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Suchmaschinen, Auto-Suggest und die Privilegierung nach dem TMG

Bettina Wulff klagt u.a. gegen Google, weil bei Eingabe von „Bettina Wulff“ Google’s Auto-Suggest Vorschläge macht, die nach Auffassung von Frau Wulff rechtswidrig in ihr Persönlichkeitsrecht eingreifen.

In einschlägigen Blogs wird diskutiert, ob Google für solcherlei Vorschläge haftet oder nicht. Rechtsanwalt Stadler verweist auf ein Urteil des OLG Hamburg und darauf, dass es – unabhängig von einer Haftungsprivilegierung von Google – nach äußerungsrechtlichen Grundsätzen darauf ankomme, ob die Kombination der vorgeschlagenen Begriffe „stets und unabhängig von ihrem jeweiligen Kontext rechtsverletzend ist.“

Jens Ferner geht auf ein Urteil des OLG München ein, wonach es keinen erdenklichen Anspruch auf Unterlassung gegenüber Google hinsichtlich eventueller Persönlichkeitsrechtsverletzungen gebe, die durch die „Auto-Suggest-Funktion“ begangen werden.

Die Frage, ob Google sich auf die Haftungsprivilegierung nach §§ 7 ff. TMG berufen kann, ist dennoch interessant. Denn allein weil Google eine Suchmaschine betreibt, heißt dies noch nicht automatisch, dass auch jedes Handeln (im Zusammenhang mit der Suchmaschine) privilegiert ist. Daher soll die Frage der äußerungsrechtlichen Behandlung im folgenden zurückgestellt werden, um dieser Frage nachgehen zu können.

I. Die Privilegierungen nach §§ 7 ff. TMG

Nach § 10 Satz 1 TMG sind

Diensteanbieter [sind] für fremde Informationen, die sie für einen Nutzer speichern, nicht verantwortlich, sofern

1. sie keine Kenntnis von der rechtswidrigen Handlung oder der Information haben und ihnen im Falle von Schadensersatzansprüchen auch keine Tatsachen oder Umstände bekannt sind, aus denen die rechtswidrige Handlung oder die Information offensichtlich wird, oder
2. sie unverzüglich tätig geworden sind, um die Information zu entfernen oder den Zugang zu ihr zu sperren, sobald sie diese Kenntnis erlangt haben.

Andererseits bestimmt § 7 Abs. 1 TMG:

Diensteanbieter sind für eigene Informationen, die sie zur Nutzung bereithalten, nach den allgemeinen Gesetzen verantwortlich.

Der Host-Provider, der fremde Informationen eines Dritten speichert und seinen Nutzern zur Verfügung stellt, soll durch die Privilegierung vor erheblichen Haftungsrisiken geschützt werden.

II. Fremde oder eigene Information?

Maßgeblich ist daher hier, ob der Vorschlag „Bettina Wulff <vorgeschlagenes Wort>“ eine eigene oder eine fremde Information für Google darstellt. Google erläutert die Auto-Suggest-Funktion u.a. wie folgt:

Während Ihrer Eingabe werden mithilfe des Google-Algorithmus basierend auf den Suchaktivitäten anderer Nutzer und auf Inhalten der von Google indexierten Webseiten Suchanfragen vervollständigt und angezeigt.

Auto-Suggest basiert also auf den „Suchaktivitäten anderer Nutzer und Inhalten“ von Webseiten. Dies konkretisiert gleichzeitig auch die Information, die der konkrete Vorschlag enthält: Wenn bei Eingabe von „Bettina Wulff“ zusätzlich das Wort „ABC“ vorgeschlagen wird, lautet die Information (unabhängig vom konkreten Algorithmus und vereinfacht) „Eine Vielzahl anderer Nutzer haben ‚Bettina Wulff ABC‘ gesucht (und/oder eine Webseite mit ‚Bettina Wulff ABC‘ ins Internet eingestellt).

Bei dieser Information handelt es sich nicht um eine „fremde Information“ der Nutzer (unabhängig davon, dass dies für § 10 TMG vermutlich deutlich konkretisierbarer sein müsste), sondern um eine originäre Information von Google. Denn kein Nutzer wollte die Information „Eine Vielzahl anderer Nutzer haben ‚Bettina Wulff ABC‘ gesucht (und/oder eine Webseite mit ‚Bettina Wulff ABC‘ ins Internet eingestellt)“ einstellen und öffentlich zugänglich machen bzw. würde sich diese zurechnen lassen. Der einzelne Nutzer oder Webseitenbetreiber weiß im Zweifel auch gar nicht, dass viele anderer Nutzer ähnliche Sucheingaben getätigt oder ähnliche Inhalte publiziert haben.

III. Ergebnis

Als Folge würde Google für die Aussage „Eine Vielzahl anderer Nutzer haben ‚Bettina Wulff ABC‘ gesucht (und/oder eine Webseite mit ‚Bettina Wulff ABC‘ ins Internet eingestellt)“ nach allgemeinen Gesetzen haften und könnte sich gerade nicht auf § 10 TMG berufen. Darauf, ob Google andere Suchergebnisse modifiziert, ändert oder unterdrückt, kommt es daher nicht an.

Dafür ist im Ergebnis ist gerade doch entscheidend, wie Google’s Vorschläge nach äußerungsrechtlichen Gesichtspunkten zu behandeln sind …

Access Provider, § 8 TMG und die Kenntnis von der Rechtsverletzung – Gedanken zu BGH, Urt. v. 17.8.2011 – I ZR 57/09 – Stiftparfüm

Auch wenn das Urteil schon etwas älter ist, möchte ich doch noch auf das Urteil „Stiftparfüm“ des BGH (GRUR 2011, 1038, Volltext hier) hinweisen.

Der Fall – ganz kurz –

Im Fall „Stiftparfüm“ war erneut eBay als Marktplatzbetreiber auf Unterbindung zukünftiger Rechtsverletzungen durch auf der Plattform angebotene Produkte verklagt worden. Im Grunde ging es u.a. um die Unterlassung der Mitwirkung an zukünftigen Rechtsverletzungen nach den Grundsätzen der sogenannten Störerhaftung.

Im Ergebnis sieht der BGH solche Pflichten zumindest nach entsprechendem Hinweis als gegeben an. Für die Einzelheiten sei auf die Urteilsbegründung verwiesen.

Anwendung der Privilegierung auf Unterlassungsansprüche und Kenntnis von der Rechtsverletzung

Bedeutung erlangt das Urteil, wenn man sich die bisherige Rechtsprechung des BGH zum Verhältnis der Störerhaftung zu den Privilegierungen des Telemediengesetzes (TMG) vor Augen führt. Denn bisher war der BGH in ständiger Rechtsprechung davon ausgegangen, dass die Privilegierung der §§ 7 ff. TMG auf Unterlassungsansprüche keine Anwendung findet, sondern nur für Schadensersatzansprüche greift (BGH GRUR 2004, 860 – Internetversteigerung I).

Im Urteil Stiftparfüm hat der BGH – vor dem Hintergrund der entsprechenden EuGH-Rechtsprechung (EuGH, GRUR 2011, 1025 – L’Oréal/eBay) und wie bereits vorsichtig in anderen Entscheidungen des BGH angedeutet (z.B. BGH GRUR 2010, 628 – Thumbnails; dazu hier) nun ganz klar formuliert, dass die Privilegierung des § 10 TMG auf Host Provider wie eBay auch im Hinblick auf Unterlassungsansprüche anzuwenden ist (BGH GRUR 2011, 1038 Rn. 22; ebenso Lorenz, jurisPR-ITR 6/2012, Anm. 4; Backhaus, LMK 2011, 326):

Daraus ergibt sich, dass dem Betreiber eines Online-Markplatzes grundsätzlich gem. Art. Artikel 14 Absatz 1 der Richtlinie 2000/31/EG, dessen Regelung durch § 10 TMG in deutsches Recht umgesetzt ist, für fremde Informationen, die er für einen Nutzer speichert, nicht verantwortlich ist. Ferner ergibt sich aus Art. Artikel 15 Absatz 1 der Richtlinie 2000/31/EG – umgesetzt durch § 7 Absatz 2 TMG – dass der Betreiber grundsätzlich nicht verpflichtet ist, die von ihm übermittelten oder gespeicherten Informationen zu überwachen oder nach Umständen zu forschen, die auf eine rechtswidrige Tätigkeit hinweisen (EuGH, GRUR 2011, 1025 Rn. 139 – L’Oréal/eBay). Voraussetzung hierfür ist nach Art. Artikel 14 Absatz 1 der Richtlinie 2000/31/EG bzw. § 10 TMG allerdings, dass der Betreiber keine Kenntnis von der rechtswidrigen Handlung oder Information hat und ihm im Falle von Schadensersatzansprüchen auch keine Tatsachen oder Umstände bewusst sind, aus denen die rechtswidrige Handlung oder Information offensichtlich wird, oder dass er unverzüglich tätig geworden ist, um die Informationen zu entfernen oder den Zugang zu ihnen zu sperren, sobald er diese Kenntnis erlangt hat (vgl. EuGH, GRUR 2011, GRUR Jahr 2011 Seite 1025 Rn.119 – L’Oréal/eBay).

Das hat zur Folge, dass vor der Kenntnis von der Rechtsverletzung Prüfungs- und Überwachungspflichten aufgrund der Privilegierung nicht bestehen.

Der BGH setzt sich im Urteil dann noch mit den Anforderungen an den Hinweis und den sich daraus ergebenden Pflichten auseinander.

Folgen für Access Provider?

Das Urteil des BGH betraf namentlich Host Provider nach § 10 TMG. Allerdings ergeben sich die Grundsätze der Privilegierung aus § 7 TMG, die auf alle Provider Anwendung finden. Dementsprechend dürfte der BGH auf Access Provider nach § 8 TMG keine anderen Maßstäbe anwenden. Mit anderen Worten: Wer Access Provider ist, haftet (unter den zusätzlichen Voraussetzungen des § 8 TMG) vor Kenntnis von einer Rechtsverletzung (auch) nicht auf Unterlassung.

Welche Pflichten ab der ersten Kenntnis, d.h. nach Hinweis bzw. Abmahnung, des Access Providers bestehen, lässt sich bisher noch nicht beantworten. Allerdings ist zu beachten, dass der Access Provider – im Gegensatz zum Host Provider – kaum Möglichkeiten hat, auf den Datenverkehr effektiv Einfluss zu nehmen. Zusätzlich hat der EuGH im Urteil „Scarlet Extended“ (EuGH GRUR 2012, 265) für Access Provider festgestellt, dass jedenfalls die Anordnung unbeschränkter Filterpflichten gegen geltendes EU-Recht verstößt (zu einem ähnlichen Fall bezüglich der Betreiber sozialer Netzwerke s. EuGH GRUR 2012, 382 – SABAM/Netlog m. Anm. Metzger).

Folgen für WLAN-Anbieter?

Dementsprechend kommt es für einen Anbieter eines WLAN maßgeblich darauf an, ob er als Access Provider nach § 8 TMG zu qualifizieren ist. Für sogenannte institutionelle Anbieter, also kommerzielle Hotspot-Anbieter, Bibliotheken mit WLAN-Zugang aber auch Internet-Cafés dürfte dies mit einem klaren Ja beantworten zu sein.

Problematisch ist hingegen das Angebot eines WLAN durch Private. Bisher sind die Gerichte dieser Frage meist aus dem Wege. Der BGH hat in seiner Entscheidung „Sommer unseres Lebens“ eine Anwendung verneint (BGH MMR 2010, 565, 567  m. Anm. Mantz), ohne dies jedoch näher zu begründen. Die herrschende Meinung in der Literatur spricht sich für eine (ggf. analoge) Anwendung aus (eingehend Mantz, Rechtsfragen offener Netze, 291 ff.; Stang/Hühner, GRUR-RR 2008, 273, 275; Gietl, MMR 2007, 630, 631; Mantz/Gietl, MMR 2008, 606, 608; „vertretbar“ Borges, NJW 2010, 2624, 2627). Auf diese Literaturmeinung war der BGH in der Entscheidung „Sommer unseres Lebens“ ebenfalls nicht eingegangen.

Findet § 8 TMG Anwendung, dürfte ohne Kenntnis von der Rechtsverletzung eine Haftung aufgrund mangelnder Sicherheitsvorkehrungen grundsätzlich ausscheiden. Bisher haben die Gerichte dies allerdings meist anders gehandhabt. Es muss sich noch erweisen, inwiefern die BGH-Entscheidung „Stiftparfüm“ hier Einfluss haben wird.

Folgen für Freifunk?

Zwischen diesen beiden Polen befinden sich die von Privaten betriebenen Zugangsknoten offener Netze wie z.B. Freifunk. Eine gerichtliche Bewertung steht hierfür noch aus.

In einem Gerichtsverfahren dürfte das Gericht diesbezüglich allerdings substantiierten Vortrag erwarten. In diesem Zusammenhang kann eine Anmeldung des Freifunk-Knotens bei der Bundesnetzagentur nach § 6 TKG hilfreich sein (Formular hier), allerdings sieht die Bundesnetzagentur eine solche eigentlich nur bei Gewerbebetrieben bzw. Unternehmen (z.B. GbR) vor. Im Übrigen sollte bei Aufnahme des Knotens eine kurze (möglichst sogar von einem Zeugen unterschriebene) Dokumentation angefertigt werden (z.B. Screenshots der Splash-Seite mit Datum).

Im Hinblick darauf, dass die Rechtsprechung bei WLAN-Zugängen noch immer eher zu einer Haftung tendiert, sollten auch ohne Kenntnis von der Rechtsverletzung gewisse Maßnahmen ergriffen werden, mindestens der Hinweis, dass der Zugang nur unter Beachtung der gesetzlichen Vorschriften genutzt werden darf.