Ich möchte auf eine schöne Fallstudie zur Diskussion rund um die Störerhaftung (im allgemeinen und speziell) bei WLANs hinweisen, die sich bei der Süddeutschen und auf Carta.info nachlesen lässt.
1. Der Diskurs
Den Anfang hat Christian Heise in der SZ unter dem Titel „Böses Netz – Digitale Agenda der Bundesregierung“ gemacht. Grundtenor des Beitrages ist eine Kritik an der Digitalen Agenda der Bundesregierung am Beispiel der Haftung bei WLANs:
„… Beispielhaft für das Versagen der Bundesregierung auf diesem wichtigen Feld ist die sogenannte Wlan-Störerhaftung. …
Die Störerhaftung ist ein rein zivilrechtliches Konstrukt. Vor allem bei Urheberrechtsverletzungen erweist es sich als Segen für Abmahnanwälte, die nicht lange nachdenken müssen, an wen sie ihre Einwendung schicken. So hemmt sie die Verbreitung von drahtlosen Internetzugangspunkten in Deutschland bereits im Ansatz. …
Bis auf wenige Ausnahmen, wie bei den Initiativen für digitale Bildung und Medienkompetenz rund um die SPD-Abgeordnete Saskia Esken, fehlen der Berliner Politik offenbar der Wille und die Kompetenz, die Digitalisierung konstruktiv zu gestalten. Nur wenn die politische Abwehrhaltung gegen die digitale Transformation überwunden wird, können die in der Digitalen Agenda floskelhaft angekündigten „Chancen für eine starke Wirtschaft, gerechte Bildung und ein freies und sicheres Internet“ mit Leben gefüllt und für alle nutzbar gemacht werden.“
Der Beitrag von Christian Heise hat Dr. Thomas Elbel offenbar erbost, so dass er auf Carta.info unter dem Titel „Böse Störerhaftung?“ repliziert hat. Dabei zieht Elbel die Thematik einerseits auf eine (rechts-)dogmatische Ebene, andererseits bemüht er durchgehend den Vergleich zwischen dem Betrieb eines WLANs und der Haftung im Straßenverkehr:
Es musste mal wieder gesagt werden: Deutschland ist ein Internetentwicklungsland. Wer in den Genuss von 37 freien Internetzugangsknoten pro 10.000 Einwohner kommen will, statt nur der hiesigen 2, der sollte halt lieber nach Südkorea ziehen, lehrt uns Christian Heise in der Süddeutschen Zeitung vom 23. April 2015. Sitzen Sie schon auf gepackten Koffern? …
Mit ähnlich markigen Worten fährt er dann in seiner Verdammung der Störerhaftung fort. … Ist alles echt harter Tobak. Aber leider auch alles grundfalsch.
…
Wenn ich das Privileg des Eigentums an einem Auto in Anspruch nehme, hafte ich in letzter Konsequenz für alle Schäden, die aus diesem Privileg resultieren. Und wenn ich mein Privileg nutze, indem ich das Auto verleihe oder vermiete, hafte ich halt auch für Schäden aus der Vermietung oder Verleihung. Eine Veränderung dieses Prinzips würde bedeuten, Privileg und Schadenshaftung zu trennen. Das Privileg bleibt bei mir, dem Eigentümer; den Schaden trüge aber der Geschädigte, das heißt letztlich die Gesellschaft.
Und jetzt frage ich mich: Gibt es irgendeinen guten Grund, eine derartige Umverteilung ausnahmsweise für den Fall des Angebots freier W-LANs vorzunehmen? …
Der Bundeswirtschaftsminister führt gerade eine öffentliche Anhörung zur Neuregelung der Störerhaftung für W-LAN-Betreiber durch. Hoffen wir, dass die Anhörung zu einer differenzierteren Sicht führt als der von Herrn Heise.
Und auf diese Replik haben nun Christian Heise und Volker Tripp wiederum erwidert, ebenfalls bei Carta.info, diesmal unter dem Titel „WLAN-Störerhaftung: Böse daneben„:
Der Rechtswissenschaftler Thomas Elbel will den Text “Böses Netz” in der Süddeutschen Zeitung (SZ) falsch verstehen. Statt wie in der Einleitung angekündigt mit angeblichen “Klischees und Fehlwahrnehmungen” in der Debatte um die Störerhaftung aufzuräumen, argumentiert er zielsicher am Kern des Problems vorbei, …
Auch der Vergleich mit § 7 StVG hinkt gewaltig, da sich der Gesetzgeber explizit dafür entschieden hat, beim Betrieb eines KfZ einen speziellen Tatbestand zu schaffen, der eine strikte Halterhaftung vorsieht. Auch hier muss Elbel einräumen, dass es sich um eine besonders strenge Form der Gefährdungshaftung handelt, deren Maßstab aus guten Gründen weitaus schärfer ist als bei anderen auf Schadensersatz gerichteten Anspruchsgrundlagen. Schließlich geht es hier typischerweise um Schäden an besonders schutzwürdigen Rechtsgütern wie Leib und Leben. Um den Geschädigten nicht obendrein das Insolvenzrisiko des Halters aufzubürden, besteht hier folgerichtig auch eine gesetzliche Versicherungspflicht für KfZ-Halter. Mit anderen Worten: Der Gesetzgeber hat zum Ausdruck gebracht, dass er den Betrieb eines KfZ als besonders gefährlich ansieht und hat deshalb einen Interessenausgleich auf Haftungsebene geschaffen.
Konsequenterweise müsste Elbel also eigentlich fordern, eine (verbindliche) Internethaftpflicht für Anschlussinhaber einzuführen und parallel eine strenge “Halterhaftung” für Anschlussinhaber zu installieren. Genau das ist bislang weder geschehen, noch ist es von irgendjemandem vorgeschlagen worden …
Irreführend ist auch Elbels in Frageform verpackte Behauptung, die meisten von uns würden mittlerweile ein oder mehrere mobile Kommunikationsmittel mit drahtloser Internetverbindung von stetig steigender Bandbreite bei sich führen. Seine rhetorische Anschlussfrage: “Wie wichtig sind freie WLANs da überhaupt noch?” soll offenkundig nahelegen, dass eigentlich niemand offene Funknetze braucht. …
Im Ergebnis plädiert er daher nicht für eine sinnvolle Ausgestaltung der WLAN-Störerhaftung, sondern schlicht für die vollständige Abschaffung offener Funknetze.
2. My 2 cents
Der Diskurs zwischen Heise (+Tripp) und Elbel ist aus meiner Sicht spannend und ganz klar symptomatisch für die Debatte rund um die Störerhaftung – und schon deshalb insgesamt absolut lesenswert.
Es ist nämlich derzeit so, dass derjenige, der für ein weniger an Haftung argumentiert, sogleich in die Defensive gedrängt wird. Ich kann das durchaus nachvollziehen und ich habe Verständnis für eine Position, die ein Mehr an Haftung erreichen möchte. Allerdings würde ich dann generell bei allen Beteiligten für eine objektive Herangehensweise und ehrliche Argumentation plädieren, die ich bei Elbel etwas vermisst habe.
Die derzeitige Situation der Haftung bei Internet Service Providern ist Folge einer Ende der 1990er und Anfang der 2000er geführten Diskussion: Soll der Betreiber eines Internet-Dienstes (persönlich) für die Handlungen seiner Nutzer haften oder nicht? Die EU-Kommission und die nationalen Gesetzgeber (der deutsche schon vor der EU-Regelung) hatten erkannt, dass eine solche Haftung die Verbreitung des Internet massiv gefährden und Europa damit wirtschaftlich ins Hintertreffen geraten lassen würde. Folge war u.a. die E-Commerce-Richtlinie, die sich klar gegen Überwachungspflichten von Internet Service Providern ausgesprochen hat und der Internet-Wirtschaft größtenteils sicheres Arbeiten und eine gute Entwicklung ermöglicht hat. Seither (und damit seit vielen Jahren) führen wir Rückzugsgefechte. Internet Service Provider werden im Ergebnis immer mehr in die Pflicht genommen, bei der Verhinderung und Bekämpfung von Rechtsverletzungen mitzuhelfen. Das in Art. 15 der E-Commerce-Richtlinie enthaltene Verbot der allgemeinen Überwachungspflichten stellt dabei letztlich die rote Linie dar, die nicht überschritten werden darf, die aber mit Verfahren vor dem EuGH immer wieder angetestet wird.
Wer also über Veränderungen am Haftungsgefüge nachdenkt und öffentlich debattiert, sollte die Entwicklung und die Rahmenbedingungen für die Haftung bei Internet Service Providern im Hinterkopf behalten. Es ist dabei wenig hilfreich, IP-Adressen mit Nummernschildern und WLANs mit Rennwagen zu vergleichen. Stattdessen wäre es im Sinne einer konstruktiven Debatte ratsam, einfach zu formulieren, was das Ziel der eigenen Argumentation ist. Bezogen auf WLANs also: Soll der Betreiber eines WLANs als Störer haften (und unter welchen Voraussetzungen) oder eben nicht? Welche Argumente sprechen dafür, welche dagegen? Gibt es empirische Belege für das eine oder das andere?
Und anschließend kann man über die Lösungen diskutieren: Welche Folgen resultieren aus dem einen und dem anderen? Das kann man derzeit beim Referentenentwurf der Bundesregierung zur Änderung des TMG beobachten (s. z.B. hier und hier und hier). Dabei muss ich eingestehen, dass der Referentenentwurf zur Änderung des TMG nur bedingt dafür taugt, da die Bundesregierung insoweit leider (doch) keine eindeutige Position bezieht: Auf der einen Seite will sie Rechtssicherheit schaffen und die Verbreitung von WLANs fördern, auf der anderen Seite konterkarieren die von ihr angestrebten Maßnahmen diese Ziele.
Dennoch: Die Debatte sollte auch bei der WLAN-Störerhaftung ehrlicher geführt werden. Die öffentliche Diskussion zwischen Heise/Tripp und Elbel kann da vielleicht ein Anfang sein.
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@offenenetze Wo genau war ich denn unehrlich und inobjektiv?
„Es ist dabei wenig hilfreich, IP-Adressen mit Nummernschildern und WLANs mit Rennwagen zu vergleichen. Stattdessen wäre es im Sinne einer konstruktiven Debatte ratsam, einfach zu formulieren, was das Ziel der eigenen Argumentation ist. Bezogen auf WLANs also: Soll der Betreiber eines WLANs als Störer haften (und unter welchen Voraussetzungen) oder eben nicht? Welche Argumente sprechen dafür, welche dagegen? Gibt es empirische Belege für das eine oder das andere?“
Ehrlich gesagt sehe ich das nicht so, wie der Autor. erstmal hat thomas Elebel die Argumentaiton von christian heise durchaus zerlegt. wenn Heiise sinngemäss in seinem Ausgangstext behaupet, die Störerhaftung sei ein deutscher Unsinn, der seinesgleichen suche, dann kann und ist das von Elbel widerlegt worden.
Ich glaube sogar, dass wir nochmal zu dne grundzügen der Debatte zurück müssen und generell nochmal über das Verhältnis zwischen Anonymität, Identitä/Verantwortung, Freiheit und sicherheit in der Gesellschaft diskutieren müssen. Wir haben nämlich online ein Hafutngsvakuum geschaffen, dass im Offlinebereich nahezu unbekannt ist. Einigen leuten kommt dieses Hafutngsvakuum sehr gelegen.
Die gegenbestrebungen, die großflächige Überwachung fordern, sind aber auch zu kritisieen, und die Frage, die eigentlich gestellt werden sollte, ist: Was ist die beste Abwägung, der beste Kompromiss zwischen diesne Polen. leider tun wir manchmal so, als sei zwischen Anarchie und dystopischem Überwachungsstaat keinerlei Abstufung mehr möglich, aber das stimmt nicht.
Wir müsse wieder zu den grundlaggen der gesellschafltichen debatte zurückfinden, anstatt in diesen Extrempositionen zu verharren. Und daher finde ich auch den vergleich mit dem Straßenverkehr und den dort getroffenen Regelungen sinnvoll. Auch dort haben wir Anonymität und Verantwortung austaiert ´, und es funktioniert größtenteils. Wie das sinnvolle Equivalent im Netz aussähe, sollte daher ebenfalls diskutiert werden.
Dieser sachlichen Diskussion wollen sich aber die Wenigsten stellen.
Gruß,
Sh
Ich habe in meinem Beitrag versucht, gerade darauf hinzuweisen, dass man klar und deutlich argumentieren sollte. Thomas Elbel hat nach meiner Auffassung die Argumentation von Christian Heise nicht zerlegt. Die deutsche Störerhaftung ist ein Sonderweg, den es in dieser Form nirgendwo sonst gibt. Um es klarzustellen: Es gibt auch anderswo eine Intermediärshaftung und auch eine Haftung für das Verhalten Dritter, aber die deutsche Störerhaftung mit seinen sehr niedrigen Voraussetzungen und schwierigen, in einer Abwägung resultierenden weiteren Voraussetzungen ist ein Unikum.
Nummernschilder und IP-Adressen sind meiner Auffassung nach nicht zu vergleichen. Es ist sicher nicht falsch, darüber zu diskutieren, ob man etwas ähnliches wie die Haftungsregelungen inklusive der Haftpflicht im Straßenverkehr auch auf das Internet übertragen bzw. hier neu einrichten sollte. Aber nach derzeitigem Stand besteht eine Vergleichbarkeit nach meiner Auffassung eben gerade nicht.