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Die Vorlage des LG München I zum EuGH zur Haftung bei WLANs in der Kurzanalyse

Mit Beschluss vom 18.9.2014 hat das LG München I mittels Vorlagebeschluss dem EuGH verschiedene Fragen zur Haftung des Betreibers eines gewerblichen WLANs dem EuGH vorgelegt (LG München I, Beschluss vom 18.09.2014 – 7 O 14719/12; Volltext hier).

Im folgenden Beitrag sollen die Hintergründe kurz erläutert werden. Insbesondere aber sollen die Fragen gekürzt bzw. „übersetzt“ und (ganz) kurz analysiert werden.

1.

In dem Verfahren geht es um das WLAN eines Münchener Piraten, der im Wege des sog. Piratenfreifunk sein WLAN öffentlich angeboten hatte. Nachdem einer seiner Nutzer ein urheberrechtlich geschütztes Werk abgerufen und angeboten hatte, war er abgemahnt worden. Er erhob (nach vorheriger Gegenabmahnung) negative Feststellungsklage vor dem Landgericht München I gegen den Rechteinhaber mit dem Ziel festzustellen, dass er für die Rechtsverletzung seines Nutzers auch nicht als Störer hafte. Die Beklagte hatte daraufhin Widerklage erhoben.

Hilfsweise hatte der Kläger beantragt, das Verfahren auszusetzen und gemäß Art. 267 AEUV die Fragen dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) vorzulegen. Grund hierfür ist, dass die in Rede stehenden Haftungsprivilegierungen in §§ 8-10 TMG (Telemediengesetz) auf Art. 12-15 der E-Commerce-Richtlinie 2000/31/EG beruhen. Wenn es also Auslegungsprobleme gibt, die auch die zu Grunde liegende Richtlinie betreffen, sieht Art. 267 AEUV vor, dass jedes Gericht Fragen zur Auslegung dem EuGH vorlegen kann – nur das letztinstanzliche Gericht muss auch vorlegen. Der EuGH entscheidet dann allein über die Auslegung des europäischen Rechts.

Allein der Umstand, dass das LG München I die Fragen dem EuGH vorgelegt hat, zeigt schon, dass es nach Sicht des LG München I auf die Auslegung ankommt. Dabei tendiert das LG München I wohl grundsätzlich dazu, eine Haftung des Betreibers eines offenen WLANs anzunehmen. Es hat aber erkannt, dass es sich mit einer solchen Entscheidung gegen die Haftungsprivilegierung des § 8 TMG und damit der zu Grunde liegenden E-Commerce-Richtlinie stellen würde.

Insgesamt soll der EuGH im Verfahren nach Art. 267 AEUV neun Fragen beantworten (zu den Fragen s. Volltext hier http://s100026103.ngcobalt84.manitu.net/offenenetze.de/2014/10/08/lg-muenchen-i-legt-frage-der-haftung-bei-offenen-wlans-dem-eugh-vor-volltext/). Die Fragen betreffen allerdings bei Weitem nicht nur die Haftung für WLANs. Die Antworten des EuGH könnten vielmehr auch die bisherige Rechtsprechung des BGH zur Störerhaftung im Internet generell beeinflussen.

Die Fragen lassen sich ganz grob in drei Bereiche unterteilen: Voraussetzungen von § 8 TMG, Umfang der Privilegierung, Pflichten beim Betrieb von WLANs.

2. Voraussetzungen von § 8 TMG

Zunächst möchte das LG München I vom EuGH wissen, welche Voraussetzungen generell vorliegen müssen, damit sich ein Betreiber eines gewerblichen WLANs auf die Privilegierung berufen kann. Dies sind zunächst die Fragen 1-3, die ich hier gekürzt/umformuliert und unter Zuhilfenahme der Begründung des LG München I darstelle:

a. Frage 1: Wie ist das aus Art. 12 Abs. 1 Halbsatz 1 E-Commerce-Richtlinie stammende Merkmal „in der Regel gegen Entgelt“ bedeutet auszulegen? Muss die konkret betroffene Person, die sich auf die Diensteanbietereigenschaft beruft, diese konkrete Dienstleistung in der Regel entgeltlich anbietet, oder müssen überhaupt Anbieter auf dem Markt sein , die diese Dienstleistung oder vergleichbare Dienstleistungen gegen Entgelt anbieten, oder muss die Mehrheit dieser oder vergleichbarer Dienstleistungen gegen Entgelt angeboten werden.

b. Frage 2: Reicht es für das Tatbestandsmerkmal „Zugang zu einem Kommunikationsnetzwerk zu vermitteln“ aus, dass der Zugang zu einem Kommunikationsnetzwerk (z. B. dem Internet) vermittelt wird – oder muss es irgendeine Form von Rechtsverhältnis zwischen dem Anbieter und dem Nutzer geben.

c. Frage 3: Ist für das Tatbestandsmerkmal „Anbieten“ mehr erforderlich, als das rein tatsächliche Zur-Verfügung-Stellen, oder ist z. B. darüber hinaus auch ein „Anpreisen“ erforderlich?

d. Frage 7: Erschöpfen sich die Anforderungen an den Diensteanbieter darin, dass ein Dienst der Informationsgesellschaft angeboten wird. Oder könnte eine zusätzliche Voraussetzung sein, dass das WLAN mit dem ursprünglichen Geschäftszweck in Zusammenhang stehen muss?

e. Frage 8: Wenn Frage 7 verneint wird, was ist zusätzlich erforderlich?

3. Umfang der Privilegierung

Im nächsten Komplex (Fragen 4 bis 6) möchte das LG München I wissen, ob die Privilegierung auch Unterlassungsansprüche umfasst. Die Antwort auf diese Frage dürfte in Rechtswissenschaft und Praxis mit größter Spannung erwartet werden. Denn in ständiger Rechtsprechung des BGH finden die Privilegierungen der §§ 8-10 TMG *nicht* auf Unterlassungsansprüche Anwendung. Das war zu Beginn dieser Rechtsprechung noch heftig umstritten, mittlerweile wird darüber aber kaum noch diskutiert. Der BGH hat seine Rechtsprechung allerdings seit 2013 modifiziert. Zwar lehnt er eine Anwendung von §§ 8-10 TMG auf Unterlassungsansprüche weiter ab, wendet aber nunmehr die Grundsätze der §§ 8-10 auf der „Rechtsfolgenseite“ bei der Bewertung der Prüfungs- und Überwachungspflichten an (eingehend Sassenberg/Mantz, WLAN und Recht, Rn. 215 m.w.N.).

Frage 4 lautet gekürzt:

Bedeutet „nicht für die übermittelten Informationen verantwortlich“ in Art. 12 der E-Commerce-RL, dass etwaige Ansprüche auf Unterlassung, Schadensersatz, Zahlung der Abmahnkosten und Gerichtsgebühren des aufgrund einer Urheberrechtsverletzung Betroffenen gegen den Zugangs-Provider grundsätzlich oder jedenfalls in Bezug auf eine erste festgestellte Urheberrechtsverletzung ausgeschlossen sind?

Frage 5: Kann gegen den Zugangs-Provider eine Unterlassungsanordnung der Form erlassen werden, dass dieser es künftig zu unterlassen hat, es Dritten zu ermöglichen, über einen konkreten Internetanschluss ein bestimmtes urheberrechtlich geschütztes Werk über Internet-Tauschbörsen zum elektronischen Abruf bereitzustellen?

Frage 6 geht anschließend auf den Kenntnisstand des Anbieters ein: Ab wann haftet der Anbieter als Störer? Nach der bisherigen Rechtsprechung des BGH soll eine Haftung erst greifen können, wenn der Anbieter Kenntnis von der konkreten Rechtsverletzung hat (eingehend Sassenberg/Mantz, WLAN und Recht, Rn. 217 m.w.N.). Damit ist eine Haftung vor der Abmahnung praktisch ausgeschlossen. Dies stellt das LG München I in Frage und möchte eine Entscheidung des EuGH:

Frage 6: Haftet der Anbieter erst ab Kenntnis der konkreten Rechtsverletzung?

4. Pflichten beim Betrieb von WLANs

Der dritte Fragenkomplex (Frage 9 a und b) betrifft den Umfang der sog. Prüfungs- und Überwachungspflichten. Das LG München I sieht hier die mit dem Betrieb eines offenen WLANs einhergehende Anonymität als gefährlich an (s. zum Internet als Gefahrenquelle Mantz, JurPC 95/2010) und fragt, ob vom Betreiber eines offenen WLANs überhaupt Maßnahmen verlangt werden können – und welche.

Frage 9: Kann der Zugangs-Provider kostenpflichtig dazu verurteilt werden, es künftig zu unterlassen, Dritten zu ermöglichen, über einen konkreten Internetanschluss ein bestimmtes urheberrechtlich geschütztes Werk oder Teile daraus über Internet-Tauschbörsen zum elektronischen Abruf bereitzustellen, wobei es dem Zugangs-Provider freigestellt bleibt, welche technischen Maßnahmen er konkret ergreift, um dieser Anordnung nachzukommen? Gilt dies auch, wenn er den Internetanschluss stilllegen oder mit Passwortschutz versehen oder sämtliche darüber laufende Kommunikation filtern und untersuchen müsste?

5. Fazit

Was folgt nun aus dem Beschluss des LG München I? Zunächst, dass es die Rechtslage anders beurteilt als das AG Hamburg kürzlich (s. dazu hier), das die Privilegierung des § 8 TMG auf ein WLAN ohne Wenn und Aber angewandt hatte. Denn dann hätte es die Klage einfach zugesprochen und die Widerklage abgewiesen.

Jedenfalls ist dem Verfahren hohe Bedeutung für die zukünftige Bewertung der mit dem Betrieb eines WLANs einhergehenden Rechtsfragen zuzuweisen. Denn der EuGH wird eine Reihe von Fragen (hoffentlich) endgültig entscheiden. Und daran müssen sich die nationalen Gerichte dann orientieren. Insofern ist eine Klarstellung durch den EuGH zu begrüßen. Allerdings ist mit einer Entscheidung frühestens Ende 2015, eventuell deutlich später zu rechnen. Bis dahin bleibt es vermutlich bei der bisherigen – durch den Vorlagebeschluss des LG München I auch nicht näher aufgeklärten – Rechtslage. Zumindest steht zu vermuten, dass der deutsche Gesetzgeber jetzt auf die Entscheidung des EuGH wartet, und nicht zwischendurch eine nationale Regelung vorlegt …

 

S. zum Vorlagebeschluss des LG München I auch

Update: Kleine Korrektur bei Frage 9. Danke an den Korrekturleser!

Vorlage zum EuGH: Filterpflicht zulässig nach EU-Recht?

Ein belgisches Gericht hat kürzlich dem EuGH die Frage vorgelegt, ob nach EU-Recht in den Nationalstaaten eine Filterpflicht auf richterliche Anordnung zulässig ist.

„Do directives 2001/29 (information society-copyright directive) and 2004/48 (enforcement directive), read in conjunction with directives 95/46 (data protection), 2000/31 (e-commerce) and 2002/58 (e-privacy), and construed in the light of Article 8 and 10 of the European Convention on human rights and fundamental freedoms, permit a Member State to allow that a national judge may require an internet access provider to filter all in- and outbound electronic communication in order to identifiy files that contain copyrighted music?

This is one of the two questions that the Brussels Court of Appeal recently decided to put to the European Court of Justice for a preliminary ruling (the decision – in French – is here; at the ECJ, the new case is C-70/10, Scarlet Extended).“

(via contentandcarrier)