LG Frankfurt, Beschl. v. 4.10.2012 – 2-3 O 152/12: Auskunft des Netzbetreibers nach § 101 UrhG kann veraltet sein

LG Frankfurt, Beschl. v. 4.10.2012 – 2-3 O 152/12

Leitsätze (von @offenenetze):

  1. Unterlässt es der Rechteinhaber vor Geltendmachung seiner Ansprüche die vom Netzbetreiber erhaltenen Daten des Anschlussinhabers beim Subprovider zu verifizieren, obwohl er wusste, dass die Auskunft des Netzbetreibers eventuell auf veralteteten Daten basiert, sind daraus entstehende Kosten nicht zu ersetzen.
  2. Weicht die vom Netzbetreiber über den Anschlussinhaber erteilte Auskunft vom tatsächlichen Anschlussinhaber ab, muss der Anschlussinhaber nicht aufgrund der prozessualen Wahrheitspflicht nach § 138 ZPO über den Grund dieser Diskrepanz aufklären, wenn er dadurch ggf. eine von ihm begangene Straftat offenbaren müsste.

§§ 823, 1004 BGB; § 8 TMG; § 97 UrhG

Im Beschluss des Landgerichts Frankfurt, mittels dessen dem Klagegegner teilweise Prozesskostenhilfe gewährt wird, ging es im Wesentlichen um die Klage eines Rechtsinhabers wegen der Verbreitung eines Werks über ein Filesharing-Netzwerk. Der Beschluss offenbart ein  interessantes Detail: Der Internetanschluss des Beklagten war von einem Reseller/Subprovider, allerdings zunächst angemeldet auf den Sohn des Beklagen. Beim Netzbetreiber war in der Folge als Anschlussinhaber der Sohn des Beklagten gespeichert, obwohl der Beklagte vor der Verbreitung des Werks seinen Namen als Anschlussinhaber beim Reseller/Subprovider angegeben und damit die Daten korrigierte hatte. Als die Klägerin die IP-Adresse des Anschlusses feststellte und beim Netzbetreiber nach § 101 UrhG Auskunft verlangte, erhielt sie die – falschen – Daten des Sohnes des Beklagten und mahnte diesen ab. Erst danach holte die Klägerin eine weitere Auskunft beim Reseller/Subprovider ein.

Im Verfügungsverfahren gegen den Beklagten legte die Klägerin beide Auskünfte vor. Für das Landgericht Frankfurt sah es also so aus, als ob zu einem Zeitpunkt und einer IP-Adresse zwei unterschiedliche Anschlussinhaber gespeichert waren. Es wies daraufhin im Verfügungsverfahren ab und legte der Klägerin die Kosten auf. Im Hauptsacheverfahren wollte die Klägerin erreichen, dass der Beklagte die Kosten des Verfügungsverfahrens trägt und unterlag auch diesbezüglich.

Der Beschluss des Landgerichts Frankfurt offenbart, dass bei einem Netzbetreiber veraltete Daten über den Anschlussinhaber vorliegen können, wenn der Anschluss über einen Reseller/Subprovider gebucht wurde. Es ist möglicherweise auch üblich, dass in Filesharing-Fällen trotz entsprechenden Hinweises des Netzbetreibers eine zusätzliche Auskunft vom Reseller/Subprovider nicht eingeholt wird, vermutlich um diesbezüglich Kosten zu sparen.

Demnächst erscheint zu dem Beschluss des Landgerichts Frankfurt eine Anmerkung von mir in der Zeitschrift Multimedia und Recht (MMR).

Volltext

Tenor

Dem Beklagten wird unter Beiordnung von Rechtsanwalt …, Prozesskostenhilfe für den ersten Rechtszug bewilligt, soweit er sich gegen die mit der Klage vom … geltend gemachten Freistellungs- und Zahlungsansprüche (Klageanträge 2. – 5.) verteidigt.

Im Übrigen, nämlich hinsichtlich des mit der Klage vom … geltend gemachten Unterlassungsanspruchs (Klageantrag Ziffer 1.), wird der Prozesskostenhilfeantrag vom … zurückgewiesen.

Aus den Gründen

1. Der Prozesskostenhilfeantrag war insoweit mangels hinreichender Erfolgsaussichten zurückzuweisen, wie sich der Beklagte gegen den unter dem Klageantrag Ziffer 1. geltend gemachten Unterlassungsantrag verteidigen möchte.

Anders als noch im vorangegangenen einstweiligen Verfügungsverfahren … hat die Klägerin nach dem derzeitigen Sach- und Streitstand hinreichend substantiiert vorgetragen, dass die für den fraglichen Zeitpunkt ermittelte IP-Adresse dem Beklagten als Anschlussinhaber zugeteilt war. Zwar war im Widerspruchsverfahren noch nicht nachvollziehbar, warum die Abfragen zu ein- und derselben IP-Adresse für denselben Zeitpunkt zur Benennung von zwei unterschiedlichen Personen als Benutzer führen konnten, wobei die Auskunft des Netzbetreibers T auf den minderjährigen Sohn des Beklagten lautete, wohingegen die spätere Auskunft des Providers A auf den Beklagten lautete. Nunmehr hat die Klägerin – anders als im Eilverfahren – hier als Anlage K 5 das Schreiben der Beklagtenvertreter vom … vorgelegt, in welchem diese selbst den Beklagten auf die zweite Abmahnung hin als „den tatsächlichen Anschlussinhaber“ bezeichnet haben, nachdem zuvor noch der minderjährige Sohn L abgemahnt worden war. Außerdem ergibt sich aus dem jetzt als Anlage K 11 vorgelegten Schreiben von T vom …, dass T die Inhaberdaten nur zu Beginn des Vertragsverhältnisses entsprechend den Mitteilungen der Subprovider speichert und dann nicht mehr aktualisiert, weshalb die dortigen Daten von zwischenzeitlich aktualisierten Daten beim Subprovider abweichen könnten. Das macht plausibel, dass bei T ein anderer Vorname für den Anschlussinhaber gespeichert sein konnte als beim Provider A. Insoweit ergibt sich auch aus dem nun als Anlage K 10 vorgelegten eMail-Verkehr der Klägervertreter mit dem Provider A, dass vom Vorgänger-Provider B als Anschlussinhaber zunächst L geführt worden war, an den auch der Schriftverkehr von B durchgehend gerichtet war und der so zu Beginn des Vertragsverhältnisses an T als Anschlussinhaber mitgeteilt wurde. Nicht gegenüber T mitgeteilt wurde dann die – warum auch immer erfolgte – namentliche Änderung des Anschlussinhabers auf S (den Beklagten), den dann der Nachfolger von B, nämlich A, auf die Anfrage der Klägerin als Anschlussinhaber mitteilte. Dem hiernach substantiierten Vortrag dahin, dass der Beklagte der Anschlussinhaber im Verletzungszeitpunkt war, ist der Beklagte nicht hinreichend entgegengetreten, zumal die Beklagtenvertreter selbst in dem Schreiben Anlage K 5 die Inhaberschaft des Beklagten eingeräumt haben.

Die Rechtskraft des Widerspruchsurteils aus dem einstweiligen Verfügungsverfahren steht entgegen der Ansicht des Beklagten einer abweichenden Entscheidung im Hauptsacheverfahren nicht entgegen, weil die Streitgegenstände verschieden sind.

2. Nach dem Sach- und Streitstand hat aber die vom Be­klag­ten beabsichtigte Rechtsverteidigung gegen die geltend gemachten Freistellungsansprüche (Klageanträge Ziffer 2. – 4.), die sich auf die Freistellung der Klägerin von den ihr mit Urteil vom … entstandenen beziehungsweise auferlegten Rechtsanwalts- und Gerichtskosten aus dem vorangegangenen einstweiligen Verfügungs­verfahren richten, hinreichende Erfolgsaussichten. Die Klägerin stellt insoweit anspruchs­begründend darauf ab, dass der Beklagte entgegen der ihn treffenden prozessualen Wahrheitspflicht nach § 138 Abs. 1 ZPO die Kammer im Widerspruchsverfahren nicht darüber aufgeklärt habe, dass er den Internetanschluss zunächst im Oktober 2007 auf den Namen seines Sohnes L angemeldet habe und dass der Anschluss dann nur bei seinem Provider A auf seinen Namen S geändert worden sei, nicht aber bei dem Netzbetreiber T. Hierdurch habe der Beklagte bei der Kammer diejenige Fehlvorstellung hervorgerufen, aufgrund derer die Kammer im Widerspruchsurteil die ausreichende Glaubhaftmachung der Passivlegitimation des Beklagten für die Klägerin verneint habe, was zur Kostenlast der Klägerin geführt habe. Bei Kenntnis der wahren Sachlage hingegen hätte die Kammer – so die Auffassung der Klägerin – die einstweilige Verfügung im Widerspruchsurteil bestätigt und die Kosten des Eilverfahrens, die Gegenstand der Freistellungsanträge sind, nicht ihr auferlegt.

Die Klage ist insoweit nach dem derzeitigen Sach- und Streitstand unschlüssig. Die von der Klägerin postulierte Wahrheitspflicht des Beklagten nach § 138 Abs. 1 ZPO dahin, eine ursprüngliche Anmeldung des Internet­anschlusses beim damaligen (später von A übernommenen) Subprovider B auf den Namen seines Sohnes zu offenbaren, um so die Dunkel­heiten aufzuklären, die sich aus den widersprüchlichen Auskünften des Netzbetreibers T einerseits und des Subproviders A anderer­seits ergaben, bestand tatsächlich nicht. Die Wahrheitspflicht nach § 138 Abs. 1 ZPO der Partei endet dort, wo sie gezwungen wäre, eine ihr zur Unehre gereichende Tatsache oder eine von ihr begangene strafbare Handlung zu offenbaren (vgl. BVerfGE 56, 37, juris-Rn. 19; Baumbach/ Lauterbach/Albers/Hartmann, § 138 ZPO, Rn. 24; Thomas/Putzo/Reichold, § 138 ZPO, Rn. 7). Hier hätte sich der Beklagte, dem im einstweiligen Ver­fügungs­verfahren das öffentliche Zugänglichmachen urheberrechtlich geschützter Musiktitel vorgeworfen wurde, bei dem von der Klägerin gewünschten aufklärenden Vortrag der Gefahr einer strafrechtlichen Verfolgung nach den §§ 106 Abs. 1, 15 Abs. 2, 19 a UrhG ausgesetzt. Eine entsprechende Wahrheitspflicht bestand daher nicht.

Im Übrigen lag der eigentliche Grund für die von der Kammer nach dem Sach- und Streitstand des einstweiligen Verfügungsverfahrens zu recht als widersprüchlich angesehene Glaubhaftmachungslage in prozessualen Nachlässigkeiten der Klägerin. Im einstweiligen Verfügungsverfahren hatte die Klägerin schon nicht das hier als Anlage K 5 vorgelegte Schreiben der Beklagtenvertreter vom 12.08.2011 vorgelegt, in welchem diese den Beklagten als „den tatsächlichen Anschlussinhaber“ bezeichnet haben. Außerdem ergibt sich aus dem jetzt als Anlage K 11 vorgelegten Schreiben von T vom 29.02.2012, dass die dort Auskunft begehrenden Rechteinhaber, zu denen auch die Klägerin zählt, darauf hingewiesen werden, dass T die Inhaberdaten nur zu Beginn des Vertragsverhältnisses entsprechend den Mitteilungen der Subprovider speichert und dann nicht mehr aktualisiert, weshalb die Rechteinhaber verpflichtet seien, diese Daten beim Subprovider als noch aktuell verifizieren zu lassen; insofern sei den Rechteinhabern bekannt, dass diese Daten bei T veraltet sein könnten. Das aber hatte die Klägerin objektiv nicht rechtzeitig nach der Auskunft von T vom 29.06.2012 getan, da die weiteren Nachfragen, die dann zu dem als Anlage K 10 vorgelegten eMail-Verkehr mit A führten, erst mit eMail der Klägervertreter vom 02.01.2011 angestellt wurden, mithin nur rund 2 Wochen vor dem Widerspruchstermin im einstweiligen Verfügungsverfahren. Dieser erhellende eMail-Verkehr zog sich dann bis zum 29.03.2012 hin und führte dann zu nachvollziehbaren Erläuterungen seitens A hinsichtlich des zunächst verwirrenden Namenswechsels und zur Vorlage des ursprünglichen Schriftverkehrs, den bereits der frühere Subprovider mit dem Beklagten unter dem Vornamen dessen Sohnes L geführt hatte.

Nach dem Sach- und Streitstand hat auch die vom Be­klag­ten beabsichtigte Rechtsverteidigung gegen die geltend gemachten Abmahnkosten (Klage­antrag Ziffer 5.), die sich ausweislich der Klagebegründung auf die erste Ab­mahnung vom 01.07.2011 gegen L (den Sohn des Beklagten) beziehen, hinreichende Erfolgsaussichten. Der Sohn L war nie Unter­lassungsschuldner, was der Klägerin bei sorgfaltsgemäßer und rechtzeitiger Nachfrage auch bekannt geworden wäre. Eine Abmahnung der falschen Person ist weder als Geschäftsführung ohne Auftrag zweckentsprechend, noch zur Schadensbeseitigung erforderlich und beruht auch nicht auf irgendwelchen Falschangaben des Beklagten gegenüber der Klägerin oder dem Gericht.

 

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