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Lesetipp: Neurauter, Anm. zu BGH „BearShare“: Zu tatsächlicher Vermutung und sekundärer Darlegungslast bei Filesharing-Fällen, GRUR 2014, 660

Im aktuellen Heft 7/2014 der GRUR hat Dr. Sebastian Neurauter die Entscheidung des BGH, Urt. v. 8.1.2014 – I ZR 169/12 (s. kurze Besprechung dazu hier) besprochen (GRUR 2014, 660). Er geht dabei eingehend auf die Unterschiede zwischen „tatsächlicher Vermutung“ und „sekundäre Darlegungslast“ ein und stellt anhand dessen die Folgen des BGH-Urteils dar.

Zu erwähnen ist noch, dass auch Neurauter die tatsächliche Grundlage für die Vermutung des BGH, dass nämlich eine Rechtsverletzung über den Internetanschluss in der Regel vom Anschlussinhaber begangen worden sein wird, ablehnt:

Ein Erfahrungssatz, aus dem man die persönliche täterschaftliche Verantwortung eines Anschlussinhabers für jede über seinen Anschluss begangene Rechtsverletzung ableiten könnte, fehlt …

Damit ist Neurauter auf einer Linie mit den Amtsgerichten Bielefeld und Düsseldorf (dazu hier) sowie Teilen der Literatur (u.a. Zimmermann, MMR 2014, 368, 369 f.; Mantz, Anm. zu BGH BearShare, K&R 2014 – erscheint demnächst).

Lesetipp: Stang/Hühner, Anmerkung zu BGH, Urt. v. 12.5.2010 – I ZR 121/08: Sommer unseres Lebens, GRUR 2010, 636

In Heft 7/2010 der GRUR ist eine Anmerkung von Stang und Hühner zum WLAN-Urteil des BGH (BGH, Urt. v. 12.5.2010 – I ZR 121/08: Sommer unseres Lebens, s. dazu schon hier, hier, hier und hier) erschienen, GRUR 2010, 636.

Die Autoren versuchen dabei, das Urteil in die bisherige BGH-Rechtsprechung einzubetten und eine Linie der Entscheidungen zu entwickeln.

Interessant sind insbesondere die Ausführungen zu den Prüfungs- und Überwachungspflichten. So sehen Stang/Hühner in dem in Art. 15 ECRL und Art. 7 TMG verankerten Grundsatz, dass ohne Kenntnis keine Haftung besteht, nur ein Element der Abwägung und keine Voraussetzung.

Der BGH stellt nunmehr jedoch in überzeugender Weise klar, dass es sich bei der vorherigen Kenntnis des Verantwortlichen nicht um eine allgemeine Haftungsvoraussetzung handelt.

Im Hinblick auf die bisherige Rechtsprechung des BGH, die die Privilegierungen auf Unterlassungsansprüche nicht anwendet, ist dies eine überraschende Wertung. Allerdings könnte sie erklären, warum der BGH bei seiner Begründung nicht ganz deutlich gemacht hat, ob und inwiefern er an dieser Rechtsprechung festhalten will (s. dazu schon hier und hier).

Zum Eigeninteresse, das der BGH für die Zumutbarkeit von Sicherungsmaßnahmen anführt, schreiben sie:

Bei der grundsätzlichen Bejahung von Prüfungspflichten stellt der BGH im Wesentlichen auf das Eigeninteresse des Anschlussinhabers an der Sicherung des Anschlusses zum Schutz eigener Daten ab. Die Folge der Berücksichtigung des Eigeninteresses eines potenziellen Störers ist nicht etwa eine Obliegenheit, deren Verletzung als ein „Verschulden gegen sich selbst” einzustufen ist. Vielmehr handelt es sich beim Eigeninteresse des Verantwortlichen um ein allgemeines Wertungskriterium, welches regelmäßig in die Bemessung zumutbarer Prüfungspflichten einfließen kann. Denn je höher das Eigeninteresse des Verantwortlichen an der konkret in Rede stehenden Maßnahme ist, desto eher ist diese als zumutbar zu bewerten.

Im weiteren plädieren die Autoren dafür, die vom BGH angenommene Haftung eher als eine Zurechnung des Verhaltens Dritter anzusehen und eine Haftung auf der Basis der Eröffnung einer Gefahrenquelle zu begründen – ein Punkt, den der BGH glücklicherweise gerade nicht so aufgegriffen hat (s. dazu schon Garcia, Telepolis v. 19.4.2010; Mantz, JurPC 2010, Web-Dok. 95/2010, Rn. 11-19; Krüger, http://lawgical.jura.uni-sb.de /index.php?/entry/552-WLAN-+-anonym-+-Internet-Gefahr-Stoererhaftung.html).

Der Betrieb eines ungesicherten WLAN-Funknetzes begründet eine abstrakte Gefahrenquelle für fremde Urheberrechtsverletzungen. Der Anschlussinhaber hat diese Gefahrenquelle im Rahmen des Zumutbaren abzuschirmen, und zwar unabhängig davon, ob es bereits zu Rechtsverletzungen gekommen ist oder konkrete Anhaltspunkte hierfür vorliegen. Dies deckt sich mit den Grundlagen allgemeiner Verkehrspflichten, die im Rahmen des Deliktsrechts als allgemeine Haftungsfigur anerkannt sind. Vor diesem Hintergrund verwundert es umso mehr, dass der I. Zivilsenat den vorliegenden Fall nicht zum Anlass nahm, um ein einheitliches rechtsgebietsübergreifendes täterschaftliches Haftungssystem im Bereich der Verantwortlichkeit nicht vorsätzlich handelnder Beteiligter an einer Schutzrechtsverletzung mit der Folge der grundsätzlichen Haftung auch auf Schadensersatz zu etablieren.

Der Übertragung dieser Grundsätze, die in der Literatur schon mehrfach gefordert wurde, hat der BGH allerdings eine Absage erteilt. Insgesamt hat er damit der in der Rechtsprechung zu beobachtenden Ausweitung der Haftung zumindest im Bereich des Urheberrechts Einhalt geboten. Es wird sich zeigen müssen, ob der BGH bei dieser Linie bleibt.

Stattdessen plädieren Stang/Hühner dafür, die von ihnen vorgeschlagene (sehr weitreichende) Haftung, die zudem auch Schadensersatzansprüche begründen würde, über § 8 TMG analog einzugrenzen (so auch schon als eine Möglichkeit ausführlich Mantz, Rechtsfragen offener Netze, S. 291, 293 ff. mit Diskussion und weiteren Nachweisen).

Das möglicherweise entscheidende Motiv des BGH, den Anschlussinhaber keiner Schadensersatzhaftung auszusetzen, überzeugt zwar im Ergebnis, wäre jedoch auch durch eine analoge Anwendung des § 8 Absatz 1 TMG erreichbar gewesen (vgl. Stang/Hühner, GRUR-RR 2008, 273, 275 m.w. Nachw.).

Dies könnte im Hinblick auf dogmatische Erwägungen oder eine Vereinheitlichung auf haftungsbegründender Seite erstrebenswert sein, dürfte aber anschließend weitere Probleme aufwerfen und dieses Haftungsinstrument kaum handhabbarer oder gerechter gestalten.