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Zu den Anforderungen an die Darlegungslast bei Filesharing-Fällen – AG HH contra AG/LG München

Der BGH hat in mehreren Fällen zur Darlegungs- und Beweislast beim Filesharing Stellung genommen und ein bestimmtes System entwickelt. Ganz grob gesagt: Der Rechteinhaber hat grundsätzlich die Darlegungs- und Beweislast. Zu Lasten des Anschlussinhabers gilt aber eine tatsächliche Vermutung, dass er der Täter einer Rechtsverletzung über seinen Anschluss ist. Diese kann er – im Wege der sekundären Darlegungslast – erschüttern. Kann er dies, obliegt wieder die volle Beweislast dem Rechteinhaber (eingehend Sassenberg/Mantz, WLAN und Recht, 2014, Rn. 248 ff.).

Fraglich ist, was der Anschlussinhaber genau tun muss, um seiner sekundären Darlegungslast zu genügen. Hier hat sich in ganz Deutschland eine praxisnahe Auslegung entwickelt, nach der es ausreichend ist, wenn der Anschlussinhaber konkret und substantiiert vorträgt, dass andere Nutzer Zugang zum Anschluss hatten. Insoweit muss er auch Nachforschungen anstellen, wie der BGH festgestellt hat. Das bedeutet, dass der Anschlussinhaber herausfinden muss, ob andere Zugriff hatten. Mehr aber nicht.

In ganz Deutschland? Nein. Tief im Süden gibt es ein kleines gallisches Dorf namens München, das noch Widerstand leistet und in dem sowohl Amts- als auch Landgericht vom Anschlussinhaber praktisch Unmögliches verlangen. Darüber hat z.B. Thomas Stadler schon berichtet. Das Amtsgericht München formuliert beispielsweise:

„Die Beklagte muss weiterhin vortragen, welche anderen Personen selbständigen Zugang zu ihrem Internetanschluss hatten und als Täter der Urheberrechtsverletzung in Betracht kommen. Sie muss dafür umfangreiche Nachforschungen zu den potentiellen Anschlussnutzern und ihrem Nutzungsverhalten anstellen, die möglichen Täter befragen und diese dem Gericht namentlich mitteilen.“

Im Ergebnis müsste der Anschlussinhaber nach Ansicht des AG München also das Surfverhalten der anderen Mitnutzer des Anschlusses überwachen, was sich nur schwer mit der vom BGH entwickelten Rechtsprechung vereinbaren lässt.

Dieser Auffassung aus München ist nun das AG Hamburg (Urt. v. 30.06.2015 – Az. 543 C 9112/14, Volltext) in einem sehr lesenswerten Urteil (erneut) entgegen getreten, über das bei initiative-abmahnwahn.de berichtet wird. So heißt es in dem Urteil (Hervorhebungen hier):

„Der Anschlussinhaber trägt dazu eine sekundäre Darlegungslast. Dieser genügt der Anschlussinhaber dadurch, dass er vorträgt, ob andere Personen und gegebenenfalls welche anderen Personen selbständigen Zugang zu seinem Internetanschluss hatten und als Täter der Rechtsverletzung in Betracht kommen. In diesem Umfang ist der Anschlussinhaber im Rahmen des Zumutbaren auch zu Nachforschungen verpflichtet. Eine wie auch immer geartete Beweislastumkehr zu Lasten der Beklagten ist damit allerdings nicht verbunden. Die sekundäre Darlegungslast dient der Bewältigung von Informationsdefiziten bei der Sachverhaltsaufklärung; sie ändert jedoch nichts an dem Grundsatz, dass keine Partei verpflichtet ist, dem Gegner die für den Prozesserfolg benötigten Informationen zu verschaffen (Zöller/Greger, ZPO, 30. Aufl. 2014, Vor § 284 Rn. 34). Genügt der Anschlussinhaber der sekundären Darlegungslast, ist es also wiederum Sache der klagenden Partei, die Täterschaft des Anschlussinhabers Beklagten zu beweisen (vgl. BGH, a.a.O. BearShare). …

Die sekundäre Darlegungslast der Beklagten bezieht sich nur darauf, ob überhaupt und wenn ja welche anderen Personen wegen des ihnen eingeräumten Zugriffs als Täter in Betracht kommen. Die Beklagte musste darüber hinaus weder angeben, welche Personen nicht in Betracht kommen, noch detaillierter dazu vortragen, ob die drei weiteren Familienmitglieder konkret auch gerade zum Tatzeitpunkt Zugriff auf den Internetanschluss nehmen konnten, zumal sich dies nach ihrer Einlassung, sie sei zu diesem Zeitpunkt nicht zu Hause gewesen, ihrer unmittelbaren Wahrnehmung entzog. …

Zu weiterem Vortrag und zu weiteren Nachforschungen war die Beklagte entgegen der Ansicht der Klägerin nicht verpflichtet. Es besteht in diesen Fällen insbesondere keine Verpflichtung, Nachforschungen dahingehend anzustellen, wer der Täter der Rechtsverletzung ist (BGH, BearShare, a.a.O.). Daher musste die Beklagte weder die Computer untersuchen noch ein Routerprotokoll auslesen. Der Beklagte war auch nicht verpflichtet, noch konkreter zur tatsächlichen Nutzung des Internetanschlusses vorzutragen. Vortrag dazu, welche Personen zum Zeitpunkten der behaupteten Rechtsverletzung den Anschluss tatsächlich genutzt haben, ist im Rahmen der sekundären Darlegungslast nicht geboten (so auch AG Düsseldorf, 20.05.2014, 57 C 16445/13 – juris; AG Düsseldorf; 25.11.2014, 57 C 1312/14 – juris). …

Soweit ein kleiner Teil der Rechtsprechung dies noch anders sieht und vom Anschlussinhaber in Fällen wie dem hiesigen verlangt, er müsse „konkret, d.h. verletzungsbezogen, darlegen …, ob und warum diese anderen Personen als Täter in Betracht kommen. Um seiner Nachforschungspflicht nachzukommen, hätte er von vornherein darlegen müssen, inwieweit er versucht hat, mit ihnen Kontakt aufzunehmen, um herauszufinden, ob sie jeweils als Täter der Rechtsverletzung in Betracht kommen. Hierzu hätte er beispielsweise Nachforschungen anstellen müssen, wo sich die potenziellen Täter zu den beiden Tatzeitpunkten aufgehalten haben und ob sie zu den maßgeblichen Zeitpunkten konkret – und nicht nur theoretisch – Zugang zum Internetanschluss gehabt haben.“ (LG München I, 05.09.2014, 21 S 24208/13 – juris, dort Rn. 30), kann dem nicht gefolgt werden. …

Diese Ansicht überspannt die Anforderungen an die sekundäre Darlegungslast, weil sie die Funktionsweise der Tauschbörsenprogramme nicht hinreichend berücksichtigt. Das Herunterladen und das Anbieten einer Datei in einer Dateitauschbörse setzen nämlich nicht voraus, dass der Tauschbörsennutzer dauerhaft anwesend ist. Der Vorgang muss nur einmal manuell, das heißt durch einen anwesenden Nutzer, in Gang gebracht werden. Sodann kann eine Datei stunden-, tage- oder im Extremfall, nämlich wenn die Internetverbindung nicht getrennt wird, wochenlang angeboten werden. Wäre eine durchgehende körperliche Anwesenheit erforderlich, würde es zur Darlegung, dass der Anschlussinhaber für die Rechtsverletzung nicht verantwortlich ist, ausreichen, wenn er vorträgt, dass er zum behaupteten Tatzeitpunkt nicht zu Hause, sondern z.B. bei der Arbeit gewesen sei. Insoweit weisen jedoch sowohl die Gerichte als auch die Klägervertreter in Filesharing-Verfahren zu Recht immer wieder darauf hin, dass eine Datei in einer Dateitauschbörse auch ohne dauernde körperliche Anwesenheit des Anschlussinhabers angeboten werden kann, der Anschlussinhaber sich mit einem solchen Vortrag also regelmäßig nicht entlasten kann. Dies muss dann aber im Rahmen der sekundären Darlegungslast auch für die weiteren Nutzer des Internetanschlusses gleichermaßen bzw. umgekehrt gelten, sofern es sich bei diesen um Haushaltsangehörige handelt. Denn auch diesen steht der Anschluss, wie dem Anschlussinhaber, quasi ständig zur Verfügung. Es kommt es auf die Anwesenheit weiterer Haushaltsangehöriger Personen exakt im Ermittlungszeitpunkt gar nicht an, wenn zuvor ein Tauschbörsenprogramm gestartet wurde auf einem Gerät, welches mit dem Internet verbunden war (so bereits AG Hamburg, 27.03.2015, 36a C 363/14 – juris, dort Rn. 25). …

Die Beklagte musste auch nicht vortragen, wer Täter der Rechtsverletzung ist, oder wer nicht als Täter in Betracht kommt. Das hat der BGH gerade verneint (BGH, BearShare, a.a.O): „Der Anschlussinhaber genügt seiner sekundären Darlegungslast dadurch, dass er vorträgt, ob andere Personen und gegebenenfalls welche anderen Personen selbständigen Zugang zu seinem Internetanschluss hatten und als Täter der Rechtsverletzung in Betracht kommen.“ Danach muss kein Täter benannt werden, zumal sich die Beklagte damit gegebenenfalls in einen Konflikt im Sinne von §§ 55, 52 Abs. 1 StPO, 384 Nr. 2, 383 Abs. 1 Nr. 3 ZPO begeben müsste. Die sekundäre Darlegungslast kann jedoch nicht dazu führen, dass gesetzlich normierte Zeugnisverweigerungsrechte ausgehöhlt werden, die den innerfamiliären Zusammenhalt und das innerfamiliäre Vertrauensverhältnis in Ansehung möglicher strafrechtlicher Verfolgung schützen. …

Rechtlich verlangt werden können eine Ermittlung zum Nutzungsverhalten und vor allem Vortrag dazu im Prozess ohnehin nicht, wenn zu den weiteren Nutzern ein Näheverhältnis im Sinne des § 383 ZPO besteht und der Anschlussinhaber daher aufgrund bestehender Zeugnisverweigerungsrechte nicht zur Mitteilung des Ermittlungsergebnisses verpflichtet ist. Wer aber ein Ergebnis der Ermittlungen nicht mitzuteilen hat, den trifft von vornherein folgerichtig auch keine Ermittlungspflicht. …

Soweit die Klägerin meint, die Beklagte sei im Rahmen ihrer Nachforschungspflicht gehalten gewesen, durch eigene Recherche herauszufinden, ob sich auf den im Haushalt befindlichen Rechnern bzw. internetfähigen Geräten ein Tauschbörsenprogramm oder der streitgegenständliche urheberrechtlich geschützte Pornofilm befindet, werden damit die Grenzen der Zumutbarkeit deutlich überschritten. Darüber hinaus setzt die Nachforschungspflicht des Anschlussinhabers auch nicht bereits mit Zugang der Abmahnung ein, sondern erst mit Zustellung der Anspruchsbegründung oder Klageschrift im Rahmen des gerichtlichen Verfahrens, da die Nachforschungspflicht gerade Inhalt der sekundären Darlegungslast und damit einer prozessualen Rechtsfigur ist (Forch, GRUR Prax 2015, 49). Der Umfang der Nachforschungspflicht wird vom Bundesgerichtshof in der BearShare-Entscheidung auf zumutbare Nachforschungen beschränkt. Zumutbar ist nur das, was zum einen tatsächlich möglich und zum anderen rechtlich zu verlangen ist. Die Internetnutzung gehört zum Familienalltag und wird üblicherweise nicht aufgezeichnet. Es ist daher angesichts der hiesigen Klageschrift, die erst deutlich über ein Jahr nach der behaupteten Rechtsverletzung überhaupt verfasst und zugestellt wurde, nicht mehr möglich, das konkrete Nutzungsverhalten anderer Anschlussnutzer am behaupteten Tattag und einer gewissen Zeitspanne vor diesem Zeitpunkt nachträglich zu ermitteln. Das dürfte, abhängig von der Zahl der Nutzer, der Uhrzeit des behaupteten Rechtsverstoßes und anderen Umständen des Einzelfalls, im Wesentlichen auch dann gelten, wenn man für den Beginn der Nachforschungspflicht entgegen hier vertretener Auffassung auf den Zugang der Abmahnung abstellen und insoweit eine relativ kurze Zeitspanne von nur – wie hier – circa zwei Wochen zwischen behaupteter Rechtsverletzung und Zugang der Abmahnung zugrunde legen würde. …“

Anmerkung zu AG Hamburg, 10.6.2014 – 25b C 431/13: Anwendbarkeit von § 8 TMG auf WLAN – erschienen

In eigener Sache:

Mittlerweile ist meine Anmerkung zum Urteil des AG Hamburg, Urt. v. 10.6.2014 – 25b C 431/13, CR 2014, 536 (und zugleich Urt. v. 24.6.2014 – 25b C 924/13) in der Zeitschrift Computer und Recht (CR) erschienen (CR 2014, 538). Ich habe beide Urteile bereits hier im Blog kurz besprochen (hier und hier), nun ist zusätzlich eine längere Anmerkung in der CR erschienen.

In beiden Fällen ging es um die Haftung des Betreibers eines WLANs, einmal ein Hotel, einmal eine Ferienwohnung. Das AG Hamburg hat – als erstes Gericht in Deutschland – § 8 TMG im Zusammenhang mit WLAN thematisiert und auch angewandt.

Aus der Anmerkung (CR 2014, 538 ff.):

Bereits seit 2006 befassen sich die Gerichte immer wieder mit Rechtstreitigkeiten um urheberrechtliche Abmahnungen, bei denen die zugrundeliegende Rechtsverletzung von einem Nutzer eines WLANs ausging. Dabei standen hauptsächlich Fälle im Vordergrund, bei denen Privatpersonen das WLAN zu privaten Zwecken betrieben.[1] Bis vor kurzem waren überhaupt nur drei Fälle des LG Frankfurt und des AG München bekannt geworden, die die Haftung des Betreibers eines „gewerblichen“ WLANs betrafen: ein Hotel-WLAN[2], ein WLAN, das ein Vermieter von Ferienwohnungen seinen Gästen zur Verfügung stellte,[3] und ein vom Vermieter betriebenes WLAN.[4] LG Frankfurt und AG München waren in beiden Fällen im Wege der Einzelfallprüfung zu dem Schluss gekommen, dass der Betreiber des WLAN-Hotspots weder auf Schadensersatz noch auf Unterlassung in Anspruch genommen werden könne. Allerdings waren beide Gerichte jeweils nicht auf die Privilegierungsregelung des § 8 TMG eingegangen, obwohl diese nach allgemeiner Auffassung in der Literatur auf WLANs Anwendung findet.[5]

Das AG Hamburg hat nun – spannenderweise wiederum zu WLAN-Hotspots eines Hotels und eines Vermieters von Ferienwohnungen – als soweit ersichtlich erstes Gericht in Deutschland die Privilegierung des § 8 TMG auf WLAN-Hotspots überhaupt geprüft – und angenommen.

1. Keine Haftung auf Schadensersatz

Unter Verweis auf § 8 TMG hat das AG Hamburg zunächst eine Haftung auf Schadensersatz konsequent abgelehnt. Dennoch – möglicherweise im Hinblick auf eine eventuelle Berufung – ist das AG Hamburg in einer eigentlich unnötigen Hilfsbegründung darauf eingegangen, dass eine Haftung als Täter oder Teilnehmer auch ohne Anwendung der Privilegierung ausscheidet …

Weitere Publikationen hier.

 

AG Hamburg: Keine Haftung für WLAN bei Vermietung von Ferienwohnungen

Das AG Hamburg hat mit einem neuen Urteil zur (nicht bestehenden) Haftung des Vermieters von Ferienwohnungen für die durch die Mieter über das WLAN begangenen Rechtsverletzungen erneut die Anwendung der Privilegierung des § 8 TMG auf WLANs angenommen (AG Hamburg, Urt. v. 24.6.2014 – 25b C 924/13 – Volltext, PDF). Das Urteil ist ähnlich dem, über das ich vor einigen Tagen berichtet hatte.

Interessant ist noch zweierlei:

1. Eingriffsmöglichkeiten

Zu Recht vergleicht das AG Hamburg den Vermieter von Ferienwohnungen im Hinblick auf seine Einwirkungsmöglichkeiten auf die Handlungen der Nutzer mit klassischen Access Providern. Das gilt auch, obwohl viel weniger Nutzer (nur die Mieter) das WLAN nutzen:

Dem gewerblichen Vermieter von Ferienwohnungen sind Prüfung und Kontrolle seiner Mieter jedoch ebenso wenig möglich, wie anderen Providern. Dass der Beklagte ggf. einer geringeren Anzahl an Nutzern den Zugang zum Internet vermittelt und deren Personalien kennt, erhöht zumindest im Rahmen eines Vermietungsmodells wie dem vorliegenden, nicht die Möglichkeit seiner Einflussnahme.

2. Keine Belehrungspflicht

Das AG Hamburg lehnt zunächst eine Belehrungspflicht grundsätzlich ab:

Fraglich dürfte ohnehin sein, ob ein Vermieter von Ferienwohnungen grundsätzlich verpflichtet ist, Belehrungen zu erteilen (so in einem ähnlich gelagerten Fall das LG Frankfurt a.M., MMR 2011, 401). Bei “klassischen” Access Provider werden Hinweise und Belehrungen grundsätzlich nicht gefordert (vgl. Mantz, GRUR-RR 2013, 497, 499). Auch der Vermieter kann grundsätzlich so gut wie keinen Einfluss auf seine – eigenverantwortlich handelnden- Mieter nehmen. Die Frage kann aber dahinstehen, da die erteilten Hinweise jedenfalls inhaltlich ausreichend.

Im Wege der Hilfsbegründung sieht es zudem die hier pauschal erteilte Belehrung als ausreichend an:

Die Frage kann aber dahinstehen, da die erteilten Hinweise jedenfalls inhaltlich ausreichend sind.

Die Belehrung war nicht zu pauschal. Es kann hierbei nicht darauf ankommen, dass die Belehrung explizit das Verbot einer Tauschbörsennutzung aufführt. Anderenfalls müsste sie sämtliche urheberrechtlichen Verstoßmöglichkeiten nennen. Eine derart lange, ggf. unübersichtliche und unverständliche Belehrung dürfte ihrem Zweck noch weniger dienbar sein. …

Es ist dem Beklagten auch nicht zuzumuten, die Belehrung an die jeweilige Nationalität des Mieters anzupassen. Ein Vermieter kann nicht gehalten sein, vor Abschluss eines Mietvertrages die jeweiligen urheberrechtlichen Standards abzugleichen und seine Belehrung entsprechend anzupassen.

(via www.initiative-abmahnwahn.de)

Keine Haftung bei Betrieb eines Hotel-WLANs – AG Hamburg wendet Privilegierung des § 8 TMG an

Das AG Hamburg (Urt. v. 10.6.2014 – 25b C 431/13, Volltext) hat kürzlich zur Haftung bei Betrieb eines WLANs in einem Hotel Stellung genommen, und dabei eine Haftung als Täter oder Teilnehmer unter Verweis auf § 8 TMG abgelehnt, und ferner auch eine Störerhaftung wegen angeblich unterlassener zumutbarer Prüfungs- und Überwachungspflichten verneint.

I. Das Urteil

Im Tatbestand hat das AG Hamburg u.a. festgestellt:

Den Hotelgästen wird die Internetnutzung wie folgt ermöglicht Jeder Gast erhält an der Rezeption auf Nachfrage kostenlos befristete Zugangsdaten. Er kann in seinem Zimmer eine WLAN als auch eine LAN Verbindung nutzen. Er muss sich individuell einwählen und vorder Nutzung in den Nutzungsbedingungen bestätigen, dass er „die Haftung für alle Aktivitäten übernehme“ und „vermutlicher Missbrauch rechtliche Schritte nach sich ziehen könne“.

Der Beklagte hat die Zimmergäste des 21.072012 benannt (Anlage B5). Wer genau von diesen Gästen das Internet genutzt hat und wie, lässt sich nicht mehr nachvollziehen. Eine durchgängige Datenspeicherung wird aus datenschutzrechtlichen Gründen nicht durchgeführt.

Der Beklagte hat bereits in den letzten drei bis vier Jahren Abmahnungen der streitgegenständlichen Art von unterschiedlichen Rechteinhabern erhalten.

Der Inhaber des Hotels hatte u.a. noch folgendes vorgetragen:

Auch wenn ein Hotelgast die behauptete Rechtsverletzung begangen habe, ist er der Auffassung, dass ihm weitergehende Absicherungen des Intemetanschlusses nicht möglich und zumutbar seien. Störungen der Internetverbindung aufgrund etwaiger Sperrungen könne er nicht hinnehmen. Seine primär ausländischen und geschäftlich tätigen Hotelgäste seien auf ein störungsfrei funktionierendes Internet angewiesen. Sie würden hohe Standards voraussetzen. Könne er diese nicht erfüllen, sei er in seiner wirtschaftlichen Existenz bedroht.

Er habe sowohl bei der … als auch bei einem Fachanwalt um Rat gefragt. Eine Lösung, wie man Nutzungen der streitgegenständlichen Art ausschließen könne, ohne Einschränkungen von Verfügbarkeit, Performance und Übertragungsgeschwindigkeit hinzunehmen, habe ihm niemand bieten können.

Als – soweit bekannt – erstes deutsches Gericht wendet das AG Hamburg die Haftungsprivilegierung des § 8 TMG auf ein gewerbliches WLAN an und schließt damit die Haftung als Täter oder Teilnehmer aus:

1. Selbst wenn die streitgegenständliche Nutzungshandlung durch einen der Hotelgäste über den gewerblich genutzten Hotelanschluss des Beklagten vorgenommen wurde, ist der Beklagte von einer deliktischen Haftung – als Täter und als Teilnehmer – freigestellt, da die Privilegierung des § 8 Abs. 1 S. 1 TMG auf ihn Anwendung findet § 8 TMG greift für Dienstanbieter, die für ihre Nutzer Zugang zu einem Kommunikationsnetz herstellen, vgl. § 2 Nr. 1 TMG. Der Beklagte, der sämtlichen Hotelgästen die Nutzung des WLAN Netzwerkes anbietet und ihnen so den Zugang zum Internet vermittelt, gehört als sogenannter Access Provider hierzu. Auch wenn die Rechtsprechung die Anwendbarkeit des § 8 TMG auf WLAN Betreiber (privat als auch gewerblich) bisher nicht erkennbar thematisiert hat, ist der herrschenden Literaturauffassung in diesem Punkt zu folgen (vgl. Mantz, GRUR-RR 2013,497 m.w.N.; sowie Hoeren/Jakopp, ZPR 2014, 72, 75 m.w.N.).

Nach § 8 Abs. 1 S. 1 TMG sind Dienstanbieter für fremde Informationen, zu denen sie den Zugang zur Nutzung vermitteln, nicht verantwortlich, sofern die die Übermittlung nicht veranlasst den Adressaten der übermittelten Information nicht ausgewählt, die übermittelten Informationen nicht ausgewählt oder verändert haben und nicht kollusiv mit dem Nutzer zusammengearbeitet haben.

Unstreitig ist keiner der Ausnahmetatbestände des § 8 TMG einschlägig.

Das Gericht geht anschließend im Wege einer zusätzlichen Begründung darauf ein, dass auch ohne Privilegierung eine Haftung als Täter oder Teilnehmer ausscheidet.

Anschließend lehnt das Gericht auch eine Haftung als Störer ab. Auch hier führt das AG Hamburg zwei alternative Begründungen an, die beide zum Ausschluss der Haftung führen. Es führt zum ersten Begründungspunkt u.a. aus:

Der Beklagte haftet auch nicht unter dem Gesichtspunkt der Störerhaftung, da er keine ihm mögliche und zumutbare Prüf- und Überwachungspflichten verletzt hat. …

Für den Beklagten als geschäftlichen Betreiber eines Hotel WLAN-Netzwerkes müssen im Ausgangspunkt die von der Rechtsprechung geprägten Grundsätze der Provider-Störerhaftung gelten (vgl. Hoeren/Jakopp, ZPR 2014, 72, 75). Daraus folgt insbesondere, dass der Maßstab der Zumutbarkeit streng anzusetzen ist.

Auch bei Vertretung der Ansicht, dass § 8 TMG (mangels unmittelbarer Anwendbarkeit) einer Inanspruchnahme als Störer nicht grundsätzlich entgegensteht (vgl. bspw. OLG Hamburg, Urteil vom 21.11.2013 – 5 U 68/10), so muss seine privilegierende Wertung den anzusetzenden Pflichtenmaßstab maßgeblich prägen. Auch der BGH integriert nunmehr die Vorgaben des TMG, als auch der E-Commerce-RL und der Rechtsprechung des EuGH in die Bewertung der Prüfungs- und Überwachungspflichten im Rahmen der Störerhaftung (vgl. BGH, Urteil vom 12.07.2012 -I ZR 18/11).

Für einen Filehosting-Dienst hat der BGH entschieden, dass etwaige Sicherungspflichten erst ab Kenntnis von der konkreten Rechtsverletzung und für die Zukunft zu ergreifen sind, um gleichartige Rechtsverletzungen zu verhindern. Wobei es hinsichtlich der Gleichartigkeit zwar nicht auf die Person desjenigen ankommt, der den Verletzungstatbestand erfüllt, sich die Verletzungshandlung aber auf das konkret urheberrechtlich geschützte Werk beziehen muss (BGH, Urteil vom 12.07.2012 – I ZR 18/11). Bei Gleichstellung des gewerblichen WLAN-Betreibers würde eine Störerhaftung vorliegend bereits aus diesem Grund scheitern. Denn der Beklagte war zwar aufgrund von diversen Abmahnungen seit drei bis vier Jahren in Kenntnis gelegentlicher, ähnlich gelagerter Rechtsverletzungen über den Hotelanschluss, nicht jedoch über die konkret vorgeworfene. Dass das konkret benannte geschützte Filmwerk des Klägers nach Erhalt der Abmahnung noch einmal verletzt worden sein soll, hat der Kläger nicht vorgetragen.

Anschließend verneint das AG Hamburg auch weitere zumutbare Prüfungs- und Überwachungspflichten, insbesondere die Einrichtung von Portsperren. Dabei stellt es auch darauf ab, dass das WLAN gesichert war. Das Gericht stellt anschließend auch in Frage, ob eine Belehrung der Nutzer – die der Hotelinhaber hier vorgenommen hatte – überhaupt verlangt werden kann:

Eine Inanspruchnahme des Beklagten als Störer scheitert aber jedenfalls an der mangelnden Zumutbarkeit weiterer Maßnahmen.

Die von ihm bereits ergriffenen Maßnahmen sind hinreichend. Der Beklagte betreibt kein ungesichertes WLAN Netzwerk, denn das eingerichtete Internet Gateway beschränkt die Zugriffsmöglichkeiten zumindest teilweise. Durch die Vergabe befristeter Zugangsdaten wird die Missbrauchsmöglichkeit durch hotelexterne Dritte reduziert und zudem werden die Hotelgäste gemäß der Anlage B4 belehrt. Ein Ausbau der Hinweispflichten war auch nach Erhalt diverser Abmahnungen nicht erforderlich. Fraglich dürfte ohnehin sein, ob ein Hotelbetreiber grundsätzlich verpflichtet ist, Belehrungen zu erteilen (so in einem ähnlich gelagerten Fall das LG Frankfurt a.M., MMR 2011, 401). Bei „klassischen“ Access Provider werden Hinweise und Belehrungen grundsätzlich nicht gefordert (vgl. Mantz, GRUR-RR 2013, 497, 499). Auch ein Hotelbetreiber kann grundsätzlich so gut wie keinen Einfluss auf seine – eigenverantwortlich handelnden- Gäste nehmen. Die Frage kann aber dahinstehen, da die erteilten Hinweise jedenfalls inhaltlich ausreichend und für internationale Gäste auch in der jeweiligen Sprache abrufbar sind.

Entgegen der Auffassung des Klägers bedurfte es auch keiner Sperrung von Ports. Der Kläger hat Bezug genommen auf ein Urteil des Landgericht Hamburgs, in welchem dieses entschied, dass es dem Betreiber eines Internetcafes möglich und zumutbar sei, Rechtsverletzungen mittels Filesharing bspw. durch Sperrung etwaiger Ports zu verhindern (vgl. LG Hamburg, MMR 2011, 475). Der Kläger hat zum einen bereits nicht vorgetragen, welche Ports der Beklagte genau hätte sperren sollen und zum anderen, ob eine solche Sperrung die streitgegenständliche Nutzungshandlung wirksam hätte verhindern können. Es dürfte Einigkeit dahingehend bestehen, dass unwirksame oder ineffektive Mahnahmen von Providern nicht verlangt werden können (vgl. bspw. OLG Hamburg, MMR 2009, 631).

Dem Beklagten ist es auf jeden Fall nicht zumutbar, Maßnahmen zu ergreifen, die gleichzeitig die Gefahr in sich tragen, dass der Zugang zu rechtmäßigen Angeboten unterbunden wird, und/oder zur Folge haben, dass die Leistungsfähigkeit des Internetanschlusses merkbar begrenzt wird.

Denn dem Beklagten, der aus wirtschaftlichen Gründen darauf angewiesen ist, seinen Hotelgästen eine störungsfreie Internetnutzung zu ermöglichen, dürfen keine Maßnahmen auferlegt werden, die sein Geschäftsmodell wirtschaftlich gefährden könnten (vgl. BGH, Urteil vom 12.07.2012 – I ZR 18/11). Der Beklagte hat substantiiert dargelegt, dass es bei Einschränkungen der Internetnutzung nicht auszuschließen ist, dass er seine Hauptkunden verliert und er damit in seiner wirtschaftlichen Existenz bedroht ist.

Maßnahmen, die die streitgegenständliche Rechtsverletzung hätten verhindern können und gleichzeitig sämtlichen genannten Voraussetzungen gerecht werden, hat der Kläger nicht vorgetragen und sind auch nicht ersichtlich.

II. Kurze Bewertung

Das Urteil des AG Hamburg ist durchaus beachtenswert. Als wie gesagt wohl erstes deutsches Gericht hat es die Anwendbarkeit der Privilegierung des § 8 TMG auf gewerbliche WLANs angesprochen – und angenommen. Dabei schließt es sich der allgemeinen Auffassung in der Literatur an (vgl. Sassenberg/Mantz, WLAN und Recht, Rn. 216 mit weiteren Nachweisen).

Zudem folgt es auch der aktuellen Tendenz des BGH, die Grundsätze der Privilegierung auch auf die Haftung als Störer zu übertragen und insbesondere eine Haftung überhaupt erst ab Kenntnis von der konkreten, im Einzelfall vorliegenden Rechtsverletzung anzunehmen (dazu Sassenberg/Mantz, WLAN und Recht, Rn. 217 mit weiteren Nachweisen). Selbst in der als zusätzliche Begründung durchgeführten Bewertung der durch den Hotelinhaber ergriffenen Maßnahmen (Zugang nur mit Passwort, Belehrung) lehnt das AG Hamburg die Haftung ab. Dabei geht es auch darauf ein, dass Maßnahmen, die den Weiterbetrieb des WLANs einschränken als unzumutbar anzusehen sind (zur eingehenden Bewertung von einzelnen Maßnahmen bei Betrieb eines WLANs Sassenberg/Mantz, WLAN und Recht, Rn. 227 ff., zu Portsperren Rn. 229), wobei es auch darauf eingeht dass der Betrieb eines WLANs wirtschaftlich notwendig ist (zur wirtschaftlichen Bedeutung von kostenlosem WLAN u.a. in Hotels hier) Zudem sieht das AG Hamburg Belehrungen der Nutzer als nicht erforderlich an. Der BGH hat gerade erst in seiner Bearshare-Entscheidung wieder (auch) darauf abgestellt, dass Erwachsene eigenverantwortlich handeln. Dies gilt selbstverständlich auch für die Nutzer eines WLANs in einem Hotel.

Unklar bleibt allerdings auch nach diesem Urteil, wie denn der Fall zu beurteilen ist, wenn im WLAN keine Zugangssicherung vorhanden ist. Aber auch in einem solchen Fall – der bei WLANs im Übrigen absolut üblich ist – dürfte eine Haftung unter Anwendung der Grundsätze für „klassische Access Provider“ ausscheiden.

Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig. Es ist daher noch abzuwarten, wie sich das LG Hamburg positionieren wird. Auch unter Zugrundelegung der bereits in zwei Urteilen festgelegten Maßstäbe des LG Frankfurt (MMR 2011, 401 und GRUR-RR 2013, 501 – dazu hier) dürfte eine Haftung des Hotelinhabers hier nicht gegeben sein, so dass eher nicht mit einer Aufhebung zu rechnen ist.

Update: Ich habe zusätzlich eine Anmerkung für die Zeitschrift Computer und Recht (CR) geschrieben (CR 2014, Heft 8/2014, S. 538 ff.).

AG Hamburg, Vfg. v. 27.7.2013: Streitwert bei Filesharing bei 1.000,- EUR in Vorgriff auf § 97a Abs. 3 UrhG

Wie RA Dr. Schenk berichtet, greift das AG Hamburg in einem laufenden Verfahren mit einer aktuellen Verfügung vom 27.07.2013 (Az.: 31 a C 108/13) bereits jetzt die Erwägungen des Gesetzes gegen unseriöse Geschäftspraktiken (BT-Drs. 17/14192) auf, das zwar verabschiedet, aber noch nicht im Bundesgesetzblatt verkündet und in Kraft getreten ist.

§ 97a Abs. 3 UrhG lautet in der künftigen Fassung:

(3) Soweit die Abmahnung berechtigt ist und Absatz 2 Nummern 1 bis 4 entspricht, kann der Ersatz der erforderlichen Aufwen- dungen verlangt werden. Fu?r die Inan- spruchnahme anwaltlicher Dienstleistun- gen beschra?nkt sich der Ersatz der erfor- derlichen Aufwendungen hinsichtlich der gesetzlichen Gebu?hren auf Gebu?hren nach einem Gegenstandswert fu?r den Unterlassungs- und Beseitigungsanspruch von 1 000 EUR, wenn der Abgemahnte
1. eine natu?rliche Person ist, die nach diesem Gesetz geschu?tzte Werke oder andere nach diesem Gesetz geschu?tzte Schutzgegensta?nde nicht fu?r ihre gewerbliche oder selbsta?ndige berufliche Ta?tigkeit verwendet, und
2. nicht bereits wegen eines Anspruchs des Abmahnenden durch Vertrag, aufgrund einer rechtskra?ftigen gerichtlichen Entscheidung oder einer einstweiligen Verfu?gung zur Unterlassung verpflichtet ist.Der in Satz 2 genannte Wert ist auch maßgeblich, wenn ein Unterlassungs- und ein Beseitigungsanspruch nebeneinander geltend gemacht werden.

Satz 2 gilt nicht, wenn der genannte Wert nach den besonderen Umsta?nden des Einzelfalles unbillig ist.

Den in § 97a Abs. 3 UrhG zu Grunde liegenden Gedanken scheint das AG Hamburg bereits jetzt anzuwenden. Dies ist auch deshalb relevant, weil damit zu rechnen ist, dass derzeit besonders viele Abmahnungen ausgesprochen und Gerichtsverfahren eingeleitet werden, um vor Inkrafttreten des Gesetzes noch Anwaltsgebühren für die Abmahnung nach dem bisherigen Streitwert (von häufig 10.000,- EUR) zu erhalten.

Die Ansicht des AG Hamburg ist begrüßenswert. Es ist zu hoffen, dass andere Gerichte dem folgen werden.

Wenn der neue § 97a Abs. 3 UrhG erst einmal in Kraft getreten ist, muss sich auch noch zeigen, ob diese Norm effektiver wird als der unrühmliche § 97a Abs. 2 UrhG, der so schwammig formuliert war, dass die Gerichte ihn praktisch nie angewandt haben.

S. auch Kurzbericht von RA Staemmler

AG Hamburg, Urt. vom 14.07.2009 – 36a C 149/09: Anwendbarkeit von § 97a Abs. 2 UrhG

AG Hamburg, Urteil vom 14.07.2009 – 36a C 149/09
Leitsätze (des Verfassers):
1. Auf den Verkauf von Bootlegs findet § 97a Abs. 2 UrhG Anwendung.

2. Mahnt der Rechtsinhaber eine Vielzahl von ähnlichen Verletzungen unterschiedlicher Personen in einem kurzen Zeitraum ab, spricht dies für eine Anwendung des § 97a Abs. 2 UrhG.

Tenor

1. Die Beklagte wird verurteilt an die Klägerin 100 EURO nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über Basiszinssatz seit dem 13.11.2008 zu zahlen.Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

2. Von den Kosten des Rechtsstreits haben die Beklagte 12% und die Klägerin 88% zu tragen.

4. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Der Klägerin bleibt nachgelassen, die Vollstreckung im Kostenpunkt abzuwenden durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 Prozent des vollstreckbaren Betrages, wenn nicht die Beklagte zuvor Sicherheit leistet in Höhe von 110 Prozent des jeweils zu vollstreckenden Betrages.

Tatbestand:

Die Klägerin eine eingetragene Rechtsanwalts-Partnergesellschaft, begehrt aus abgetretenem Recht einer Mandantin, der Iron Maiden Holdings Ltd., von der Beklagten, die als Brotverkäuferin tätig ist, Ersatz der anlässlich einer urheberrechtlichen Abmahnung angefallenen Anwaltskosten.

Am 6.11.2008 bot die Beklagte auf Internet-Verkaufsplattform X je einen Tonträger „Iron Maide – Live USA“ sowie „Iron Maiden Europe 1992“ mit Aufnahmen der weltweit bekannten Heavy Metal Band Iron Maiden zum Erwerb an. Im Namen der Zedentin Im Namen ihrer Zedentin mahnte die Klägerin daraufhin die Beklagte mit Schreiben vom 10.11.2008 u. a. auf Unterlassung des Vertriebs von Live-Aufnahmen der Gruppe Iron Maiden ab und forderte sie gleichzeitig zur Zahlung von Abmahnkosten auf. Die Beklagte gab eine strafbewehrte Unterlassungserklärung ab und lehnte den Ausgleich der Gebühren ab.

Die Klägerin behauptet, bei den von der Beklagten angebotenen Tonträgern handele es sich um sog. „Bootlegs“, inoffizielle und von den Rechteinhabern unautorisierte Mitschnitte von Konzerten der Gruppe Iron Maiden. Inhaberin der Künstlerschutzrechte an allen musikalischen Darbietungen und Aufnahmen in Bezug auf diese Musikgruppe sei die Iron Maiden Holdings Ltd., eine Gesellschaft britischen Rechts. Deren Gesellschafter seien die Bandmitglieder der Gruppe Iron Maiden, die ihre Rechte nach dem Gesellschaftsvertrag auf die Ltd. übertragen hätten. Die Klägerin ist der Ansicht, da sie die Beklagte berechtigt abgemahnt habe könne sie von dieser die Erstattung der im Rahmen dieses Vorgehens nach einem Gegenstandswert von 20.000 € angefallenen Rechtsanwaltsgebühren verlangen. Die Ausnahmevorschrift des § 97a Abs. 2 UrhG fände keine Anwendung, da es sich vorliegend nicht um einen einfach gelagerten Fall mit nur unerheblicher Rechtsgutverletzung handele, denn mit der britischen Zedentin sei die gesamte Korrespondenz in englischer Sprache zu führen gewesen. Zudem handele es sich um einen komplexen Sachverhalt. Die Tonträger seien Aufnahmen zweier kompletter Konzerte, welche die Beklagte vorsätzlich auf X angeboten habe.

Die Klägerin beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin 859,80 € zuzüglich Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 13.11.2008 zu zahlen.

Die Beklagte, die den geltend gemachten Anspruch in Höhe von € 100,- nebst Zinsen anerkannt hat, beantragt,

die Klage im Übrigen abzuweisen.

Sie ist der Ansicht, der Gesetzgeber habe mit § 97a Abs. 2 UrhG gerade vor unverhältnismäßig hohen Abmahnkosten schützen wollen, weshalb sein Anwendungsbereich eröffnet sei.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Klage ist in Höhe des anerkannten Betrages begründet (§ 307 ZPO).

Ein weitergehender Anspruch auf Erstattung von Abmahnkosten steht der Klägerin jedoch nicht zu.

Dabei kann dahinstehen, ob die Klägerin überhaupt aktivlegitimiert ist, da ein Anspruch der Klägerin auf Erstattung von Abmahnkosten gemäß § 97a Abs.2 ZPO auf € 100,- begrenzt ist.

I.

Nach dieser Vorschrift werden für den Fall einer erstmaligen Abmahnung in einfach gelagerten Fällen mit einer nur unerheblichen Rechtsverletzung außerhalb des geschäftlichen Verkehrs die erstattungsfähigen Aufwendungen auf € 100 beschränkt. Die vier genannten Voraussetzungen sind im vorliegenden Fall gegeben.

1. Zunächst einmal hat sich um eine (erste) Abmahnung ggü. der Beklagten in einem einfach gelagerten Fall gehandelt. Wann genau ein solcher vorliegt, ist anhand einer Gesetzesauslegung zu ermitteln. Hierbei ist auf den in der Gesetzesbegründung konkretisierten Willen des Gesetzgebers abzustellen. Danach liegt dann ein einfacher Fall vor, wenn er nach Art und Umfang ohne größeren Arbeitsaufwand zu bearbeiten ist, es sich also um einen Routinefall handelt (RegE = BT-Drs. 16/8783, S. 49). Die Gesetzesbegründung darf dabei nicht dahingehend missverstanden werden, dass diese Voraussetzungen nur vorliegen, wenn die Einschaltung eines Anwalts nicht erforderlich ist. Denn in diesem Fall würde ein Ersatzanspruch bereits an der in § 97 a Abs. 1 S. 2 UrhG normierten Voraussetzung der „Erforderlichkeit“ der Kosten scheitern. Daher ist das Kriterium des „einfach gelagerten Falles“ so zu verstehen, dass Fälle erfasst werden, die zwar nicht so einfach sind, dass ein Erstattungsanspruch gänzlich ausgeschlossen ist, aber dennoch eine Deckelung der Gebühren legitimiert ist. Entscheidend ist, dass der Fall weder in rechtlicher noch tatsächlicher Hinsicht Schwierigkeiten aufweist, also das Vorliegen und die Geltendmachung einer Rechtsverletzung quasi auf der Hand liegt. Denn nur in diesen Fällen geht nach dem Willen des Gesetzgebers das Schutzinteresse des Verletzers dem Ersatzinteresse des Verletzten vor.

a) Eine rechtliche Schwierigkeit war hier nach dem Tatsachenvortrag der Klägerin nicht gegeben.

aa) Es handelt sich bei sog. „Bootlegs“ grundsätzlich um Urheberrechte verletzende Tonträger, so dass auch die Verletzung des Verbreitungsrechtes durch den Verkauf eines derartigen Tonträgers auf X klar auf der Hand liegt und ohne juristische Probleme – sogar durch einen entsprechend instruierten Nichtjuristen – festgestellt werden kann. Wer die beiden „Bootlegs“ zum Verkauf angeboten hat, ist offensichtlich gewesen, und auch die Frage nach der verletzten Person, also dem Rechteinhaber, hat weder der Iron Maiden Holdings Ltd. noch der Klägerin juristische Schwierigkeiten bereitet. Wo genau der Unterschied zum dem ausdrücklich in der Gesetzesbegründung genannten Beispielsfall der unberechtigten Verwendung eines Fotos bei einer X-Auktion (vgl. hierzu auch OLG Brandenburg ZUM 2009, 412 ff.) liegen soll, ist nicht ersichtlich.

bb) An dieser Bewertung ändert auch die Tatsache nichts, dass die Bandmitglieder ihre Rechte – entsprechend der in der Musikindustrie gängigen Praxis – im Rahmen des Gesellschaftsvertrages auf die Iron Maiden Holdings Ltd. übertragen haben sollen. Zwar ist zumindest dem mit der Abmahnung beauftragten Anwalt zur Vermeidung einer unberechtigten Abmahnung eine rechtliche Überprüfung der Rechtekette zuzustehen. Käme man jedoch angesichts dessen zu der Feststellung, es liege kein einfach gelagerter Fall vor, so würde dies den Sinn und Zweck des § 97 a Abs. 2 UrhG konterkarieren. Denn zumindest bei anwaltlichen Abmahnungen aus dem Bereich der Musikindustrie wird regelmäßig eine Rechtekette gegeben sein. Auch dass es sich bei der Zedentin um eine Gesellschaft britischen Rechts handelt, lässt vorliegend keine rechtliche Schwierigkeit erkennen. Die Feststellung eines Urheberrechtsverstoßes lag trotz der Internationalität sowohl aus Sicht der Iron Maiden Holdings Ltd. als auch aus der der Klägerin quasi auf der Hand.

b) Auch in tatsächlicher Hinsicht war der Fall nicht schwierig gelagert. Im Tatsachenkern ging es schlicht um den Verkauf zweier CD’s mit Konzertaufnahmen der Gruppe Iron Maiden auf X. Weshalb hierin – wie von der Klägerin geäußert – ein komplexer Sachverhalt zu sehen sein soll, erschließt sich dem Gericht nicht. Der pauschale Vortrag, wonach die Klägerin ihrer Mandantin zunächst eine Beratung über das deutsche Urheberrecht habe zukommen lassen müssen, vermag ebenso wenig eine Schwierigkeit in tatsächlicher Hinsicht zu begründen. Dies auch vor dem Hintergrund, dass es Ziel des Gesetzgebers war, vor allem in Fällen von Massenabmahnungen eine Anspruchsbegrenzung vorzunehmen. Genügt jedoch in diesen Fällen – ganz unabhängig davon, ob man vorliegend von einer Massenabmahnung ausgeht, – der bloß pauschale Hinweis auf die vorgenommene anwaltliche Beratung der ausländischen Mandantschaft, so würde die Schutzfunktion des § 97 a Abs. 2 UrhG immer dann leer laufen, wenn Rechteinhaber eine ausländische natürliche oder juristische Person ist. Genau dies wird aber bei den meisten, auf musikalische Urheberrechte gestützte Abmahnungen der Fall sein. Ähnlich ist auch der Vortrag der Klägerin zu beurteilen, wonach sämtliche Korrespondenz mit der Mandantin in englischer Sprache geführt worden sei.

c) Für einen einfach gelagerten Fall spricht zudem, dass die Klägerin – wie gerichtsbekannt ist – in engem zeitlichen Zusammenhang mit der vorliegenden Abmahnung diverse gleichgelagerte Abmahnungen versandt hat, die allesamt Urheberrechtsverletzungen wegen Veräußerungen von „Bootlegs“ auf X zum Gegenstand hatten. Auch wenn vom Grundsatz her jede Abmahnung für sich betrachtet werden muss, so heißt dies nicht, dass die Häufigkeit derartiger Rechtsverletzungen und die damit verbundene Routine bei der Rechtsverfolgung außer Betracht zu bleiben hat. In diesem Zusammenhang erscheint dem Gericht ein Hinweis auf den praktischen Ablauf einer Abmahnung der vorliegenden Art angebracht. Mangels Vortrags der Klägerin kann wohl kaum angenommen werden, dass die Zedentin selber die Rechtsverletzung, welche ihr gegenüber in Form des Verkaufs von „Bootlegs“ auf X vorgenommen wird, feststellt und sie dann die Klägerin mit einer Abmahnung beauftragt. Auszugehen ist vielmehr davon, dass im General-Auftrag der Zedentin entweder eine Drittfirma oder die klagende Anwaltsgesellschaft selber die Rechtsverstöße ermittelt und dann entweder nach kurzer Rücksprache bei der Ltd. oder sogar ohne eine solche die Abmahnung ausgesprochen wird. Dass es sich bei einer solchen Konstellation um reine Routinefälle handelt, liegt auf der Hand.

2. Bei dem Verkauf der beiden „Bootlegs“ auf X handelte es sich auch um eine nur unerhebliche Rechtsverletzung einer privaten Verkäuferin. Nach der Gesetzesbegründung zu § 97a Abs.2 UrhG erfordert eine unerhebliche Rechtsverletzung ein geringes Ausmaß der Verletzung in qualitativer wie quantitativer Hinsicht, wobei es auf die Umstände des Einzelfalls ankommt (Begr. RegE = BT-Drs. 16/5048, S. 49). Hier wurden von der Beklagten nur zwei „Bootlegs“ auf X angeboten, womit sich die Verletzung noch in einem geringem quantitativen Ausmaß bewegte. Dass es sich dabei um zwei komplette Konzerte gehandelt haben soll, ist nicht ausschlaggebend. Abzustellen ist auf den Tonträger und nicht etwa auf die Anzahl der wiedergegebenen Titel oder die Abspieldauer. Auch in qualitativer Hinsicht vermag das Gericht hier keine erhebliche Rechtsverletzung auszumachen. Es handelt sich um einen gewöhnlichen Verstoß gegen das Verbreitungsrecht (§ 77 UrhG). Insofern die Klägerin darauf abstellt, die Beklagte habe vorsätzlich gehandelt, so vermag auch dieser Vortrag keine qualitativ erhebliche Rechtsverletzung zu begründen. Zum einen steht der Vorsatz der Beklagten nicht zur Überzeugung des Gerichts fest. Denn die Beklagte bezeichnete einen der Tonträger in der Artikelbeschreibung zwar als „Bootleg“, dass sie jedoch wusste, was mit diesem Begriff gemeint ist und sich somit in dem Bewusstsein rechtswidrigen Handelns befand, ist zumindest zweifelhaft. Zum anderen vermag der Vorsatz des Verletzenden nicht generell eine erhebliche Qualität der Rechtsverletzung zu begründen. Zwar hat der Vorsatz gesteigerte Unrechtsqualität. Hätte der Gesetzgeber jedoch für vorsätzliches Handeln grundsätzlich eine Ausnahme von der Beschränkung des Erstattungsanspruchs vorsehen wollten, so wäre zu erwarten gewesen, dass er dies im Gesetzestext oder zumindest in der Gesetzesbegründung zum Ausdruck gebracht hätte.

II.

Ein über € 100,- hinausgehender Anspruch der Klägerin ergibt sich auch nicht etwa aus § 97 Abs. 2 UrhG. Denn bei der Begrenzung des Erstattungsbetrages bliebe es auch dann, wenn die Beklagte – wovon auszugehen ist – schuldhaft gehandelt hat. Da an das Vorliegen einer zumindest leicht fahrlässigen Urheberrechtsverletzung keine allzu hohen Anforderungen zu stellen sind, würde dies den Tatbestand des § 97 a Abs. 2 UrhG signifikant einengen. Zudem hat der Gesetzgeber die Beschränkung auf 100 Euro nicht von einem fehlenden Verschulden abhängig gemacht (so auch Kefferpütz in Wandtke/Bullinger, Urheberrecht, 3. Aufl. 2009, § 97 a Rn. 38)

Die prozessualen Nebenentscheidungen beruhen auf den §§ 92, 708 Nr. 1, Nr.11 und 711 ZPO.