Telemedien der Beklagten im Internet – mit Ausnahme des Internetportals ..http://www.bmj.bund.de.. – übertragen wird, in Verbindung mit dem Zeitpunkt des jeweiligen Nutzungsvorganges über das Ende des jeweiligen Nutzungsvorganges hinaus zu speichern oder durch Dritte speichern zu lassen, sofern der Kläger während eines Nutzungsvorganges selbst seine Personalien, auch in Form einer die Personalien des Klägers ausweisenden E-Mail-Anschrift, angibt und soweit die Speicherung nicht im Störungsfall zur Wiederherstellung der Verfügbarkeit des Telemediums erforderlich ist.

a) § 12 TMG
Unter den genannten Bedingungen ist die dynamische IP-Adresse des Klägers in Verbindung mit dem Zeitpunkt des jeweiligen Nutzungsvorgangs ein personenbezogenes Datum im Sinne des § 12 TMG.

aa) Anwendbarkeit der §§ 11 ff. TMG
Die §§ 11 ff. TMG sind vorliegend einschlägig, da es um die Erhebung und Verwendung von Daten eines Nutzers eines Telemediendienstes geht. Nach § 1 Abs. 1 Satz 1 TMG stellen alle elektronischen Informations- und Kommunikationsdienste einen Teledienst dar, soweit diese – wie vorliegend der Fall – nicht als Telekommunikationsangebote (im Sinne des § 3 Nr. 24 TKG, § 3 Nr. 25 TKG) einzuordnen sind (s. auch weiter unten).

bb) personenbezogenes Datum
Nach der Legaldefinition des § 3 BDSG sind personenbezogene Daten Einzelangaben über persönliche oder sachliche Verhältnisse einer bestimmten oder bestimmbaren natürlichen Person. Die EG-Datenschutzrichtlinie 95/46/EG definiert in Art. 2 a) personenbezogene Daten als alle Informationen über eine bestimmte oder bestimmbare natürliche Person. Als bestimmbar wird eine Person angesehen, die direkt oder indirekt identifziert werden kann, insbesondere durch Zuordnung einer Kennummer oder zu einem oder mehreren spezifischen Elementen, die Ausdruck ihrer physischen, physiologischen, psychischen, wirtschaftlichen, kulturellen oder sozialen Identität sind. Im Erwägungsgrund Ziffer 26 zu dieser Richtlinie heißt es, dass bei der Entscheidung, ob eine Person bestimmbar ist, alle Mittel berücksichtigt werden sollten, die vernünftigerweise entweder von dem Verantwortlichen für die Verarbeitung oder von einem Dritten eingesetzt werden könnten, um die betreffende Person zu bestimmen. Die Schutzprinzipien sollen keine Anwendung auf Daten finden, die derart anonymisiert sind, dass die betroffene Person nicht mehr identifizierbar ist.

In der Literatur wird „Bestimmtheit“ angenommen, wenn sich die Daten direkt auf eine bestimmte Person beziehen, wenn sie also einen unmittelbaren Rückschluss auf die Identität einer Person zulassen. „Bestimmbarkeit“ wird angenommen, wenn die konkrete Person nicht allein durch die Daten identifiziert, jedoch mit Hilfe anderer Informationen und Zusatzwissen ein Personenbezug hergestellt werden kann (Krüger, Maucher, MMR 2011,433 ff., 434).

Auf dieser Grundlage ist allgemein anerkannt, dass die IP-Adresse in der Hand des Zugangsanbieters („Acces-Provider“), der über die Bestands- und Vertragsdaten seiner Kunden und über die seinen Kunden für den jeweiligen Internetzugriff zugewiesenen IP-Adresse verfügt, ein personenbezogenes Datum ist (Urteil des BVerfG vom 02.03.2010 zur Vorratsdatenspeicherung, 1 BvR 256/08, 1 BvR 263/08, 1 BvR 586/08, zit. nach juris; Urteil des BGH vom 12.05.2010, I ZR 121/08, zit. nach juris; Urteil des BGH vom 13.01.2011, 111 ZR 146/10, zit. nach juris).
Ob das auch für einen Internetseitenbetreiber gilt, der über Personaldaten der Nutzer in der Regel nicht verfügt, ist noch nicht höchstrichterlich entschieden. Die Antwort richtet sich nach der Auslegung des Begriffs „bestimmbar“.

Insoweit gibt es zwei Ansätze. Nach dem absoluten Verständnis reicht es aus, dass irgendein Dritter, beispielsweise der Zugangsanbieter, über das notwendige Zusatzwissen zur Herstellung des Personenbezugs verfügt. Auf die Möglichkeiten der die Daten verarbeitenden Stelle, an dieses Zusatzwissen zu gelangen, kommt es danach nicht an. Nach diesem Verständnis ist in der Konsequenz das „gesamte Weltwissen“ einzubeziehen.

Nach dem relativen Verständnis kommt es auf das Zusatzwissen der konkret verarbeitenden Stelle bzw. auf ihre (technische und ggfs. rechtliche) Möglichkeit an, sich dieses zu verschaffen.

Eine Analyse der wesentlichen Stimmen in Rechtsprechung und Literatur ergibt, dass im Ergebnis immer auf den relativen Begriff abgestellt wird, indem die Frage gestellt wird, ob und wie die Zuordnung für die verarbeitende Stelle mittels anderer Daten möglich ist. So wird darauf abgestellt, ob der Personenbezug „ohne großen Aufwand“ (Amtsgericht Berlin-Mitte, Urteil vom 27.03.2007, 5 C 314/06, zit. nach juris; Arbeitskreis Medien; Orientierungshilfe zum Umgang mit personenbezogenen Daten bei Internetdiensten, Abschnitt 3.1, abrufbar unter: http.llwww.datenschutz.hessen.de/_old_contentltb31/k25p03.htm). „mit normalen Mitteln“ (Beschluss des Hanseatischen Oberlandesgerichts Hamburg vom 03.11.2010, 5 W 126/10, zit. nach juris) oder „mit den normalerweise zur Verfügung stehenden Kenntnissen und Hilfsmitteln und ohne unverhältnismäßigen Aufwand“ (AG München, Urteil vom 30.09.2008, 133 C 5677/08, Rn. 22 – 24, zit. nach juris) möglich ist. Die Artikel-29-Datenschutzgruppe geht in ihrer Stellungnahme 4/2007, Seite 17/18, davon aus, dass die rein hypothetische Möglichkeit nicht reiche, wenn sie nicht bestehe oder vernachlässigbar sei, wobei alle relevanten Kontextfaktoren zu berücksichtigen seien.

Auch die Kammer folgt dem relativen Ansatz. Nach Auffassung der Kammer führt das absolute Verständnis zu einer uferlosen und damit unpraktikablen Ausdehnung des Datenschutzes, die vom Gesetzgeber so nicht gewollt ist. Nach dem absoluten Verständnis genügt eine rein theoretische Möglichkeit der Herstellung des Personenbezugs. Nach der relativen Theorie muss die Herstellung des Personenbezugs auch praktisch möglich sein. Es überzeugt nicht, schon bei einer rein theoretischen Bestimmbarkeit der Person diese unter den Schutz der informationellen Selbstbestimmung zu stellen, da eine rein theoretische Möglichkeit des Betroffenseins die schutzwürdigen Belange der Person gerade nicht berührt, so wie eine nur theoretische Gefahr keiner Abwehr bedarf. Etwas, das nur theoretisch bestimmbar ist, ist eben nicht tatsächlich bestimmbar.

Nach dem hier vertretenen relativen Ansatz muss die Bestimmung der Person technisch und rechtlich möglich sein und darf zudem nicht einen Aufwand erfordern, der außer Verhältnis zum Nutzen der Information für die verarbeitende Stelle steht. Es hat eine Abwägung im Einzelfall zu der Frage zu erfolgen, ob der Datenschutz erforderlich ist bzw. wie weit er reichen soll. Bei der Abwägung ist insbesondere zu berücksichtigen,

– welche Hürden bestehen, bevor die verarbeitende Stelle an die Zusatzinformation herankommt,
– ob und welche Missbrauchszenarien eine Rolle spielen,
– ob der Schutz des Klägers auch ohne den von ihm geforderten, umfassenden Datenschutz ausreichend ist,
– wie der gesellschaftliche Anspruch auf Strafverfolgung auch von Straftaten im Internet im Verhältnis zum Schutz des Klägers in Ansehung seines Anspruches auf Anonymität im Internet zu bewerten ist,
– wie groß die Gefahr ist, dass gegen tatsächlich unbeteiligte Anschlussinhaber ermittelt wird.

In Fällen, in denen der Nutzer seinen Klarnamen, z. B. auch durch eine entsprechende E-Mail­ Adresse, offen legt, etwa um während einer Kommunikationssitzung eine Broschüre zu bestellen, ist nach den genannten Parametern ein Personenbezug der dynamischen IP-Adresse zu bejahen, da das Kriterium der Bestimmbarkeit erfüllt ist (vgl. insoweit auch den Landesbeauftragten für den Datenschutz in Niedersachsen in seiner Darstellung auf der Homepage http://www.lfd.niedersachsen.de. dort zur Überschrift: Speicherung und Weitergabe von Internetadressen, dort Abs. 2). Zwar besteht die IP-Adresse selbst nur aus Ziffern; jedoch kann die Beklagte durch Abgleich der IP-Adresse in Verbindung mit dem Zeitpunkt des jeweiligen Zugriffs und mit dem Zeitpunkt der unter dem Klarnamen erfolgten Kontaktaufnahme, den Klarnamen des Nutzers mit der jeweiligen IP-Adresse verknüpfen. Die Beklagte kann jedenfalls in dem Augenblick der Eingabe/Sendung die im Web-Server gespeicherte IP-Adresse dem Nutzer selbst und ohne Einbeziehung des Zugangsanbieters zuordnen und ist sodann vielfach in der Lage, das Surfverhalten des Nutzers während dessen Besuch auf ihrem Portal unter der bekannten IP-Adresse nachzuvollziehen.

Der Einwand der Beklagten, die dynamische IP-Adresse könne zu jedem Zeitpunkt einem anderen Nutzer zugeordnet sein, so dass durch einen Abgleich gerade keine sichere Kenntnis des Surf­ Verhaltens des seine Klardaten preisgebenden Nutzers möglich sei, überzeugt nicht. Zum einen wird die dynamische IP-Adresse in der Regel nicht in kurzen Zeitintervallen (sekündlich oder minütlich) neu vergeben, sondern bleibt dem jeweiligen Computer für einen längeren Zeitraum, in der Regel bis zur Beendigung der Internet-Verbindung, zugeordnet. Zum anderen ist nicht ausgeschlossen, dass ein thematischer Bezug zwischen dem Anlass der Kontaktaufnahme mit Klardaten und der unter der jeweiligen IP-Adresse zuvor und danach durchgeführten Surf-Session hergestellt werden kann.

Die Beklagte wendet weiter ein, dass sie die Formulareingaben teilweise nicht zusammen mit der IP-Adresse und dem Zeitpunkt des Serverzugriffes erfasse und speichere. Formulareingaben und Serverzugriffe würden getrennt erfasst, gespeichert und verarbeitet. Die Formulareingaben würden nicht in einer Protokolldatei erfasst. Die getrennten Daten seien nachträglich nicht mehr zusammenführbar. Der Kläger habe daher allenfalls einen Anspruch darauf, dass Formulareingaben getrennt von IP-Adressen erfasst werden, was problemlos möglich sei.

Unter Anwendung obiger Parameter zur Bestimmbarkeit ist jedoch von einer leichten und direkten Möglichkeit der Beklagten auszugehen, die Daten zu verknüpfen. Denn beide Daten befinden sich – wenn auch an unterschiedlichen Stellen ihrer Organisation – in ihrer Verfügungsgewalt. Dabei kommt es auch nicht darauf an, ob die Beklagte den Abgleich vornehmen will oder nicht.

Dass die Zusammenführung der getrennt gespeicherten Daten technisch möglich ist, hat der Kläger dargestellt, dem ist die Beklagte schriftsätzlich nicht mehr entgegengetreten.

cc) Erlaubnistatbestand
Der Umgang mit personenbezogenen Daten greift in das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung ein, das sich aus Art. 1 Abs. 1 GG i. V. m. Art. 2 Abs. 1 GG ableitet (vgl. BVerfGE 65, 1 ff.). Danach ist grundsätzlich jeder Umgang mit personenbezogenen Daten einer natürlichen Person verboten. Gemäß § 12 TMG darf der Diensteanbieter personenbezogene Daten zur Bereitstellung von Telemedien (§ 12 Abs. 1 TMG) sowie für andere Zwecke (§ 12 Abs. 2 TMG) nur erheben und verwenden, soweit das TMG oder eine andere Rechtsvorschrift, die sich ausdrücklich auf Telemedien bezieht, es erlaubt oder der Nutzer eingewilligt hat. Beides ist vorliegend nicht der Fall.

(1) Einwilligung
Die Beklagte ist der Meinung, der Kläger würde in die Erhebung und Verwendung seiner personenbezogenen Daten einwilligen, wenn er ihr unter Angabe seiner Klardaten eine Email oder ein auf dem Internetportal zur Verfügung gestelltes Formular übersende.

Die mit der Preisgabe der Klardaten verbundene Einwilligung des Klägers ist in diesem Fall jedoch inhaltlich beschränkt auf den mit der jeweiligen Email bzw. dem jeweiligen Formular verbundenen Zweck. Sie stellt keine Einwilligung im datenschutzrechtlichen Sinne dahin dar, dass auch die von ihm verwendete IP-Adresse in Verbindung mit dem Zeitpunkt des Zugriffs erhoben und gespeichert wird (vgl. zur Zweckbindung der Einwilligung: Roßnagel-Bizer/Hornung, Beck’scher Kommentar zum Recht der Telemediendienste 2013, § 12 TMG Rn. 68). Darüber hinaus fehlt es an dem erforderlichen Hinweis des Anbieters gemäß § 4a Abs. 1 Satz 2 BDSG (vgl. Roßnagel, aaO, § 12 TMG Rn. 72 ff.) sowie der erforderlichen Form (vgl. Roßnagel, aaO, § 12 TMG Rn. 76 ff.).

(2) § 15 Abs. 4 TMG
Gemäß § 15 Abs. 4 TMG dürfen personenbezogene Daten (Nutzungsdaten) über das Ende des Nutzungsvorganges hinaus nur verwendet werden, soweit sie für Zwecke der Abrechnung mit dem Nutzer erforderlich sind. Ein solcher Zweck wird vorliegend nicht geltend gemacht und ist auch nicht ersichtlich. Die Speicherung von IP-Nummern ist für Abrechnungszwecke in der Regel nicht erforderlich (Roßnagel, aaO, § 15 TMG Rn. 74).

(3) § 15 Abs. 1 TMG
Gemäß § 15 Abs. 1 TMG ist die Erhebung und Verwendung von personenbezogenen Daten (Nutzungsdaten) erlaubt, wenn dies für die Ermöglichung der Inanspruchnahme des Telemediums erforderlich ist.

Die Registrierung (als Erhebung) und Speicherung (als Verwendung) der IP-Adresse des Klägers durch die Beklagte bis zum Ende des Nutzungsvorganges ist in diesem Sinne für die Inanspruchnahme des Telemediums erforderlich, weil die IP-Adresse den Empfänger der von der Web-Seite der Beklagten ausgehenden Datenpakete bestimmt.

Jedoch ist die hier im Streit stehende Speicherung der IP-Adresse über das Ende des Nutzungsvorganges hinaus (als Verwendung personenbezogener Daten) nicht erforderlich für die Ermöglichung oder Inanspruchnahme des Telemediums.

Es ist schon fraglich, ob § 15 Abs. 1 TMG überhaupt Verwendungen von personenbezogenen Daten über das Ende des Nutzungsvorganges hinaus erlaubt oder § 15 Abs. 4 TMG für diese Verwendungen von Daten abschließend ist. Denn § 15 Abs. 4 TMG erlaubt die weitere Verwendung von Daten, die unter den Voraussetzungen des § 15 Abs. 1 TMG erhoben und verwendet wurden (Roßnagel, aaO, § 15 TMG Rn. 72). Der Diensteanbieter hat die bei der Inanspruchnahme von Telemedien gespeicherten Nutzungsdaten frühestmöglich, spätestens unmittelbar nach Ende der jeweiligen Nutzung zu löschen. Ausgenommen hiervon sind lediglich solche Nutzungsdaten, die für Abrechnungszwecke (§ 15 Abs. 4 TMG) erforderlich sind (Roßnagel, aaO, § 15 TMG Rn. 54).

Diese Frage kann jedoch dahinstehen, da die Speicherung der IP-Adresse über das Ende des Nutzungsvorgangs hinaus für die Ermöglichung des Angebots nicht erforderlich ist.

Ein starkes Indiz für die Nichterforderlichkeit ist in tatsächlicher Hinsicht, dass die Beklagte den Zugriff auf viele ihrer Seiten auch ohne Speicherung der IP-Adresse ermöglicht.

Dies ist unstreitig, nachdem der Kläger konkrete Internetportale der Beklagten benannt hat, bei denen sie darauf verzichtet, die IP- Adresse der jeweiligen Nutzer zu speichern (vgl. die Aufzählung der einzelnen Webseiten im Schriftsatz des Klägers vom 26. März 2010 (BI. 166 / Band 11 d. A). Dies hat die Beklagte mit Schriftsatz vom 28.06.2010 (BI. 35 ff / Band 111 d. A) zwar pauschal bestritten und vorgetragen, dass „etwa“ das Bundeskriminalamt keine IP-Adressen von Besuchern seiner Webseiten speichere, dass jedoch das Zentrum für Informationsverarbeitung und Informationstechnik als IT-Dienstleister aus dem Geschäftsbereich des Finanzministeriums die Webseiten des Bundeskriminalamtes hoste und die IP-Adressen speichere. „Einige Behörden der Bundesverwaltung“ hätten den Betrieb von Webservern auch an private Dienstleister ausgelagert, bei denen „davon auszugehen“ sei, dass sie eine Speicherung von IP-Adressen vornähmen (BI. 42f. Band 111 d. A). Jedoch trifft die Beklagte in diesem Zusammenhang eine sekundäre Darlegungslast, da nur sie einen Einblick in die Speicherpraxis ihrer Behörden hat. Dieser Darlegungslast hat sie mangels substantiierten Vortrags, dass bei den vom Kläger konkret benannten Portalen die IP-Adresse von Externen gespeichert werde, nicht genüge getan. Hinzu kommt, dass der Kläger im Schriftsatz vom 01.10.2010 (BI. 61ff. / Band 111 d. A) auf eine Erklärung des Bundesdatenschutzbeauftragten aus dem Jahr 2008 Bezug nimmt, nach der mehrere der genannten Anbieter ausdrücklich erklärt hätten, keinen externen Serverbetreiber einzuschalten. Dies wiederum hat die Beklagte nicht bestritten, was bedeutet, dass sie ihr (ohnehin unsubstantiiertes) „Bestreiten“ nicht aufrecht erhält.

Jedenfalls aber ist unstreitig, dass im Rahmen der vom Bundesministerium der Justiz betriebenen Internetseiten eine Speicherung der IP-Adressen der Nutzer nicht vorgenommen wird.

In rechtlicher Hinsicht ist der Begriff der Erforderlichkeit eng auszulegen (vgl. Spindler-Schuster, Recht der elektronischen Medien, 2. Auflage, § 15 Rn. 5). Nach Auffassung der Kammer umfasst er nicht den sicheren Betrieb der Seite, für den die Speicherung der IP-Adresse über das Ende des Nutzungsvorganges hinaus unter Umständen erforderlich ist. Denn ansonsten wäre die Einführung eines Erlaubnistatbestandes zwecks Abwehr von Angriffen zum Schutz der Systeme entsprechend § 100 TKG, die die Bundesregierung zunächst durch Einführung eines § 15 Abs. 9 TMG beabsichtigt hatte, gar nicht erforderlich gewesen. Bedeutsam ist in diesem Zusammenhang ein Vergleich mit der Systematik des TKG: § 96 Abs. 1 Nr. 5 TKG regelt den Umgang mit zum Zweck des Aufbaus und der Aufrechterhaltung der Telekommunikation erforderlichen Daten; in § 100 TKG ist die Abwehr von Gefahren geregelt (Scheurle/Mayen Büttgen, Telekommunikationsgesetz Kommentar, 2. Auflage 2008, § 96 Rn. 7). Dies bedeutet, dass in dem Zweck der Aufrechterhaltung der Telekommunikation nicht die Gefahrenabwehr enthalten sein kann.

(4) § 100 TKG
Die Datenschutzregeln des Telekommunikationsgesetzes, §§ 91 ff. TKG, sind vorliegend nicht anwendbar, da es bei dem hier streitgegenständlichen Diensteangebot der Beklagten nicht um die geschäftsmäßige Erbringung von Telekommunikationsdiensten geht. § 100 TKG räumt nur dem Anbieter von Telekommunikationsleistungen Befugnisse zur Erhebung und Verwendung personenbezogener Daten von Teilnehmern und Nutzern ein.

Diensteanbieter ist nach der Legaldefinition des § 3 Nr. 6a TKG jeder, der ganz oder teilweise geschäftsmäßig Telekommunikationsdienste erbringt oder an der Erbringung solcher Dienste mitwirkt. Ein Telekommunikationsdienst ist nach der Legaldefinition des § 3 Nr. 24 TKG ein (in der Regel gegen Geld) erbrachter Dienst, der ganz oder überwiegend in der Übertragung von Signalen über Telekommunikationsnetze besteht.

Die Beklagte ist hinsichtlich der hier im Streit stehenden Nutzung eines Telemediums durch den Kläger jedoch nur Anbieter eines Telemediums, nicht jedoch einer Telekommunikationsdienstleistung. Ein Telekommunikationsangebot (im Sinne des § 3 Nr. 24 TKG) liegt nicht vor.

Soweit die Beklagte sich darauf beruft, dass sie auch Telekommunikationsleistungen anbiete, die sie ihren Behörden und Dienststellen zur Nutzung zur Verfügung stelle, weshalb sie Gefahren für ihre IT-Systeme abwehren müsse, führt dies nicht zur Anwendbarkeit des § 100 TKG. Es mag sein, dass die Beklagte gegenüber ihren Behörden und Dienststellen auch Telekommunikationsdienste anbietet. Jedoch stellt dies kein geschäftsmäßiges Erbringen von Telekommunikationsdiensten im Sinne von § 3 Nr. 10 TKG dar, da das Angebot nicht Dritten außerhalb der Behörden zur Verfügung steht. Darüber hinaus gibt § 100 Abs. 1 TKG nach seinem Wortlaut und Sinn und Zweck nur Eingriffsbefugnisse gegenüber den Teilnehmern und Nutzern der Telekommunikationsdienstleistungen und nicht den Nutzern anderer (Telemedien-) Dienstleistungen, um die es vorliegend geht. Der Begriff des „Nutzers“ ist in § 3 Nr. 14 TKG legaldefiniert als eine Person, die einen Telekommunikationsdienst in Anspruch nimmt. Dies ist der Kläger auch nach dem Sachvortrag der Beklagten nicht.

Die analoge Anwendung von § 100 TKG auf den Anbieter von Telemediendienstleistungen ist ausgeschlossen, da es sich bei § 15 TMG um eine abschließende Regelung handelt. Eine Regelungslücke liegt nicht vor. Dies ergibt sich zum einen eindeutig aus dem Wortlaut des § 15 Abs. 1 TMG: „Der Diensteanbieter … darf personenbezogene Daten eines Nutzers nur erheben und verwenden, …“. Zu anderen folgt dies daraus, dass der Gesetzentwurf ursprünglich vorsah, in § 15 Abs. 9 TMG eine dem § 100 TKG inhaltlich entsprechende Regelung aufzunehmen, was jedoch ersatzlos gestrichen wurde.

Auch ist das betroffene Rechtsgut der informationellen Selbstbestimmung grundrechtlich geschützt (Art. 1 Abs. 1, 2 Abs. 1 GG), so dass hinsichtlich eines Erlaubnistatbestandes ein Analogieverbot besteht.

(5) § 904 BGB analog
Die Zulässigkeit der Datenspeicherung ergibt sich auch nicht aus einer analogen Heranziehung des Rechtsgedankens des § 904 BGB. Eine Analogie verbietet sich aus den gleichen zu § 100 TKG (s.o.) ausgeführten Gründen.

(6) § 5 BSIG
§ 5 BSIG enthält eine dem § 100 TKG entsprechende Regelung der Speicherung von Protokolldaten zur Abwehr von Schadprogrammen für die Kommunikationstechnik des Bundes. § 5 BSIG betrifft Daten, die bei dem Betrieb von Kommunikationstechnik anfallen (Protokolldaten). Kommunikationstechnik ist nach der Legaldefinition des § 2 Abs. 3 BSIG die Informationstechnik, die von einer Bundesbehörde betrieben wird und der Kommunikation oder dem Datenaustausch der Bundesbehörden untereinander oder mit Dritten dient. Hiervon werden die Telekommunikationsdienste erfasst, die die Beklagte ihren Behörden und Dienststellen zur Nutzung zur Verfügung stellt.

Im vorliegenden Fall geht es jedoch um das Betreiben von öffentlichen Internetseiten durch die Beklagte. Diese werden von der Beklagten nicht betrieben, um dem Kläger und anderen Nutzern zur Kommunikation mit den jeweiligen Bundesbehörden zu dienen.

Im übrigen dürfen Daten gemäß § 5 Abs. 1 Satz 1 BSIG ohne besondere Anhaltspunkte für einen Verdacht nur zur automatisierten Auswertung betreffend Störungen erhoben werden, also in Abgrenzung zu § 5 Abs. 2 BSIG (längstens drei Monate) nur für kurze Zeit (§ 5 Abs. 1 Satz 2 BSIG), während die Beklagte die IP-Adressen auf Vorrat und über Monate speichert.

b) Wiederholungsgefahr
Wiederholungsgefahr im Sinne von § 1004 Abs. 1 Satz 2 BGB ist gegeben, da die Beklagte nicht dargelegt hat, ihre Praxis, die IP-Adressen der Nutzer in Protokolldateien zu speichern, in Zukunft aufgeben zu wollen.

c) keine Beschränkung auf zweiten Hilfsantrag
Der Unterlassungsanspruch des Klägers gegen die Beklagte bezieht sich auf sämtliche von der Beklagten betriebenen Internetportale mit Ausnahme desjenigen des BMJ, ohne dass diese im Tenor konkret zu bezeichnen wären. Der Anspruch erstreckt sich zum einen auch auf die Portale, bei denen die IP-Adresse nicht gespeichert wird, da bei diesen die Beklagte von ihrer bisherigen Übung jederzeit wieder abweichen könnte. Zum anderen erfasst der Anspruch auch Portale, die in der nicht abschließenden Aufzählung im Schriftsatz der Beklagten vom 22. März 2010, dort Seite 21 – 23 (BI. 124 ff. / Band“ d. A.), gegebenenfalls nicht aufgeführt sind. Drittens wird die Beklagte zukünftig mit Sicherheit neue Seiten und Telemedienangebote kreieren, hinsichtlich derer auch ein Unterlassungsanspruch des Klägers besteht.

3) Kein weitergehender Unterlassungsanspruch
a) Hauptantrag
Der Kläger hat keinen Anspruch auf Unterlassung der Speicherung der IP-Adresse als solcher, das heißt ohne Zeitpunkt des Zugriffes. Der Hauptantrag ist insoweit unbegründet.

Der Kläger kann nur die Unterlassung der Speicherung der IP-Adresse in Verbindung mit dem Zeitpunkt des jeweiligen Nutzungsvorgangs verlangen. Soweit die Beklagte nur die IP-Adressen ohne den zugehörigen Zeitpunkt des Zugriffs speichert, stellt die IP-Adresse als solche kein personenbezogenes Datum im Sinne von §§ 12 TMG, 3 BDSG dar. Denn ohne den Zeitpunkt des Zugriffes kann ein Bezug zwischen den unter Angabe der Personalien stattgefundenen Kontakten des Klägers mit der Beklagten und der jeweiligen IP-Adresse auch unter Ausschöpfung aller technischen Möglichkeiten nicht hergestellt werden, s.o.

b) kein Anspruch des Klägers als anonymer Surfer
Soweit der Kläger während eines Besuchs auf einem Internetportal der Beklagten seinen Klarnamen nicht angibt, kann nur der Zugangsanbieter die IP-Adresse einem bestimmten Anschlussinhaber zuordnen. Der Betreiber der Internetseite (Beklagte) selbst verfügt nicht über das dazu erforderliche Zusatzwissen. Er kann den Personenbezug nur durch Auskunftserteilung durch den Zugangsanbieter, welchem Anschlussinhaber zu welchem Zeitpunkt eine bestimmte IP­ Adresse zugeordnet war, herstellen.
In diesem Fall handelt es sich bei der IP-Adresse des Klägers in Verbindung mit dem Zeitpunkt des Zugriffes in den Händen der Beklagten nach Auffassung der Kammer nicht um ein personenbezogenes Datum.

aa) sachliches oder persönliches Verhältnis einer Person
Soweit die Beklagte sich darauf beruft, dass der Nutzer, also die konkret auf die Internetseite der Beklagte zugreifende Person, sich unter keinen Umständen ermitteln lasse, sondern – auch nach Auskunftserteilung des Zugangsanbieters – nur die Person des Anschlussinhabers, bezüglich dessen kein sachliches oder persönliches Verhältnis vorliege, teilt die Kammer diese Auffassung nicht.

Die Beklagte beruft sich diesbezüglich auf das Urteil des Bundesgerichtshofs vom 12.05.2010 (I ZR 121/08, zit. nach juris).
In dieser Entscheidung ging es um die Haftung des dortigen Beklagten für einen Urheberrechtsverstoß, der erwiesenermaßen nicht von ihm, jedoch von seinem (ungesicherten) WLAN-Anschluss aus durch einen unbekannten Dritten, gegen den dortigen Kläger verübt worden ist. Die IP-Adresse des beklagten Anschlussinhabers wurde von einem privaten Unternehmen, das den Musiktitel des Urheberrechtsträgers im Internet für diesen überwacht hatte, festgestellt. Die Identität des Beklagten als Anschlussinhaber wurde von der Staatsanwaltschaft ermittelt durch Einholung einer Auskunft vom Zugangsanbieter nach strafprozessualen Befugnissen. Der BGH hat die Haftung des Anschlussinhabers auf Schadensersatz verneint. Zwar treffe den Anschlussinhaber eine sekundäre Darlegungslast dahingehend, dass er selbst nicht der Handelnde war, jedoch habe der Beklagte dieser·im konkreten Fall genüge getan. Eine Zurechnung der Handlung des Täters zum Beklagten hat der BGH aus rechtlichen Gründen abgelehnt und dies begründet wie folgt: „die IP-Adresse … ist keinem konkreten Nutzer zugeordnet, sondern nur einem Anschlussinhaber, der grundsätzlich berechtigt ist, beliebigen Dritten Zugriff auf seinen Internetanschluss zu gestatten. Die IP-Adresse gibt deshalb bestimmungsgemäß keine zuverlässige Auskunft über die Person, die zu einem konkreten Zeitpunkt einen bestimmten Internetanschluss nutzt. Damit fehlt die Grundlage dafür, den Inhaber eines WLAN-Anschlusses im Wege einer unwiderleglichen Vermutung so zu behandeln, als habe er selbst gehandelt“. Hintergrund der Entscheidung ist die Abgrenzung von dem Fall, in dem der Inhaber eines Mitgliedskontos bei Ebay sein Konto nicht hinreichend vor Zugriffen Dritter gesichert hat und sich so behandeln lassen muss, als habe er selbst gehandelt. Der Unterschied besteht darin, dass der Inhaber eines WLAN-Anschlusses beliebigen Dritten die Nutzung des Anschlusses erlauben darf, ohne für diese die deliktische Verantwortung zu übernehmen.

Diese Entscheidung enthält keine Aussage dazu, ob es sich bei der IP-Adresse um ein personenbezogenes Datum handelt oder nicht. Es geht nur um die Frage der Zurechnung einer Verletzungshandlung zu dem Inhaber des Anschlusses, von dem aus gehandelt worden ist. Der Satz in dem Urteil des Bundesgerichtshofs „IP-Adresse lässt bestimmungsgemäß keine zuverlässige Auskunft über die Person des Nutzers zu einem bestimmten Zeitpunkt zu“ ist nur in diesem Zusammenhang zu verstehen.

Die Tatsache, dass über die IP-Adresse allenfalls der Anschlussinhaber, nicht der Nutzer, ermittelt werden kann, schließt richtigerweise ein personenbezogenes Datum nicht aus. Denn der Inhaber des Anschlusses ist jedenfalls ermittelbar. Und auch die Inhaberschaft eines Anschlusses, von dem aus verbotene Handlungen begangen werden, ist ein sachliches oder persönliches Verhältnis im Sinne des Datenschutzrechtes. Denn der Bundesgerichtshof nimmt in dem genannten Urteil gerade eine sekundäre Darlegungslast des Anschlussinhabers sowie eine Verantwortlichkeit als Störer an. Da sich an die Anschlussinhaberschaft somit rechtliche Folgen knüpfen, ist sie als solches auch ein sachliches Verhältnis im Sinne des Datenschutzrechts.

Das Vorliegen eines sachlichen oder persönlichen Verhältnisses der Anschlussinhaberschaft ergibt sich indirekt auch aus der Entscheidung des Bundesgerichtshof vom 13.01.2011 (111 ZR 146/10, zit. nach juris). In dieser Entscheidung hat der BGH das Merkmal des personenbezogenen Datums der IP-Adresse im Verhältnis des Anschlussinhabers zum Zugangsanbieter bejaht. Dies setzt voraus, dass es sich bei der Anschlussinhaberschaft um ein sachliches oder persönliches Verhältnis handeln.

Im übrigen ist, nachdem die Anzahl der Nutzer, die an einem bestimmten Rechner Zugang haben, begrenzt und in den meisten Fällen überschaubar ist, auch von der Bestimmbarkeit der Person des Nutzers auszugehen.

bb) Bestimmbarkeit
Nach Auffassung der Kammer fehlt es in den Fällen, in denen der Kläger anonym surft, aber an der Voraussetzung der Bestimmbarkeit des Anschlussinhabers bzw. Nutzers.

In Rechtsprechung und Literatur ist diese Frage streitig.
Nach einem Urteil des Amtsgerichts München (Urteil vom 30.09.2008, aaO) stellt die IP-Adresse für den Web-Seiten-Betreiber kein personenbezogenes Datum dar, weil dieser zu der Identifizierung des hinter der IP-Adresse stehenden Anschlussinhabers Informationen benötige, die ihm nicht zur Verfügung stünden. Auch das Landgericht Wuppertal verneint ein personenbezogenes Datum, weil der Zugangsanbieter, der das Datum abrufe, mit dem ihm zur Verfügung stehenden Mitteln, nicht identifiziert werden könne (LG Wuppertal, Beschluss vom 19.10.2010, Rn. 10, 25 Os 10 Js 1977/08 – 177110, 25 Os 177/10, zit. nach juris). Mit gleicher Argumentation verneint das Hanseatische Oberlandesgericht Hamburg einen Personenbezug (Urteil vom 03.11.2010, Rn. 9, 5 W 126/10, zit. nachjuris).

Die gegenteilige Ansicht vertritt das Amtsgericht Berlin-Mitte (Urteil vom 27.3.2007 – 5 C 314/06, Rn. 14, zit. nach juris). Es stützt sich auf die EG-Richtlinie 95/46/EG, die unter Ziffer 26 bestimmt, dass bei der Entscheidung, ob eine Person bestimmbar sei, alle Mittel berücksichtigt werden müssten, die vernünftigerweise entweder von dem Verantwortlichen für die Verarbeitung oder von einem Dritten eingesetzt werden können, um die betreffende Person zu bestimmen. Nach Ansicht des Amtsgerichts Mitte sei es durch die Zusammenführung der personenbezogenen Daten mit Hilfe Dritter ohne großen Aufwand in den meisten Fällen möglich, Internetnutzer aufgrund ihrer IP­ Adressen zu identifizieren. Eine Verneinung des Personenbezugs von dynamischen IP-Adressen habe zur Folge, dass diese Daten ohne Restriktion an Dritte, z. B. den Zugangsanbieter, übermittelt werden könnten, die ihrerseits die Möglichkeit hätten, den Nutzer aufgrund der IP­ Adresse zu identifizieren, was mit dem Grundgedanken des Datenschutzrechts nicht vereinbar sei. Mit der gleichen Begründung geht auch der Arbeitskreis Medien (aaO, Abschnitt 3.1) von einem personenbezogenen Datum aus. Der Auffassung des Amtsgerichts Mitte hat sich das Verwaltungsgericht Wiesbaden in einem Beschluss vom 27.02.2009 (6 K 1045/08.WI, Rn. 39, zit. nach juris) angeschlossen.

Diese Argumentation überzeugt indes nicht. Das Amtsgericht Mitte lässt es für den Personenbezug genügen, dass die Zusammenführung der Daten ohne großen Aufwand – gemeint ist allein in technischer Hinsicht – möglich ist. Es mag zutreffen, dass die Zusammenführung technisch ohne großen Aufwand möglich ist; jedoch kann dies nicht für einen Personenbezug ausreichen. Das Amtsgericht Mitte lässt unberücksichtigt, dass die Zusammenführung rechtlich nur unter bestimmten Voraussetzungen möglich ist. Es zieht nicht in die Erwägung mit ein, dass der Zugangsanbieter der Beklagten aus (datenschutz-)rechtlichen Gründen die Daten grundsätzlich nicht übermitteln darf und praktisch in der Regel auch kein eigenes Interesse an dieser Datenübermittlung hat, so dass eine Übermittlung in der Praxis die Ausnahme bleibt.

Die Ansicht des Amtsgerichts Mitte, dass die Daten ohne Restriktion von der Beklagten an den Zugangsanbieter übermittelt werden könnten, der seinerseits eine Identifizierung der Person vornehmen könne, trifft ebenfalls nicht zu, weil die Übermittlung von Daten auch dann dem Datenschutzrecht unterfällt, wenn die Daten zwar nicht für den Übermittelnden, aber für den Empfänger, personenbezogene Daten sind bzw. werden. Dabei ist es allgemein anerkannt und höchstrichterlich entschieden, dass auf Seiten des Zugangsanbieters ein personenbezogenes Datum gegeben ist (Urteil des BGH vom 13.01.2011, 111 ZR 146/10, zit. nach juris; Urteil des EuGH vom 24.11.2011, C-70/10, Rn. 51, zit. nach juris). Das Amtsgericht Mitte stellt nicht darauf ab, ob der Betroffene mit legalen Mitteln identifiziert werden kann, mit dem Argument, dass das Datenschutzrecht gerade vor dem Missbrauch von Daten schützen solle. Diese Schlussfolgerung ist insofern unzutreffend, als bei der Identifizierung einer Person mit illegalen Mitteln ein Verstoß gegen Datenschutzrecht bereits erfolgt ist, und dieses den Betroffenen bereits hinreichend schützt.

Nach Auffassung der Kammer setzt die Bestimmbarkeit voraus, dass die Person nicht nur theoretisch, sondern auch praktisch bestimmbar ist. Dies bedeutet, dass die Bestimmung der Person technisch und rechtlich möglich sein muss, und zwar mit einem Aufwand, der nicht außer Verhältnis zum Nutzen der Bestimmung der Person aus Sicht der verarbeitenden Stelle steht.

Die Kammer schließt sich dabei dem Ansatz des Schweizerischen Bundesgerichts in dessen Urteil vom 08.09.2010 (Aktenzeichen 1C_285/2009) an, das darauf abstellt, ob der Aufwand derart groß ist, dass nach der allgemeinen Lebenserfahrung nicht damit gerechnet werden muss, dass ein Interessent diesen auf sich nehmen wird, was abhängig vom konkreten Fall zu beantworten sei. Dabei seien die Möglichkeiten der Technik mit zu berücksichtigen. Dies sei jedoch nicht auf die Frage beschränkt, welcher Aufwand objektiv erforderlich sein, um eine bestimmte Information einer Person zuordnen zu können, sondern erfasse auch die Frage, welches Interesse der Datenbearbeiter oder ein Dritter an der Identifizierung habe.

Maßgeblich für die Bestimmung der Reichweite des Datenschutzrechts sind dabei die bereits aufgezählten Parameter. Deren Würdigung spricht vorliegend gegen die Annahme der Bestimmbarkeit der Person.

(1) Bedingungen der legalen Kenntniserlangung durch die Beklagte
Maßgeblich ist hier erstens, unter welchen Voraussetzungen und mit welcher Maßgabe der Zugangsanbieter über Zusatzinformation verfügt, und zweitens, unter welchen Voraussetzungen und mit welcher Maßgabe die Beklagte Kenntnis von diesen Zusatzinformationen erlangen kann.

(a) Bei dem Zugangsanbieter vorhandene Zusatzinformationen
Die Speicherung von IP-Adressen nebst Zeitpunkt des Zugriffs durch den Zugangsanbieter ist zulässig, soweit dies zum Aufbau und zur Aufrechterhaltung der Telekommunikation sowie zur Entgeltabrechung notwendig ist (§ 96 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5, Satz 2 und 3, 97 Abs. 1 Satz 1 TKG) und soweit es zum Erkennen, Eingrenzen und Beseitigen von Störungen oder Fehlern an Telekommunikationsanlagen erforderlich ist (§ 100 Abs. 1 TKG).

Der Bundesgerichtshof hat mit Urteil vom 13.01.2011 entschieden, dass es sich bei den IP­ Adressen in der Hand des Zugangsanbieters um Verkehrsdaten im Sinne von § 96 TKG handelt (Urteil des BGH vom 13.01.2011, aaO, Rn. 23) und dass die tatsächlichen Voraussetzungen für die Befugnis des beklagten Zugangsanbieters, der die Speicherung anlässlich des Verfahrens auf sieben Tage begrenzt hatte, gemäß §§ 96 Abs. 1 Satz 2 I. V. m. §§ 97 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Nr. 1 und § 100 Abs. 1 TKG durch das Berufungsgericht nicht rechtsfehlerfrei festgestellt worden seien, weil es kein Sachverständigengutachten zur Frage der technischen Erforderlichkeit eingeholt habe. Ob die Speicherung für die Abrechnung erforderlich sei, hänge von der jeweiligen Tarifvereinbarung des Kunden sowie den technischen Bedingungen ab.

Lägen die tatsächlichen Voraussetzungen des 100 Abs. 1 TKG jedoch vor, so erlaube die Norm auch die präventive Erhebung und Verwertung von Daten, da eine abstrakte Gefahr von Störungen und Fehlern an Telekommunikationsanlagen genüge. Die auf sieben Tage begrenzte Speicherung der dynamischen IP-Adresse genüge der Verhältnismäßigkeit (BGH; Urteil vom 13.01.2011, aaO, Rn. 27, 28; vgl. dazu auch den offenen Brief des Bundesdatenschutzbeauftragten an den Arbeitskreis Vorratsdatenspeicherung vom 16.3.2007, zitiert nach der Veröffentlichung im Internet).

Daraus folgt, dass ein Zugangsanbieter die IP-Adressen der Kunden jedenfalls für sieben Tage präventiv speichern darf, soweit dies tatsächlich technisch erforderlich ist, um Störungen und Fehler an der Anlage zu erkennen und zu beseitigen. Eine Speicherung darf auch erfolgen, soweit dies nach der Tarifvereinbarung des Klägers mit seinem Zugangsanbieter und in technischer Hinsicht für die Abrechung erforderlich ist.

Im Ergebnis ist davon auszugehen, dass der Zugangsanbieter des Klägers nur für einen begrenzten Zeitraum die an ihn zu verschiedenen Zeitpunkten jeweils vergebenen IP-Adressen gemäß §§ 96, 97, 100 TKG legal speichert.

Eine Speicherung nach Maßgabe des § 113 a TKG ist nicht zu berücksichtigen, weil diese Vorschrift vom Bundesverfassungsgericht für unvereinbar mit Art. 10 Abs. 1 GG, und damit für nichtig erklärt worden ist und eine entsprechende Speicherung – jedenfalls derzeit – mangels Rechtsgrundlage unzulässig ist (BVerfG zur Vorratsdatenspeicherung, Urteil vom 02.03.2010, 1 BvR 256/08, 1 BvR 263/08, 1 BvR 586/08, zit. nach juris).

Zu beachten ist jedoch, dass das Bundesverfassungsgericht die Speicherungspflicht des Diensteanbieters nicht schlechthin für verfassungswidrig hält, sondern nur in der Ausgestaltung der §§ 113 a, 113 b TKG, die dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz nicht genüge tun.

(b) Kenntnisnahme durch die Beklagte
Der Zugangsanbieter ist datenschutzrechtlich daran gehindert, die relevanten Daten an Dritte zu übermitteln. Diese stellen nämlich in ihrer Hand ein personenbezogenes Datum dar, s.o. Die Übermittlung dieser Daten an Dritte ist damit grundsätzlich verboten und nur in den folgenden gesetzlich normierten Fällen erlaubt:

– Die Strafverfolgungsbehörden dürfen unter der Voraussetzung des § 100 g Abs. 1 StPO diese Daten bei dem jeweiligen Zugangsanbieter erheben, wodurch – sobald die Beklagte von dem Ermittlungsergebnis Kenntnis erlangt – der Personenbezug der IP-Adresse in der Hand der Beklagten entstünde.
§ 100 g Abs. 1 StPO setzt aber voraus, dass der Betroffene einer Straftat von auch im Einzelfall erheblicher Bedeutung, insbesondere einer in § 100 a Abs. 2 StPO bezeichneten Straftat, oder einer mittels Telekommunikation begangenen Straftat, deren Aufklärung ansonsten aussichtslos wäre, verdächtig ist. Im letzten Fall muss zusätzlich die Verhältnismäßigkeit im Einzelfall vorliegen, § 100 g Abs. 1 Satz 2 StPO. Das Vorliegen der Voraussetzungen wird richterlich überprüft, § 100 g Abs. 2, 100 b StPO.

Nach Auffassung der Kammer kann die HersteIlbarkeit des Personenbezugs bezogen auf ein ansonsten nicht-personenbezogenes Datum in einem Ermittlungs- oder Strafverfahren unter Beachtung der o.g. Grundsätze grundsätzlich nicht dazu führen, die Bestimmbarkeit der Person hinsichtlich dieses Datums zu bejahen und das Datum per se unter den Schutz des Datenschutzrechts zu stellen. Denn im Rahmen eines Strafverfahrens ist das Recht der informationellen Selbstbestimmung des Beschuldigten grundsätzlich in dem Ausmaß eingeschränkt, wie es für die Durchführung des Strafverfahrens erforderlich ist. Insoweit überwiegt regelmäßig – was sich schon aus dem Sinn und Zweck der StPO ergibt – das Strafverfolgungsinteresse der Allgemeinheit gegenüber dem allgemeine Persönlichkeitsrecht des jeweils Beschuldigten.

Soweit der Kläger hier argumentiert, dem Staat sei es verboten, alleine zu Zwecken der hypothetischen Strafverfolgung präventiv, d. h. noch ohne konkreten Straftatverdacht, Daten zu erheben, die im Falle einer tatsächlich begangenen Straftat zu personenbezogenen Daten ergänzt werden könnten, überzeugt dies nicht. Ebenfalls nicht überzeugend ist die Argumentation der Artikel-29-Datenschutzgruppe in der Stellungnahme 4/2007 (Seite 19), die darauf abstellt, dass es gerade der Zweck der Verarbeitung von IP-Adressen durch den Web-Seiten-Betreiber sei, den Nutzer zu identifizieren, woraus sich ergebe, dass dieser gerade vom Vorhandensein der Mittel ausgehe, die zur Identifizierung der betreffenden Person vernünftigerweise eingesetzt werden könnten.

Denn nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 02.03.2010 (aaO) ist ein Gesetz, das die anlasslose, präventive Speicherung personenbezogener Daten durch den Zugangsanbieter, die nur dem Zweck einer späteren Strafverfolgung durch den Staat dient, erlaubt, nicht schlechthin verfassungswidrig, sondern der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit ist zu beachten. Überträgt man diese Grundsätze auf die vorliegende Fragestellung, so wird der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit in der hier zu entscheidenden Konstellation dadurch gewahrt, dass die Beklagte von der Identität des Anschlussinhabers nur dann erfahren kann, wenn wegen einer Straftat von besonderer Bedeutung ermittelt wird oder wegen einer mittels Telekommunikation begangenen Straftat, wobei der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit im Einzelfall gewahrt sein muss, was richterlich überprüft wird.

– Die Beklagte erhält (derzeit) auch keine Kenntnis von IP-Adressen nach Maßgabe der §§ 113 b TKG, 100 g StPO, da diese Vorschrift – § 100 g StPO, soweit er die Erhebung von gemäß § 113 a TKG gespeicherten Daten zulässt – für verfassungswidrig erklärt worden ist (BVerfG aaO). Jedoch ist nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts die Speicherungspflicht des Dienstanbieters nicht schlechthin verfassungswidrig. Eine verfassungsgemäße Speicherung und Verwendung der gespeicherten Daten kommt nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts aber jedenfalls nur in Betracht für überragend wichtige Aufgaben des Rechtsgüterschutzes, das heißt zur Ahndung von Straftaten, die überragend wichtige Rechtsgüter bedrohen oder zur Abwehr von Gefahren für solche Rechtsgüter (BVerfG, aaO, Rn. 227 ff.). Sollte der Gesetzgeber in Zukunft eine dieser und sämtlichen weiteren Maßgaben des Bundesverfassungsgerichts Rechnung tragenden Speicherungspflicht normieren, so wäre die Bestimmbarkeit der Person des Klägers hinsichtlich der Speicherung seiner IP-Adresse und des Zeitpunkt des Zugriffes durch die Beklagte angesichts dieser Begrenzung der Möglichkeit der Beklagten, das für den Personenbezugs erforderliche Zusatzwissen zu erlangen, zu verneinen.

– Soweit § 113 TKG (manuelles Auskunftsverfahren) Behörden die Abfrage von Kunden- und Bestandsdaten gem. §§ 95, 111 TKG ermöglicht (worunter nach streitiger Rechtsprechung und Literatur grundsätzlich auch Auskunftsansprüche hinsichtlich des Anschlussinhabers einer bestimmten IP-Adresse fallen können, die der Zugangsanbieter unter Nutzung und Auswertung von Verkehrsdaten zu ermitteln hätte, vgl. BVerfG aaO Rdn. 254 ff), gelten zunächst weniger strenge verfassungsrechtliche Voraussetzungen. Da nämlich ein gesteigertes Interesse an der Möglichkeit besteht, Kommunikationsverbindungen im Internet zum Rechtsgüterschutz oder zur Wahrung der Rechtsordnung den jeweiligen Akteuren zuordnen zu können, das Internet also keinen rechtsfreien Raum bilden darf, begegnet die Zulassung solcher – mittelbar auf Verkehrsdaten zurückgreifende – Auskünfte auch unabhängig von begrenzenden Rechtsgüter­ oder Straftatenkataloge für die Verfolgung von Straftaten (nicht Ordnungswidrigkeiten) auch ohne Richtervorbehalt grundsätzlich keinen verfassungsrechtlichen Bedenken (vgl. BVerfG aaO, Rdn. 45, 260, 261, 279).

Die Vorschrift ist zudem nunmehr verfassungskonform dahin auszulegen, dass sie für sich allein und ohne konkrete Abrufnorm noch keine Auskunftspflichten des T elekommunikationsunternehmen begründet und dass sie eine Zuordnung dynamischer IP­ Adressen nicht (mehr) erlaubt (BVerfG vom 24.1.2012, BvR 1299/05, Rdn. 164 ff, 174).

Demnach ist spätestens ab dem 1.7.13 entweder ohne zwischenzeitlich geschaffene bzw. zu schaffende Regelungen/Abrufnormen (vgl. BT-DrS 17/12034 vom 9.1.13, in die Ausschüsse überwiesen) eine Auskunftserteilung von hinter einer IP-Adresse stehenden Anschlussinhabern über § 113 TKG nicht mehr möglich oder nur unter Beachtung der engeren Voraussetzungen der neu zu schaffenden und den Anforderungen des Bundesverfassungsgerichts entsprechenden Regelungen möglich.

Für die Übergangszeit kann wegen der Bedeutung für die Aufklärung von Gefahren und Straftaten aber noch die bisherige Handhabung hingenommen werden.

– Die Beklagte kann unter bestimmten Voraussetzungen auch gemäß § 101 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3, Abs. 9 UrhG als Betroffene einer Urheberechtsverletzung und Inhaberin eines zivilrechtlichen Auskunftsanspruches von dem Zugangsanbieter Auskunft verlangen. Zwar erscheint eine Konstellation schwer vorstellbar, in der ein Nutzer öffentlicher Internetseiten der Beklagten einen Urheberechtsverstoß zu deren Lasten begeht. Diese zivilrechtliehe Auskunftsrecht steht aber ähnlich wie die Datenerhebung gem. § 100 g StPO durch Ermittlungsbehörden (s.o.) unter einem „Richtervorbehalt“, sofern die Auskunft nur unter Verwendung von Verkehrsdaten erteilt werden kann, § 101 Abs. 9 UrhG, denn dann ist eine vorherige richterliche Anordnung durch das ausschließlich zuständige Landgericht erforderlich, das über die Zulässigkeit der Verwendung von Verkehrsdaten zu befinden hat. Mithin hat es auch das Vorliegen der Voraussetzungen eines Auskunftsanspruchs, nämlich eine Urheberechtsverletzung in gewerblichem Ausmaß i.S.v. § 101 Abs. 1 UrhG festzustellen.

Eine solche Sachlage kann im Rahmen der Wertung und Abwägung der dargestellten gegensätzlichen Interessen nicht anders betrachtet werden als eine solche im Rahmen eines Ermittlungs- bzw. Strafverfahrens gegen einen Beschuldigten, wobei sich bei Urheberechtsverletzungen beides in der Regel überschneiden wird.

(2) Die Gefahr des Missbrauchs
Die theoretische Möglichkeit, dass der Provider der Beklagten unbefugt Auskunft erteilt, besteht grundsätzlich, so wie unrechtmäßiges Verhalten nie ausgeschlossen werden kann. Jedoch kann dies kein Grund sein, Daten, die für sich genommen keinen Personenbezug haben, unter den Schutz des Datenschutzrechtes zu stellen. Zum einen kann eine solche illegale Handlung nicht als normalerweise und ohne großen Aufwand durchzuführende Methode angesehen werden (so zutreffend Urteil des AG München, aaO, Rn. 24). Zum anderen werden in den Fällen des Missbrauchs und illegalen Verhaltens die datenschutzrechtlichen Belange des Betroffenen zwingend schon dadurch ausreichend geschützt, dass der Missbrauch als solcher gegen geltendes Datenschutzrecht verstößt (nämlich gegen das grundsätzliche Verbot, personenbezogene Daten ohne Rechtsgrundlage anderen Stellen zu übermitteln) oder gar eine strafbare Handlung darstellt (206 StGB). Vor diesem Hintergrund besteht kein Bedürfnis den Schutz schon derart vorzuverlagern, dass die Beklagte die IP-Adressen von vorne herein nicht speichern darf. Hinzu kommt, dass der Zugangsanbieter die relevanten Daten nur sieben Tage lang speichert. Dieser Zeitraum mag dafür ausreichen, dass die Staatsanwaltschaft mit oder – bei Gefahr im Verzug – ohne richterlichen Beschluss (§§ 100 g Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Satz 1, 100 b Abs. 1 Satz 2 StPO) die relevanten Daten beim Zugangsanbieter erhebt. Eine illegale Datenübermittlung wird durch den kurzen zur Verfügung stehenden Zeitraum von sieben Tagen praktisch jedoch deutlich erschwert, wenn nicht gar unmöglich gemacht.

(3) Interessenabwägung
Ein ausgewogenes Verhältnis zwischen dem gesellschaftliche Anspruch auf Strafverfolgung auch von Straftaten und Urheberechtsverletzungen im Internet und dem Schutz des Klägers in Ansehung seines Anspruches auf Anonymität im Internet besteht nur dann, wenn die Beklagte als Webseitenbetreiberin Daten, die zunächst ohne Personenbezug sind, speichern darf, deren Personenbezug dann – und nur in diesem Falle – hergestellt werden kann, wenn der Verdacht einer Straftat nach oben genannten Maßgaben besteht. Dann müssen die datenschutzrechtlichen Belange des Klägers zurücktreten. Wäre dies anders, so könnten Straftaten im Internet aufgrund der Anonymität der Nutzer grundsätzlich nicht verfolgt werden.

(4) Gefahr der Ermittlung gegen Unbeteiligte
Die Gefahr, dass ein Ermittlungsverfahren gegen eine unschuldige Person geführt wird, besteht ganz allgemein und in allen Lebensbereichen. Dies ist die notwendige Begleiterscheinung der Strafverfolgung nach der StPO, kann aber kein Grund dafür sein, von der Verfolgung bestimmter Straftaten abzusehen oder deren Verfolgung zu erschweren oder von vorne herein unmöglich zu machen.

In gleicher Weise ist nicht ersichtlich, weshalb vorliegend die Identifizierung von Anschlussinhabern unmöglich gemacht werden sollte, weil theoretisch ein Unbeteiligter verdächtigt werden könnte. Die Gefahr der Verdächtigung eines Unbeteiligten im Rahmen einer mit technischen Mitteln durchgeführten IP-Nummern-Zuordnung ist jedenfalls nicht größer als in der „realen“ Welt außerhalb des Internets, in der Beschuldigte beispielsweise aufgrund von Zeugenaussagen einer Straftat verdächtigt werden.

III. Beweisaufnahme/Sachverständigengutachten
Nach alldem war der Rechtsstreit aus Rechtsgründen entscheidungsreif, auf die in anderer Besetzung beschlossene und nachfolgend in noch mal anderer Besetzung durchgeführte Beweisaufnahme kam es nicht an.

IV. Nebenentscheidungen
Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 97 Abs. 1, 92 Abs. 1 ZPO.

Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 708 Nr. 10, 711 ZPO.

Aufgrund der grundsätzlichen Bedeutung der Sache war die Revision zuzulassen, § 543 Abs. 2 Nr. 1 ZPO. Auch erfordert die Fortbildung des Rechts eine Entscheidung des Revisionsgerichts, § 543 Abs. 2 Nr. 2 ZPO.

In eigener Sache: Anmerkung zu LG Berlin, Urteil v. 8.11.2011 – 16 O 255/10: Surfsitter, Open Source-Sammelwerke, GRUR-RR 2012, 107

In eigener Sache:

Im aktuellen Heft der Zeitschrift GRUR-RR ist die Anmerkung von Marcus Schreibauer und mir zu einem Urteil des LG Berlin zur Wirkung der GPL auf Sammelwerke erschienen (GRUR-RR 2012, 107).

Das Urteil wurde auch von Fabian Schäfer besprochen, die Anmerkung in der K&R 2012, S. 124, findet sich hier.

LG Berlin, Beschl. v. 3.3.2011 – 16 O 433/10: Vermutung für Verantwortlichkeit für Filesharing bei WLAN; kein § 97a II UrhG bei Kinofilm

(LG Berlin, Beschluss vom 03.03.2011 – 16 O 433/10)

Das LG Berlin hat sich der derzeitigen Tendenz in der Rechtsprechung als Folge der „Sommer unseres Lebens“-Entscheidung des BGH (BGH MMR 2010, 565, s. dazu hier, hier und hier) angeschlossen (Volltext bei MIR) und dabei zu mehreren Fragen Stellung genommen, wenn auch kurz.

Das LG Berlin hatte über die Gewährung von Prozesskostenhilfe zur Verteidigung gegen Ansprüche auf Ersatz von Anwaltskosten und Schadensersatz wegen Filesharing nach §§ 114 ff. ZPO zu entscheiden. In diesem Rahmen werden summarisch die Erfolgsaussichten der Verteidigung geprüft.

1. Sekundäre Darlegungslast

Das LG Berlin ist zunächst – wie der BGH – davon ausgegangen, dass die Vorlage der IP-Adresse in Zusammenhang mit der streitgegenständlichen Datei zur Begründung einer sekundären Darlegungslast ausreicht. Dem sei der Beklagte nicht ausreichend entgegen getreten. Der Beklagte hat offenbar eingewandt, dass die Ermittlung nicht sicher sei. Wie auch schon andere Gerichte nahm das LG Berlin dazu wie folgt Stellung:

Soweit die Beklagte bestreitet, dass die Programme bei der Ermittlung der IP-Adresse und des Hash-Wertes für die Filmdatei ordnungsgemäß funktioniert haben, handelt es sich um unbeachtliche Erklärungen ins Blaue hinein. Tatsächliche Anhaltspunkte werden nicht vorgetragen und die Bezugnahme auf anderweitige Rechtsprechung vermag den erforderlichen Tatsachenvortrag nicht zu ersetzen. Die Zuordnung verschiedener IP-Adressen zum identischen Hash-Wert in Anlage 8 ist entgegen der Ansicht der Beklagten unbeachtlich. Denn der Hash-Wert wird nur einer konkreten Filmdatei zugeordnet. Die Aufstellung in Anlage 8 zeigt lediglich, dass die identische Filmdatei von verschiedenen Computern öffentlich zugänglich gemacht wurde, was aber der Verantwortlichkeit der Beklagten nicht entgegensteht. Denn die ihr zugeordnete IP-Nummer findet sich in der Liste.

Die Frage ist, wie man bei dieser Ansicht überhaupt anders als „ins Blaue hinein“ Unsicherheiten der Ermittlung von IP-Adressen belegen soll. Denn der Beklagte hat naturgemäß keinerlei Einblick in die durch den Kläger verwendete Technologie.

Maßstab für das Gericht ist, ob vernünftige Zweifel bestehen, die die Beweislast des Klägers wieder aufleben lassen. Es ist in mehreren Urteilen festgestellt (und so offenbar auch vom Beklagten vorgetragen) worden, dass die Ermittlung von IP-Adressen eine komplexe und technische schwierige Angelegenheit ist (man denke nur an Zeitstempel etc.). Wenn das nicht für einen vernünftigen Zweifel reicht, wird dem Beklagten praktisch jede Verteidigungsmöglichkeit genommen.

2. Sicherung des WLAN

Auch das LG Berlin nimmt die Verschlüsselung des WLAN in Bezug (wie BGH MMR 2010, 565 – Sommer unseres Lebens).  Es ist für das LG Berlin nicht ausreichend, wenn der Beklagte vorträgt, dass er tatsächlich zum Tatzeitpunkt nicht zu Hause war, er muss zusätzlich vortragen, dass sein WLAN ausreichend gesichert war:

Die Beklagte unterhielt im maßgebenden Zeitraum ein WLAN, wobei keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich sind, dass dieses gegen den Missbrauch durch Dritte gesichert wurde. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes (a.a.O.) haftet in diesem Fall der Anschlussinhaber als Störer. Da es aufgrund der technischen Gegebenheiten für den Zugriff Dritter auf ein WLAN nicht darauf ankommt, dass der Computer des WLAN-Inhabers in Betrieb ist, kann die Beklagte nicht mit Erfolg geltend machen, sie habe sich am 17.8.2009 zum maßgebenden Zeitpunkt nicht zu Hause aufgehalten.

Wie die Rechtsprechung in der Zukunft damit umgehen wird, wenn die Verteidiger genau so vortragen, muss sich noch zeigen.

3. Anwendbarkeit von § 97a Abs. 2 UrhG

Interessant sind die Ausführungen zu § 97a Abs. 2 UrhG. Wie schon zu erwarten war, legt auch das LG Berlin diese Regelung eng aus:

Die Rechtsanwaltskosten für die vorprozessuale Abmahnung sind gem. § 97 a Abs. 1 UrhG zu erstatten. Die Kosten sind nicht gem. § 97 a Abs. 2 UrhG auf 100,- € beschränkt. Es fehlt an einer unerheblichen Rechtsverletzung, denn die Beklagte ermöglichte, den Film öffentlich zugänglich zu machen, noch vor der relevanten Verwertungsphase. Entgegen der Ansicht der Beklagten ist hierfür nicht auf den Kinostart abzustellen, denn der DVD-Verkauf ist gegenüber dem Verleih an Kinos eine eigenständige Nutzungsart. Die relevante Verwertungsphase beginnt deshalb mit dem DVD-Verkauf (OLG Köln GRUR-RR 2011, 85, 86 – Männersache). Im vorliegenden Fall lag die Verletzungshandlung am 17.8.2009 vor dem Start des DVD-Verkaufs am 27.11.2009, was diese Nutzung erheblich erschwerte.

Dieser Punkt ist sehr spannend. Denn die Überlegung, ob ein Werk in der Verkaufsphase verbreitet wird, wurde bisher meist nur im Rahmen des § 101 UrhG und dort beim Merkmal „gewerblichen Ausmaß“ angestellt. Eine unmittelbare Übertragung auf § 97a Abs. 2 UrhG ist hingegen nicht so einfach möglich. Hoeren (CR 2009, 378, 379; ähnlich Solmecke, MMR 2008, 761, 762) schreibt dazu:

Das Problem wäre dann allerdings, dass in den Fällen, in denen nach  § 101 UrhG eine Auskunft über den Nutzer erteilt und somit ein gewerbliches Ausmaß bejaht wird …, die Begrenzung des § 97a Abs. 2 UrhG immer leer laufen würde. Dies kann nicht gewollt sein. … Die zu § 101 UrhG entwickelten Kriterien (Anzahl, Aktualität oder Beliebtheit der Werke) können daher nicht ohne weiteres auf § 97a Abs. 2 UrhG übertragen werden.

S. auch die Besprechung von RAin Himburg