OLG Frankfurt: Keine Herausgabe von Daten, die aufgrund Vorratsdatenspeicherung gespeichert wurden (Update)

Das OLG Frankfurt hat zur Frage entschieden, ob der Provider, der Daten nur auf Vorrat und nicht für andere Zwecke speichert, diese bei einem Herausgabeverlangen nach § 101 UrhG herausgeben muss (OLG Frankfurt, Beschluss v. 12.05.2009 – 11 W 21/09 – Update: Volltext hier). Es hat dies abgelehnt.

Als Grund führte das OLG Frankfurt an, dass § 101 UrhG keine Rechtsgrundlage für die Herausgabe von Daten, die nur aufgrund der Vorratsdatenspeicherung gespeichert sind, darstellt (so schon Mantz/Gietl, MMR 2008, 606, 608; Gietl/Mantz, CR 2008, 810, 812; Hoeren, NJW 2008, 3099, 3101; Redeker, ITRB 2009, 112, 113; a.A. Czychowski/Nordemann, NJW 2008, 3095). Dies ist nur konsequent. Denn die Herausgabe von Daten, die der Vorratsdatenspeicherung unterliegen, darf nur für ganz enge und spezielle Zwecke erfolgen, die den Zielen der Vorratsdatenspeicherungsrichtlinie sowie des Umsetzungsgesetzes unterliegen. Art. 1 Abs. 1 VSRL formuliert diese strenge Zweckbindung der Daten. Die Herausgabe an private Dritte ist hiervon nicht gedeckt.  Erwägungsgrund 25 der VSRL lautet: „Diese Richtlinie berührt nicht das Recht der Mitgliedstaaten, Rechtsvorschriften über den Zugang zu und die Nutzung von Daten durch von ihnen benannte nationale Behörden zu erlassen.“ Im Umkehrschluss daraus ist gerade Privaten gegenüber die Herausgabe nicht erlaubt. In logischer Folge ist auch nach § 113b TKG die Herausgabe der Daten nicht zulässig.

Dabei ist zu beachten, dass die deutsche Gesetzgebung schon deutlich über die europäischen Vorgaben hinausgeht – einer der Punkte, an denen das BVerfG bei einer Überprüfung ansetzen kann (BVerfG, Beschl. v. 11.3.2008 – 1 BvR 256/08, Rn. 136).

Wenn die Herausgabe auch für andere Zwecke erlaubt würde, würde dies nicht nur einen klaren Verstoß gegen die gesetzgeberische Intention bedeuten, sondern auch einen deutlichen Eingriff in die Grundrechte der Nutzer, der kaum zu rechtfertigen wäre. Nicht zuletzt deshalb hat das BVerfG in seinen einstweiligen Anordnungen (s. nur BVerfG v. 11.3.2008 – 1 BvR 256/08) die Herausgabe der Daten vorläufig stark eingeschränkt.

Grundsätzlich sind daher die Befugnisse, auf die Daten zuzugreifen, sehr eng auszulegen. Eine Aufweichung durch andere einfach-gesetzliche Erlaubnistatbestände würde den Grundrechtseingriff, den schon der europäische Gesetzgeber sieht, nur noch verstärkt.

Bisher noch nicht entschieden ist die Frage, wie der Provider die Daten zur Vorratsdatenspeicherung zu speichern hat, also ob dies getrennt von den Daten, die er aus anderen Gründen (nach §§ 97 ff. TKG) speichert erfolgen muss (so Gietl/Mantz, CR 2008, 810, 812), oder ob Daten nach Ablauf der zulässigen Speicherung nach anderen Normen nur als „gesperrt“ markiert werden müssen (so wohl Redeker, ITRB 2009, 112, 113). Auch hier gilt meines Erachtens, dass der eklatante Grundrechtseingriff zu einer sehr rigiden Auslegung führen muss. Sofern also technische Maßnahmen den Schutz vor Zugriffen Dritter verbessern können, sind diese auch zu ergreifen.

Insgesamt hat das OLG Frankfurt mit diesem Beschluss eine folgerichtige und dennoch sehr wichtige Entscheidung gefällt.

Update:

Mittlerweile ist der Volltext verfügbar. Dazu noch ein paar Anmerkungen:

1. Vorwegnahme der Hauptsache

Das OLG Frankfurt ist dem OLG Köln (s. dazu hier und Mantz, K&R 2009, 21) dahingehend gefolgt, dass eine endgültige Verurteilung des Antragsgegners zur Herausgabe der Daten eine Vorwegnahme der Hauptsache darstellen würde. Dementsprechend hätte nur die Auferlegung der weiteren Speicherung bis zum Abschluss des Hauptverfahrens verlangt werden können. Im Ergebnis kommt es aufgrund der abweisenden Entscheidung des OLG Frankfurt aber nicht darauf an.

Als einstweilige Anordnung könnte die Entscheidung auch keinen Bestand haben, weil sie die Entscheidung in der Hauptsache vorwegnähme (OLG Köln, Beschluss vom 21.10.2008, 6 Wx 2/08, MMR 2008, 820).

2. Gewerbliches Ausmaß

Nach Ansicht des OLG Frankfurt liegt ein gewerbliches Ausmaß im vorliegenden Fall vor. Es handelte sich um die Verbreitung eines Pornofilms, der erst kurz vorher erschienen war.

Damit schließt sich das OLG Frankfurt dem OLG Köln an (s. dazu ebenfalls hier und Mantz, K&R 2009, 21).

Eine Rechtsverletzung in gewerblichem Ausmaß ist jedenfalls dann gegeben, wenn wie hier eine vollständige Film-DVD mit einer Laufzeit von 150 Minuten, die im Oktober 2008 veröffentlicht worden ist, wenig später am 12.1.2009 im Internet öffentlich zugänglich gemacht wird. Dies entspricht dem Willen des Gesetzgebers. Nach der Beschlussempfehlung und dem Bericht des Rechtsausschusses, dem der Gesetzgeber gefolgt ist, kommt eine Rechtsverletzung „in gewerblichem Ausmaß“ unter anderem dann in Betracht, wenn eine besonders umfangreiche Datei, wie ein vollständiger Kinofilm oder ein Musikalbum oder Hörbuch, kurz nach ihrer Veröffentlichung im Internet angeboten wird (BT-Drucks. 16/8783, S. 50). Dieser klar geäußerte Wille des Gesetzgebers ist im Gesetzeswortlaut hinreichend zum Ausdruck gekommen und daher, weil sich auch aus systematischen Erwägungen nichts anderes ergibt, für die Auslegung der Vorschrift maßgeblich (ebenso OLG Köln, Beschluss v. 09.02.2009, 6 W 182/08, zitiert nach Juris Rn. 10 m.w.N.).

Der Gesetzgeber hat zum Ausdruck gebracht, dass er einen Gleichlauf des deutschen Urheberrechtsgesetzes mit der Richtlinie zur Durchsetzung der Rechte des geistigen Eigentums (2004/48/EG – nachfolgend: Richtlinie) wollte (siehe BT-Drucks. 16/8783, S. 50). Nach dem Erwägungsgrund 14 der Richtlinie zeichnen sich in gewerblichem Ausmaß vorgenommene Rechtsverletzungen dadurch aus, dass sie zwecks Erlangung eines unmittelbaren oder mittelbaren wirtschaftlichen oder kommerziellen Vorteils vorgenommen werden, so dass Handlungen, die in gutem Glauben von Endverbrauchern vorgenommen werden, in der Regel nicht erfasst sind. Gerade vor diesem Hintergrund hat der deutsche Gesetzgeber in § 101 Abs. 1 S. 2 UrhG durch objektive Kriterien die Voraussetzungen konkretisiert, bei deren Vorliegen in der Regel zugleich ein gewerbliches Ausmaß nach dem Verständnis der Richtlinie zu bejahen ist (BT-Drucks. 16/8783, S. 50). Da sich – worauf der Bundesrat in seiner Stellungnahme hingewiesen hatte (BT-Drucks. 16/5048 S. 59) – der Umfang der Rechtsverletzung bei den Internet-Tauschbörsen vor Erteilung der Auskunft nicht feststellen lässt, hat der Gesetzgeber klargestellt, dass sich das gewerbliche Ausmaß auch aus der Schwere der beim Rechtsinhaber eingetretenen einzelnen Rechtsverletzung ergeben kann.

Es reicht danach aus, dass die Rechtsverletzung ein Ausmaß aufweist, wie dies üblicherweise mit einer auf einem gewerblichen Handeln beruhenden Rechtsverletzung verbunden ist (OLG Köln, Beschluss v. 09.02.2009, 6 W 182/08, zitiert nach Juris Rn. 11). Verletzungshandlungen, die lediglich einzelne, vergleichsweise kleine Dateien betreffen, tragen die Annahme eines gewerblichen Ausmaßes nicht (vgl. Bohne in Wandtke/Bullinger, Urheberrecht, 3. Auflage, § 101 Rn. 19). Eine Rechtsverletzung im gewerblichen Ausmaß liegt jedoch vor, wenn eine umfangreiche Datei in eine Internet-Tauschbörse zum kostenlosen Herunterladen eingestellt wird. Das Anbieten in einer Tauschbörse ermöglicht die Verbreitung dieser Datei in einer unbestimmten Vielzahl von Fällen. Wer ein aktuell auf dem Markt befindliches, umfangreiches urheberrechtlich geschütztes Werk anbietet, dem ist dabei nach der Lebenserfahrung auch bekannt, dass er hierzu nicht berechtigt ist, so dass er nicht in gutem Glauben handelt (ebenso OLG Köln, Beschluss v. 09.02.2009, 6 W 182/08, zitiert nach Juris Rn. 14). Wer sich an einer Tauschbörse mit dem Angebot eines urheberrechtlich geschützten Werks beteiligt, wird zudem nach der Lebenserfahrung regelmäßig zugleich in der Absicht handeln, selbst kostenlos widerrechtlich angebotene Werke herunterzuladen und dadurch einen wirtschaftlichen Vorteil zu erlangen (ebenso OLG Köln, Beschluss v. 09.02.2009, 6 W 182/08, zitiert nach Juris Rn. 13).

3. Keine Verwendung der Daten aus der Vorratsdatenspeicherung

Wie oben schon gezeigt, dürfen die Daten, die aufgrund der Vorratsdatenspeicherung gespeichert werden, jedenfalls nicht herausgegeben werden:

Die Gestattung gemäß § 101 Abs. 9 UrhG schafft zwar die datenschutzrechtliche Grundlage dafür, dass die Beschwerdeführerin berechtigt ist, die von der Antragstellerin begehrten Daten nicht zu löschen. Dass § 101 Abs. 9 UrhG nach dem Willen des Gesetzgebers auch eine datenschutzrechtliche Erlaubnis enthält, ergibt sich aus der Gesetzesbegründung zur Parallelvorschrift § 140 b PatG (BT-Drucks. 16/5048, S. 40). § 101 Abs. 9 Satz 9 UrhG stellt klar, dass die einschlägigen Datenschutzregelungen nur außerhalb des Anwendungsbereichs dieser Vorschriften uneingeschränkt gelten. § 101 Abs. 9 UrhG bildet einen Erlaubnistatbestand jedoch nur für die gemäß § 96 TKG gespeicherten Verkehrsdaten, nicht für die allein auf Grund der Speicherungsverpflichtung nach § 113a TKG gespeicherten Daten. § 113a Abs. 4 Nr. 1 TKG, der die Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung umsetzt, verpflichtet zwar seit 1. 1. 2009 zur Speicherung der IP Adressen für sechs Monate. Diese Daten dürfen die Diensteanbieter nach §§ 113b S. 1 Halbs. 2, 113 TKG zwar auch verwenden, um staatlichen Stellen zu bestimmten hoheitlichen Zwecken Auskunft über den Anschlussinhaber zu erteilen. Die Daten dürfen jedoch nicht für eine Auskunft an Private für deren Rechtsverfolgung genutzt werden (Kitz, NJW 2008, 2374, 2376; Hoeren, NJW 2008, 3099, 3101; Jüngel/Geißler, MMR 2008, 787, 791/792; Dreier/Schulze, UrhG, 3. Aufl., § 101 Rn. 37). Der Bundestag hat den Vorschlag des Bundesrats, auch insoweit die Nutzung der gespeicherten Daten zu ermöglichen, ausdrücklich abgelehnt (vgl. BT-Dr 16/6979, S. 48).

Zu diesem Komplex s. auch:

(via Beck-Blog)

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