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LG Köln: Gerichtsstand nach § 104a UrhG gilt nicht bei Filesharing-Fällen?

Rechtsanwalt Jens Ferner berichtet über eine aktuelle Entscheidung des LG Köln, in dem dieses beim Filesharing eines neuen Computerspiels den ausschließlichen Gerichtsstand am Sitz des Verletzers nach § 104a Abs. 1 UrhG abgelehnt hat (LG Köln, Urt. v. 6.5.2015 – 14 O 123/14).

§ 104a UrhG ist im Rahmen des Gesetzes gegen unseriöse Geschäftspraktiken eingeführt worden. Dabei ist die Regelung während des Gesetzgebungsverfahrens auf Empfehlung des Rechtsausschusses neu in den Entwurf aufgenommen worden (BT-Drs. 17/14192, S. 15).

§ 104a Abs. 1 UrhG lautet:

(1) 1Für Klagen wegen Urheberrechtsstreitsachen gegen eine natürliche Person, die nach diesem Gesetz geschützte Werke oder andere nach diesem Gesetz geschützte Schutzgegenstände nicht für ihre gewerbliche oder selbständige berufliche Tätigkeit verwendet, ist das Gericht ausschließlich zuständig, in dessen Bezirk diese Person zur Zeit der Klageerhebung ihren Wohnsitz, in Ermangelung eines solchen ihren gewöhnlichen Aufenthalt hat. 2Wenn die beklagte Person im Inland weder einen Wohnsitz noch ihren gewöhnlichen Aufenthalt hat, ist das Gericht zuständig, in dessen Bezirk die Handlung begangen ist.

Problematisch ist hier die Begrifflichkeit „gewerbliche oder selbständige berufliche Tätigkeit“. Wenn eine solche vorliegt, soll § 104a Abs. 1 UrhG nicht greifen und dementsprechend der allgemeine fliegende Gerichtsstand nach § 32 ZPO gelten.

Das LG Köln schreibt dazu:

„Eine Begriffsbestimmung, was unter eine gewerbliche Tätigkeit in diesem Sinne fällt, enthält das Gesetz nicht. Insbesondere hat der Gesetzgeber keinen formalen Anknüpfungspunkt für die Bestimmung der Gewerblichkeit gewählt, also etwa, dass eine gewerbliche Tätigkeit nur im Falle einer Eintragung in das Gewerberegister anzunehmen sein soll.

9b) Damit kommt es auf die Abgrenzung im Einzelfall an, ob das Verletzerverhalten „für“, also in einem Zusammenhang stehend mit einer gewerblichen oder selbständigen beruflichen Tätigkeit anzusehen ist oder das Verhalten selbst als gewerblich anzusehen ist. Da nach dem Wortlaut des Gesetzes eine auch geringfügige gewerbliche Nebentätigkeit ausreicht, um den Anwendungsbereich von § 104 a UrhG auszuschließen, ist die Beurteilung entscheidend, wie das tatsächliche Verhalten des Beklagten einzuordnen ist, ob es also als rein private Tätigkeit oder (schon) gewerbliches Handeln zu charakterisieren ist.

10Eine im Ausgangspunkt dem privaten Bereich zuzuordnende Tätigkeit ist dann als gewerbliches Handeln anzusehen, wenn es in einem Maße ausgeübt wird, das dem Handeln eines Gewerbetreibenden (schon) gleichkommt. Veräußert also etwa eine natürliche Person über die Verkaufsplattform eBay oder ähnliche Einrichtungen Gegenstände, wird dies bei einzelnen Stücken regelmäßig als privater Verkauf und damit als private Tätigkeit anzusehen sein. Veräußert die natürliche Person jedoch eine Anzahl gleicher Waren, insbesondere wenn sie neu und original verpackt sind, spricht dieses Ausmaß dafür, bereits von einer – möglicherweise auch erst beginnenden – gewerblichen Tätigkeit auszugehen, wobei dies im Einzelfall zu prüfen und auch weitere Kriterien wie etwa eine hohe Anzahl von Angeboten innerhalb eines kurzen Zeitraums, das Angebot von neuwertigen Markenartikeln, eine hohe Anzahl von Feedbacks und Ähnliches zu berücksichtigen sind (vergleiche für einen eBay Verkauf und diese Wertung etwa OLG Köln, Beschluss vom 14. Februar 2014 – 6 W 20/14).

11Diese Wertung steht im Einklang mit der Intention des Gesetzgebers, den Anwendungsbereich von § 104a UrhG auf privates Verhalten von natürlichen Personen zu beschränken. Der Gesetzgeber hat in der Gesetzesbegründung auf die Unterscheidung zwischen Verbrauchern und Unternehmern gemäß §§ 13, 14 BGB Bezug genommen (vergleiche dazu bereits den Bericht des Rechtsausschusses vom 26. Juni 2013, Bundestagsdrucksache 17/14216, dort Seite 10).“

Damit engt das LG Köln nach meiner Auffassung den Anwendungsbereich von § 104a Abs. 1 UrhG zu weit ein. Bei der Auslegung von § 104a Abs. 1 UrhG kommt der historischen sowie der teleologischen Auslegung besondere Bedeutung zu. Das Gesetz gegen unseriöse Geschäftspraktiken ist nämlich gerade mit Blick auf massenhafte Filesharing-Abmahnungen geschaffen worden. Diese sollten geregelt werden. Sinn und Zweck war daher gerade, bei Filesharing-Fällen einen ausschließlichen Gerichtsstand am Ort des Verletzers zu schaffen und damit Waffengleichheit zwischen dem Abmahner und dem Abgemahnten herzustellen (Fromm/Nordemann, UrhG, 11. Aufl. 2014, § 104a Rn. 3). Die Schwelle sollte daher gerade beim Filesharing nicht überschritten sein. Letztlich war das Gesetz gegen unseriöse Geschäftspraktiken (insbesondere die Neuregelung des § 97a Abs. 3 UrhG) ja erforderlich geworden, weil die Rechtsprechung schon zuvor die Intention des Gesetzgebers, nämlich die Beschränkung der Abmahnkosten durch § 97a Abs. 2 a.F. schlicht ignoriert hatte. Daraus lässt sich folgern, dass die Voraussetzungen für die Ausnahme und damit für eine Annahme des allgemeinen „fliegenden“ Gerichtsstandes nach § 32 ZPO nun deutlich höher liegen sollten.

Weiter nimmt das LG Köln Bezug auf den Begriff des „gewerblichen Ausmaßes“ in § 101 UrhG:

„Dies gilt umso mehr, als es nahe liegt, zur Auslegung von § 104 a UrhG andere Normen des Urheberrechtsgesetzes heranzuziehen, in denen die gleiche oder eine verwandte Begrifflichkeit Anwendung findet. Dies ist mit dem Begriff des „gewerblichen Ausmaßes“ gegeben, da dieser für den Auskunftsanspruch nach § 101 Abs. 1 UrhG als Tatbestandsmerkmal aufgenommen ist. So kann sich gemäß § 101 Abs. 1 S. 2 UrhG das gewerbliche Ausmaß sowohl aus der Anzahl der Rechtsverletzungen als auch aus der Schwere der Rechtsverletzung ergeben, womit es auch insoweit ebenso wie nach der vorzitierten Rechtsprechung zu §§ 13, 14 BGB entscheidend auf die Anzahl und die Nachhaltigkeit des rechtsverletzenden Verhaltens ankommt.“

Auch insoweit liegt das LG Köln nach meiner Auffassung falsch. Denn der Gesetzgeber kannte ja gerade aus § 101 UrhG die Begrifflichkeit des „gewerblichen Ausmaßes“. Diese war zuvor jahrelang Gegenstand juristischer Diskussion in Rechtsprechung und Literatur (s. dazu die Übersicht hier). Wenn der Gesetzgeber also „gewerbliches Ausmaß“ gemeint hätte, dann hätte er auch „gewerbliches Ausmaß“ in den Gesetzestext aufgenommen und nicht „gewerblich oder selbständig“. Wenn man schon vom Begriff „gewerblch“ kommt, wäre es näher, hier auf die Definition der Gewerblichkeit aus der Gewerbeordnung (GewO) abzustellen. Dort ist eine auf Dauer angelegte Tätigkeit mit Gewinnerzielungsabsicht erforderlich! Und beides dürfte beim Filesharing nicht der Fall sein.

Auch wenn man – wie es der Gesetzgeber in der Gesetzesbegründung getan hat – auf die Abgrenzung von Verbraucher und Unternehmer abstellt, sollte man meines Erachtens nach nicht Filesharing als typisch unternehmerische Tätigkeit darstellen. Mir ist nämlich kein Unternehmer bekannt, der Inhalte im Internet zum Download anbietet, ohne hierfür ein Entgelt zu verlangen oder dies mit Werbung oder auf andere Art und Weise zu finanzieren. Sowas tun nur Verbraucher, denen es eigentlich gar nicht um das Angebot der Inhalte geht, sondern um den Download.

Auch die Literatur sieht dies praktisch einhellig so:

So formuliert z.B. Reber im Beck’schen Online-Kommentar UrhG (BeckOK-UrhG/Reber, § 104a Rn. 2):

„Insbesondere das Anbieten von Werken und anderen Schutzgegenständen über sog Internettauschbörsen durch natürliche Personen ist, solange dies wie üblicherweise nicht entgeltlich geschieht, als nicht gewerblich anzusehen, so dass die Gerichtsstandsregelung zur Anwendung kommt.“

Fromm/Nordemann (UrhG, 11. Aufl. 2014) verweist bei der Kommentierung zu § 104a Abs. 1 UrhG auf seine Ausführungen zu § 97a Abs. 3 UrhG (§ 104a Rn. 6 bzw. § 97a Rn. 46). Und „Tauschbörsenverletzungen“ führt der Fromm/Nordemann dann als (allererstes) Beispiel einer privaten Urheberrechtsverletzung an.

Fitzner formuliert im Hoeren/Bensinger (Haftung im Internet, 2014), Kap. 2 Rn. 114 (ebenso Eichelberger, in Hoeren/Bensinger, Kap. 4 Rn. 283):

„Damit wurde im Ergebnis der sog. fliegende Gerichtsstand gem. § 32 ZPO für Filesharing-Verfahren abgeschafft.“

Kefferpütz im Wandtke/Bullinger (UrhG-Kommentar) will zwar die Schwelle für die Gewerblichkeit nicht so hoch setzen wie in der GewO, verlangt aber trotzdem, dass auf die Zweckbestimmung der Rechtsverletzung abgestellt wird, so dass klassisches Filesharing wohl ebenfalls nicht erfasst wäre (Wandtke/Bullinger-Kefferpütz, UrhG, 4. Aufl. 2014, § 104a Rn. 3):

„Die Annahme einer gewerblichen Verwendung dürfte nicht erfordern, dass die Schwelle zum „Gewerblichen Ausmaß“ etwa iSd § 101 Abs. 1, überschritten sein muss (s. zu diesem Begriff § 101a Rn. 25), so dass etwa erst bei häufiger oder schwerer Rechtsverletzung die Anwendbarkeit des § 104a Abs. 1 S. 1 entfiele; vielmehr deutet die Begriffskombination „gewerbliche oder selbständige berufliche Tätigkeit“ darauf hin, dass es allein auf die Zweckbestimmung der rechtsverletzenden Verwendung ankommt.“

Insgesamt bleibt zu hoffen, dass § 104a UrhG von anderen Gerichten als dem LG Köln nicht so eng gefasst wird. Dies widerspräche der klaren Intention des Gesetzgebers (und des Gesetzes). Und eine zweite Nachbesserung sollte eigentlich nicht erforderlich werden.

LG Hamburg, Urt. v. 13.12.2013 – 308 S 25/13: Gesetz gegen unseriöse Geschäftspraktiken (fliegender Gerichtsstand) nicht auf Altfälle anwendbar

Die Kanzlei Dr. Bahr berichtet über ein aktuelles Urteil des LG Hamburg (Urt. v. 13.12.2013 – 308 S 25/13), in dem das LG Hamburg als Berufungsinstanz ein Urteil des AG Hamburg (Urt. v. 27.9.2013 – 22a C 94/13) aufhob. Das AG Hamburg hatte die Auffassung vertreten, dass es für einen Filesharing-Fall, der vor Inkraftreten des Gesetzes gegen unseriöse Geschäftspraktiken erhoben worden war, mangels örtlicher Zuständigkeit nicht zuständig sei.

Nach dem am 9.10.2013 in Kraft getretenen § 104a UrhG ist für bestimmte Fälle der Urheberrechtsverletzung der fliegende Gerichtsstand nämlich nicht mehr möglich: § 104a Abs. 1 UrhG lautet:

Für Klagen wegen Urheberrechtsstreitsachen gegen eine natürliche Person, die nach diesem Gesetz geschützte Werke oder andere nach diesem Gesetz geschützte Schutzgegenstände nicht für ihre gewerbliche oder selbständige berufliche Tätigkeit verwendet, ist das Gericht ausschließlich zuständig, in dessen Bezirk diese Person zur Zeit der Klageerhebung ihren Wohnsitz, in Ermangelung eines solchen ihren gewöhnlichen Aufenthalt hat. Wenn die beklagte Person im Inland weder einen Wohnsitz noch ihren gewöhnlichen Aufenthalt hat, ist das Gericht zuständig, in dessen Bezirk die Handlung begangen ist.

Ebenso hatten auch andere Entscheidungen des AG Hamburg die Rechtslage bewertet (s. Nachweise hier). Das LG Hamburg hat das Urteil des AG Hamburg nun aufgehoben und eine Anwendung des § 104a UrhG auf Altfälle abgelehnt. Es soll dazu ausgeführt haben:

Eine (…) Einschränkung des § 32 ZPO (…) steht (…) der gesetzgeberischen Intention der größeren Flexibilität, der Waffengleichheit von Verletzer und Verletztem bei bundesweit begangenen Delikten und der Herausbildung von Fachkompetenz bei den Gerichten entgegen.

Die vom Amtsgericht angeführten Bedenken gegen den fliegenden Gerichtsstand stellen sich als rechtspolitische Forderungen dar, die vom Gesetzgeber bis zum Inkrafttreten des Gesetzes gegen unseriöse Geschäftspraktiken (…) bewusst hingenommen sind. Sie sind nicht geeignet, die örtliche Zuständigkeit (…) zu verneinen.

Der Volltext liegt bisher noch nicht vor.

Zu beachten ist bei der Entscheidung, dass es um die Anwendung von § 104a UrhG – also der Zuständigkeitsbestimmung geht. Die bisher bekannt gewordenen Entscheidungen des AG Hamburg drehten sich hingegen um die Beschränkung des Streitwerts und der Schadensersatzsumme nach § 97a Abs. 3 UrhG. Das Urteil ist daher nicht ohne Weiteres übertragbar.