AG Hamburg, Urt. vom 14.07.2009 – 36a C 149/09: Anwendbarkeit von § 97a Abs. 2 UrhG

AG Hamburg, Urteil vom 14.07.2009 – 36a C 149/09
Leitsätze (des Verfassers):
1. Auf den Verkauf von Bootlegs findet § 97a Abs. 2 UrhG Anwendung.

2. Mahnt der Rechtsinhaber eine Vielzahl von ähnlichen Verletzungen unterschiedlicher Personen in einem kurzen Zeitraum ab, spricht dies für eine Anwendung des § 97a Abs. 2 UrhG.

Tenor

1. Die Beklagte wird verurteilt an die Klägerin 100 EURO nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über Basiszinssatz seit dem 13.11.2008 zu zahlen.Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

2. Von den Kosten des Rechtsstreits haben die Beklagte 12% und die Klägerin 88% zu tragen.

4. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Der Klägerin bleibt nachgelassen, die Vollstreckung im Kostenpunkt abzuwenden durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 Prozent des vollstreckbaren Betrages, wenn nicht die Beklagte zuvor Sicherheit leistet in Höhe von 110 Prozent des jeweils zu vollstreckenden Betrages.

Tatbestand:

Die Klägerin eine eingetragene Rechtsanwalts-Partnergesellschaft, begehrt aus abgetretenem Recht einer Mandantin, der Iron Maiden Holdings Ltd., von der Beklagten, die als Brotverkäuferin tätig ist, Ersatz der anlässlich einer urheberrechtlichen Abmahnung angefallenen Anwaltskosten.

Am 6.11.2008 bot die Beklagte auf Internet-Verkaufsplattform X je einen Tonträger „Iron Maide – Live USA“ sowie „Iron Maiden Europe 1992“ mit Aufnahmen der weltweit bekannten Heavy Metal Band Iron Maiden zum Erwerb an. Im Namen der Zedentin Im Namen ihrer Zedentin mahnte die Klägerin daraufhin die Beklagte mit Schreiben vom 10.11.2008 u. a. auf Unterlassung des Vertriebs von Live-Aufnahmen der Gruppe Iron Maiden ab und forderte sie gleichzeitig zur Zahlung von Abmahnkosten auf. Die Beklagte gab eine strafbewehrte Unterlassungserklärung ab und lehnte den Ausgleich der Gebühren ab.

Die Klägerin behauptet, bei den von der Beklagten angebotenen Tonträgern handele es sich um sog. „Bootlegs“, inoffizielle und von den Rechteinhabern unautorisierte Mitschnitte von Konzerten der Gruppe Iron Maiden. Inhaberin der Künstlerschutzrechte an allen musikalischen Darbietungen und Aufnahmen in Bezug auf diese Musikgruppe sei die Iron Maiden Holdings Ltd., eine Gesellschaft britischen Rechts. Deren Gesellschafter seien die Bandmitglieder der Gruppe Iron Maiden, die ihre Rechte nach dem Gesellschaftsvertrag auf die Ltd. übertragen hätten. Die Klägerin ist der Ansicht, da sie die Beklagte berechtigt abgemahnt habe könne sie von dieser die Erstattung der im Rahmen dieses Vorgehens nach einem Gegenstandswert von 20.000 € angefallenen Rechtsanwaltsgebühren verlangen. Die Ausnahmevorschrift des § 97a Abs. 2 UrhG fände keine Anwendung, da es sich vorliegend nicht um einen einfach gelagerten Fall mit nur unerheblicher Rechtsgutverletzung handele, denn mit der britischen Zedentin sei die gesamte Korrespondenz in englischer Sprache zu führen gewesen. Zudem handele es sich um einen komplexen Sachverhalt. Die Tonträger seien Aufnahmen zweier kompletter Konzerte, welche die Beklagte vorsätzlich auf X angeboten habe.

Die Klägerin beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin 859,80 € zuzüglich Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 13.11.2008 zu zahlen.

Die Beklagte, die den geltend gemachten Anspruch in Höhe von € 100,- nebst Zinsen anerkannt hat, beantragt,

die Klage im Übrigen abzuweisen.

Sie ist der Ansicht, der Gesetzgeber habe mit § 97a Abs. 2 UrhG gerade vor unverhältnismäßig hohen Abmahnkosten schützen wollen, weshalb sein Anwendungsbereich eröffnet sei.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Klage ist in Höhe des anerkannten Betrages begründet (§ 307 ZPO).

Ein weitergehender Anspruch auf Erstattung von Abmahnkosten steht der Klägerin jedoch nicht zu.

Dabei kann dahinstehen, ob die Klägerin überhaupt aktivlegitimiert ist, da ein Anspruch der Klägerin auf Erstattung von Abmahnkosten gemäß § 97a Abs.2 ZPO auf € 100,- begrenzt ist.

I.

Nach dieser Vorschrift werden für den Fall einer erstmaligen Abmahnung in einfach gelagerten Fällen mit einer nur unerheblichen Rechtsverletzung außerhalb des geschäftlichen Verkehrs die erstattungsfähigen Aufwendungen auf € 100 beschränkt. Die vier genannten Voraussetzungen sind im vorliegenden Fall gegeben.

1. Zunächst einmal hat sich um eine (erste) Abmahnung ggü. der Beklagten in einem einfach gelagerten Fall gehandelt. Wann genau ein solcher vorliegt, ist anhand einer Gesetzesauslegung zu ermitteln. Hierbei ist auf den in der Gesetzesbegründung konkretisierten Willen des Gesetzgebers abzustellen. Danach liegt dann ein einfacher Fall vor, wenn er nach Art und Umfang ohne größeren Arbeitsaufwand zu bearbeiten ist, es sich also um einen Routinefall handelt (RegE = BT-Drs. 16/8783, S. 49). Die Gesetzesbegründung darf dabei nicht dahingehend missverstanden werden, dass diese Voraussetzungen nur vorliegen, wenn die Einschaltung eines Anwalts nicht erforderlich ist. Denn in diesem Fall würde ein Ersatzanspruch bereits an der in § 97 a Abs. 1 S. 2 UrhG normierten Voraussetzung der „Erforderlichkeit“ der Kosten scheitern. Daher ist das Kriterium des „einfach gelagerten Falles“ so zu verstehen, dass Fälle erfasst werden, die zwar nicht so einfach sind, dass ein Erstattungsanspruch gänzlich ausgeschlossen ist, aber dennoch eine Deckelung der Gebühren legitimiert ist. Entscheidend ist, dass der Fall weder in rechtlicher noch tatsächlicher Hinsicht Schwierigkeiten aufweist, also das Vorliegen und die Geltendmachung einer Rechtsverletzung quasi auf der Hand liegt. Denn nur in diesen Fällen geht nach dem Willen des Gesetzgebers das Schutzinteresse des Verletzers dem Ersatzinteresse des Verletzten vor.

a) Eine rechtliche Schwierigkeit war hier nach dem Tatsachenvortrag der Klägerin nicht gegeben.

aa) Es handelt sich bei sog. „Bootlegs“ grundsätzlich um Urheberrechte verletzende Tonträger, so dass auch die Verletzung des Verbreitungsrechtes durch den Verkauf eines derartigen Tonträgers auf X klar auf der Hand liegt und ohne juristische Probleme – sogar durch einen entsprechend instruierten Nichtjuristen – festgestellt werden kann. Wer die beiden „Bootlegs“ zum Verkauf angeboten hat, ist offensichtlich gewesen, und auch die Frage nach der verletzten Person, also dem Rechteinhaber, hat weder der Iron Maiden Holdings Ltd. noch der Klägerin juristische Schwierigkeiten bereitet. Wo genau der Unterschied zum dem ausdrücklich in der Gesetzesbegründung genannten Beispielsfall der unberechtigten Verwendung eines Fotos bei einer X-Auktion (vgl. hierzu auch OLG Brandenburg ZUM 2009, 412 ff.) liegen soll, ist nicht ersichtlich.

bb) An dieser Bewertung ändert auch die Tatsache nichts, dass die Bandmitglieder ihre Rechte – entsprechend der in der Musikindustrie gängigen Praxis – im Rahmen des Gesellschaftsvertrages auf die Iron Maiden Holdings Ltd. übertragen haben sollen. Zwar ist zumindest dem mit der Abmahnung beauftragten Anwalt zur Vermeidung einer unberechtigten Abmahnung eine rechtliche Überprüfung der Rechtekette zuzustehen. Käme man jedoch angesichts dessen zu der Feststellung, es liege kein einfach gelagerter Fall vor, so würde dies den Sinn und Zweck des § 97 a Abs. 2 UrhG konterkarieren. Denn zumindest bei anwaltlichen Abmahnungen aus dem Bereich der Musikindustrie wird regelmäßig eine Rechtekette gegeben sein. Auch dass es sich bei der Zedentin um eine Gesellschaft britischen Rechts handelt, lässt vorliegend keine rechtliche Schwierigkeit erkennen. Die Feststellung eines Urheberrechtsverstoßes lag trotz der Internationalität sowohl aus Sicht der Iron Maiden Holdings Ltd. als auch aus der der Klägerin quasi auf der Hand.

b) Auch in tatsächlicher Hinsicht war der Fall nicht schwierig gelagert. Im Tatsachenkern ging es schlicht um den Verkauf zweier CD’s mit Konzertaufnahmen der Gruppe Iron Maiden auf X. Weshalb hierin – wie von der Klägerin geäußert – ein komplexer Sachverhalt zu sehen sein soll, erschließt sich dem Gericht nicht. Der pauschale Vortrag, wonach die Klägerin ihrer Mandantin zunächst eine Beratung über das deutsche Urheberrecht habe zukommen lassen müssen, vermag ebenso wenig eine Schwierigkeit in tatsächlicher Hinsicht zu begründen. Dies auch vor dem Hintergrund, dass es Ziel des Gesetzgebers war, vor allem in Fällen von Massenabmahnungen eine Anspruchsbegrenzung vorzunehmen. Genügt jedoch in diesen Fällen – ganz unabhängig davon, ob man vorliegend von einer Massenabmahnung ausgeht, – der bloß pauschale Hinweis auf die vorgenommene anwaltliche Beratung der ausländischen Mandantschaft, so würde die Schutzfunktion des § 97 a Abs. 2 UrhG immer dann leer laufen, wenn Rechteinhaber eine ausländische natürliche oder juristische Person ist. Genau dies wird aber bei den meisten, auf musikalische Urheberrechte gestützte Abmahnungen der Fall sein. Ähnlich ist auch der Vortrag der Klägerin zu beurteilen, wonach sämtliche Korrespondenz mit der Mandantin in englischer Sprache geführt worden sei.

c) Für einen einfach gelagerten Fall spricht zudem, dass die Klägerin – wie gerichtsbekannt ist – in engem zeitlichen Zusammenhang mit der vorliegenden Abmahnung diverse gleichgelagerte Abmahnungen versandt hat, die allesamt Urheberrechtsverletzungen wegen Veräußerungen von „Bootlegs“ auf X zum Gegenstand hatten. Auch wenn vom Grundsatz her jede Abmahnung für sich betrachtet werden muss, so heißt dies nicht, dass die Häufigkeit derartiger Rechtsverletzungen und die damit verbundene Routine bei der Rechtsverfolgung außer Betracht zu bleiben hat. In diesem Zusammenhang erscheint dem Gericht ein Hinweis auf den praktischen Ablauf einer Abmahnung der vorliegenden Art angebracht. Mangels Vortrags der Klägerin kann wohl kaum angenommen werden, dass die Zedentin selber die Rechtsverletzung, welche ihr gegenüber in Form des Verkaufs von „Bootlegs“ auf X vorgenommen wird, feststellt und sie dann die Klägerin mit einer Abmahnung beauftragt. Auszugehen ist vielmehr davon, dass im General-Auftrag der Zedentin entweder eine Drittfirma oder die klagende Anwaltsgesellschaft selber die Rechtsverstöße ermittelt und dann entweder nach kurzer Rücksprache bei der Ltd. oder sogar ohne eine solche die Abmahnung ausgesprochen wird. Dass es sich bei einer solchen Konstellation um reine Routinefälle handelt, liegt auf der Hand.

2. Bei dem Verkauf der beiden „Bootlegs“ auf X handelte es sich auch um eine nur unerhebliche Rechtsverletzung einer privaten Verkäuferin. Nach der Gesetzesbegründung zu § 97a Abs.2 UrhG erfordert eine unerhebliche Rechtsverletzung ein geringes Ausmaß der Verletzung in qualitativer wie quantitativer Hinsicht, wobei es auf die Umstände des Einzelfalls ankommt (Begr. RegE = BT-Drs. 16/5048, S. 49). Hier wurden von der Beklagten nur zwei „Bootlegs“ auf X angeboten, womit sich die Verletzung noch in einem geringem quantitativen Ausmaß bewegte. Dass es sich dabei um zwei komplette Konzerte gehandelt haben soll, ist nicht ausschlaggebend. Abzustellen ist auf den Tonträger und nicht etwa auf die Anzahl der wiedergegebenen Titel oder die Abspieldauer. Auch in qualitativer Hinsicht vermag das Gericht hier keine erhebliche Rechtsverletzung auszumachen. Es handelt sich um einen gewöhnlichen Verstoß gegen das Verbreitungsrecht (§ 77 UrhG). Insofern die Klägerin darauf abstellt, die Beklagte habe vorsätzlich gehandelt, so vermag auch dieser Vortrag keine qualitativ erhebliche Rechtsverletzung zu begründen. Zum einen steht der Vorsatz der Beklagten nicht zur Überzeugung des Gerichts fest. Denn die Beklagte bezeichnete einen der Tonträger in der Artikelbeschreibung zwar als „Bootleg“, dass sie jedoch wusste, was mit diesem Begriff gemeint ist und sich somit in dem Bewusstsein rechtswidrigen Handelns befand, ist zumindest zweifelhaft. Zum anderen vermag der Vorsatz des Verletzenden nicht generell eine erhebliche Qualität der Rechtsverletzung zu begründen. Zwar hat der Vorsatz gesteigerte Unrechtsqualität. Hätte der Gesetzgeber jedoch für vorsätzliches Handeln grundsätzlich eine Ausnahme von der Beschränkung des Erstattungsanspruchs vorsehen wollten, so wäre zu erwarten gewesen, dass er dies im Gesetzestext oder zumindest in der Gesetzesbegründung zum Ausdruck gebracht hätte.

II.

Ein über € 100,- hinausgehender Anspruch der Klägerin ergibt sich auch nicht etwa aus § 97 Abs. 2 UrhG. Denn bei der Begrenzung des Erstattungsbetrages bliebe es auch dann, wenn die Beklagte – wovon auszugehen ist – schuldhaft gehandelt hat. Da an das Vorliegen einer zumindest leicht fahrlässigen Urheberrechtsverletzung keine allzu hohen Anforderungen zu stellen sind, würde dies den Tatbestand des § 97 a Abs. 2 UrhG signifikant einengen. Zudem hat der Gesetzgeber die Beschränkung auf 100 Euro nicht von einem fehlenden Verschulden abhängig gemacht (so auch Kefferpütz in Wandtke/Bullinger, Urheberrecht, 3. Aufl. 2009, § 97 a Rn. 38)

Die prozessualen Nebenentscheidungen beruhen auf den §§ 92, 708 Nr. 1, Nr.11 und 711 ZPO.

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