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Von Unklarheiten und Ungehorsam – oder: Über den gerichtlichen Umgang mit der BVerfG-Rechtsprechung zur prozessualen Waffengleichheit

Im nachfolgenden Beitrag möchte ich mich mit zwei Entscheidungen des BVerfG zur prozessualen Waffengleichheit befassen, wobei ich den Schwerpunkt darauf legen möchte, wo offenkundig weiterhin Missverständnisse bestanden bzw. weiterhin Unklarheiten bestehen. Grundlage sind hierbei sowohl die beiden Entscheidungen des BVerfG als auch eine – durch fragdenstaat.de öffentlich gemachte – Stellungnahme der Hamburger Pressekammer. Die beiden Fälle sind einerseits wegen der deutlichen Worte des BVerfG von Interesse, aber zusätzlich, weil in beiden Fällen eine nachträgliche Rechtfertigung für den Erlass der einstweiligen Verfügungen ohne Anhörung der Antragsgegnerseite vorliegt, die einen Einblick in das Verständnis der bisherigen Rechtsprechung des BVerfG zur prozessualen Waffengleichheit erlaubt.

Wer darüber hinaus wissen möchte, wie unter Berücksichtigung der umfangreichen Rechtsprechung des BVerfG in der Praxis in einstweiligen Verfügungsverfahren (aus Sicht der Gerichte und in der anwaltlichen Beratung/Betreuung) verfahren werden sollte, dem empfehle ich den kürzlich in Heft 9/2022 der WRP (Wettbewerb in Recht und Praxis), S. 1059 ff., erschienen Beitrag von Rechtsanwalt Oliver Löffel und mir, in dem wir versucht haben, anlässlich der aktuellen Entscheidungen des BVerfG eine Art „Leitfaden“ zu entwerfen.

I. Einleitung

Anlass dieses Beitrages sind zwei Beschlüsse des BVerfG, die beide erneut Entscheidungen aus dem Bereich des Presserechts betreffen und zwar einerseits des LG Berlin und andererseits – man muss leider sagen: schon wieder (vgl. Mantz, NJW 2019, 953) – des OLG Hamburg.

1. OLG Hamburg

a. Fall

Beim OLG Hamburg ging es um die Veröffentlichung eines Interviews. Die Antragstellerin mahnte zunächst die Antragsgegnerin wegen einer von ihr erkannten Persönlichkeitsrechtsverletzung ab und stellte sodann beim Landgericht Hamburg einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung. Das Landgericht erteilte der Antragstellerin Hinweise, die daraufhin ihren ursprünglich gestellten Antrag, der offenbar auf die Untersagung einer konkreten Äußerung gerichtet war, umformulierte und ihn um zwei Hilfsanträge ergänzte, wobei wohl zumindest ein Antrag nunmehr auf die Untersagung des Hervorrufens eines unwahren Eindrucks gerichtet war (vgl. BVerfG, 1.12.2021 – 1 BvR 2708/19, GRUR 2022, 429 Rn. 31). Das LG Hamburg wies den Antrag ohne Anhörung der Antragsgegnerin vollumfänglich zurück. Es versäumte offenbar, der Antragsgegnerin die erteilten Hinweise mitzuteilen. Die Antragstellerin ging in die Beschwerde zum OLG, wo ihr der Hinweis erteilt wurde, dass nur einem der Anträge stattgegeben werden könne. Die Antragstellerin nahm die übrigen Anträge zurück und das OLG Hamburg erließ im Oktober 2019 – ohne Anhörung der Antragsgegnerin – die begehrte einstweilige Verfügung im Beschlusswege (BVerfG, 1.12.2021 – 1 BvR 2708/19, GRUR 2022, 429).

b. Durcheinander um eine Stellungnahme

Die Antragsgegnerin erhob nunmehr Verfassungsbeschwerde. In der Entscheidung des BVerfG heißt es, dass über die Justizbehörde von Hamburg eine „Stellungnahme des Pressesenats“ (also des Spruchkörpers des OLG Hamburg) abgegeben worden sei (BVerfG, 1.12.2021 – 1 BvR 2708/19, GRUR 2022, 429 Rn. 23). Über fragdenstaat.de wurde diese Stellungnahme der Justizbehörde von Hamburg angefragt und veröffentlicht (vielen Dank an die/den Anfragende/n dafür!). Es handelt sich hierbei um ein Schreiben der Justizbehörde, die in indirekter Rede die Stellungnahme des Gerichts wiedergibt. Leider scheint hier einiges durcheinander gegangen zu sein. In diesem Schreiben heißt es nämlich, dass es sich um eine Stellungnahme der „Pressekammer des LG Hamburg“ handele. Nun könnte man denken, dass es sich schlicht um eine Ungenauigkeit im Beschluss des BVerfG („Pressesenat“ statt „Pressekammer“) handelt. Allerdings würde auch das nicht passen. In der Sachverhaltsdarstellung der BVerfG-Entscheidung wird nämlich dargestellt, dass das LG Hamburg den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung insgesamt zurückgewiesen habe. Die (indirekte Wiedergabe) der Stellungnahme beginnt jedoch mit folgendem Satz: „Es treffe nicht zu, dass die Pressekammer die einstweilige Verfügung ohne jede vorherige Anhörung erlassen habe.“ Die Entscheidung, eine einstweilige Verfügung zu erlassen, erfolgte jedoch einzig durch den Pressesenat des OLG Hamburg. Im folgenden wird daher davon ausgegangen, dass es sich um einen Fehler der Justizbehörde handelt und die wiedergegebene Stellungnahme doch vom OLG-Senat stammt.

Die entscheidenden Passagen möchte ich hier kurz wiedergeben. Der Pressesenat des OLG Hamburg soll folgendes zu den Akten gegeben haben:

„Es treffe nicht zu, dass die Pressekammer die einstweilige Verfügung ohne jede vorherige Anhörung erlassen habe. Jede einzelne Äußerung, hinsichtlich derer eine Unterlassungsverfügung erlassen wurde, sei zuvor abgemahnt worden, wie es auch dem Regelfall in der Hamburger Praxis entspreche. Die Erwiderung auf die Abmahnung habe bei Erlass der einstweiligen Verfügung auch vorgelegen, sie stand deren Erlass nur nicht entgegen. Auch sei der Streitgegenstand der Abmahnung und der Erwägungen, die zum Erlass der einstweiligen Verfügung führten, identisch gewesen. Der bloße Vergleich des Umfangs der Begründung des Verfügungsantrages und der Abmahnung sei dabei nicht geeignet, Rückschlüsse auf eine fehlende Identität zwischen Antrag und Abmahnung zu ziehen, denn der größere Umfang der Begründung des Verfügungsantrags sei in allgemeinen Ausführungen über den Antragsteller, die erfolgte Abmahnung, umfänglichen Zitaten aus der streitgegenständlichen Berichterstattung und allgemeinen rechtlichen Ausführungen begründet.

Zu dem Vorwurf, die Pressekammer habe der Beschwerdeführerin die Vorlage von Glaubhaftungsmitteln vereitelt, führt sie aus: Der Verfahrensbevollmächtigte der Beschwerdeführerin verkenne, dass die Beschwerdeführerin ehrverletzende Äußerungen über den Antragsteller verbreitet habe und daher die Beschwerdeführerin ihre Berichterstattung rechtfertigen müsse. Dass der Abmahnung keine Glaubhaftmachungsmittel beigefügt wurden, entspreche der allgemeinen – nicht auf Hamburg beschränkten – gerichtlichen Praxis im sog. „Grünen Bereich“. Die Glaubhaftmachungslast für die Wahrheit der Äußerungen habe im Rahmen der Erwiderung bei der Antragsgegnerin gelegen. Ihrer Erwiderung auf die Abmahnung habe die Antragsgegnerin jedoch keinerlei Unterlagen beigefügt. Sie habe lediglich in Hinblick auf eine Äußerung von zehn abgemahnten Textpassagen geltend gemacht, die Wahrheit dieser Äußerung jederzeit durch Vorlage einer Mail glaubhaft machen zu können, diese jedoch nicht beigefügt.

Stellt der Antragsteller im einseitigen Verfahren daraufhin einen Antrag; gelten nach Auffassung der Kammer die allgemeinen ZPO-Regeln, mit der Folge, dass die Glaubhaftmachungslast beim Antragsteller liege. Nachdem der Antragsteller durch Vorlage des nach Aktenlage gesamten Mailverkehrs glaubhaft gemacht habe, dass eine entsprechende Äußerung nicht stattgefunden habe, habe die Kammer hier daher davon ausgehen können, dass sein Unterlassungsanspruch bestand. Auf den bloßen Zuruf, man könne etwas belegen, könne im einstweiligen Verfügungsverfahren nicht reagiert werden. Für die Vorlage etwaiger Unterlagen biete gerade die Abmahnung Gelegenheit, was der Beschwerdeführerin auch bekannt sei.

Schließlich erwecke der Hinweis, dass die Sache noch nicht entscheidungsreif gewesen sei, weil die Kammer noch auf eine Anlage des Antragstellers habe warten müssen, einen falschen Anschein über den zeitlichen Ablauf. Tatsächlich sei der Antrag am Freitag, dem 24.1.2020, nach Dienstschluss eingegangen und wurde der Kammer dann am Montag, dem 27.1.2020, vorgelegt. Am Dienstag, dem 28.1.2020, habe die fragliche Anlage bereits vorgelegen.“

c. Entscheidung des BVerfG

Das BVerfG hat einen Verstoß gegen die prozessuale Waffengleichheit festgestellt. Zusätzlich hat es dem OLG mit deutlichen Worten seine Unzufriedenheit attestiert:

„Der wiederholte Verstoß des Pressesenats des OLG gegen das Gesetz der Waffengleichheit bei einstweiligen Anordnungen gibt Anlass, auf die rechtliche Bindungswirkung der Entscheidungen des BVerfG hinzuweisen (§ 31 I BVerfGG, § 93c I 2 BVerfGG, dazu BVerfG (1. Kammer des Ersten Senats) NVwZ 2006, 586 Rn. 26 ff.). Bei zukünftigen Verstößen gegen die Waffengleichheit durch den Senat wird die Kammer ein Feststellungsinteresse für eine Verfassungsbeschwerde oder einen Antrag auf einstweilige Anordnung gem. § 32 BVerfGG stets als gegeben ansehen.“

2. LG Berlin

a. Fall

Im Verfahren vor dem LG Berlin ging es um eine Berichterstattung aus September 2020 über die Feier eines Richtfests der prominenten Antragstellerin. Die Antragstellerin ließ die Antragsgegnerin erfolglos abmahnen und stellte rund zwei Wochen später Eilantrag beim LG Berlin. Hierbei entsprach die Begründung des Verfügungsantrags „im Wesentlichen“ der vorgerichtlichen Abmahnung. Die Pressekammer des LG Berlin erteilte der Antragstellerin den Hinweis, dass Bedenken bezüglich der Begründetheit des Antrags bestünden. Nachdem die Antragstellerin in ihrer Stellungnahme ihren Vortrag ergänzt hatte (BVerfG, 11.1.2022 – 1 BvR 123/21, WRP 2022, 593 Rn. 39), erging ein weiterer Hinweis – erneut nur an die Antragstellerin -, dass dem Antrag jedenfalls hinsichtlich bestimmter Teile nicht entsprochen werden könne. Die Antragstellerin nahm ihren Antrag daraufhin teilweise – vermutlich im Umfang der erteilten Hinweise – zurück. Das Landgericht erließ anschließend – ohne vorherige Anhörung der Antragsgegnerin – am 10.11.2020 und damit knapp vier Wochen nach Antragstellung im Beschlusswege die einstweilige Verfügung im Umfang der noch gestellten Anträge. Auch eine Mitteilung an die Antragsgegnerin, insbesondere bezüglich der erteilten Hinweise und der Teilrücknahme, erfolgte nicht. Nach Zustellung der einstweiligen Verfügung im Parteibetrieb inklusive der beiden Stellungnahmen der Antragstellerin bemühte sich die Antragsgegnerin – zunächst erfolglos – um Übermittlung der gerichtlichen Hinweise. [Diese Verzögerung führte letztlich zu einem – erfolgreichen – Antrag der Antragsgegnerin auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach § 93 II BVerfGG, der jedoch nicht Gegenstand des hiesigen Beitrags ist.]

b. Stellungnahme im Einstellungsbeschluss

Anschließend erhob die Antragsgegnerin Widerspruch und beantragte die „Aussetzung der Zwangsvollstreckung“ (BVerfG, 11.1.2022 – 1 BvR 123/21, WRP 2022, 593 Rn. 13). Das Landgericht stellte mit Beschluss von Ende Januar 2021 die Zwangsvollstreckung bis zur Entscheidung im Widerspruchsverfahren einstweilen ein. In der Begründung des Beschlusses führte das Landgericht jedoch aus, dass es nicht der Auffassung sei, die Antragsgegnerin in ihrem Recht auf prozessuale Waffengleichheit verletzt zu haben, da die Hinweise ausschließlich zu Lasten der Antragstellerin gegangen seien und zu einer teilweisen Rücknahme des Eilantrags geführt hätten. Da sich der Eilantrag und die vorgerichtliche Abmahnung deckten, bestehe kein Informationsvorsprung der Antragstellerin (BVerfG, 11. 1. 2022 – 1 BvR 123/21, WRP 2022, 593 Rn. 16). Auf den erhobenen Widerspruch bestätigte das Landgericht nach mündlicher Verhandlung im März 2021 die einstweilige Verfügung.

Bereits im Januar 2021 hatte die Antragsgegnerin Verfassungsbeschwerde eingereicht und den Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 32 BVerfGG beantragt. Letzteren Antrag erklärte sie sodann für erledigt.

c. Entscheidung des BVerfG

Das BVerfG hat auch hier einen Verstoß gegen die prozessuale Waffengleichheit festgestellt und auch dem LG Berlin mit praktisch gleichen Worten die Leviten gelesen:

„Der wiederholte Verstoß der Pressekammer des Landgerichts gegen das Gebot der prozessualen Waffengleichheit bei einstweiligen Anordnungen gibt Anlass, auf die rechtliche Bindungswirkung der Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts hinzuweisen (§ 31 Abs. 1, § 93c Abs. 1 S. 2 BVerfGG, dazu BVerfG, Beschl. d. 1. Kammer des Ersten Senats v. 27.1.2006 – 1 BvQ 4/06 Rn. 26 ff.). Bei zukünftigen Verstößen gegen die Waffengleichheit durch die Berliner Pressekammer wird die Kammer ein Feststellungsinteresse für eine Verfassungsbeschwerde oder einen Antrag auf einstweilige Anordnung gemäß § 32 BVerfGG stets als gegeben ansehen.“

II. Schlussfolgerungen, Unsicherheiten und Kritik

Das BVerfG hat also beiden Verfassungsbeschwerden stattgegeben. In den Fällen liege ein offenkundiger Verstoß gegen das Recht auf prozessuale Waffengleichheit vor. Von Interesse ist hier aber jeweils die Begründung.

Im Folgenden möchte ich hauptsächlich auf die Spezifika dieser beiden Beschlüsse eingehen, die allgemeinen Schlussfolgerungen finden sich wie gesagt im Beitrag mit Rechtsanwalt Oliver Löffel in Heft 9/2022 der WRP (WRP 2022, 1059).

1. Entscheidung im Beschlusswege, Überraschungsentscheidungen

In Teilen bestehen die Beschlüsse des BVerfG aus der Wiederholung von Ausführungen bisheriger Beschlüsse. Insbesondere bekräftigt das BVerfG, dass weiterhin den Gerichten ein Ermessensspielraum bleibe, ob sie nach § 937 Abs. 2 ZPO im Wege der mündlichen Verhandlung oder – natürlich unter Beachtung der Grundsätze der prozessualen Waffengleichheit – im Beschlusswege entscheiden. Eine Entscheidung vollständig ohne Einbindung des Antragsgegners sei aber nur zulässig, wenn ansonsten der Zweck des einstweiligen Verfügungsverfahrens vereitelt werde, insbesondere wenn eine Überraschung des Antragsgegners erforderlich sei (BVerfG, 1.12.2021 – 1 BvR 2708/19, GRUR 2022, 429 Rn. 26). Dies ist nach bisherigem Stand der Literatur z.B. im Falle des Arrests, bei beabsichtigter Sequestration oder der Besichtigung und Beschlagnahme von Waren oder Anlagen der Fall (Mantz, NJW 2019, 953, 955 m.w.N.). Im Bereich des Presserechts müsse zwar in der Regel schnell und daher im Beschlusswege entschieden werden, der Überraschung der Gegenseite bedürfe es aber nicht, weshalb eine Einbindung vor einer stattgebenden Entscheidungen grundsätzlich nur in Betracht komme, wenn die Gegenseite die Möglichkeit hatte, auf das mit dem Antrag und weiteren an das Gericht gerichteten Schriftsätzen zu erwidern (BVerfG, 1.12.2021 – 1 BvR 2708/19, GRUR 2022, 429 Rn. 27).

Für eine Anhörung der Gegenseite spricht es hierbei auch, wenn von der Antragstellung bis zur Entscheidung viel Zeit vergeht, z.B. wegen zwischenzeitlich erteilter Hinweise und darauf erfolgter Stellungnahmen (vgl. BVerfG, 11.1.2022 – 1 BvR 123/21, WRP 2022, 593 Rn. 40: Nahezu vier Wochen).

2. Vorgerichtliche Abmahnung statt gerichtlicher Anhörung

Das BVerfG wiederholt ebenfalls, dass die vorgerichtliche Abmahnung eine gerichtliche Anhörung entbehrlich machen kann, fasst die Anforderungen an das Unterbleiben der gerichtlichen Anhörung der Antragsgegnerseite kompakt zusammen und formuliert hierbei auch Anforderungen an die Antragstellerseite (BVerfG, 1.12.2021 – 1 BvR 2708/19, GRUR 2022, 429 Rn. 28): (1) Der Eilantrag muss unverzüglich nach Ablauf der in der Abmahnung gesetzten, angemessenen Frist eingereicht werden, (2) die (a) abgemahnte Verletzungshandlung (das BVerfG konkretisiert dies presserechtsspezifisch auf die abgemahnte „Äußerung“) sowie (b) die in der Abmahnung mitgeteilte Begründung müssen mit dem bei Gericht geltend gemachten Unterlassungsbegehren identisch sein und (3) der Antragsteller muss eine Antwort des Antragsgegners zusammen mit seiner Antragsschrift bei Gericht eingereicht haben.

Hieraus (und aus früheren Entscheidungen des BVerfG) lässt sich folgendes ableiten:

a. Zeitfaktor

Eine gerichtliche Anhörung ist schon dann geboten, wenn der Antragsteller nach Ablauf der Frist länger zuwartet. Da die Begründung der Abmahnung und des Eilantrags identisch sein müssen, dürften für die Zeit bis zur Einreichung einige Tage ausreichend sein. Wer also seinen Eilantrag mehr als eine Woche später einreicht, „zwingt“ das Gericht praktisch zur Anhörung.

b. Ergänzender Vortrag

Darüber hinaus ist die Anhörung erforderlich, wenn der Eilantrag einen anderen Gegenstand hat, z.B. eine andere Äußerung, eine andere Verletzungshandlung o.ä., oder wenn er mit „ergänzendem Vortrag“ begründet wird (BVerfG, 1.12.2021 – 1 BvR 2708/19, GRUR 2022, 429 Rn. 28 m.w.N.). Die Hürde für eine „ergänzende“ Begründung dürfte relativ niedrig sein. Im Fall des LG Berlin hatte die Antragstellerin auf den Hinweis des Landgerichts Stellung genommen und erläutert, dass es bei acht von zehn der abgedruckten Fotos an der Belegfunktion für einen Verstoß gegen Corona-Regeln und damit an einem öffentlichen Interesse fehle (BVerfG, 11.1.2022 – 1 BvR 123/21, WRP 2022, 593 Rn. 6). Die Vermutung liegt nahe, dass es sich als Folge des gerichtlichen Hinweises um ein neues, aber doch zentrales Argument handelte, das – wäre es in der Antragsschrift enthalten gewesen – möglicherweise zu einer Anhörungspflicht geführt hätte. Konkreter wird das BVerfG im Fall des OLG Hamburg. Dort hatte die Antragstellerin erst in der Stellungnahme und nicht schon in der Antragsschrift auf einen „ehrabschneidenden Eindruck“ Bezug genommen (vgl. BVerfG, 1.12.2021 – 1 BvR 2708/19, GRUR 2022, 429 Rn. 31). Das BVerfG sah dies als ein neues Argument an, das in den Rechtsstreit eingeführt worden sei. Dadurch habe sich die „Streitlage“ verändert, auch wenn es noch um denselben Lebenssachverhalt gehe.

Darauf, ob sich der Streitgegenstand nach dem klassischen Streitgegenstandsbegriff, also Antrag und Lebenssachverhalt, geändert hat, kommt es hingegen offenbar nicht an (vgl. BVerfG, 1.12.2021 – 1 BvR 2708/19, GRUR 2022, 429 Rn. 31). Das OLG Hamburg war hingegen laut seiner Stellungnahme davon ausgegangen, dass eine Änderung des Streitgegenstands erforderlich ist, was angesichts der früheren Entscheidungen des BVerfG auch nicht verwunderlich ist. So hat das BVerfG teilweise ausdrücklich formuliert, dass die Grenze dort zu ziehen sei, wo „der gerichtliche Verfügungsantrag den im Rahmen der außergerichtlichen Abmahnung geltend gemachten Streitgegenstand verlässt oder weitere Streitgegenstände neu einführt“ (BVerfG, 27.7.2020 – 1 BvR 1379/20, WRP 2020, 1179 Rn. 22 zu einem wettbewerbsrechtlichen Fall), was natürlich auch in der Literatur aufgegriffen wurde (vgl. beispielhaft Mantz, WRP 2020, 416 Rn. 22). Dem hat das BVerfG nun eine deutliche eine Absage erteilt. Es stellt sich dennoch die Frage, warum das BVerfG nicht bereits vorher deutlicher geworden ist.

c. Umfang

Auf den konkreten Wortlaut der Begründung des Eilantrags sollte es eigentlich es nicht ankommen, sondern vielmehr auf dessen Inhalt, also auf die Sachverhaltsdarstellung und die rechtlichen Argumente. Geht es hingegen um die – auch nur geringfügig im Wortlaut abweichende – Umstellung des Antrags gegenüber der vorgerichtlich geforderten Unterlassungserklärung, wird eine Anhörung unumgänglich sein (vgl. BVerfG, 27.7.2020 – 1 BvR 1379/20, WRP 2020, 1179 Rn. 13; dazu Mantz, WRP 2020, 1250 Rn. 12).

Das BVerfG stellt aber darüber hinaus immer wieder auf den Vergleich des Umfangs zwischen Abmahnung und Eilantrag ab und vergleicht insbesondere die Seitenzahlen (BVerfG, 4.2.2021 – 1 BvR 2743/19, WRP 2021, 1287 Rn. 28: Sieben Seiten Abmahnung, 20 Seiten Antragsschrift; BVerfG, 21.4.2022 – 1 BvR 812/22, WRP 2022, 844 Rn. 25: Vier Seiten Abmahnung, sieben Seiten Antragsschrift). Das OLG Hamburg hat in seiner Stellungnahme deutlich gemacht, dass aus seiner Sicht der rein äußerliche Umfang grundsätzlich ein eher untaugliches Kriterium darstellt. Allerdings geht das OLG Hamburg – nun aus Sicht des BVerfG – darin wiederum zu weit, indem es darauf abstellt, dass der „größere Umfang der Begründung des Verfügungsantrags in allgemeinen Ausführungen über den Antragsteller, die erfolgte Abmahnung, umfänglichen Zitaten aus der streitgegenständlichen Berichterstattung und allgemeinen rechtlichen Ausführungen begründet“ sei. Denn hierbei handelt es sich um zusätzlichen Vortrag – einerseits Tatsachenvortrag über den Antragsteller und den Bericht und andererseits rechtlichen Vortrag. Zu diesem soll der Antragsgegner aus Sicht des BVerfG offenkundig auch Stellung nehmen können.

3. Hinweise und Anhörungspflicht

In beiden Verfahren hatten die Gerichte der Antragstellerseite Hinweise erteilt. Wenn auf Hinweis des Gerichts ergänzend vorgetragen wird, muss die Antragsgegnerseite angehört werden.

a. Teilrücknahme nach Hinweis

Von Interesse ist aber, wie damit umzugehen ist, wenn auf die Hinweise des Gerichts hin der Eilantrag teilweise zurückgenommen wird (vgl. dazu schon Mantz, NJW 2019, 953, 956; Mantz, WRP 2020, 1205 Rn. 26).

Dies soll anhand eines Beispielsfalls konkretisiert werden:

Der Eilantrag greift drei verschiedene Punkte an (Anträge 1. bis 3.). Das Gericht erteilt den Hinweis, dass Antrag zu 3. unbegründet sein dürfte. Der Antragsteller nimmt diesen Antrag zurück und trägt zu Punkten 1. und 2. nicht weiter vor. Darf das Gericht die einstweilige Verfügung bezüglich der Anträge 1. und 2. im Beschlusswege ohne Anhörung erlassen? Leider erlauben auch die vorliegenden Entscheidungen des BVerfG keine definitive Aussage.

Das BVerfG hat ausgeführt, dass richterliche Hinweise der Antragstellerseite zeitnah mitgeteilt werden müssen, insbesondere, wenn es darum gehe, einen Antrag nachzubessern oder eine Einschätzung zu den Erfolgsaussichten zu geben (BVerfG, 11.1.2022 – 1 BvR 123/21, WRP 2022, 593 Rn. 37). Die Antragstellerin habe den gerichtlichen Hinweis konkret dazu genutzt, ihren Vortrag zu ergänzen. Die Antragsgegnerin habe erst nach Erlass der einstweiligen Verfügung von den Hinweisen erfahren und habe keine Gelegenheit zur Stellungnahme zum „weiteren Vorbringen“ der Antragstellerin gehabt (BVerfG, 11.1.2022 – 1 BvR 123/21, WRP 2022, 593 Rn. 39).

Das LG Berlin hatte sich auf den Standpunkt gestellt, dass die Hinweise an die Antragstellerin nur zu deren Lasten gegangen seien und zu einer Teilrücknahme geführt hätten. Es werden also – aus nachträglicher Sicht leider – mehrere Gründe miteinander verquickt. Hat das BVerfG das Vorgehen des LG Berlin bereits als unzulässig angesehen, weil sich die Hinweise auf alle Punkte bezogen und nach der Erteilung von Hinweisen überhaupt eine stattgebende Entscheidung ergangen ist oder, weil die Antragstellerin insgesamt weiteren Vortrag gehalten hat? Was wäre, wenn das LG Berlin wie im Beispielsfall Hinweise nur zu denjenigen Teilen erteilt hätte, die dann auch zurückgenommen wurden? Das ist des Pudels Kern und leider wird das BVerfG hier wieder einmal nicht hinreichend konkret.

Im vorliegenden Fall scheint es so gewesen zu sein, dass das LG Berlin im ersten Hinweis an die Antragstellerin Bedenken an dem Eilantrag insgesamt geäußert hat (vgl. BVerfG, 11.1.2022 – 1 BvR 123/21, WRP 2022, 593 Rn. 6). Der erste Hinweis bezog sich daher (wohl) auch auf den Teil, der anschließend – trotz der vorherigen Bedenken und damit möglicherweise unter dem Eindruck des ergänzenden Vortrags – ohne Anhörung der Antragsgegnerin erlassen wurde. Dieses Vorgehen allein stellt eine Verletzung der prozessualen Waffengleichheit dar, weil die Antragsgegnerseite nicht auf demselben Kenntnisstand war wie das Gericht und die Antragstellerin. Eine Anhörung wäre daher zwingend gewesen. Dass die Hinweise „zu Lasten der Antragstellerin“ gingen, ist im Übrigen gerade der Grund, warum die Antragsgegnerseite von ihnen erfahren soll. Denn der Antragstellerin wurde eine Schwäche in ihrem Vortrag verdeutlicht, woraufhin sie – hier möglicherweise erfolgreich – nachzubessern versuchen konnte.

Der oben gebildete Beispielsfall, der in der Praxis, speziell in Pressesachen, aber auch darüber hinaus, häufig auftritt, bleibt aber weiter ungelöst und das Landgericht Berlin hatte sich eben auch darauf bezogen, dass der Hinweis ja teilweise zur Rücknahme geführt hat. In der Tendenz scheint das BVerfG jedoch dazu zu neigen, eine Anhörung für erforderlich zu halten, sobald (irgendein) Hinweis erteilt wurde. Das ist vom Ausgangspunkt der Interessenwahrung nur schwer einzusehen, wenn die Hinweise im Ergebnis nicht zu Lasten des Antragsgegners gehen, da sie zur Teilrücknahme aller Teile geführt haben, auf die sich die Hinweise bezogen. Das ist so, als hätte die Antragstellerin die zurückgenommenen Anträge nie eingereicht. Die Interessen des Antragsgegners wären daher im Beispielsfall durch eine nachträgliche Mitteilung der Hinweise hinreichend gewahrt. Für diesen – nicht unüblichen Fall – wäre eine Klarstellung des BVerfG wünschenswert.

b. Zeitpunkt der Anhörung

Nicht ganz klar ist leider auch, wann genau angehört werden muss. Im Fall des OLG Hamburg hatte bereits das Landgericht Hinweise erteilt. Trotz Stellungnahme und Antragsumstellung wies das Landgericht den Antrag vollumfänglich zurück, ohne die Antragsgegnerin zuvor anzuhören. Das BVerfG formuliert den Obersatz bezüglich der Anhörungspflicht nach Erteilung von Hinweisen so, dass das Gericht „vor Erlass einer Entscheidung“ die Gegenseite in den gleichen Kenntnisstand versetzen müsse (BVerfG, 1.12.2021 – 1 BvR 2708/19, GRUR 2022, 429 Rn. 29). Nachdem das Landgericht aber den Antrag vollumfänglich zurückgewiesen hatte, scheint es das BVerfG für ausreichend zu halten, wenn „spätestens“ das OLG die Antragsgegnerin vor Erlass seiner Entscheidung angehört hätte (BVerfG, 1.12.2021 – 1 BvR 2708/19, GRUR 2022, 429 Rn. 31; vgl. insoweit auch OLG Frankfurt a.M., 8.8.2019 – 6 W 57/19, BeckRS 2019, 19184). Hieraus mag man den Schluss ziehen, dass eine Anhörungspflicht trotz erteilter Hinweise bei Vollzurückweisung in der ersten Instanz nicht greift. Auch hier wären aber klarere Vorgaben des BVerfG wünschenswert gewesen.

4. Mitteilungspflichten

Zu konstatieren ist aber, dass sowohl das LG Hamburg in erster Instanz als auch das LG Berlin jedenfalls ihre Mitteilungspflichten verletzt haben.

Nach Zurückweisung des Eilantrags hätte das LG Hamburg nach den insoweit klaren Ausführungen des BVerfG in früheren Beschlüssen – trotz der Regelung in § 922 Abs. 3 ZPO (dazu eingehend Mantz, WRP 2022, 154 m.w.N.) – die Hinweise der Antragsgegnerin zur Kenntnis bringen müssen. Das BVerfG will hierdurch auch ein „forum shopping“ mit den Hinweisen des Gerichts verhindern (BVerfG, 30.09.2018 – 1 BvR 1783/17, WRP 2018, 1448 Rn. 24; dazu Mantz, WRP 2020, 415 Rn. 40).

Das LG Berlin hatte zunächst Hinweise erteilt, anschließend war der Antrag teilweise zurückgenommen worden. Dies hätte das LG Berlin dazu veranlassen müssen, die Hinweise der Antragsgegnerseite mitzuteilen. Stattdessen ist die Herausgabe selbst auf ausdrücklichen Antrag der Antragsgegnerin zunächst nicht erfolgt.

III. Ungehorsame Gerichte?

Besondere Aufmerksamkeit haben die beiden Beschlüsse des BVerfG geweckt, weil das BVerfG sich bemüßigt gefühlt hat, trotz der Vielzahl der vorangehenden Beschlüsse, die sowohl den Pressesenat des OLG Hamburg als auch die Pressekammer des LG Berlin schon betroffen hatten, sehr deutliche Worte zu finden (vgl. Dietrich/Zimmermann, LTO v. 11.2.2022; LTO v. 16.3.2022).

Zum einen hat das BVerfG in beiden Entscheidungen auf die rechtliche Bindungswirkung der Entscheidungen des BVerfG hingewiesen (BVerfG, 1.12.2021 – 1 BvR 2708/19, GRUR 2022, 429 Rn. 33; BVerfG, 11.1.2022 – 1 BvR 123/21, WRP 2022, 593 Rn. 42). Zum anderen hat das BVerfG angekündigt, bei diesen beiden Spruchkörpern künftig ein Feststellungsinteresse für eine Verfassungsbeschwerde oder eine einstweilige Anordnung stets anzunehmen. Hintergrund ist, dass nach ständiger Rechtsprechung des BVerfG ein hinreichend gewichtiges Feststellungsinteresse erforderlich ist, das bei Verstößen gegen die prozessuale Waffengleichheit bei einfachen Verfahrensfehlern nicht per se anzunehmen ist. Vielmehr ist erforderlich, dass eine Wiederholung der angegriffenen Maßnahme zu befürchten ist, weil die Gerichte die prozessualen Anforderungen grundsätzlich verkennen und ihre Praxis hieran unter Missachtung der verfassungsrechtlichen Maßstäbe nicht ausrichten (BVerfG, 8.10.2019 – 1 BvR 1078/19, 1 BvR 1260/19, Rn. 3; BVerfG, 1.12.2021 – 1 BvR 2708/19, GRUR 2022, 429 Rn. 21 m.w.N.; dazu näher Mantz, WRP 2020, 1250 Rn. 28 ff.). In einem Beschluss vom 8.10.2019 war das BVerfG mit Blick auf seine bisherigen Entscheidungen wohl davon ausgegangen, dass im Kern alles gesagt war und die Gerichte ihre Praxis entsprechend umstellen. Das dürfte generell auch zutreffen, nunmehr jedoch nicht (mehr) für die beiden hier betroffenen Spruchkörper. Zum einen hatten die jeweiligen Antragsgegnerinnen beim BVerfG hinreichend vorgetragen, dass die Verletzung des Rechts auf prozessuale Waffengleichheit bei beiden Spruchkörpern häufiger vorkämen. Das BVerfG verweist darüber hinaus darauf, dass es bereits zu zwei Entscheidungen des LG Berlin hatte Stellung nehmen müssen (BVerfG, 11.1.2022 – 1 BvR 123/21, WRP 2022, 593 Rn. 39). Zudem offenbarten – aus Sicht des BVerfG – sowohl die Stellungnahme des Pressesenats des OLG Hamburg (BVerfG, 1.12.2021 – 1 BvR 2708/19, GRUR 2022, 429 Rn. 23) als auch die Begründung des Einstellungsbeschlusses des LG Berlin (BVerfG, 11.1.2022 – 1 BvR 123/21, WRP 2022, 593 Rn. 32) grundsätzliche Missverständnisse hinsichtlich der Anforderungen des Rechts auf prozessuale Waffengleichheit.

In der Literatur hat Möller diesbezüglich von „ungehorsamen Gerichten“ gesprochen und zu Recht darauf hingewiesen, dass es rechtsstaatlich bedenklich ist, wenn Gerichte die Rechtsprechung des BVerfG ignorieren (Möller, NJW-Editorial vom 16.3.2022). Dies gilt im Übrigen selbstverständlich nicht nur für Gerichte, sondern für den gesamten, staatliche Gewalt ausübenden Bereich. So hatte sich beispielsweise die Stadt Wetzlar 2018 einer Entscheidung des BVerfG (BVerfG, 24.3.2018 – 1 BvQ 18/18, NVwZ 2018, 819) widersetzt, einer Partei eine Stadthalle für eine Wahlkampfveranstaltung zu überlassen (vgl. Podolski, LTO v. 26.3.2018).

Ohne das beschönigen zu wollen, sind offenbar beide Spruchkörper – irrig – davon ausgegangen, sich im Rahmen der Vorgaben des BVerfG zu halten. Das lässt sich sowohl dem Einstellungsbescheid des LG Berlin als auch der Stellungnahme des Pressesenats des OLG Hamburg entnehmen. Leider muss man aber sagen, dass das BVerfG jedenfalls beim Pressesenat des OLG Hamburg zu Recht von einem Missverständnis spricht. Jedenfalls die vom Landgericht Hamburg erteilten Hinweise hätten nach der bisherigen Rechtsprechung des BVerfG eine Anhörung durch das OLG zwingend erforderlich gemacht.

Das LG Berlin wiederum hatte aufgrund des Umstandes, dass der Eilantrag nach den Hinweisen teilweise zurückgenommen worden war, zum Teil Anlass, an die Nichterforderlichkeit der Anhörung zu glauben. Hier muss sich das BVerfG auch etwas „an die eigene Nase“ fassen. Nichtsdestotrotz lag ein Verstoß in dem langen Verfahren von nahezu vier Wochen ohne Einbindung der Antragsgegnerin sowie im Unterlassen der (nachträglichen) Mitteilung der Hinweise an die Antragsgegnerin. Wie gesagt, es wäre schön gewesen, wenn das BVerfG in seiner Begründung hier stärker ausdifferenziert hätte.

Trotzdem, und das zeigt schon die Vielzahl der Aufsätze zu diesem Thema ebenso wie die oben aufgeworfenen Fragen, muss sich das BVerfG vorhalten lassen, dass trotz seiner jahrelangen Rechtsprechung noch jede Menge Fragen offen bleiben. So hat das BVerfG in wettbewerbsrechtlichen Verfahren für die Frage der Anhörungspflicht durchaus – wie hier wohl das OLG Hamburg – auch auf die Änderung des Streitgegenstands abgestellt (BVerfG, 27.7.2020 – 1 BvR 1379/20, WRP 2020, 1179 R. 22; Lerach, GRUR-Prax 2022, 191). Soweit es um die Ergänzung des Vortrags im Vergleich zur vorgerichtlichen Abmahnung geht, hat das BVerfG – anders als in den hier besprochenen Beschlüssen – wiederum in einer Entscheidung formuliert, dass eine Identität der rechtlichen Begründung nicht erforderlich sein soll (BVerfG, 3.12.2020 – 1 BvR 2575/20, WRP 2021, 461 Rn. 23; Lerach, GRUR-Prax 2022, 191).

Im Übrigen verdient ein weiterer Punkt, den das BVerfG anspricht, Aufmerksamkeit, nämlich der Aufwand, der durch die Vorgaben des BVerfG bei den Gerichten entsteht. Völlig zu Recht verweist das BVerfG darauf, dass all dies selbstverständlich nicht zur Verkürzung der prozessualen Rechte der Beteiligten führen darf (BVerfG, 1.12.2021 – 1 BvR 2708/19, GRUR 2022, 429 Rn. 32; BVerfG, 11.1.2022 – 1 BvR 123/21, WRP 2022, 593 Rn. 40). Trotzdem trifft das BVerfG einen wunden Punkt, denn das Anhörungsverfahren bedeutet sowohl eine erhebliche Verzögerung als auch eine erhebliche Mehrbelastung der Gerichte. Dies hat nach hiesigem Kenntnisstand aber in den Gerichten bisher keinerlei Folgen gehabt: Weder wurde der Schlüssel zur Bemessung des Aufwands von einstweiligen Verfügungsverfahren verändert, noch wurden neue Stellen geschaffen, um die erheblichen zusätzlichen Belastungen aufzufangen. Insoweit sind daher auch die Länder gefragt, die Fälle des BVerfG zum Anlass zu nehmen und hier nachzulegen.

Aufsatz: Die Meldepflicht nach § 6 TKG – Mitteilung Nr. 149/2015 der Bundesnetzagentur und ihre Folgen, MMR 2015, 428

In eigener Sache:

Im aktuellen Heft 7 der Zeitschrift Multimedia und Recht (MMR) ist nun der Beitrag von Thomas Sassenberg und mir mit dem Titel „Die Meldepflicht nach § 6 TKG – Mitteilung Nr. 149/2015 der Bundesnetzagentur und ihre Folgen“ erschienen (MMR 2015, S. 428 ff.).

Ich hatte die Mitteilung der Bundesnetzagentur zur Meldepflicht nach § 6 TKG (Nr. 149/2015) (PDF) schon in meinem Blog-Beitrag „Die geplante Vorratsdatenspeicherung und WLAN-Hotspots – (Kein) Untergang für WLANs?“ angesprochen. Im Wesentlichen geht es darum, dass die Bundesnetzagentur den Begriff des „Erbringens“ bei WLANs im Rahmen der Meldepflicht nach § 6 TKG anders (als bisher) auslegen will. Dies hat einige nachteilige Folgen, unsere These ist, dass die Änderung Folgefragen auslöst – was sich z.B. im Zusammenhang mit der Vorratsdatenspeicherung unmittelbar gezeigt hat.

Aus dem Beitrag:

Die Bundesnetzagentur hat sich in der im Amtsblatt 4/2015 veröffentlichten Mitteilung Nr. 149/2015 mit dem Anwendungsbereich für meldepflichtige Telekommunikationsdienste nach § 6 TKG beschäftigt und ist dabei insbesondere der Frage nachgegangen, wann Betreiber von öffentlichen WLAN-Hotspots einer Meldepflicht unterliegen. Die Mitteilung der Bundesnetzagentur soll Unsicherheiten hinsichtlich der Meldepflichten beseitigen, führt tatsächlich jedoch zu Folgefragen. Der nachfolgende Beitrag soll klären, ob die von der Bundesnetzagentur gewählte Auslegung – insbesondere in Bezug auf die Meldepflicht – im Einklang mit dem TKG sowie europa- und verfassungsrechtlichen Vorgaben steht.

I. Ausgangssituation und bisherige Auffassung in der Literatur

1. Ausgangssituation

Bei der Bundesnetzagentur (BNetzA) sind derzeit 3.583 Unternehmen gemeldet.[1] Dabei hat die Zahl der gemeldeten Unternehmen in den letzten Jahren kontinuierlich zugenommen, obwohl es bei den „klassischen Telefonieanbietern“ zu Konsolidierungen gekommen ist.[2] Meldepflichtig ist nach § 6 Abs. 1 TKG derjenige, der gewerblich öffentliche Telekommunikationsnetze betreibt oder gewerblich öffentlich zugängliche Telekommunikationsdienste erbringt. An die Tatbestandsmerkmale der Gewerblichkeit und Öffentlichkeit sind dabei nur geringe Anforderungen zu stellen,[3] so dass der Anwendungsbereich und damit die Meldepflicht nach bisher herrschender Meinung bei entgeltlichen E-Mail-Providern sowie öffentlichen WLAN-Hotspots, welche zum Zwecke der Absatzförderung geöffnet wurden, eröffnet war.[4]

Die Vielzahl von unterschiedlichen Betreibermodellen[5] sowie insbesondere die genannten Tatbestandsmerkmale der Gewerblichkeit und Öffentlichkeit führen bei Betreibern von öffentlichen WLAN-Hotspots zu Unsicherheiten über die Notwendigkeiten einer Meldung. Hinzu kommt, dass bei den Betreibern von öffentlichen WLAN-Hotspots Unklarheit darüber besteht, ob sie sich als sog. Access Provider auf die Haftungsprivilegierung nach § 8 TMG berufen können.[6] Dies hatte in der Praxis zum Teil die Folge, dass Anbieter der Meldepflicht auch dann nachgekommen sind, wenn die Voraussetzungen für eine Meldung tatsächlich nicht vorlagen. Insofern ist es wenig verwunderlich, dass sich auf der Internetseite der Bundesnetzagentur der (zutreffende) Hinweis findet, dass die Meldung nach § 6 TKG keine Auswirkungen auf die Frage der Störerhaftung hat.[7]

Die Meldepflicht nach § 6 TKG dient dazu …

Die geplante Vorratsdatenspeicherung und WLAN-Hotspots – (Kein) Untergang für WLANs?

Netzpolitik.org hat den derzeitigen Regierungsentwurf zur Wiedereinführung der Vorratsdatenspeicherung (euphemistisch als Höchstspeicherfrist bezeichnet) veröffentlicht (PDF). Bei Zeit-Online werden die Folgen der Vorratsdatenspeicherung diskutiert.

Zeit-Online sieht WLANs in der Pflicht zur Einrichtung der Vorratsdatenspeicherung, Rechtsanwalt Härting prophezeit im Interview das endgültige Aus für WLANs:

„Hat der Entwurf Auswirkungen auf andere Personen? Ja. Neben den Whistleblowern könnte er Anbietern von freien WLAN-Zugängen erhebliche Schwierigkeiten bereiten. Denn er verpflichtet alle „Erbringer öffentlich zugänglicher Telekommunikationsdienste“, solche Daten zu speichern. Das sind nicht nur Telekommunikationsunternehmen. Im Zweifel betrifft das Gesetz jeden Cafébetreiber, der einen öffentlichen WLAN-Knoten zur Verfügung stellt. Verfassungsrechtler Härting sagt: „Das wäre das endgültige Aus für WLAN im öffentlichen Raum.“

Es stellt sich allerdings die Frage, ob das tatsächlich der Fall ist. Um es gleich vorweg zu nehmen: Eine eindeutige Antwort kann ich hier nicht geben. Es gibt aber – auch wenn die Vorratsdatenspeicherung kommt – guten Grund zur Hoffnung:

1. Der Gesetzesentwurf: Verpflichtet sind „Erbringer“ von öffentlichen TK-Diensten

§ 113a Abs. 1 TKG-E soll nach dem VDS-Entwurf u.a. lauten (Hervorhebung hier):

„Die Verpflichtungen zur Speicherung von Verkehrsdaten, zur Verwendung der Daten und zur Datensicherheit nach den §§ 113b bis 113g beziehen sich auf Erbringer öffentlich zugänglicher Telekommunikationsdienste. Wer öffentlich zugängliche Telekommunikationsdienste erbringt, aber nicht alle der nach Maßgabe der nachstehenden Regelungen zu speichernden Daten selbst erzeugt oder verarbeitet, hat (1) sicherzustellen, dass die nicht von ihm selbst bei der Erbringung seines Dienstes erzeugten oder verarbeiteten Daten gemäß § 113b Absatz 1 gespeichert werden, und (2) der Bundesnetzagentur auf deren Verlangen unverzüglich mitzuteilen, wer diese Daten speichert.“

Nun ist die Frage, wer „Erbringer öffentlicher TK-Dienste“ ist. Nach bisheriger, eindeutiger Auffassung in der Literatur wohl auch der Betreiber eines WLAN-Hotspots (Sassenberg/Mantz, WLAN und Recht, 2014, Rn. 33 m.w.N.).

2. Die neue Auslegung der Bundesnetzagentur

Hier kommt nun aber eine am 4.3.2015 veröffentlichte Mitteilung der Bundesnetzagentur zur Meldepflicht nach § 6 TKG (Nr. 149/2015) (PDF) in Spiel (s. dazu kurz hier). Dr. Thomas Sassenberg und ich haben uns diese Mitteilung vor kurzem genauer angesehen, das Ergebnis wird im Juni- oder Juli-Heft der Zeitschrift Multimedia und Recht (MMR) in einem Beitrag unter dem Titel „Die Meldepflicht nach § 6 TKG – Die Mitteilung Nr. 149/2015 der Bundesnetzagentur und ihre Folgen“ erscheinen.

Warum ist diese Mitteilung hier relevant? Nun, die Bundesnetzagentur hat in der Mitteilung Nr. 149/2015 festgelegt, wie sie in Zukunft den Begriff des „Erbringens“ von Telekommunikationsdiensten auslegen will.

Dabei sieht die Bundesnetzagentur die Betreiber von WLAN-Hotspots in Cafés, Hotels etc., die lediglich ihren Internetanschluss mit anderen teilen und den Nutzern nicht einen eigenen Telekommunikationsanschluss zur Verfügung stellen, nicht als „Erbringer“ an, sondern lediglich als „Mitwirkende“ an einem Telekommunikationsdienst. Es ist ein wenig komplizierter als hier dargestellt – wer mag, schaue sich das im Amtsblatt an –  aber im Grunde sagt die Bundesnetzagentur, dass Betreiber von WLAN-Hotspots (in der Regel) keinen TK-Dienst „erbringen“. Man kann das dogmatisch kritisieren und es hat möglicherweise auch Folgen, die die Bundesnetzagentur vielleicht nicht bedacht hat.

Wenn man allerdings die Auslegung der Bundesnetzagentur ernst nimmt (und sie ist diejenige, die auf die Durchsetzung der Regeln des TKG, also auch der Vorratsdatenspeicherung nach § 113a TKG achtet, siehe § 115 TKG), dann findet § 113a TKG-E bzw. die gesamte Pflicht zur Vorratsdatenspeicherung auf WLANs keine Anwendung!

Das WLAN-Sterben wird also – jedenfalls aufgrund der Vorratsdatenspeicherung im aktuellen Entwurf – voraussichtlich nicht einsetzen. Problematischer ist insoweit der Referentenentwurf zur Änderung von § 8 TMG.

Im Übrigen ist das auch tatsächlich kein echtes Problem, denn der „echte Erbringer des TK-Dienstes“, also derjenige, der z.B. den DSL-Anschluss zur Verfügung stellt, der über WLAN geteilt wird, der muss ja nach § 113a TKG-E speichern. Eine Schutzlücke gibt es – ähnlich wie das ja auch in dem Zusammenspiel von § 113a Abs. 1 Satz 1 und Satz 2 TKG-E ersichtlich wird (siehe dazu S. 40/41 der Begründung zum Referentenentwurf) – nicht.

Unklar ist, ob die Bundesregierung hieran gedacht hat. Es ist allerdings damit zu rechnen bzw. zu hoffen, dass sie sich mit der Bundesnetzagentur abgestimmt hat, und die hätte wohl darauf hingewiesen.

3. Verbindlichkeit der Auslegung der Bundesnetzagentur auch für § 113a TKG-E

Eines ist noch zu beachten: Eigentlich hat sich die Bundesnetzagentur in der Mitteilung Nr. 149/2015 nur mit der Meldepflicht nach § 6 TKG auseinandergesetzt und nicht mit anderen Normen. Allerdings nutzt sie hierfür eben eine andere Auslegung eines Begriffs, der sich in einer Vielzahl von Normen des TKG wiederfindet, nämlich des „Erbringers von öffentlichen TK-Diensten“. Und es gibt aus meiner Sicht keinen logischen und rechtsdogmatisch haltbaren Grund, die Auslegung des Begriffs in § 6 TKG anders zu handhaben als in anderen Normen. In diese Richtung gehen auch Äußerungen von Mitarbeitern der Bundesnetzagentur, von denen ich gehört habe. Hier wurde auf einem Treffen im Hinblick auf die Verpflicht zur TK-Überwachung (nach § 110 TKG) wohl geäußert, dass die TK-Überwachung WLAN-Hotspots nicht treffe, die gar keinen öffentlichen TK-Dienst „erbringen“. Dementsprechend will die Bundesnetzagentur den Begriff wohl über das gesamte TKG  einheitlich auslegen.