Lesetipp: Stadler, Das Ende der Störerhaftung im Internet?, AnwZert ITR 21/2010, Anm. 2

Im AnwaltZertifikat Online ist ein Aufsatz von Thomas Stadler mit dem Titel „Das Ende der Störerhaftung im Internet?“ erschienen, der zumindest noch kurze Zeit auch online abrufbar ist.

Darin beschäftigt sich Stadler mit der neuerdings wieder diskutierten Frage, ob die Haftungsprivilegierungen der §§ 7 ff. TMG (bzw. deren Grundlage Art. 12-15 E-Commerce-RL) auf Unterlassungsansprüche und dort insbesondere die Störerhaftung anwendbar sind. Der BGH hatte 2004 in seiner Internetversteigerungsentscheidung die Auffassung vertreten, dass die Privilegierung keine Anwendung findet (BGH MMR 2004, 668 – Internetversteigerung I; BGH MMR 2007, 507 – Internetversteigerung II; Bleisteiner, 207; Köhler in: Hefermehl/Köhler/Bornkamm, § 8 UWG Rn. 2.28; Gercke, CR 2006, 210, 214; Lotze in: Hasselblatt, § 31 Rn. 307 f.; Hoffmann, MMR 2002, 284, 286; Spindler in: Roßnagel, Recht der Multimedia-Dienste, § 5 TDG Rn. 140 ff.; Sessinghaus, WRP 2005, 697, 702; Spindler, NJW 2002, 921, 922; Stadler, Haftung für Informationen im Internet, Rn. 26; Teplitzky, Wettbewerbsrechtliche Anspruüche und Verfahren, Kap. 14. Rn. 9a; Volkmann, Der Störer im Internet, 101; Volkmann, CR 2004, 767, 769; a.A. OLG Düsseldorf MMR 2004, 315, 316 – Rolex/ebay; LG Düsseldorf MMR 2003, 120, 123; Hoeren, Recht der Access Provider, Rn. 613; Köcher/Kaufmann, MMR 2005, 61; wohl auch Rücker, CR 2005, 347, 354 f.; zumindest fu?r § 10 TMG (früher § 11 TDG) LG Potsdam MMR 2002, 829; LG Berlin CR 2003, 773; Leible/Sosnitza, NJW 2004, 3225, 3226; Burkhardt in: Wenzel, Kap. 10 Rn. 237). Dies ist viel kritisiert worden, allerdings hat der BGH diese Ansicht immer wieder bestätigt.

Dazu Stadler:

Die Ansicht des BGH erscheint angesichts des Gesetzeswortlauts zwar durchaus vertretbar, führt allerdings dazu, dass die Privilegierungstatbestände im Bereich des Zivilrechts praktisch weitgehend leerlaufen, nachdem die überwiegende Zahl der Rechtsstreitigkeiten auf Unterlassung gerichtet ist. Insoweit kann man in der Tat die Frage stellen, ob dieses Ergebnis noch dem Sinn und Zweck der E-Commerce-Richtlinie entspricht.

Der Europäische Gerichtshof (EuGH, Urt. v. 23.03.2010 – C-236/08 – AdWords) hat erkennen lassen, dass eine solche Auslegung richtlinienwidrig sein könnte.

Der EuGH ist insoweit zunächst der Ansicht, dass Google AdWords als Dienst der Informationsgesellschaft im Sinne der Richtlinie anzusehen ist. Die Anwendung der Haftungsprivilegierung der ECRL hält der EuGH ausdrücklich für möglich. Die Rechtsprechung des EuGH kann nur dahin gehend verstanden werden, dass die Verantwortlichkeitsprivilegierungen der Richtlinie umfassend gelten sollen und damit, entgegen der Rechtsprechung des BGH, auch Unterlassungsansprüche einschließen.

Der BGH hat (möglicherweise als Folge dessen) in einigen Entscheidungen der letzten Zeit seine bisherige Position weniger scharf formuliert. Diese Ansätze bespricht Stadler in seinem Aufsatz.

Der BGH scheint das Problem bereits erkannt zu haben, da er in den Entscheidungen „Vorschaubilder“ und „Sommer unseres Lebens“ eine Anwendbarkeit der Regelungen der Haftungsprivilegierungen nach der ECRL andeutet, ohne allerdings seine bisherige abweichende Rechtsprechung zu thematisieren.

Bei den Auswirkungen auf die Praxis geht Stadler näher auf das WLAN-Urteil des BGH (BGH, Urt. v. 12.5.2010 – I ZR 121/08: Sommer unseres Lebens) ein:

Allein die breite rechtswissenschaftliche Diskussion des Themas hätte die Notwendigkeit begründet, dass sich der BGH mit § 8 TMG befasst, zumal er nicht nur über Unterlassungs-, sondern auch über Schadensersatz- und Kostenerstattungsansprüche zu befinden hatte.

Man könnte nunmehr allenfalls noch in Erwägung ziehen, eine Anwendung von § 8 TMG deshalb abzulehnen, weil der Betreiber eines privaten WLANs nur wegen des Missbrauchs seines Internetzugangs zu einer Art unfreiwilligem Access-Provider wird. Aber auch insoweit wird in der Literatur eine Anwendung von § 8 TMG befürwortet. Es wäre angesichts von Sinn und Zweck der Haftungsprivilegierung auch nur schwer nachvollziehbar, wenn man den Betreiber eines unbewusst ungeschützten WLANs schlechter stellen würde als denjenigen, der an einem so genannten Hotspot in Flughäfen, Hotels, o.ä. bewusst ein offenes WLAN unterhält. …

Die Anwendung der Vorschrift von § 8 TMG auf den Sachverhalt, der dem Urteil „Sommer unseres Lebens“ zugrunde lag, hätte dazu geführt, dass der beklagte Betreiber des WLAN-Routers als für die Rechtsverletzung nicht verantwortlich zu betrachten wäre. Denn § 8 TMG enthält eine Haftungsfreistellung. Die Entscheidung des BGH hätte damit anders ausfallen müssen.

S. zu dieser Diskussion auch schon:

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