Archiv für den Monat: Mai 2008

Urteile zur Herausgabe von Daten zur IP-Adresse und zur Störerhaftung

In letzter Zeit sind mehrere Urteile zur Herausgabe von IP-Adressen bzw. zur Ermittlung von Daten von Tauschbörsenteilnehmern veröffentlicht worden. Hier eine kleine Übersicht…

  • Das AG Offenburg hatte als erstes Gericht die Ermittlung und Herausgabe von Daten zur IP-Adresse für unverhältnismäßig erklärt (AG Offenburg, Beschluss vom 20.07.2007 – Az. 4 Gs 442/07).
  • Das LG Saarbrücken war dem gefolgt (LG Saarbrücken, Beschluss vom 28.01.2008 – Az. 5 (3) Qs 349/07 – 2 (6) Js 682/07): „Allein aus dem Umstand, dass eine bestimmte IP-Nummer einer bestimmten Person zugeordnet werden kann, folgt noch nicht, dass diese Person auch zu der angegebenen Tatzeit über den genannten Anschluss die vorgeworfenen Urheberrechtsverletzungen begangen hat, so dass diesbezüglich nicht ohne weiteres ein hinreichender Tatverdacht bejaht werden kann.“
  • Neu ist: LG München I, Beschluss vom 12.03.2008 – Az. 5 Qs 19/08. Ein berechtigtes Interesse des Rechteinhabers auf Gewährung von Akteneinsicht nicht geradezu „automatisch“ aus deren Verletzteneigenschaft. Einer der Gründe für diese Ansicht: „In Betracht kommt überdies eine Nutzung des drahtlosen Anschlusses (WLAN) durch außenstehende Dritte.“
  • Das Landgericht Offenburg hingegen hat den Beschluss des AG vom 20.07.2007 aufgehoben, da sich mit § 113a TKG die Rechtslage geändert habe. Das ändert allerdings nichts daran, dass dies nicht mit höherrangigen Normen vereinbar ist (s. Diss, S. 297 ff.). (LG Offenburg, Beschluss vom 17.04.2008 – Az. 3 Qs 83/07). Update: Sobola, ITRB 2008, 135, 136 interpretiert den Beschluss des BVerfG zur Vorratsdatenspeicherung (BVerfG, Beschl. v. 11.3.2008 – 1 BvR 256/08) so, dass die Herausgabe von Verkehrsdaten unzulässig ist (und der Folge auch die Herausgabe der Bestandsdaten, auf die über die Verknüpfung mit den Verkehrsdaten zugegriffen wird).
  • Interessant in diesem Zusammenhang ist auch ein Aufsatz von Pahlen-Brandt: Zur Personenbezogenheit von IP-Adressen, K&R 2008, 288.pdf

Noch ein anderes Urteil im Bezug auf diesen Themenbereich: Störerhaftung und positive Kenntnis

AG Wuppertal: Strafbarkeit des Wardriving

Ein jetzt in der NStZ 2008, 161 veröffentlichtes Urteil Amtsgerichts Wuppertal vom 3.4.2007 (Az. 22 Ds 70 Js 6906/06) behandelt die Strafbarkeit der Nutzung eines fremden (evtl. versehentlich) unverschlüsselt betriebenen WLAN-Netzes – also die Strafbarkeit des sog. Wardriving.

AG Wuppertal, Urteil vom 3. 4. 2007 – 22 Ds 70 Js 6906/06

Näheres zum Urteil bei heise.

Entscheidung des AG: Strafbarkeit des Nutzers wegen Verstoßes gegen §§ 89, 148 TKG, §§ 43 II Nr. 3, 44 BDSG

Bisher wurde Wardriving schon (mehrfach) in der (juristischen) Literatur behandelt:

S. zu diesem Urteil auch (schon mit interessanten Diskussionen):

Die Auffassung des AG Wuppertal stützen Bär, MMR 2005, 434 sowie BeckTKG-Bock, § 89 Rn. 7. Buermeyer hingegen hat die jetzt gezogenen Schlussfolgerungen des AG Wuppertal schon damals als falsch dargestellt.

Wie man sieht, kann man sich über die Auslegung von §§ 89 TKG und § 43 II Nr. 3 BDSG wunderbar streiten. Buermeyer hat überzeugende Argumente gegen eine Strafbarkeit dargetan, Bär und das AG Wuppertal versuchen, konsequent nach einer weiten Wortlautauslegung vorzugehen. Zur Diskussion muss ich weiter wohl nicht beitragen, s. dazu die Links oben sowie die verlinkten Artikel. Viel interessanter ist ja auch die Folge… :

Auswirkungen auf offene/freie Netze?

Für Freifunk und ähnliche Projekte hat dieses Urteil keine Auswirkungen, denn nach § 89 S. 1 TKG dürfen Funkaussendungen, die für die Allgemeinheit bestimmt sind, abgehört werden. Das betrifft also sowohl die Freifunk-SSID (die ja auch durch ihren Namen als offen gekennzeichnet ist) als auch eine eventuell (bei Freifunk-Netzen häufig nicht) eingesetzte DHCP-Lösung. Das bedeutet allerdings nicht, dass die über das Freifunk-Netz (nach dem Einloggen) übertragenen Kommunikationsinhalte abgehört werden dürfen (z.B. dummerweise unverschlüsselt übertragene Passwörter), denn die sind im Grunde eine Unterhaltung zwischen dem Nutzer und dem Zugangspunkt und damit nicht „für die Allgemeinheit bestimmt“. An diesem Beispiel zeigt sich auch, dass der Inhaber des Knotens durch seine Zweckbestimmung die Anwendbarkeit von § 89 TKG bewirkt/bewirken kann.

Sehr interessant ist übrigens weiter, dass das AG Wuppertal die Strafvorschrift des § 44 i.V.m. § 43 II Nr. 3 BDSG anwendet. Vielleicht hat das ja ein wenig Wirkung, denn es gibt eine Vielzahl Fälle, wo man sich genau das wünschen würde…

§ 43 II Nr. 3 BDSG lautet übrigens:

Ordnungswidrig handelt, wer vorsätzlich oder fahrlässig […] unbefugt personenbezogene Daten, die nicht allgemein zugänglich sind, abruft oder sich oder einem anderen aus automatisierten Verarbeitungen oder nicht automatisierten Dateien verschafft,

Jedenfalls sieht das AG Wuppertal die IP-Adresse als personenbezogenes Datum an. Diese Auffassung kann ich nur stützen (s. auch schon Diss, S. 306 mit Nachweisen). Allerdings, ob sich der Nutzer nun dieses „nicht allgemein zugängliche Datum“ verschafft bzw. es abgerufen hat, oder ob das AG Wuppertal hier nicht den Bezugspunkt falsch gesetzt hat, ist noch einmal eine andere Frage, die in den anderen Blogs schon ausreichend diskutiert wird.

Update:

Nach Rössel, ITRB 2008, 99, 100 wurde die Einziehungsentscheidung des AG Wuppertal bezüglich des Notebooks vom LG Wuppertal in der Berufung aufgrund Unverhältnismäßigkeit aufgehoben (LG Wuppertal, Urt. v. 29.6.2007 – 28 Ns 70 Js 6906/06 – 107/07).

Offene Netze und Förderung von „Community Media“ durch das EU-Parlament

Das EU-Parlament hat einen Entwurf zur Förderung von „Community Media“ veröffentlicht, der durch das EU-Parlament verabschiedet werden soll.

Interessant ist dies z.B. im Hinblick auf die Abwägung bezüglich der Prüfungs- und Überwachungspflichten im Rahmen der Störerhaftung (s. Diss, S. 257 ff.). Dort ist einer der wesentlichen Gesichtspunkte die Funktion und Aufgabenstellung des Intermediärs (insb. für die Gesellschaft). Wenn also das EU-Parlament deutlich herausstellen sollte, dass „Community Media“ eine wichtige Rolle für die Gesellschaft spielt und im nächsten Gedankenschritt Offene Netze wie z.B. Freifunk als „Community Media“ einzustufen sind, spricht das erneut und umso mehr für eine starke Privilegierung und in der Folge für einen Ausschluss u.a. der Störerhaftung.

Markus von Netzpolitik sieht offene Netze als erfasst an, die Definition des Entwurfs (in Nr. 12, sowie in der Präambel und im Explanatory Statement) weist auch in diese Richtung:

a) non-profit, engaging primarily in activities of public or private interest without any commercial or monetary profit;
b) accountable to the community which they seek to serve, which means that they are to inform the community about their actions and decisions, to justify them, and to be penalised in the event of any misconduct;
c) open to participation in the creation of content by members of the community.

Allerdings ist es nicht ganz eindeutig und das EU-Parlament scheint doch teilweise auf Web 2.0 und inhaltsbasierte Dienste wie Blogs etc. abzustellen – was aber auch daran liegen kann, dass sie offene Netze einfach nicht so recht „auf dem Schirm“ haben, so dass evtl. doch von einer Übertragung ausgegangen werden kann. Im Explanatory Statement ist diese Ausrichtung dann auch nicht mehr ganz so deutlich.