Wie berichtet, fand am 3.7.2013 eine Sachverständigenanhörung im Wirtschaftsausschuss des Landtages Nordrhein-Westfalen zum Antrag der Piratenpartei (Drs. 16/2284) zur Thematik der Störerhaftung beim Betrieb von WLANs statt, zu der verschiedene Sachverständige bzw. Verbände geladen waren, nämlich
- Chaos Computer Club e.V. (erschienen: Dr. Julius Mittenzwei, @mittenzwei)
- Ulf Buermeyer (@vieuxrenard)
- Dr. Frey von FREY Rechtsanwälte
- GEMA
- Verband freier Deutscher Künstler e.V.
- Verbraucherzentrale NRW
- eco-Verband
- VG Wort
- ich
Es gab acht schriftliche Stellungnahmen, die online verfügbar sind. Die Diskussion dreht sich auch um den im Bundestag durchgefallenen Gesetzesentwurf des Digitale Gesellschaft e.V., nach dem in § 8 TMG folgende Absätze 3 und 4 angefügt werden sollten:
(3) Der Ausschluss der Verantwortlichkeit (Absatz 1) umfasst auch gewerbliche und nichtgewerbliche Betreiber von Funknetzwerken, die sich an einen nicht im Voraus namentlich bestimmten Nutzerkreis richten (öffentliche Funknetzwerke).
(4) Der Ausschluss der Verantwortlichkeit (Absatz 1) umfasst auch Ansprüche auf Unterlassung.
Nun ist auch das Wortlautprotokoll der Ausschusssitzung online verfügbar (Ausschussprotokoll APr 16/288, 03.07.2013).
Ich hatte bereits in einem früheren Artikel über den Verlauf der Sitzung geschrieben. Das Wortlautprotokoll gibt diesen nun auf 27 Seiten genau wieder. Zur kurzen Erläuterung: Es gab mehrere Fragerunden, bei denen zunächst alle Fragen gestellt wurden, und dann alle Sachverständigen nacheinander die an sie gerichteten Fragen beantworten konnten.
Statt alles nochmal zusammenzufassen, hier nur ein paar Highlights (in der Reihenfolge der ersten Fragerunde):
Prof. Rotert (eco):
Um ein kleines Beispiel zu geben: Ein Hotel hat eine Abmahnung bekommen und dann sofort alles wieder abgebaut und gesagt, das sei eine Fehlinvestition gewesen, es wolle damit nichts mehr zu tun haben, und dies aufgrund der Tatsache, dass diese Abmahnung praktisch eine Vorverurteilung enthielt. – Auf dem Weg hierher kam eine Mail von einem Hotelier herein, der vor drei Jahren eine Abmahnung bekam, der er widersprochen hat; er hat auch nichts bezahlt. Jetzt kommt ein Inkassounternehmen und sagt, wenn er nicht sofort bezahle, gebe es Einträge bei der Schufa. Hier wird also durchaus extremer wirtschaftlicher Druck ausgeübt. …
Zur wirtschaftlichen Bedeutung sagen mir die Hotels: Wenn sie heute kein kostenloses WLAN anbieten können – gerade die kleineren Häuser, weniger die Fünf-Sterne- Häuser –, brauchen sie erst gar nicht anzutreten, werden sie gemieden, insbesonde- re von den Geschäftsreisenden. Angesichts der Anzahl der Häuser kann man sich ausrechnen, welches Potenzial dahintersteht.
Verfolgbarkeit über Mobilfunk funktioniert gar nicht. Schon die Vorratsdatenspeiche- rung hat beim Mobilfunk genau aus dem Grunde nicht funktioniert, weil die Zuord- nung Telefonnummer/IP-Adresse schlichtweg aufgrund der Mobilität nicht gegeben ist. Es kommt aber noch ein anderer Punkt hinzu: Die Software zum Feststellen der IP-Adresse wurde von Abmahnanwälten – ich bezeichne sie jetzt einmal so leger – oder von Firmen, die diesen Anwälten gehören, selbst entwickelt. In der Schweiz ist diese Software übrigens verboten. Sie müsste eigentlich, wenn man es genau nimmt, denselben Verordnungsrichtlinien zur Telekommunikationsüberwachung unterliegen wie die bei einer ganz normalen Überwachung überhaupt. Ob die Software Fehler hat oder ob sie richtig funktioniert, weiß also kein Mensch. Ob die Adressen auch stimmen, für die dann angefragt wird – es werden pro Monat 300.000 IP-Adressen bei den Providern angefragt –, ob sie alle in Ordnung sind, weiß niemand. Die Aus- schussrate ist nach dem, was die Provider sagen, eigentlich sehr hoch, weil manche Adressen überhaupt keinen Sinn machen.
Dr. Frey (FREY Rechtsanwälte):
Es ist in der Tat so, dass die Rechtsprechung die Regeln der §§ 7 ff. Telemediengesetz nicht auf Sachverhalte anwendet, die sie nach den Regeln der Sto?rerhaftung beurteilt. Dies halte ich fu?r grundlegend falsch und fu?r mit europa?ischem Recht auch so nicht vereinbar, weil der Europa?ische Gerichtshof, wenn er die Richtlinien u?ber den elektronischen Ge- scha?ftsverkehr auslegt, auch diese Regeln u?ber die Haftungsprivilegierung der Provider auf Unterlassungssituationen anwendet. …
Aus meiner praktischen Erfahrung kann ich besta?tigen, dass die Pflichten oder potenziellen Pflichten eben an der Stelle nicht klar sind, wo kleine Hotelbetreiber, wo Internet-Cafe?s, wo Kommunen in die Rolle des Telekommunikationsdiensteanbieters schlu?pfen. Deswegen halte ich diese Klarstellung fu?r wichtig.
… hier muss sich wiederum der Gesetzgeber fragen, ob er Jahre der Rechtsstreitigkeiten abwarten will, um zu einer Klarheit, zu einer Rechtssicherheit zu kommen, die dem adressierten Ziel wahrscheinlich nicht gerecht wu?rde.
Sehr spannend war auch, dass Dr. Frey eine de minimis-Regelung im TKG für Kleinstanbieter verlangt:
Die Pflichten nach dem TKG sind sehr aufwendig. Ich kann es kurz skizzieren. Der Anbieter muss zum Beispiel sicherstellen, dass das Fernmeldegeheimnis, ein ganz wichtiges Thema, auch hier gewährleistet wird. Es muss Datenschutz gewährleistet werden. Dafür müssen Anbieter von Telekommunikationsdiensten bei der Bundes- netzagentur ein Sicherheitskonzept vorlegen. Es besteht eine Meldepflicht bei der Bundesnetzagentur. Das würde kleine Anbieter, denen wir mit diesem Schritt der Anwendung des § 8 TMG im Bereich der Störerhaftung etwas Gutes tun wollten, strukturell überfordern. Also müsste man auch in diesem Bereich so etwas wie eine [de minimis]-Lösung finden, damit diese sehr komplexen Regeln des Telekommunikationsgesetzes nicht ohne Weiteres auch in diesem Bereich zur Anwendung kämen. Das muss unbedingt mit bedacht werden.
Iwona Husemann (Verbraucherzentrale Düsseldorf):
Für uns, die wir das ausschließlich aus Verbrau- chersicht beurteilen, ist eher die Frage, inwieweit man Verbraucher – wenn es politisch gewünscht und gewollt ist, dass sie sich daran beteiligen, dass flächendeckend WLAN-Netze verfügbar sein sollen – zu den bisherigen gesetzlichen Regelungen und angesichts der Problematiken mit der Störerhaftung daran beteiligen kann oder will. Deswegen halten wir es für einen gangbaren Weg, den § 8 Telemediengesetz dann auch auf private WLAN-Betreiber anzuwenden, gerade damit sie dann auch diese Haftungserleichterungen erfahren können.
Ulf Buermeyer (@vieuxrenard):
Jedenfalls die deutsche Handhabung des § 8 TMG, der be- stimmte Access-Provider aus dieser Haftungsprivilegierung ausnimmt, ist aus meiner Sicht eindeutig europarechtswidrig. Würde also diese Frage dem EuGH einmal von einem deutschen Gericht vorgelegt, müsste man mit größter Wahrscheinlichkeit davon ausgehen, dass der EuGH sagte: Eine Handhabung der deutschen Normen, die Privatleute und kleine Gewerbetreibende, also diese Nebenbei-Provider, von der Haftungsfreistellung ausnimmt, ist unzulässig. …
Meines Erachtens ist es in der Tat ein Problem für den einen oder anderen Kollegen – ich argumentiere jetzt küchenpsychologisch –, eine Haftungsfreistellung anzuerkennen, weil die Intuition ist: Da gibt es eine Rechtsverletzung, und es muss doch sein, dass irgendwer dafür haftet. Derjenige, der wirklich verantwortlich ist, zum Beispiel der Filesharer, ist nicht greifbar. Aber irgendwer muss doch haftbar sein. Das ist natürlich Küchenpsychologie; das hat mit Rechtswissenschaft nicht so wahnsinnig viel zu tun. Aber es erklärt im Hintergrund, warum der eine oder andere Kollege intuitiv, also noch bevor er in die Rechtsprüfung einsteigt, zu dem Ergebnis kommt: Es kann doch nicht sein, dass da eine Haftungsfreistellung Platz greift.
Wenn man eine Abmahnung über 500 oder 1.000 € bekommt, dann ist das natürlich eine ganze Menge Geld; nur wäre das Kostenrisiko, das bei einer gerichtlichen Entscheidung möglicherweise auf denjenigen zukäme, noch signifikant höher. Deswegen gehen eben sehr viele Verbraucherinnen und Verbraucher das Risiko gar nicht erst ein, ebenso sehr viele Gewerbetreibende, sondern zahlen lieber zähneknirschend und schalten anschließend möglicherweise ihr WLAN ab.
as ist genau das Problem: Hier gibt es eine abschreckende Wirkung. Ich habe vor dem Deutschen Bundestag so schön gesagt: Bei den deutschen WLAN-Providern geht die Angst um, sodass man im Zweifel lieber abschaltet. Die Rechtslage wird letzten Endes gar nicht richtig geklärt. Das ist das Kernproblem. Die Abmahnenden machen sich eine etwas unklare Rechtslage zunutze, und im Zweifel spielt ihnen das in die Hände. …
Ich habe gerade kurz gegoogelt, wie das Zahlenverhältnis ist. Wir haben in Deutschland etwa 40 Millionen Internetzugänge, aber nur rund 400.000 Gaststätten und Hotels. Das heißt, allenfalls 1 % der Anschlussinhaber sind Hotels oder Gaststätten. Selbst wenn man davon ausgeht, dass Privatleute und Gäste in Hotels etwa gleich viel dazu neigen, Urheberrechte zu verletzen, kann man davon ausgehen, dass maximal 1 % der Urheberrechtsverletzungen über Anschlüsse von Hotels und Gaststätten vorgenommen werden. …
Die Kritik an der derzeitigen Auslegung von § 8 TMG nimmt vor allem die Verbrau- cher in den Blick, die zum Beispiel in den Freifunknetzen letzten Endes aus Altruismus für ihre Mitmenschen einen Internetzugang zur Verfügung stellen und sich damit großen Haftungsrisiken aussetzen. Es werden jetzt Gruppenlösungen gefunden, indem man die Daten einen Umweg über Schweden nehmen lässt, weil es in Schweden eben keine Störerhaftung gibt. Das ist zwar eine technische Möglichkeit, ist aber sehr komplex. Ich muss ganz ehrlich sagen: Wenn jemand schon so viel Bürgersinn an den Tag legt, dass er anderen Leuten einen Internetzugang bietet, diesen be- rühmten digitalen Schluck Wasser anbietet, dann sollte die Rechtsgemeinschaft das akzeptieren. Sie sollte das sogar unterstützen und fördern und sollte diese Menschen nicht auch noch mit Haftungsrisiken strafen. …
Ich lege als denkbare Änderung den Gesetzentwurf des Digitale Gesellschaft e. V. zugrunde, der auch schon im Deutschen Bundestag verhandelt worden ist, einfach deshalb, weil es bislang der einzige ist, den es jedenfalls nach meiner Kenntnis gibt, der eine konkrete Regelung zur Abschaffung der Störerhaftung vorschlägt. Wenn man diesen Gesetzentwurf zugrunde legt, dann sind überhaupt keine Kollate- ralschäden zu erwarten, weil dieser Entwurf mit zwei Absätzen einfach nur ganz präzise die zwei rechtlichen Zweifelsfragen, ganz freundlich gesagt, adressiert, die zu der derzeit unzuträglichen Rechtslage führen. …
Aber das ist heute auch in UMTS-Netzen bereits so; denn diese Netze – das hat Dr. Mantz auch kurz angeschnitten – setzen weitgehend auf dieselbe Technologie. Auch in UMTS-Netzen bekommen Sie heute, wenn Sie sich da einwählen, in aller Regel keine IP mehr, die quasi direkt im Internet auftritt. Vielmehr werden Sie auch da über einen Router beim Provider geleitet und sind da mit vielen hundert anderen Nutzern desselben UMTS-Netzes über diesen selben Router über dieselbe öffentliche IP im Internet unterwegs. … Mit anderen Worten: Es gibt diese Haftungsfreistellung im UMTS-Netz sowieso schon. Das heißt, es gibt ohnehin schon massenhafte und völlig unproblematische Möglichkeiten, das Internet anonym zu nutzen. Darüber hinaus gibt es natürlich noch reihenweise andere – Internet-Cafés möchte ich nennen – oder selbstverständlich auch technisch komplexe Verfahren wie Anonymisierungssysteme im Internet und so etwas.
Der Punkt zum Mitnehmen ist einfach nur: Identifikationspflichten sind machbar, datenschutzrechtlich heikel, aber technisch sinnlos.
Dr. Reto Mantz (@offenenetze):
Die wirtschaftliche Auswirkung der derzeitigen Rechtsunsicherheit ist zum einen, dass Pri- vatpersonen solche WLANs nicht machen, aber eben auch, dass bei Hotels eine prohibitive Wirkung eintritt. Das hat aber auch zur Folge, dass klassische Access-Provider wie die Telekom oder Kabel Deutschlandhier bevorteilt werden. Die Telekom plant derzeit das sogenannte WLAN to go: Privatpersonen sollen quasi im Rahmen ihres normalen Telekom-Vertrages einen öffentlich zugänglichen WLAN-Hotspot aufspannen. Die Telekom sagt hier: Wir stellen dich von der Haftung frei. Warum kann die Telekom so agieren? Weil sie durch § 8 TMG nicht nur rechtlich, sondern auch praktisch privilegiert ist. Die derzeitige Auswirkung der Rechtslage ist als negativ zu betrachten. …
Der zweite Grund, warum Nebenbei-Provider wie Hotels, Gaststätten, aber auch Ju- gendheime, Schulen, Kommunen etc. eigentlich nicht durch Urheberrechtsverletzun- gen auffallen, aber dennoch von der prohibitiven Wirkung betroffen sind, besteht da- rin, dass sich öffentliche WLANs für Filesharing schlicht und einfach nicht gut eignen; denn die Bandbreite ist heutzutage doch begrenzt, da sehr viele WLANs überall aufgespannt sind. Wenn zwei Leute in einem Café Filesharing betrieben, wenn das gut funktionierte, dann wäre der Kanal schon dicht, sodass das auch nichts tatsächlich Attraktives ist. …
Von der Telekom verlangt man nichts. Man verlangt weder eine Registrierung noch eine Belehrung noch Filtermaßnahmen noch Portsperren noch irgendetwas, gar nichts. Die Telekom muss einfach gar keine Maßnahmen ergreifen. Die Frage ist: Warum soll der Hotelbetreiber, der nach dem Gesetz nichts anderes als das tut, was auch die Telekom macht, hierbei anders behandelt werden? Wir haben es schon gesagt: Das wird in der Rechtsprechung eben ohne Stütze im Gesetz anders behandelt. …
Das Landgericht München hat im Jahr 2012 sehr deutlich gesagt: Es besteht keine Pflicht, Nutzer in WLANs zu identifizieren. Das Landgericht München hat buchmäßig alle möglichen rechtlichen Grundlagen durchgeprüft und immer gefragt: Erwächst hieraus die Pflicht, den Nutzer zu identifizieren und dann im Zweifelsfall auch benennen zu können? … In technischer Hinsicht muss man sagen: Die Tatsache, dass man jemanden identifiziert, und die Möglichkeit, anschließend sagen zu können, dass der Betreffende der Täter war, sind zwei vollkommen unterschiedliche Dinge. Aber selbst wenn wir das einmal unterstellen, dass man denjenigen identifiziert und den Namen herausgibt, dann muss man sagen: Als Störer würde man ja immer noch haften. Diejenigen, die die Rechte verfolgen, also in diesem Fall die Abmahnkanzleien, werden sich davon nicht beeindrucken lassen, sondern weiterhin aus den Grundsätzen der Störerhaftung gegen den Anbieter vorgehen und möglicherweise zusätzlich aus dem Hintergrund der Täterhaftung gegen den eigentlichen Täter. Das heißt, hier ist eine Registrierung definitiv kontraproduktiv. …
Die letzte Frage bezog sich auf die Verfolgbarkeit. Sie haben es schon angesprochen: Im UMTS-Netz ist auch heute tatsächlich bei vielen Providern eine Verfolgbarkeit nicht gewährleistet, weil im Nachhinein nicht festgestellt werden kann, wer denn der Rechtsverletzer ist. Das heißt, wenn ich heute ins Internet gehe, mich unter einem falschen Namen in ein Forum einlogge und dann einen der hier Anwesenden auf übelste Art und Weise beleidigen sollte, drohte mir da vermutlich nicht allzu viel. Das ist schon heute so, und daran ändert sich dann auch später nichts. …
Die Sicherheitsmaßnahmen oder das Sicherheitskonzept könnten schon eher ein Problem sein. Aber auch hier gilt: Wenn ich nur ein oder zwei WLAN-Hotspots – dazu wird vielleicht Herr Rotert etwas sagen können – betreibe, dann brauche ich auch kein wahnsinnig großes Sicherheitskonzept. Das ist tatsächlich meines Erachtens keine so große Hürde, auch wenn ich hierfür die Minimize-Regeln durchaus befürworte, wie sie zum Beispiel bei der TK-Überwachung bereits existieren: TK- Überwachung erst ab 10.000 Nutzer; WLANs werden das kaum erreichen können. …
UMTS reicht nicht, um arbeiten zu kön- nen. Das ist richtig. Was die Bundesregierung meines Erachtens ebenfalls verkannt hat, ist die Tatsache, dass ganz besonders die großen Provider, Telekom etc., ganz stark auf WLAN setzen. In den nächsten Jahren haben wir eine Vervielfachung des Datenverkehrs zu erwarten. Auch wenn wir alle jetzt sofort LTE zur Verfügung hätten, würde LTE hierfür nicht ausreichen, ganz und gar nicht.
Dr. Julius Mittenzwei (Chaos Computer Club e.V., @mittenzwei):
Ich brauche breitbandiges Internet, um kreativ zu sein, um arbeiten zu können. Es gibt zwar schon in den Großstädten UMTS und so etwas, aber es ist einfach mühsam, über das Handynetz zu gehen, und man kann einfach nicht effektiv arbeiten, kreativ sein und alles Weitere. Deshalb nehme ich an, dass es sich vermutlich nicht irgendwie in Wirtschaftswachstum niederschlagen wird. Aber für die gesamte Internetkreativwirtschaft ist freies WLAN eine Conditio sine qua non, ohne die man einfach nicht arbeiten kann. Ich sage es einmal überspitzt: Es wird in Deutschland nichts mit einem deutschen Silicon Valley, wenn es schon am Internet fehlt. Das ist eigentlich die Grundvoraussetzung für alles Weitere. …
Als Letztes kam die Frage zu der Neuregelung, die in der letzten Woche im Bundestag beschlossen wurde. Meines Erachtens wird auch hiermit an der Rechtsfolgenseite herumgedoktert. Trotzdem ist man erst einmal Verletzer oder wird auf Unterlas- sung oder Ähnliches in Anspruch genommen, und dann ist nur hinten herum die Kos- tenseite begrenzt. Selbst dies schafft nicht die klare Regelung, die eigentlich notwendig wäre, um freie WLANs an allen Orten zu ermöglichen, an denen man sich aufhält. …
Zu der Frage, ob eine Registrierungspflicht überhaupt praktikabel wäre: Ich bin da skeptisch, gerade dann, wenn diese Registrierungspflicht irgendwie eine ernst zu nehmende Sicherung darstellen soll. Man müsste irgendwelche Zertifikatsinfrastruktur oder Ähnliches schaffen. Das alles ist technisch schwierig. Selbst solche Regelungen, dass man irgendetwas akzeptieren muss oder Ähnliches, bilden eigentlich nur eine psychologische Hürde, wenn beispielsweise Nutzer aufgerufen werden, dass man in einem offenen WLAN ist, möglicherweise jemand anderes Ärger bekommt und dass man sich bitte dementsprechend zu benehmen hat. An sich bewegt man sich einfach innerhalb dieses WLANs, wo man sich nicht wie bei einem UMTS-Netz – das betrifft den zweiten Teil der Frage – irgendwie mit einer SIM-Card anmeldet. Vielmehr meldet sich jeder Rechner nur mit seiner Netzwerkkennung an, von seiner Karte, die aber nirgendwo zentral registriert ist und die man auch, wenn man sich auskennt, in seinem Laptop beliebig ändern kann. Meines Erachtens ist irgendeine Registrierungspflicht nicht praktikabel….
Die stete Gegenreaktion, dass man bei Straftaten wie Urheberrechtsverletzungen, die im Internet – wie im normalen Leben auch – begangen werden, immer nach tota- ler Kontrolle schreit, ist eigentlich ein Reflex, den man durchaus hinterfragen muss. Wenn man dann aber die Statistik liest, sind die Aufklärungsquoten von Straftaten im Internet – ich nehme an, das wird bei Urheberrechtsverletzungen ähnlich sein – einfach viel höher als von allen anderen Straftaten, die irgendwie im täglichen Leben offline begangen werden. Man wird also damit leben müssen, dass man dann gewisse Sachen einfach nicht verfolgen kann, weil Registrierungspflicht und Ähnliches nicht praktikabel sind.
Zur Frage der politischen Bedeutung: Ich teile die Auffassung, dass man das lieber früher als später regeln und klarstellen sollte, statt noch einmal weitere Jahre zu warten, bis das durch alle Instanzen hin und zurück entschieden ist. Es sollte bessere jetzt eine Regelung getroffen werden, weil die Bevölkerung jetzt und nicht in zehn Jahren schnelles Internet braucht.
Wir werden sehen, ob in das Thema in der nächsten (Bundes-)Legislaturperiode wieder aufkommt. Es wäre zu hoffen, dass hier eine Regelung gefunden wird.