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Anmerkung zu BGH, Urt. v. 19.4.2012 – I ZB 80/11 – Alles kann besser werden, erschienen, K&R 2012, 664: Gewerbliches Ausmaß der Rechtsverletzung

In eigener Sache: In Heft 10 der Kommunikation & Recht ist (S. 664) meine Anmerkung zum Urteil des BGH, Urt. v. 19.4.2012 – I ZB 80/11 – Alles kann besser werden, erschienen.

Der BGH hat in dem Urteil die Auffassung vertreten, dass es für den Auskunftsanspruch (u.a.) gegen den Internetprovider nach § 101 Abs. 2 UrhG nicht erforderlich ist, dass auch die Rechtsverletzung in „gewerblichem Ausmaß“ erfolgt ist. Dieses Ergebnis ist nach meiner Auffassung vertretbar, aber keinesfalls zwingend. Der BGH hätte sein Ergebnis anders und näher begründen müssen. Der Anfang des Artikels ist bei K&R online.

Die Entscheidung ist auch von Oliver Garcia im Delegibus-Blog sehr lesenswert besprochen worden.

Fundstelle: K&R 2012, 664

Übersicht weiterer Publikationen hier

Anmerkung zu LG München I, Urt. v. 12.1.2012 – 7 HK O 1398/11, CR 2012, 603: Identifikationspflicht beim Betrieb von WLAN-Hotspots

In eigener Sache: In Heft 9 der Computer und Recht ist (S. 603) meine Anmerkung zum Urteil des LG München I, Urt. v. 12.1.2012 – 7 HK O 1398/11, zur Identifikationspflicht beim Betrieb von WLAN-Hotspots erschienen. Ich hatte das Urteil auch hier im Blog kurz besprochen.

Fundstelle: CR 2012, 605

Weitere Publikationen hier

LG München, Urt. v. 12.1.2012 – 17 HK O 1398/11: Keine Pflicht zur Erhebung von identifizierenden Daten beim Betrieb eines kostenlosen WLAN-Hotspot

Heute ist ein Urteil des Landgerichts München veröffentlicht worden, das sich mit der Pflicht zur Erhebung und Speicherung von Bestandsaten beim Betrieb eines kostenlosen WLAN-Hotspot beschäftigt – und solche Pflichten im Ergebnis verneint (Volltext hier und hier).

Hintergrund des Urteils war offenbar ein Rechtsstreits zwischen zwei Betreibern und Anbietern von öffentlichen WLAN-Hotspots, denn die Klägerin stützte sich insbesondere auf wettbewerbsrechtliche Unterlassungsansprüche. Ziel der Klägerin war, es der Beklagten zu untersagen

(1) Netzwerke, insbesondere WLAN-Netzwerke zur Internetnutzung zu betreiben oder betreiben zu lassen, die für die Öffentlichkeit zugänglich sind und von jedermann genutzt werden können, ohne das die Nutzer vor Zugang zum Internet identifiziert werden und ohne deren Verkehrsdaten im Sinne. von § 3 Nr. 30 TKG während der Nutzung zu speichern,

(2) identisch oder sinngemäß damit zu werben, „einen Vorratsdatenspeicherungsservice zu leisten, der allen zutreffenden Absätzen des jeweiligen Telekommunikationsgesetzes bzw. der EU-Richtlinie 2006/24/EG entspricht“ und mit der Aussage zu werben „das hoch entwickelte Back-End-System von f…-h…com ermöglicht uns, sowohl die Anforderungen der EU-Richtlinie als auch die der lokalen Gesetze der EU-Mitgliedsländern zu erfüllen oder sogar zu übertreffen“, soweit die Beklagte in den von ihr eingerichteten Netzwerken im Sinne von Ziffer 1 keine Nutzeridentifikation und Verkehrsdatenaufzeichnung im Sinne von § 3 Nr. 30 TKG durchführt.

Das LG München hat sich anschließend mit allen möglichen, von der Klägerin angebrachten Normen beschäftigt, die eine Speicherpflicht hergeben sollten – und diese sämtlich abgelehnt (siehe im Übrigen zu der Thematik Mantz, Rechtsfragen offener Netze, 2008, S. 268-277, online verfügbar):

1. § 111 TKG

Keine Pflicht soll sich danach aus § 111 TKG ergeben, nach dem Daten für Auskunftsersuchen der Sicherheitsbehördender gespeichert werden müssen. Allerdings erfasst § 111 TKG nur „Anschlusskennungen“ – und die (dynamische) IP-Adresse ist gerade keine solche „Anschlusskennung“.

Dabei verweist das LG München auch auf den Wortlaut der (durch das BVerfG für unwirksam erklärten) §§ 113a und 113b TKG.

2. §§ 95, 96 TKG

Ebenso wenig sieht § 95 TKG eine Pflicht zur Speicherung von Bestandsdaten vor. Denn nach § 95 „darf“ gespeichert werden – praktisch das Gegenteil von „müssen“. Ebenso ist § 96 TKG ein Erlaubnis- und kein Verpflichtungstatbestand.

Interessant und völlig korrekt ist, dass eine Erhebung und Speicherung auch nach § 95 TKG nur gestattet ist, wenn die Daten erforderlich sind. Und bei einem kostenlosen Angebot ist eine Erforderlichkeit nicht zu ersehen.

3. §§ 113a, 113b TKG

Diese Normen wurden vom Verfassungsgericht für verfassungswidrig erklärt und können daher eine Speicherpflicht nicht rechtfertigen.

4. §§ 112, 113 TKG

Regeln nur eine Auskunftspflicht über Daten, die bereits erhoben wurden, nicht aber eine Pflicht zur Erhebung und Speicherung.

5. § 109 TKG

Diese Norm betrifft technische Schutzmaßnahmen des Providers. Nach dem LG München trifft § 109 TKG

taber keine Aussage darüber, ob und ggf. in welchem Umfang ein Zugangsanbieter die Nutzung seiner Telekommunika1ionsanlagen durch berechtigte Nutzer zu rechtswidrigen Zwecken verhindern muss.

Hinzu kommt, dass unklar bleibt, wie die Identifizierung der Nutzer technischen Schutz vermitteln soll. Es ist also hier auch eine Frage der Erforderlichkeit.

6. § 101 UrhG

Interessant wird es noch einmal, wenn das LG München auf die behauptete Speicherpflicht nach § 101 UrhG eingeht. Das LG München sieht darin eine reine Auskunfts- aber keine Erhebungs- oder Speicherungspflicht. Damit dürfte sich das LG München auf einer Linie mit der übrigen Rechtsprechung befinden.

So hat beispielsweise das OLG Düsseldorf geurteilt (und ebenso schon das OLG Frankfurt):

Vor diesem allgemeinen Hintergrund teilt der erkennende Senat in Bezug auf die vorliegend zur Entscheidung stehende Frage die Auffassung der Oberlandesgerichts Frankfurt (GRUR-RR 2010, 91), dass es mangels gesetzlicher Grundlage keinen Anspruch des Auskunftsgläubigers nach § 101 Abs. 1 und 2 Nr. 3 UrhG auf die die Auskunft erst ermöglichende Speicherung gibt (vgl. auch OLG Hamm GRUR-Prax 2011, 61). Einer gesetzlichen Grundlage bedarf die Annahme einer Pflicht zur Speicherung dynamischer IP-Adressen in Interesse der Inhaber gewerblicher Schutzrechte und Urheberrechte gerade vor dem Hintergrund des Urteils des Bundesverfassungsgerichts zur „Vorratsdatenspeicherung“. Es kommt dem Gesetzgeber zu, einen Ausgleich herzustellen zwischen den Interessen dieser Inhaber privater Rechte, die von Verfassung wegen zu schützen sind, und den datenschutzrechtlichen Belangen der Internetnutzer, die ihrerseits verfassungsrechtlich geschützt sind.

7. Vermeidung der Störerhaftung

Die Klägerin hat ferner die Auffassung vertreten, dass eine Speicherung „zur Vermeidung der Störerhaftung“ erforderlich sei. Hierauf ist das Landgericht München mit keinem Wort eingegangen. Aber auch aus der „Vermeidung der Störerhaftung“ ließe sich ein solcher Anspruch nicht herleiten. Denn für jede Erhebung und Speicherung ist ein Erlaubnistatbestand erforderlich (§ 4 Abs. 1 BDSG). Ein solcher ist – wie das Gericht richtigerweise ausführt – nicht ersichtlich. Solange ein Dienst kostenlos angeboten wird, ist eine Erhebung von Bestandsdaten daher nicht erforderlich – und damit auch nicht gerechtfertigt. Ein Gericht, das eine solche Pflicht dennoch im Rahmen der Prüfungs- und Überwachungspflichten aus § 1004 BGB schafft, verpflichtet daher den Provider zu einer datenschutzwidrigen Erhebung und Speicherung von Daten. Dies haben z.B. das LG Leipzig und das OLG Düsseldorf so formuliert (LG Leipzig MMR 2004, 263; ebenso OLG Düsseldorf MMR 2006, 553, 556; OLG Düsseldorf MMR 2006, 618, 620; Strömer/Grootz, K&R 2006, 553, 556).

 

Weitere Anmerkungen und Näheres unter

 

US-Gericht: IP-Adresse identifiziert nicht Person – (k)ein Beitrag für die Diskussion um den Personenbezug einer IP-Adresse und das Verhältnis zur Störerhaftung

Nach einer Meldung des Blogs Torrentfreak (inklusive Volltext) ist in den letzten Tagen mehrfach über eine Entscheidung des United States District Court of the Eastern District of New York berichtet worden (s. nur hier und hier). Teilweise wurde auch schon der Zusammenhang mit der deutschen Diskussion des Personenbezugs von IP-Adressen diskutiert (s. Blog Datenschutzbeauftragter-info).

In diesem Beitrag soll (1) die Bedeutung des Urteils für die deutsche Diskussion um den Personenbezug von IP-Adressen und  (2) der Zusammenhang mit Verfahren wegen der Verbreitung von urheberrechtlich geschützten Werken durch Filesharing in Deutschland beleuchtet werden.

Auszüge der Entscheidung des Gerichts

Zunächst einige Auszüge aus der Bewertung der Tatsachen durch das Gericht:

The putative defendants are identified only by Internet Protocol („IP“) addresses. …

This Order addresses (1) applications by plaintiffs in three of these actions for immediatediscovery, consisting of Rule 45 subpoenas directed at non-party Internet Service Providers(„ISPs“)to obtain identifying information about subscribers to the named IP addresses …

BitTorrent also uses a „tracker“ computer that tracks thepieces of the files as those pieces are shared among various computers. This tracking feature [allows] the plaintiffs to identify the IP addresses from which the films were downloaded, the subscribers towhich have become the defendants in these actions. …

The complaints assert that the defendants – identified only by IP address – were theindividuals who downloaded the subject „work“ and participated in the BitTorrent swarm.However, the assumption that the person who pays for Internet access at a given location is thesame individual who allegedly downloaded a single sexually explicit film is tenuous, and one thathas grown more so over time. An IP address provides only the location at which one of anynumber of computer devices may be deployed, much like a telephone number can be used for anynumber of telephones. …

Thus, it is no more likely that the subscriber to an IP address carried out a particular computerfunction – here the purported illegal downloading of a single pornographic film – than to say anindividual who pays the telephone bill made a specific telephone call.

Indeed, due to the increasingly popularity of wireless routers, it much less likely. While adecade ago, home wireless networks were nearly non-existent, 61% of US homes now havewireless access. Several of the ISPs at issue in this case provide a complimentary wireless routeras part of Internet service. As a result, a single IP address usually supports multiple computer devices – which unlike traditional telephones can be operated simultaneously by differentindividuals.See U.S. v. Latham, 2007 WL 4563459, at *4 (D.Nev. Dec. 18, 2007). Different family members, or even visitors, could have performed the alleged downloads. Unless the wireless router has been appropriately secured (and in some cases, even if it has been secured), neighbors or passersby could access the Internet using the IP address assigned to a particular subscriber and download the plaintiff’s film. …

Some of these IP addresses could belong to businesses or entities which provide accessto its employees, customers and sometimes (such as is common in libraries or coffee shops) members of the public.

In sum, although the complaints state that IP addresses are assigned to „devices“ and thus by discovering the individual associated with that IP address will reveal „defendants“ trueidentity,”this is unlikely to be the case.  Most, if not all, of the IP addresses will actually reflect a wireless router or other networking device, meaning that while the ISPs will provide the name of its subscriber, the alleged infringer could be the subscriber, a member of his or her family, an employee, invitee, neighbor or interloper.

(Hervorhebungen durch Verfasser)

1. Die Frage des Personenbezugs von IP-Adressen

a. Personenbezug und Bestimmbarkeit

In der deutschen Literatur ist bereits seit längerer Zeit umstritten, ob IP-Adressen ein personenbezogenes Datum i.S.d. § 3 BDSG darstellen. Dabei muss man sich den Gesetzestext vor Augen führen. § 3 Abs. 1 BDSG lautet:

Personenbezogene Daten sind Einzelangaben über persönliche oder sachliche Verhältnisse einer bestimmten oder bestimmbaren natürlichen Person

(Hervorhebung durch Verfasser)

Für den Personenbezug reicht es demnach aus, dass eine Person „bestimmbar“ ist. Über gerade dieses Merkmal herrscht Streit. Teilweise wird der sogenannte „relative Personenbezug“ vertreten (so z.B. AG München, Urteil vom 30.09.2008 – 133 C 5677/08). Danach soll ein Datum nur dann personenbezogen sein, wenn derjenige, der das Datum speichert, den Personenbezug selbst herstellen kann, z.B. weil in seiner Datenbank auch den Namen des Betroffenen gespeichert ist.  Kein Personenbezug soll vorliegen, wenn nur ein Dritter diesen Identitätsbezug herstellen kann (daher „relativ“).

Auf der anderen Seite vertreten vor allem die Datenschutzaufsichtsbehörden den sogenannten „absoluten“ Personenbezug (ebenso LG Berlin, K&R 2007, 601; LG Hamburg CR 2005, 136, 140; AG Berlin Mitte K&R 2007, 600; Hoeren, Skript Internetrecht (Stand September 2008), 439; Kitz, GRUR 2003, 1014, 1018; Nordemann/Dustmann, CR 2004, 380, 386; Tinnefeld in: Roßnagel, Handbuch Datenschutzrecht, Kap. 4.1 Rn. 21; Spindler/Dorschel, CR 2005, 38, 44; Wüstenberg, TKMR 2003, 105, 107). Danach soll ein Datum, das sich auf eine bestimmbare Person bezieht, in jedem Fall ein personenbezogenes Datum sein, also auch dann, wenn nur ein Dritter diesen Identitätsbezug herstellen kann.

Dies hat in Bezug auf IP-Adressen erhebliche Auswirkungen. Denn wie im Fall des US-Gerichts kennt der Rechtsinhaber nur die IP-Adresse und den Zeitpunkt der Nutzung. Der Access Provider hingegen kann auf Anfrage aus IP-Adresse und Zeitpunkt der Nutzung in seiner Nutzungsdatenbank (sofern er eine solche ausreichend lange vorhält), klar bestimmen, wer zu diesem Zeitpunkt diese IP-Adresse genutzt hat.

Nach der Theorie des absoluten Personenbezugs ist die IP-Adresse bereits beim Rechtsinhaber ein personenbezogenes Datum nach § 3 Abs. 1 BDSG, nach der Theorie des relativen Personenbezugs hingegen nicht.

Ich will hier auf den Streit und das jeweilige Für und Wider nicht näher eingehen. Allerdings ist das Merkmal „bestimmbar“ nach allgemeiner Auffassung so definiert, dass ein Personenbezug gegeben ist, wenn ohne unzumutbaren Aufwand die Identität der Person herausgefunden werden kann.

Nach meiner Meinung ist vor diesem Hintergrund der Streit wenigstens bei Filesharing-Fällen nicht so beachtlich. Denn die zehntausendfachen Anfragen nach § 101 UrhG belegen, dass es für Rechtsinhaber relativ unproblematisch ist, die erforderliche Auskunft zu erhalten. Wenn also der Rechtsinhaber eine IP-Adresse erhebt, ist ziemlich sicher, dass er die Identität des Anschlussinhabers ermitteln kann. Demnach kann – durch Rückgriff auf die Daten des Access Providers mittels § 101 UrhG – mit nicht unzumutbarem Aufwand aus der IP-Adresse auf die Identität des Anschlussinhabers geschlossen werden, auch wenn dafür auf Daten eines Dritten zugegriffen werden muss.

Die IP-Adresse ist also ein personenbezogenes Datum nach § 3 Abs. 1 BDSG.

b. Die Entscheidung des US-Gerichts

Nun hat das US-Gericht in seiner Entscheidung, wie sich auch aus den Auszügen oben ergibt, scheinbar relativ eindeutig geurteilt, dass eine IP-Adresse eine Person nicht identifiziert. Es stellt sich die Frage, ob dies auf die obige Diskussion des Personenbezugs von IP-Adressen irgendeine Auswirkung hat. Das Blog Datenschutzbeauftragter-info hat dies überschrieben mit: „Klarheit durch neues Urteil?

Eine solche Klarheit bringt die Entscheidung des US-Gerichts nach meiner Auffassung aber nicht.

Denn das Gericht hat sich mit der Frage beschäftigt, ob sich aus der IP-Adresse eindeutig auf den Täter einer hinter einer IP-Adresse tätigen Rechtsverletzung schließen lässt und hat diese Frage verneint.

Dies hat aber keinerlei Einfluss darauf, dass sich aus der IP-Adresse auf den Anschlussinhaber schließen lässt. Das Gericht hat diesen Umstand auch erkannt und erläutert, dass es zwischen dem „Subscriber“ eines Internet-Anschlusses und dem Täter („alleged infringer“) unterscheidet:

… while the ISPs will provide the name of its subscriber, the alleged infringer could be the subscriber, a member of his or her family, an employee, invitee, neighbor or interloper.

(Hervorhebungen durch Verfasser)

2. Zusammenhang mit Verfahren wegen der Verbreitung von urheberrechtlich geschützten Werken durch Filesharing

Dennoch ist der Entscheidung des US-Gerichts – auch mit Blick auf die rechtliche Situation in Deutschland – zuzustimmen. Denn auch in Deutschland ist die vom US-Gericht aufgeworfene und beantwortete Frage relevant, z.B. in Verfahren wegen der Verletung urheberrechtlich geschützter Werke.

Bei Verfahren wegen der Verletzung von Urheberrechten über das Internet muss zwischen zwei Anspruchskomplexen unterschieden werden: (a) Anspruch auf Schadensersatz nach § 97 Abs. 2 UrhG und (b) Anspruch auf Unterlassung nach §§ 97 Abs. 1 UrhG, 1004 BGB nach den Grundsätzen der sogenannten Störerhaftung.

a. Schadensersatz

In § 97 Abs. 1, 2 UrhG heißt es:

(1) Wer das Urheberrecht oder ein anderes nach diesem Gesetz geschütztes Recht widerrechtlich verletzt …

(2) Wer die Handlung vorsätzlich oder fahrlässig vornimmt, ist dem Verletzten zum Ersatz des daraus entstehenden Schadens verpflichtet.

Schadensersatzhaftung ist eine klassische Täterverantwortlichkeit. Der Rechtsinhaber muss belegen können, dass der angebliche Verletzer sein Urheberrecht verletzt hat – und zwar vorsätzlich oder fahrlässig und zusätzlich schuldhaft. Dafür muss er den Täter konkret benennen und darlegen, dass dieser Täter die Urheberrechtsverletzung begangen hat.

Hier setzt die Entscheidung des US-Gerichts an: Mittels der IP-Adresse kann nicht der Täter einer Urheberrechtsverletzung (mit ausreichender Sicherheit) identifiziert werden.

… while the ISPs will provide the name of its subscriber, the alleged infringer could be the subscriber, a member of his or her family, an employee, invitee, neighbor or interloper.

(Hervorhebungen durch Verfasser)

Ebenso argumentiert grundsätzlich auch der BGH (BGH MMR 2010, 565 – Sommer unseres Lebens m. Anm. Mantz):

Der IP-Adresse kommt keine mit einem eBay-Konto vergleichbare Identifikationsfunktion zu. Anders als letzteres ist sie keinem konkreten Nutzer zugeordnet, sondern nur einem Anschlussinhaber, der grds. dazu berechtigt ist, beliebigen Dritten Zugriff auf seinen Internetanschluss zu gestatten. Die IP-Adresse gibt deshalb bestimmungsgemäß keine zuverlässige Auskunft über die Person, die zu einem konkreten Zeitpunkt einen bestimmten Internetanschluss nutzt. Damit fehlt die Grundlage dafür, den Inhaber eines WLAN-Anschlusses im Wege einer unwiderleglichen Vermutung so zu behandeln, als habe er selbst gehandelt (vgl. BGH, a.a.O.  – Halzband). Es ginge deshalb zu weit, die nicht ausreichende Sicherung eines WLAN-Anschlusses mit der unsorgfältigen Verwahrung der Zugangsdaten für ein eBay-Konto gleichzusetzen. Dies würde die WLAN-Nutzung im Privatbereich auch mit unangemessenen Haftungsrisiken belasten, weil der Anschlussinhaber bei Annahme einer täterschaftlichen Verantwortung unbegrenzt auf Schadensersatz haften würde, wenn außenstehende Dritte seinen Anschluss in für ihn nicht vorhersehbarer Weise für Rechtsverletzungen im Internet nutzen.

(Hervorhebungen durch Verfasser)

Allerdings wendet der BGH (und der Folge die deutschen Instanzgerichte) auch im Rahmen der Schadensersatzhaftung die sogenannte sekundäre Darlegungslast an. Es spreche eine Vermutung dafür, dass der Anschlussinhaber auch die Rechtsverletzung begangen hat. Diese Vermutung muss der Anspruchsgegner durch geeigneten Vortrag (z.B. Urlaub) entkräften. Insofern dürften das US-Gericht und die deutsche Rechtsprechung (häufig) zu sich widersprechenden Ergebnissen kommen. So hat z.B. das LG Magdeburg, Urteil vom 11.05.2011 – 7 O 1337/10, BeckRS 2011, 14490, unter Bezugnahme auf das vorgenannte BGH-Urteil erkannt:

Der Kläger hat einen Anspruch auf Schadensersatz gemäß §§ 97 Abs. 1,2, 19 a UrhG.  … Weil das geschützte Filmwerk der Öffentlichkeit von einer IP-Adresse aus zugänglich gemacht wurde, die zum fraglichen Zeitpunkt dem Beklagten zugeteilt war, spricht eine tatsächliche Vermutung dafür, dass der Beklagte für die Rechtsverletzung verantwortlich ist. Den Beklagten, der geltend macht, eine andere Person habe die Rechtsverletzung begangen, traf daher eine sekundäre Darlegungslast (vgl. BGH, Urteil vom 12.05.2010, Aktenzeichen I ZR 121/08 – Sommer unseres Lebens – zitiert nach juris). Dieser sekundären Darlegungslast ist der Beklagte nicht nachgekommen. Er hat nicht ausgeschlossen, dass sein erwachsener Sohn … der mit dem PC des Beklagten vertraut war, weil er den Router installiert hatte, oder andere Besucher der Familie am Silvestertag 2009 in der Wohnung des Beklagten waren.

Eine solche sekundäre Darlegungslast kennt das US-Recht (nach meinem Wissen) nicht, wobei zu beachten ist, dass in den USA nur ausnahmsweise der Beklagte Beweis erbringen muss – was durch die Möglichkeit einer Discovery zu Gunsten des Klägers ausgeglichen wird. Dennoch könnte im Ergebnis die Entscheidung des US-Gerichts als weiteres Argument gegen die Annahme einer Schadensersatzhaftung angeführt werden. Ob dem Erfolg zuteil wird, muss sich zeigen.

b. Störerhaftung

Auf der anderen Seite wendet die Rechtsprechung die sogenannte „Störerhaftung“ auch auf Urheberrechtsverletzungen an. Danach soll eine Haftung auf Unterlassen (nicht auf Schadensersatz) des Anschlussinhabers bestehen, wenn er ihm obliegende Prüf- und Überwachungspflichten verletzt hat und er dadurch jedenfalls an einer Rechtsverletzung (wenn auch möglicherweise unbewusst) mitgewirkt hat.

Auch hier zeigt sich erneut der Zusammenhang: Aus der IP-Adresse lässt sich zwar ggf. nicht auf den Täter schließen – aber jedenfalls auf den Anschlussinhaber. Gäbe es in den USA ein Institut ähnlich der Störerhaftung, hätte das US-Gericht dementsprechend vermutlich geurteilt:

Eine IP-Adresse identifiziert zwar nicht den Täter einer Urheberrechtsverletzung, aber auf jeden Fall den Anschlussinhaber.

 

OLG Köln, Beschluss v. 23.01.2012, Az. 6 W 13/12: Gewerbliches Ausmaß nach § 101 Abs. 9 UrhG

Das OLG Köln (Volltext hier) hat in einem kürzlich ergangenen Beschluss erneut Stellung zum Begriff des gewerblichen Ausmaßes in § 101 Abs. 9 UrhG genommen (s. dazu Mantz, K&R 2009, 21 mwN; Rechtsprechungsübersicht hier).

Das OLG Köln führt dazu aus:

Das Angebot eines einzelnen urheberrechtlich geschützten Werks in einer sogenannten Internettauschbörse kann das geschützte Recht in einem gewerblichen Ausmaß verletzen; … Aus der Gesetzgebungsgeschichte (BT-Drs. 16/8783 S. 50) ergibt sich aber über diesen Aspekt hinaus, dass mit dem Erfordernis des gewerblichen Ausmaßes eine Beschränkung des Auskunftsanspruchs auf schwerwiegende Eingriffe in die Rechte des Urhebers erreicht werden sollte,…

Der Senat geht in ständiger Rechtsprechung (vgl. nur MMR 2009, 334 [335] – Die schöne Müllerin; Beschluss vom 03.07.2009 – 6 W 63/09; GRUR-RR 2011, 85 = WRP 2011, 264 – Männersache; GRUR-RR 2011, 86 [87] – Gestattungsanordnung) davon aus, dass das Zugänglichmachen einer einzelnen geschützten Datei in einer Internet­tausch­börse (ob über denselben Anschluss eine Vielzahl urheberrechtlich geschützter Werke öffentlich zugänglich gemacht wird, ist vor erteilter Auskunft regelmäßig nicht feststellbar) nur dann das für die Bejahung des gewerblichen Ausmaßes der Rechtsverletzung nötige Gewicht aufweist, wenn es sich entweder um ein besonders wertvolles Werk handelt (vgl. Senatsbeschluss vom 03.11.2008 – 6 W 136/08 – betreffend ein 499,00 € teures Computerprogramm für professionelle Anwender) oder wenn eine hinreichend umfangreiche Datei innerhalb ihrer relevanten Verwertungsphase öffentlich zugänglich gemacht wird …

 Ob sich ein Werk noch in der relevanten Verwertungsphase befindet, kann nur im Einzelfall bestimmt werden, wobei den jeweiligen Vermarktungsbedingungen Rechnung zu tragen ist (vgl. Senat, GRUR-RR 2011, 88 [90] = WRP 2010, 1554 – Beschwerderecht des Anschlussinhabers; GRUR-RR 2011, 85 = WRP 2011, 264 – Männersache). Was den weiten Bereich der aktuellen Unterhaltungsmusik sowie der Spielfilme sämtlicher Kategorien betrifft, so hat der Senat auf Grund seiner Feststellungen in verschiedenen einschlägigen Verfahren (vgl. die Nachweise im Beschluss GRUR-RR 2011, 85 [86] = WRP 2011, 264 – Männersache) Anlass zu der Annahme gesehen, dass hier erfahrungsgemäß nach spätestens sechs Monaten die wesentliche kommerziel­le Auswertung abgeschlossen ist und eine Fortdauer der relevanten Verwertungsphase über diesen Zeitraum hinaus nur auf Grund besonderer Umstände angenommen werden kann. Im Streitfall ist das Landgericht auf Grund der vorgetragenen Verkaufszahlen davon ausgegangen, dass sich die wirtschaftliche Vermarktung des in Rede stehenden Computerspiels bereits nach weniger als einem halben Jahr, jedenfalls aber nach knapp einem Jahr und damit zur Zeit der geltend gemachten Rechtsverletzungen als im Wesentli­chen abgeschlossen darstellte.

Im Ergebnis bleibt das OLG Köln daher seiner Linie treu, dass jeder Einzelfall zu prüfen ist, aber meist nach einer gewissen „Einführungsphase“ das gewerbliche Ausmaß nicht mehr gegeben sein dürfte. Da zumindest das OLG München das noch liberaler sieht, wird abzuwarten sein, wie sich die Bewertung des gewerblichen Ausmaßes in § 101 Abs. 9 UrhG weiter entwickeln wird. Das OLG Köln hat jedenfalls die Rechtsbeschwerde zugelassen, so dass eventuell demnächst eine Klärung der Frage zu erwarten ist.

Fritz Pieper hat die Entscheidung mit weiteren Nachweisen und Hinweisen für Telemedicus behandelt.

 

LG Stuttgart, Urteil vom 28. Juni 2011 – 17 O 39/11: Erfüllung der sekundären Darlegungslast

Das LG Stuttgart hat mit Urteil vom 28. Juni 2011 (Az. 17 O 39/11, Volltext hier) einen Beispielsfall behandelt, wie ein Abgemahnter der vom BGH im Urteil „Sommer unseres Lebens“ (BGH MMR 2010, 565) postulierten sekundären Darlegungslast nachkommen kann. Diese Darlegungslast soll nach dem BGH bestehen, wenn der Rechtsinhaber belegen kann, dass von der IP-Adresse des Abgemahnten ein konkretes Werk heruntergeladen wurde.

Aus dem Tatbestand:

Im Auftrag der Klägerinnen ermittelte die p…M… GmbH, ein Dienstleister …  insgesamt 253 Audiodateien unter der IP-Nr. 84.157…  Sie erstattete deswegen am 02.11.2006 Strafantrag gegen unbekannt. Aufgrund Auskunftsersuchens der Staatsanwaltschaft Köln erteilte die D… T… AG am 06.12.2006 die Auskunft, dass in dem fraglichen Zeitraum die festgestellte IP-Nr. den Bekl. zugeordnet war. Das Ermittlungsverfahren wurde daraufhin an die Staatsanwaltschaft R… abgegeben. … Im Zuge der Ermittlungen wegen dieser vier Ermittlungsvorgänge suchte am 04.07.2007 ein Mitarbeiter der Kriminalpolizei S… den Haushalt der Bekl. auf und traf dort die Bekl. sowie deren fünfzehnjährige Tochter … an. … Die Kriminalpolizei stellte bei ihrer Überprüfung am 04.07.2007 fest, dass sich in der Wohnung lediglich ein PC befand, der von allen vier Familienmitgliedern genutzt wurde. Die nähere Untersuchung des PCs wurde der Polizei gestattet. KOK … stellte fest, dass auf dem Rechner kein File-Sharing-Programm, insbesondere nicht das Programm „Bearshare“ installiert war und er konnte auch keine verdächtigen Audiodateien feststellen. Die Kriminalpolizei vermochte nicht zu ermitteln, wer zu den festgestellten Zeitpunkten die Audiodateien im Internet zum Download angeboten hatte.

Aus den Gründen:

3. Die Bekl. sind ihrer sekundären Darlegungslast nachgekommen, indem sie geltend gemacht haben, mit den Rechtsverletzungen nichts zu tun zu haben, auf ihrem PC befinde sich kein Fllesharing-Proqramm und sie besäßen auch die angeblich zum Download bereit gestellten Audiodateien nicht. Darüber hinaus sei ihr WLAN-Router ausreichend gesichert. Diese Behauptungen der Bekl. werden gestützt durch die Feststellungen der Kriminalpolizei. Tatsächlich überprüfte die Kripo den PC der Bekl. zu einem Zeitpunkt, als diese von den im Auftrag der Klägerinnen durchgeführten Ermittlungen noch keine Kenntnis erlangt haben konnten. Anlässlich der Vernehmung vom 04.07.2007 der Bekl. in ihrer Wohnung gestatteten diese der Polizei bereitwillig die überprüfung ihres PC, ohne dass diese fündig geworden ist. Soweit aus den Akten ersichtlich waren die Bekl. zum Zeitpunkt dieser Vernehmung in keiner Weise vorgewarnt, da die Klägerinnen sich erstmals durch die Abmahnung der Klägervertreter vom 17.07.2008 – also etwa ein Jahr später – an sie wandten. Der Besuch der Kripo war für sie daher überraschend, sie hatten damals keinen Anlass, ein etwa verwendetes Filesharing-Programm und die gespeicherten Audiodateien zu löschen.

4. Generell entstehen einer Partei erhebliche Beweisprobleme, wenn sie Umstände beweisen muss, die zu dem ihren Blicken entzogenen Bereich des Prozessgegners gehören. Gleichwohl verbietet sich eine prozessuale Aufklärungspflicht der nicht beweisbelasteten Partei, da generell keine Partei verpflichtet ist, dem Gegner die für den Prozesssieg benötigten Informationen zu verschaffen. Mehr als eine Modifizierung der Darlegungslast – wie sie der BGH für den Anschlussinhaber vorsieht – verbietet sich, da andernfalls der Grundrechtsschutz des Prozessgegners über Gebühr beeinträchtigt wird (Greger in Zöller ZPO 28. Aufl., Vor § 284 Rn. 17, 34).

Die Beklagten haben sich vorliegend nicht darauf beschränkt, die Rechtsverletzung zu bestreiten, sie haben vielmehr zu den Vorwürfen substantiiert Stellung genommen und außerdem – ohne dazu verpflichtet zu sein – eine überraschende Nachschau durch den Polizeibeamten ermöglicht. Dieses Verhalten spricht dafür, dass die Bekl. nichts zu verbergen hatten und durch ihr Verhalten gerade zur Aufklärung beitragen wollten um sich zu entlasten und ihrerseits zu „beweisen“, dass die im Raum stehenden Vorwürfe unberechtigt sind.

Zwar ist der Umstand, dass der Anschluss der Beklagten mehrfach im Zusammenhang mit Rechtsverletzungen ermittelt wurde, ein weiteres, erhebliches Indiz dafür, dass die Behauptung der Klägerinnen zutreffend ist, andererseits haben die Bekl. durch den negativen Befund auf ihrem Rechner die Vermutung der Rechtsverletzung entkräftet. Es verbleibt daher bei der Beweislast der Klägerinnen für die Behauptung, dass die Beklagten die streitgegenständlichen Rechtsverletzungen begangen haben. Der Beweis hierfür lässt sich weder durch eine Vernehmung der mit der Ermittlung seinerzeit befassten Zeugen und auch nicht durch ein Sachverständigengutachten zur Richtigkeit und zur Aussagekraft dieser Ermittlungsergebnisse erbringen, da durch diese Beweismittel nicht festgestellt werden kann, ob die Auskunft der Telekom vom 06.12.2006 zutreffend war. Solange nicht bewiesen ist, dass die fragliche IP-Adresse während des gesamten festgestellten Downloadvorgangs den Beklagten zugeordnet war, der hier immerhin ca. 7 1/2 Minuten dauerte, steht die Verantwortlichkeit der Beklagten nicht fest.

Bewertung

Der Sachverhalt ist für aktuelle Fälle eher untypisch. Mit Einführung der Auskunftsansprüche nach der sog. Enforcement-Richtlinie u.a. in § 101 UrhG können Rechtsinhaber ohne den Umweg über die Staatsanwaltschaft Auskunft über die hinter einer IP-Adresse stehenden mutmaßlichen Verletzer erlangen (s. dazu Mantz, Die Rechtsprechung zum neuen Auskunftsanspruch nach § 101 UrhG, K&R 2010, 21; Übersicht über die aktuelle Rechtsprechung sowie Literatur hier). Im Jahre 2007 war dieser Umweg über die Staatsanwaltschaft aber noch der gängige Weg.

Aus diesem Grunde bekam der Beklagte Besuch von der Polizei, die die Filesharing-Software aber nicht auf dem Computer des Beklagten feststellen konnte. Dies war letztlich das Argument, das das Gericht überzeugte.

Heutzutage ist dieser „Gegenbeweis“ deutlich schwerer zu führen, da die Staatsanwaltschaft nicht mehr eingeschaltet wird, und die Polizei daher nicht mehr ermittelt. Die Gerichte tendieren weiter dazu, Beklagtenvortrag als Schutzbehauptungen zu werten. Insoweit lässt sich dem Urteil des LG Stuttgart auch über den Spezialfall hinweg etwas abgewinnen. Denn das LG Stuttgart stellt ganz klar fest, dass die Beweislast beim Kläger verbleibt. Eine Umkehr der Beweislast darf nicht erfolgen.

Abgemahnte müssen dementsprechend möglichst genau diejenigen Tatsachen (belegbar) vortragen, aus denen sich ergibt, dass sie nicht der Täter gewesen sein können. Dies kann z.B. Urlaub, arbeitsbedingte Abwesenheit etc. sein, wobei der Vortrag dann immer auch durch die Darlegung der entsprechenden Sicherungsmaßnahmen komplettiert werden muss. Auch diese Anforderungen sind noch immer sehr hoch. Die Gerichte verkennen, dass dem Beklagten durch die Rechtsprechung des BGH die Darlegung einer Negativtatsache auferlegt wird, denn er muss belegen, dass ein bestimmer Vorgang *nicht* stattgefunden hat.

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Lesetipp: Anm. Karg zu BGH, Urteil vom 13.1.2011 – III ZR 146/10: Speicherung von IP-Adressen, MMR 2011, 345

Karg bespricht in der MMR 2011, S. 345 ff. das Urteil des III. Senat des BGH, in dem der Personenbezug von IP-Adressen und zusätzlich die Einordnung als Verkehrsdaten anerkannt wird:

Einen Absatz später verdeutlichte er, in welche Grundrechte durch die Speicherung der IP-Adresse eingegriffen wird bzw. welche durch das TKG geschützt werden. Seiner Auffassung nach sind das Fernmeldegeheimnis Art. 10 Absatz 1 GG und außerdem das Recht auf informationelle Selbstbestimmung Art. 1 Absatz 1 i.V.m. Art. 2 Absatz 1 GG als besondere Ausprägung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts (BVerfG NJW 1984, NJW Jahr 1984 Seite 418, NJW Jahr 1984 Seite 421?f.) betroffen. Dies lässt letztlich nur den Schluss zu, IP-Adressen als personenbezogene Daten i.S.d. §?3 Absatz 1 BDSG anzusehen. Denn anderenfalls wäre zumindest der Schutzbereich des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung nicht eröffnet.

IP-Adressen sind sensible Daten, deren Auswertung nur unter der aktiven Beteiligung der Judikative zulässig sein darf.

Lesetipp: Wick, Inhalt und Grenzen des Auskunftsanspruchs gegen Zugangsanbieter – Eine Untersuchung des § 101 UrhG unter besonderer Berücksichtigung der Filesharing-Systeme, 2010 (Rezension in der MIR)

In der Online-Zeitschrift Medien, Internet und Recht ist heute eine Rezension von mir zum Buch

Gottlieb Rafael Wick: Inhalt und Grenzen des Auskunftsanspruchs gegen Zugangsanbieter – Eine Untersuchung des § 101 UrhG unter besonderer Berücksichtigung der Filesharing-Systeme, Bonn: TGRAMEDIA 2010, Schriftenreihe MEDIEN INTERNET und RECHT, 185 Seiten, 34,80 EUR

erschienen.

S. zu § 101 UrhG auch Übersicht Rechtsprechung und Literatur zum Auskunftsanspruch nach § 101 UrhG.

LG Hamburg, Urt. v. 8.10.2010 – 308 O 710/09: Schadensersatz bei Filesharing von Musikstücken

Ich möchte nur kurz auf ein Urteil des LG Hamburg (Urt. v. 8.10.2010 – 308 O 710/09) hinweisen, das in diversen LawBlogs bereits vorgestellt wurde.

Das LG Hamburg hatte über einen Schadensersatzanspruch wegen Filesharings von Musikstücken zu entscheiden. Dabei hat es in einer Einzelfallbetrachtung festgestellt, dass pro angebotenem Lied lediglich 15,- EUR an Schadensersatz zu zahlen seien. Als Begründung führt das LG Hamburg an, dass der Schadensersatz in Höhe der angemessenen Lizenzgebühr zu schätzen sei. Da es sich um ältere Songs (aus dem Jahr 2006) handelte, die nur begrenzt nachgefragt worden sein dürften, und weiter die Songs wohl nur kurze Zeit angeboten wurden, seien 15,- EUR pro Song angemessen.

Unter Orientierung an dem GEMA-Tarif VR-OD 5 (Nutzung von Werken im Wege des Music-on-Demand zum privaten Gebrauch) sowie an dem Einigungsvorschlag der Schiedsstelle beim Deutschen Patent- und Markenamt vom 05.05.2010 im Schiedsstellenverfahren zwischen dem BITKOM und der GEMA hat das Gericht die angemessene Lizenz auf 15,- € pro Titel geschätzt. (Quelle: kostenlose-urteile.de).

Der Volltext liegt leider noch nicht vor.

Jens Ferner hat zu diesem Sachverhalt einige andere Urteile zusammengetragen, bei denen die Gerichte 100-200,- EUR pro Song angesetzt hatten.

Klar abzugrenzen ist das Urteil von denjenigen, bei denen es um die Störerhaftung für die Rechtsverletzung eines Dritten geht. Im Fall, der dem LG Hamburg vorlag, hatte der Betroffene selbst die Songs heruntergeladen bzw. angeboten und haftete daher auch auf Schadensersatz.

Bemerkenswert ist, dass das LG Hamburg wirklich in eine Einzelfallabwägung einsteigt und nicht einen „festen Wert“ (wie auch immer der aussehen soll) annimmt. Dies bietet bei der Verteidigung gegen Schadensersatzansprüche Platz für Diskussion um die konkrete Rechtsverletzung (respektive die angemessene Lizenzgebühr), die bei anderen Verletzungen von gewerblichen Schutzrechten selbstverständlich zu sein scheint, bei Massenfällen wie Filesharing aber bisher vernachlässigt wurde.

Interessant dürfte sein, ob sich diese Argumentation auch auf andere Ansprüche übertragen lässt. Denn im Lichte des § 101 Abs. 9 UrhG sowie der Abmahnkostendeckelung des § 97a Abs. 2 UrhG könnte jedenfalls bei einem Umfang von wenigen Songs oder einem Album bei alten Werken, nach denen kaum Nachfrage besteht, auch ein großes Fragezeichen hinter die Merkmale des „gewerblichen Ausmaßes“ bzw. des „geschäftlichen Verkehrs“ gesetzt werden, selbst wenn man der bisherigen strikten Auslegung der meisten Gerichte folgt.

OLG Köln, Beschl. v. 5.10.2010 – 6 W 82/10: Beschwerderecht des Anschlussinhabers bei Auskunft nach § 101 Abs. 9 UrhG

Das OLG Köln hat mit Beschluss vom 5.10.2010 (s. Pressemitteilung vom 19.10.2010) zu einer Beschwerde des von einem Auskunftsverfahren nach § 101 Abs. 9 UrhG betroffenen Anschlussinhabers Stellung genommen. Der Volltext ist hier abrufbar.

Leitsätze (des Verfassers):

1. Der von einem Auskunftsverfahren nach § 101 Abs. 9 UrhG betroffene Anschlussinhaber hat ein Beschwerderecht.

2. Bei einem Musikalbum, das vor mehr als 6 Monaten erschienen ist , müssen besondere Umstände vorliegen, um eine Rechtsverletzung in gewerblichem Ausmaß annehmen zu können.

Auszüge aus der Pressemitteilung:

Der Anschlussinhaber habe, auch wenn sich die richterliche Gestattung mit der Erteilung der Auskunft durch den Provider erledigt habe, ein fortbestehendes Interesse daran, die Rechtswidrigkeit des Gestattungsbeschlusses auch nachträglich feststellen zu lassen, was nunmehr auf der Grundlage von § 62 Abs. 2 Nr. 1 des Gesetzes über das Verfahren in Familiensachen und in Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit (FamFG) ermöglicht werde. Der Inhaber des Internetanschlusses werde durch die richterliche Anordnung weiterhin erheblich beeinträchtigt, insofern sich der Rechteinhaber nach erteilter Auskunft zunächst an ihn wende und ihn gegebenenfalls zwinge, sich gegen den Vorwurf der Urheberrechtsverletzung verteidigen zu müssen. Ohne eigenes nachträgliches Beschwerderecht im Anordnungsverfahren wäre seine Verteidigung aber wesentlich erschwert, wenn er aus seiner Sicht fehlerhafte Feststellungen des anordnenden Gerichts erst im Rahmen eines späteren Klageverfahrens zur Überprüfung stellen könnte, wenn er durch den Rechteinhaber auf Ersatz von Kosten und Schadenersatz in Anspruch genommen wird. Der Anschlussinhaber kann mit seiner Beschwerde aber nur die im Verfahren nach § 101 Abs. 2 und 9 UrhG zu prüfenden Voraussetzungen für die Auskunftserteilung durch den Provider (namentlich Rechtsinhaberschaft, Offensichtlichkeit und gewerbliches Ausmaß der Rechtsverletzung) zur Überprüfung stellen. Nicht gehört wird er mit Einwänden, auf die es im Gestattungsverfahren gar nicht ankommt, also zum Beispiel damit, der Provider habe die IP-Adresse ihm fälschlich zugeordnet, er selbst habe den Internetanschluss zum fraglichen Zeitpunkt gar nicht genutzt, sondern seine Kinder oder Dritte, die sich unerlaubt in sein WLAN „eingehackt“ haben müssten. …

Im konkreten Falle wurde festgestellt, dass die Anschlussinhaberin in ihren Rechten verletzt wurde, da das gewerbliche Ausmaß der Urheberrechtsverletzung nicht festgestellt werden konnte. Bei einem Musikalbum, das schon vor mehr als 1 1/2 Jahren erschienen war, müssen besondere Umstände vorliegen, um eine Rechtsverletzung in gewerblichem Ausmaß annehmen zu können; solche waren im konkreten Fall nicht dargelegt.

Auszüge aus dem Beschluss:

Obwohl der Erlass der richterlichen Anordnung noch keine Entscheidung über das Vorliegen einer gerade vom Anschlussinhaber zu verantwortenden Rechtsverletzung erfordert und insoweit keine schwerwiegende stigmatisierende oder diskriminierende Wirkung von ihr ausgehen mag, ist im Ergebnis ein Rehabilitationsinteresse (vgl. BVerfG, Beschl. v. 02.07.2010 – 1 BvR 2579/08 [Rn. 32] m.w.N., zitiert nach juris) des betroffenen Anschlussinhabers zu bejahen, der sich gegen die gerichtliche Feststellung einer offensichtlichen Verletzung geschützter Rechte des Gläubigers in gewerblichem Ausmaß unter Benutzung der seinem Internetanschluss zugeordneten IP-Adresse wendet. Denn er wird durch die erledigte richterliche Anordnung weiterhin erheblich beeinträchtigt, insofern sich der Gläubiger nach erteilter Auskunft zunächst an ihn wendet und ihn gegebenenfalls zwingt, sich gegen den Vorwurf der Urheberrechtsverletzung verteidigen zu müssen. …

Das Anbieten irgendeiner Datei in einer Internet-Tauschbörse genügt für sich allein nicht, obwohl es ein Handeln um wirtschaftlicher Vorteile willen indiziert; vielmehr kommt es entscheidend darauf an, ob entweder ein besonders wertvolles Werk (vgl. Senatsbeschluss vom 3.11.2008 – 6 W 136/08, bei juris) oder eine hinreichend umfangreiche Datei innerhalb ihrer relevanten Verkaufs- und Verwertungsphase öffentlich zugänglich gemacht wurde. …

Im Streitfall geht es darum, dass im März 2010 ein schon im August 2008 erschienenes, also über eineinhalb Jahre auf dem Markt befindliches aktuelles Musikalbum innerhalb eines P2P-Netzwerks öffentlich zugänglich gemacht wurde. Von einer Rechtsverletzung in gewerblichem Ausmaß kann deshalb nicht ohne besondere Umstände ausgegangen werden. Derartige Umstände hat die Antragstellerin trotz eines konkreten Hinweises des Senats (Bl. 172 d.A.) nicht mitgeteilt.

S. auch meine Übersicht zu Literatur und Rechtsprechung zu § 101 Abs. 9 UrhG.

(via @jensferner)